Nach dem Knochen kann ich mich schließlich doch noch aus dem Gespräch lösen. Allerdings erst, nachdem ich versprechen musste, nochmal vorbeizukommen.
„Du brauchst dich auch nicht anzukündigen, komm einfach spontan rüber. Ich freue mich jedes Mal über Besuch. Und was zu Essen wird sich auftreiben lassen, keine Sorge.“
Das macht der doch absichtlich! Wie kann ich denn jemanden wütend machen, der so nett zu mir ist?
Dennoch bin ich entschlossen, das Swearglass zu suchen. Nachdem ich mich verabschiedet habe und der Gott der kreativen Beleidigungen wieder in den Ziegenstall gegangen ist, schleiche ich mich zurück auf den Hof.
Dann schlage ich den Weg zum Wohnhaus ein. Der Wachhund auf dem Hof hat sich inzwischen an mich gewöhnt, aber er behält mich misstrauisch im Blick. Ich sehe ebenso misstrauisch zurück. Der Hund riecht wie eine Petze!
Aber erst einmal bleibt er leise, als ich die Klinke mit dem Maul nach unten ziehe und dann durch die aufschwingende Tür trete. Das Haus ist ziemlich klein und ärmlich eingerichtet, aber es wirkt gemütlich.
Moment, gemütlich? Es ist ein Menschenhaus. Ich sollte mich wie in einem Gefängnis fühlen, nicht angezogen von dem Hundekörbchen vor dem kleinen Ofen oder den muffigen Wolldecken!
Ich versuche, mich auf meine Mission zu konzentrieren. Witternd laufe ich durch den ersten Raum der Hütte. Ein Bett. Ich widerstehe dem Drang, darauf zu hüpfen. Es gibt den kleinen Ofen an der Rückwand und davor das Körbchen. Außerdem einen alten, durchgesessenen Sessel. Für mehr ist eigentlich auch kein Platz!
Dann gibt es noch einen Nebenraum, in den sich eine Küche quetscht. Jedenfalls ein paar Schränke, eine Arbeitsplatte und ein Hahn mit Waschbecken. Die Toilette liegt wohl außerhalb, und auch einen Kühlschrank sehe ich nicht. Oder andere elektronische Geräte. Wenn überhaupt möglich, wird mir der Fluchgott damit noch sympathischer. So in Anbetracht gewisser rachsüchtiger Sturmwolken und Kittelträger und Donnergötter!
Auf der Fensterbank steht ein großes Glas, zu etwa zwei Dritteln gefüllt mit blasssilbernen Münzen. Jackpot! Ich trete näher, setze die Pfoten auf die Fensterbank und betrachte das Swearglass. Jetzt braucht es nur einen kleinen Stups …
Ein Knurren lässt mich aufhorchen. Ich hebe den Blick und finde mich Auge in Auge mit dem miesgelaunten Wachhund. Ich mache einen erschrockenen Satz nach hinten.
Etwas verspätet wird mir klar, dass immerhin die Scheibe uns noch trennte. Aber einen tödlichen Blick hält Glas meines Wissens nach nicht auf!
„Was wird das hier?“, fragt der dunkle Pitbull drohend.
„H-hallo!“ Ich zittere bis in die Pfotenspitzen.
„Pfoten weg vom heiligen Swearglass!“
Ich schlucke. „Was für ein Swearglass? Ach, das ist das Swearglass?“
Der Hund verengt die Augen, nicht von meiner Unschuld überzeugt. „Ich wache über meinen Herrn, den Hof und das Glas. Ich werde nicht zulassen, dass du einem der drei schadest.“
„Das habe ich doch gar nicht vor!“ Ich glaube, ich hätte irgendwann mal Schauspielstunden nehmen sollen. Jetzt ist es freilich etwas spät und der Hund, der noch immer durch das Fenster hereinguckt, bleckt drohend die Zähne.
„Was willst du dann in der Küche?“
„Ähm. Futter.“ Das erscheint mir die beste Ausrede.
