Als Cyan wieder zu sich kam, fand sich sich schwebend über dem Boden. Nein. Nein, sie schwebte nicht. Sie wurde getragen. Ihre Arme waren zusammengebunden. Jemand hielt ihre Beine umschlungen. Das Monster!
Panik kam in ihr auf. Sie trat, wollte sich losreißen, wollte weg, als derjenige der sie trug, stehen blieb.
„Werd ruhig, verdammt noch mal, so kann ich dich nicht tragen.“ Die Stimme war vertraut, war menschlich.
„Heath?“, brachte sie hervor.
„Ja.“
Es war schwer ihn zu erkennen. Immerhin trug er sie auf seinen Rücken. Doch wenigstens lebte er noch. Das war ihr erster Gedanke.
„Was ist passiert?“, fragte sie.
„Du bist panisch geworden und hirnlos in den Wald gelaufen. Als ich dich gefunden habe, warst du gestürzt. Ich bin mir nicht sicher, ob du eine Gehirnerschütterung hast. Außerdem glaube ich, dein Fuß ist verstaucht.“
Beides gute Punkte. Ihr Kopf schmerzte dumpf und auch in ihrem Fuß war ein fürchterliches Stechen zu spüren. Aber das war nicht, was sie am meisten beunruhigte. Wurde sie verrückt? Spielten ihre Erinnerungen ihr einen Streich? „Das Monster …“, murmelte sie.
Heath schwieg.
War es vielleicht nur der Schock darüber gewesen, den Jungen zu finden? Hatte ihr Gehirn vielleicht auch durch die Erschütterung die Erinnerungen so gewebt. „Heath. War da ein Monster?“
Noch immer schwieg er. „Da war irgendetwas. Ich weiß nicht was. Wahrscheinlich ein wildes Tier.“
Das Wesen, was Cyan gesehen hatte, was sie meinte gesehen zu haben, war definitiv kein einfaches Tier gewesen. Doch sie sagte nichts. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Heath ging weiter.
„Wo ist der Außenposten?“, fragte Cyan schließlich.
„Wir sollten bald da sein“, murmelte ihr Partner nur.
Tatsächlich sollte er Recht behalten. Es vergingen vielleicht vier oder fünf Minuten, die Heath einen Abhang hinaufkraxelte, bis der Außenposten in Sicht kam. Es war eigentlich eine Aufsichtsplattform für die Brandwache, aber wahrscheinlich um diese Zeit nicht in Benutzung. Dort würden sie aber alles wichtige finden. Essen. Verbandsmaterialien. Und eine Möglichkeit die Zentrale zu kontaktieren.
Cyan wollte protestieren, als Heath anfing, die knarzende hölzerne Treppe hochzusteigen, doch sie ließ es, wusste sie doch, wie dickköpfig Heath sein konnte.
Als sie jedoch oben ankamen, ging die Tür nicht auf.
„Lass mich runter“, bat sie.
Heath verstand. Er machte ihre Hände, die er lose mit einem Tuch zusammengebunden hatte, damit sie nicht abrutschte, während sie ohnmächtig war, los.
Schmerzerfüllt stöhnte Cyan auf. Sie hatte nicht ganz verhindern können, ihren Fuß zu belasten. Dann aber stand sie, lehnte sich gegen das Treppengeländer, während Heath sich gegen die Tür warf.
Cyans Blick wanderte in den Wald. Es war mittlerweile dunkler geworden. Offenbar war der Sonnenuntergang nahe. Und das Monster, es war immer noch da draußen. Egal, wie sehr sie sich einzureden versuchte, dass es nur ein Tier gewesen war, ihr Geist wollte sich davon nicht überzeugen lassen. Sie hatte ein Monster gesehen.
Dann endlich ging die Tür knarzend auf.
Heath atmete merklich auf. „Komm“, meinte er zu ihr und legte ihren Arm über seine Schulter, um sie reinzulassen.
So hinkte Cyan mit seiner Hilfe zu dem Bett in der einen Ecke des großen Raums hinüber. Sie atmete auf, als sie endlich saß. Am liebsten wollte sie den Fuß hochlegen, doch hatte sie Angst davor den Schuh auszuziehen.
Heath schien ähnliche Gedanken zu haben. Schon kniete er vor ihr und schnürrte den Schuh auf. Irgendwas daran, wie ihr Fuß hing, wirkte falsch.
„Ruf erst einmal Hilfe“, keuchte sie. „Die paar Minuten machen keinen Unterschied.“ Außerdem wollte sie einfach wissen, dass jemand kam, dass sie nicht mehr als eine Nacht hier draußen würde verbringen müssen.
Heath sah sie zweifelnd an, nickte dann aber. „Okay. Aber du weißt, dass wir uns um deinen Fuß kümmern müssen.“
„Ja“, erwiderte sie.
Er nickte und sah sich um. Rasch fand er die Funkstation auf einem Tisch nahe der Tür. Er ging hinüber, schaltete sie an und nahm das Mikrofon aus der Haltung. Kurz schaltete er durch mehrere Kanäle, ehe er sprach: „Team 04 an Zentrale.“
Elektrisches Rauschen und Knistern war die einzige Antwort.
Cyan merkte, wie ihr Magen sich zusammenzog. Das durfte nicht wahr sein.
Heath versuchte es noch einmal: „Team 04 an Zentrale.“
Doch die Antwort blieb dasselbe nichtssagende Rauschen.
Irgendetwas stimmte ihr ganz und gar nicht.
Noch zwei Mal versuchte Heath es, doch beide Male ohne Erfolg. Wütend schlug er auf den Tisch. „Das kann doch nicht wahr sein!“
Cyan schwieg. Das konnte wirklich nicht wahr sein. Irgendetwas passierte hier - und es war nicht gut. „Vielleicht sollten wir schauen, ob Leuchtraketen oder so etwas hier sind.“
Heath sah sich zu ihr um. Für einen Moment schien es, als wollte er widersprechen, doch am Ende nickte er. „Gute Idee.“