Jahrelang hatte sie sich falsch gefühlt. Eine fremde Person in einem fremden Land, weitab von ihrer Heimat. Nun stand sie auf einer Düne, inmitten eines Meeres von Strandhafer, und blickte auf die raue See dahinter. Der Wind schlug ihr die salzige Seeluft ins Gesicht, fand seinen Weg selbst durch ihren dicken Schal, doch selbst die Kälte hatte sie vermisst. Die Wälder und Burgen im Gebirge waren schön, ohne Frage, aber jeder Lufthauch hatte ihre Sehnsucht nach dem Meer wieder entfacht. Der Wind in den Bergen war einfach nicht das selbe.
Gut eingeschlagen in beschichteten Tüchern lagen drei alte Bücher in ihrem Rucksack. Sie waren ihr Ziel gewesen, der Grund, der sie jahrelang in den Bergen gehalten hatte. Die große Bibliothek von Rungholt, die im Schein des Mondes bald ihre Türme aus den Wellen strecken würde, hatte sie auf der Suche nach diesen Werken dort hin entsandt. Versteckt in unbekannten Kellergewölben eingestürzter Burgen und in Privatsammlungen unwissender reicher Schnösel hatte es sie viel Zeit gekostet, die Bücher ausfindig zu machen. Doch nun durfte sie nach Hause zurückkehren, in die alten Hallen der letzten großen Bibliothek. Sicherer Hafen für all das verschollen geglaubte Wissen vergangener Generationen, tief auf dem Grund des Meeres vor den Menschen versteckt.
Es war nicht ihr erster Außeneinsatz gewesen, doch mit Abstand der längste. Rungholter lebten lange, geschützt durch die Magie des uralten Ortes, doch sie wurden genau so schnell einsam wie die Menschen der Oberfläche. Sie hatte es versucht, hatte verhindern wollen, dass jemand einen Weg zu tief in ihr Herz fand. Doch zehn Jahre waren eine harte Probe gewesen und schließlich hatte sie ihren Gefühlen nachgegeben. Sie hatte Freunde gefunden, Liebe, und nun blickte sie zwiegespalten auf das Meer hinab. Sie hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem sie zurückkehren musste. Mit Sehnsucht in beide Richtungen stand sie auf der Düne, innerlich zerrissen, doch die Pflicht, die Bibliothek, ließ ihr keine Wahl.
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