Petter blickte zu den Balken des Heubodens auf. Die Dielen hatten geknackt, von oben war etwas wie Schritte und ein Rascheln zu hören, dann wurde alles wieder still. Marder machten manchmal solche Geräusche. Marder waren aber nicht schwer genug, dass sich die Bretter unter ihnen bogen und der freigesetzte Staub vor Petter auf den frisch gefegten Scheunenboden rieselte. Allein aus diesem Grund hatte er aufgesehen und die Kante der offenen Zwischenebene nach einem Hinweis abgesucht, was zwischen den Strohhaufen vor sich ging.
„Omme?“, rief er den jungen Mann, den er im letzten Winter bei sich aufgenommen hatte, nachdem seine ganze Familie durch das Fieber dahingerafft worden war. Er war nur wenig jünger als er selbst, doch kaum breiter als eine Bohnenstange und bleich wie eine frisch gekalkte Wand. Vielleicht war er auf den Heuboden gestiegen, um ungesehen ein paar Tränen über seinen Verlust vergießen zu können.
Der Staub vor seinen Füßen konnte Zufall gewesen sein, doch etwas sagte Petter, dass er nach dem Rechten sehen sollte. Er erklomm die Leiter, doch ehe er auf die Ebene kletterte, blickte er sich um. Stroh, mehr Stroh und eine vergessene Heugabel lagen hier, ein löchriger Korb, ein zerbrochenes Spinnrad und ein feines Tuch zierten den Boden unter der kleinen Luke, durch die dämmrig das letzte Licht des Tages den Raum erhellte.
Beinahe wäre Petter wieder hinab gestiegen, doch sein Blick war an dem Tuch hängen geblieben. Alles hier oben war staubig und grau, der Stoff hingegen schien hell aus dem Schmutz hervor. Er gehörte nicht dort hin. Der Mann überwand die letzten zwei Sprossen der Leiter und umrundete den Strohhaufen, hinter dem das Tuch hervorlugte. Mit jedem Schritt, den er tat, streckte es sich weiter nach hinten aus und ließ schließlich eine menschliche Form erkennen. Es war ein Rock, nein, ein Kleid, und die dazugehörige Dame befand sich darin.
„Fräulein?“, fragte Petter nun leise, um seinen ungebetenen Gast nicht zu verschrecken. Es musste einen guten Grund haben, dass sie sich hier oben versteckte. „Was tun Sie hier?“
Die Person hinter dem Stroh setzte sich auf, strohfarbene Locken und goldgelbe Strohbüschel fielen ihr ins Gesicht. „Ich tu Ihnen nichts“, versuchte er es weiter.
Die hagere Gestalt vor ihm kämpfte sich auf die Beine, den Kopf weiter gesenkt. Sie zitterte, hielt sich eine Hand vor die Augen, zog die Schultern an und ließ sie wieder sinken.
Etwas an ihr kam Petter bekannt vor. Er machte einen zögerlichen Schritt auf sie zu, berührte ihren gehobenen Arm bloß mit den Fingerspitzen, beugte sich hinab.
„Omme“, stellte er überrascht fest und bereute es im nächsten Moment, als der junge Mann unter seinem Tonfall zusammenzuckte. In seiner Verwunderung musste er harscher geklungen haben, als er es beabsichtigt hatte.
„Petter“, war die einzige Antwort, nur ein Hauch von einem Wort. Er musste fürchten, was er ihm nach seiner Entdeckung antun würde.
Doch Petter zögerte nicht, als er erleichtert die Arme um Omme legte in der Hoffnung, dass keine Erklärung nötig war. Er hatte nicht vor, jemanden für seine Neigung zu schönen Dingen zu bestrafen. Schöne Dinge wie das Kleid, das sich um den Leib des schönen Mannes wand, dessen Gesellschaft er nicht mehr missen wollte.
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