Ich lasse den Rückweg zum Hof des Gottes langsam angehen, trödele herum, jage ein wenig und schlage mir den Bauch voll. Dass ich noch so viel Zeit habe, beruhigt mich ungemein. Ich bin in richtiger Feierlaune.
So verbringe ich einen vollen Tag mit der Reise, gönne mir eine Nacht Schlaf und genieße die Freizeit. Das vergeht mir schlagartig, als ich am frühen Vormittag ein wohlbekanntes Klingeln höre. Ich gehe am Fluss in Deckung und sehe wenig später den Folterflötenspieler am Bach entlangmarschieren.
Er sucht den Boden ab, langsam, aber gründlich. Oh verflixt! Er ist offenbar immer noch sauer und die Trödelei hat ihm die Möglichkeit gegeben, aufzuholen. Da hat man einmal frei, und dann so was!
Folglich mache ich, dass ich fortkomme, und eile nun doch etwas schneller bis zu dem kleinen Hof. Ich schlage einen Bogen, damit der Flötenspieler mich nicht sieht.
Im Hain nehme ich mir die Zeit und streife die Tarnkappe wieder über, was immer noch eine ziemliche Anstrengung ist. Dann mache ich die Amselprobe. Die schwarzen Vögel werden diesmal schneller misstrauisch, weil ein überwältigender Gestank mit mir über die Erde robbt. Echt, ich kann den schon sehen, wie einen zweiten, größeren Wolf neben mir, der aus grünlichen Dämpfen besteht!
Ach, nein. Das ist nur wieder eine von Lyssas kreativen Zeichnungen, die nur ich wahrnehmen kann.
Ich trage die Flöte im Maul, als ich auf den Hof trotte, und betrachte den Wachhund eine Weile. Cornflakes liegt dösig in der Sonne eines heute sehr heißen, schwülen Tages. Nur zwei Augen sind wach und er kann die Flöte offenbar nicht sehen. Ich glaube, wenn ich etwas eine Weile mit mir getragen habe, wird es mit unsichtbar. So, wie das Halsband!
Mal ehrlich, ich hinterfrage diese Logik nicht, wenn sie mir hilft.
Also trete ich erneut zur Hütte. Diesmal habe ich dazugelernt und umrunde diese. Hinten gibt es nämlich eine zweite Tür, die schnelleren Zugang zum Abort ermöglicht. Diese öffne ich jetzt, was mit einer Flöte im Maul nochmal schwieriger ist. Ich finde, für diese Mühe verdiene ich den Gotteszorn jetzt auch langsam mal!
Dann schleiche ich durch die Hütte zur Küche und platziere mich vor dem Heiligen Swear Glass. Es ist so weit! Ich lege die Flöte ab und packe sie jetzt statt in der Mitte am Ende. Jetzt noch kräftig pusten … Wieso passiert nichts? Ach, verstehe, falsches Ende. Also: Nochmal ablegen, am anderen Ende packen und … pusten!
Schrill durchschneidet der Flötenton den friedlichen Abend. Der Lärm vibriert in meinen Ohren, es fühlt sich an, als würde jemand meinen Kopf entzweisägen. Doch ich puste weiter. Das Fenster zerbirst. Cornflakes heult und bellt. Der Gott kommt aus dem Stall gelaufen. Das Glas wackelt.
Weiter! Weiter!
Mit einem lauten Klirren zerbirst das Swear Glass. Scherben regnen glitzernd zur Erde, silberne Münzen klimpern und klingeln. Auf den Glaskanten sehe ich Regenbögen.
Das könnte richtig hübsch sein, wenn der Hintergrund nicht wäre: Durch die nun leere Scheibenöffnung kann ich die entsetzten Blicke von Hund und Herrchen sehen. Sie gucken, als hätte man gerade ein Familienmitglied vor ihren Augen ermordet. Bei allen Göttern, müssen die beiden es mir wirklich so schwer machen? Mein armes Herz verdient ja auch etwas Mitleid!
