CN: Andeutung einer Gewalttat/Blut
Einen Monat war es her, dass das Internet plötzlich ausgefallen war, und seitdem hatte es nicht wieder funktioniert. Keine Sondersendung im Fernsehen, kein Bericht im Radio, nicht einmal die Sirenen hatten geheult. Niemand wusste, was passiert war, außer dass alle Kanäle mit einem Schlag verstummt waren.
Sol war zu dieser Zeit in Hannekes Wohnung zu Besuch gewesen, um für die nächste Klausur zu lernen. Sie studierten Informatik, alle anderen im Studentenwohnheim waren entweder in Anglistik oder Soziologie eingeschrieben und ihnen völlig unbekannt. Immer mehr von ihnen waren zu ihren Familien aufgebrochen und die Flure beinahe verwaist. Nur sie beide hatten niemanden, zu dem sie fliehen konnten, also war Sol nach zwei Wochen schließlich ein Stockwerk höher bei Hanneke eingezogen.
Am letzten Abend hatten sie vom Innenhof Schreie gehört, an diesem Morgen war von oben nur ein großer roter Fleck zu erkennen, der allmählich vom Regen davon gespült wurde. Das war vor wenigen Stunden gewesen. In diesem Moment hatte Hanneke sich an alles erinnert, was ihr Opa ihr beigebracht hatte. „Du wirst wissen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dass du dieses alte Ding hier mal brauchst“, hatte er damals gesagt und das Funkgerät getätschelt wie ein treues Pferd.
„Und du weißt wirklich, wie man mit einem Funkgerät umgeht?“, fragte Sol, als sie vor dem unscheinbaren Wochenendhaus inmitten eines zugewucherten Gartens standen.
„Mit Opas alten Büchern zusammen krieg ich das schon hin“, antwortete Hanneke, während sie das alte Türschloss mit ein wenig Nachdruck in Bewegung brachte.
Vor einer Woche waren Strom und Wasser im Wohnheim ausgefallen, und auch hier funktionierten sie nicht. Doch das Haus stand weit ab von der nächsten Stadt und ihr Opa hatte vorgesorgt, also brachte Hanneke den alten Generator wieder in Gang, während Sol das Gepäck vom Auto in den Hausflur schleppte.
Im trüben Licht einer einzelnen Glühbirne hatten sie sich schließlich auf dem Sofa niedergelassen, das zusammen mit einem Campingkocher, einem Tisch und der Funkstation den Großteil der Einrichtung ausmachte. Eine dampfende Schüssel Dosenravioli stand vor Hanneke auf dem Tisch, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Nachschlagewerk über Funkgeräte auf ihrem Schoß. „Alles, was du wissen musst, steht hier drin“, hatte Opa gesagt. Sie schlug das Buch auf und ein Briefumschlag rutschte heraus. „Fröschchen“ stand darauf. So hatte Opa sie immer genannt. Sie öffnete den Brief und las:
„Liebste Hanneke!“
Der Brief musste wichtig sein. Opa hatte sie nur bei ihrem richtigen Namen genannt, wenn es besonders ernst war.
„Wenn du das hier liest, dann weißt du bereits, warum ich dir all die Opa-Sachen beigebracht habe. Gärtnern, Technik und diesen Spruch mit dem Elch, der für dich nie Sinn ergeben hat. Wie ging der noch? Erinnere dich.
In Liebe,
Dein Opa.“
Ein kurzer, unscheinbarer Text. Aber wenn sie ihren Opa jemals richtig gekannt hatte, fand sie alles darin, was sie wissen musste. Der Elchspruch, wie ging der noch?
„Der Elch“, murmelte sie. „Der Kreis, der Elch.. blau und weiß?“
Sol blickte von den Ravioli auf. „Wie bitte?“
„Mein Opa hat mir ein Rätsel hinterlassen. Ein wichtiges Rätsel mit einem Elch.“
„Der da?“ Sol hatte den Arm gehoben und den Finger nach einer Elchfigur ausgestreckt, die auf einem Wandregal neben der Küchennische stand.
Hanneke blickte sich um. Eine blaue Wand, eine weiße.. könnte es sein? „Dreimal geht der Elch..“, versuchte sie es noch ein Mal. „Nein, er tanzt.“ Sie stand auf, starrte der Elchfigur direkt in die Augen. „Dreimal tanzt der Elch im Kreis. Nach rechts“, sie fasste den Elch, doch er war fest mit dem Brett verbunden. Nur auf der Stelle drehen ließ er sich. „Nach links“, fuhr sie fort und drehte das Holztier zurück, „von Blau nach Weiß.“
„Die Wände sind blau und weiß“, bemerkte Sol und deutete auf die Tapete in verschiedenen Farben.
Hanneke nickte. „Du hast recht. Aber mit den Uhrzeigersinn oder dagegen?“
„Vielleicht ist das egal, Hauptsache er guckt erst die blaue und dann die weiße Wand an.“
Hanneke drehte den Elch und entweder hatte sie richtig geraten oder es war tatsächlich vollkommen egal, aber ein Klacken ertönte hinter der Holzverschalung und ein schmaler Spalt bildete sich an der Ecke, durch den schwaches Licht sickerte.
Nun war auch Sol aufgestanden und blickte hinter die versteckte Tür. „Da geht eine Treppe runter.“
Hanneke zog die Tür auf und setzte einen Fuß auf die Treppe, ohne zu fürchten, was sie unten finden würde. Wenn ihr Opa sie dort hin schickte, war es sicher für sie.
Tatsächlich fanden sie am Fuß der Treppe alles, was sie sich in ihrem Fall nur wünschen konnten. Der alte Mann hatte einen Bunker eingerichtet, bis zur Decke gefüllt mit Regalen voller lang haltbarem Essen, Saatgut, Wasser, Medikamenten, Decken, Büchern, Kaffee und unzähligen anderen Dingen. Und mitten drin ein kleiner, geschnitzter Frosch.
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