„Du hattest schon einen Knochen!“
„Einer ist keiner.“
Ich sehe dem Wachhund offen ins Gesicht. Er guckt immer noch finster, findet aber kein Gegenargument. „Na gut … Knochen sind unten links. Und dann raus da! Ich habe das Swearglass immer im Blick, das kannst du mir glauben. Sogar nachts!“
Da zweifele ich nicht dran, denn der Wachhund hat acht Augen. Wie so eine Spinne. Gut, das hätte ich vielleicht früher erwähnen sollen. Das war jedenfalls der Grund, warum ich so panisch jaulend zurückgesprungen bin. Drei der acht Augen schlafen momentan, sie halten dann vermutlich die Nachtwache. Damit möchte ich mich dann wirklich nicht anlegen …
Ich trotte also zu der Tür, die der Hund benannt hatte, schiebe sie auf und nehme mir unter dem wachsamen Blick der Petze einen einzigen Knochen aus dem Versteck. Ich schließe sogar brav die Tür. Dann schleppe ich meine Beute nach draußen, wo die achtäugige Bestie mich bereits erwartet.
Der Gott werkelt noch immer im Ziegenstall. Ich höre ihn leise summen. Den Knochen zwischen den Zähnen nicke ich dem Wachhund noch einmal zu und trotte nach draußen.
Erst, als ich den achtfachen Blick nicht mehr im Rücken spüre, wage ich es, mich zu entspannen. Ich lege mich ins Gras und knabbere den Knochen sorgfältig auf, während ich überlege, wie ich jetzt vorgehen soll.
Zurückzukehren ist keine Option. Der Hund würde sofort wissen, dass ich etwas im Schilde führe. Aktuell hat er immerhin keine Beweise und glaubt hoffentlich, dass ich jetzt aufgegeben habe.
Aber wenn er mich nochmal am Hof herumschleichen sieht, ist es aus und er wird dem Gott berichten.
Das Problem ist, dass er mich offenbar auf jeden Fall sehen wird. Die übertriebenen Augen sind eine echte Gemeinheit. Wie soll man an dem Vieh ungesehen vorbeikommen? Da müsste ich schon unsichtbar sein!
Leider ist das nicht so unmöglich, wie ich es mir wünschen würde. Zu gerne würde ich den Gott der kreativen Beleidigungen abschreiben und nach einem anderen Opfer suchen. Irgendwelche niederen Götter wird es ja auch anderswo geben! Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wie lange ich da suchen müsste. Während ich genau weiß, wo ich eine Tarnkappe finde, die mich unsichtbar macht!
Es gibt natürlich den berühmten Nibelungenschatz, aber an jedem größeren Fluss in dieser Welt kann sich eine solche Schatzkammer befinden. Und diese Kammern haben immer Wächter, die sich tarnen können. Ich muss also bloß den Fluss etwas weiter ablaufen und eine Schatzkammer finden.
Ihr könnt mir glauben, ich wünschte, es wäre weniger einfach! Ich möchte dem Gott der kreativen Beleidigungen wirklich nicht schaden. Wenn es nur ein bisschen schwieriger wäre, unsichtbar zu werden, würde ich mit Freuden nach einem anderen Gott suchen. Leider muss ich in diesem Punkt vernünftig sein. Einen neuen Gott zu suchen, wäre ein Risiko. Ich habe keine Garantie, dass ich jemanden finde, und dann wird es vielleicht andere Hindernisse geben. Natürlich kann ich die Augen offenhalten und nach Alternativen suchen – aber der Gott der kreativen Beleidigungen ist eine sichere Sache. Ich weiß, wo ich ihn finde und was ich tun muss, und ich weiß, dass er mich nicht mit einem Stromschlag erwischen wird! Die Sicherheit kann ich nicht mal eben aufgeben, egal, wie gerne ich den Gott mag. Wer weiß, ob ich jemals wieder ein so gut geeignetes Opfer finde?
Ich kann mich ja am Ende entschuldigen. Das wird sicher perfekt laufen!