Aber nun ist es getan. Ich packe die Flöte und verdufte – dank des Blumengestanks sogar ziemlich wortwörtlich – aus der Küche. Als ich durch die Hintertür husche, kommt Cornflakes herein. Das Bellen ist ihm vergangen. Der Gott folgt mit schweren Schritten. Es ist irgendwie zu still …
Als ich im Wald bin, erklingt hinter mir ein Zornesschrei, gefolgt von einer Flut an Schimpfworten, als würde der Gott nun für jede gefallene Münze einen Fluch freihaben. Oder er will gleich das nächste Swear Glass anfangen!
Ich sprinte gen Fluss, aber ich komme nicht einmal aus dem Hain heraus, als plötzlich der klingelnde Flötenspieler vor mir auftaucht.
„Ich habe es genau gehört!“, brüllt er. „Wo ist meine Flöte? Gib sie zurück, du Dieb!“
Der ist echt hartnäckig! Ich zögere und frage mich, ob ich die Flöte überhaupt noch brauche. Eigentlich ja nicht … Ich habe, was ich wollte.
Also spucke ich die Flöte auf den Weg, wo sie gut sichtbar ist, und gehe dann im Gebüsch in Deckung. Vom Flötenspieler alarmiert kommen nämlich Cornflakes und der Gott der Kreativen Beleidigungen nach draußen.
Der Gott und der Musiker treffen ungefähr bei der Flöte aufeinander, die der Gott zuerst aufhebt.
„Warst du das?“, fragt er den Flötenspieler mit gefährlich ruhiger Stimme.
„Der Ton gerade? Nein, das muss der Dieb gewesen sein.“
„Ein Dieb? Das war nämlich kein normaler Ton – damit hat ein Unsichtbarer mein Heiliges Swear Glass zerstört!“
„Ein unsichtbarer Dieb, genau! Meine Flöte wurde von einem Grauwolf geklaut, der unsichtbar werden konnte!“
„Ein Grauwolf?“ Der Gott klingt erschüttert und verraten. Er dreht sich zu Cornflakes um, der leise knurrt.
„Ich habe es Euch gesagt!“
„Das hast du“, murmelt der Gott traurig. Er sieht auf die Flöte in seiner Hand.
So viel zu meiner Hoffnung, dass ich unerkannt bleibe. Die Enttäuschung in der Stimme des Gottes ist echt schwer zu ertragen. Immerhin wirkt er auch wütend, das sehe ich daran, wie seine Hand bebt. Das ist kein Kältezittern und auch keine Angst, sondern mühsam unterdrückter, echter Gotteszorn. Den muss ich nur noch abschöpfen! Und zwar ohne selbst zum Ziel dieses Zorns zu werden … aber ich glaube, ich habe eine Idee.
„Kann ich meine Flöte bitte wiederhaben?“, fragt der Musiker vorsichtig.
„Ich kann sie dir so nicht geben. Sie ist ja völlig verstimmt!“ Der Gott wirbelt sie einmal herum. „So, jetzt kann sie mir nicht mehr gefährlich werden und klingt für Menschen absolut unwiderstehlich.“
„Für Menschen?“ Der Musiker zögert, ehe er die Hand ausstreckt. „Und für Ratten? Verzeihung, ich war eh gerade dabei, sie zu stimmen. Ich bin nämlich Rattenfänger!“
Der Gott tippt die Flöte nochmal an. „Für Menschen und Ratten. So, und jetzt geh mir bitte aus den Augen. Ich muss … mich abreagieren!“
„Verstehe. Vielen Dank!“ Der Rattenfänger nimmt die Beine in die Hand. Er scheint genauso wie ich den unbändigen Zorn des Gottes zu spüren. Es liegt irgendwie in der Luft, wie Elektrizität vor einem Gewitter.
Jetzt muss ich diesen Qualitätszorn nur noch ernten!