Als Ricky nach der Ausbildung wieder in die Stadt zurückgezogen war, hatte er angenommen, dass die Arbeit bei seiner Tante lediglich ein kleines Intermezzo werden würde. Im Grunde hatte er nach dem Meisterbrief immer davon geträumt, ein eigenes Geschäft zu besitzen. Um überhaupt erst einmal Fuß zu fassen, hatte er Helena zugesagt, deren Schneiderin zu dem Zeitpunkt in die verdiente Rente gegangen war.
Damals hatte ihm seine Tante angeboten, in der kleinen Zweiraumwohnung oberhalb des Ladens zu wohnen. Das Apartment gehört ihr, genauso wie die Geschäftsräume. Bevor er einzog, hatte die Wohnung ein paar Jahre ohnehin leer gestanden, nachdem Helenas eigener Sohn seine Ausbildung beendet und in eine andere Stadt gezogen war. Das kleine Apartment anderweitig zu vermieten war ihr immer zu aufwendig gewesen.
Für Ricky kam das Angebot entsprechend passend, denn so hatte er mit Anfang zwanzig wenigstens nicht wieder zu seinen Eltern ziehen müssen. Trotzdem hatte er zunächst nur vorübergehend bleiben wollen. Die Nähe zum Arbeitsplatz war allerdings ein unleugbarer Pluspunkt. Und die Tatsache, dass Helena quasi keine Miete von ihm verlangte, sondern lediglich die Nebenkosten berechnete, hatte natürlich auch gehörige Vorteile.
Müde und erschöpft saß Ricky am frühen Nachmittag auf dem Sofa und starrte auf den Fernseher. Um die Uhrzeit lief garantiert nichts, was er sehen wollte. Aber im Grunde war er sowieso kein sonderlich großer Fan des üblichen Programms. Filme sah er gern. Auch wenn das vielleicht nicht unbedingt zum Klischee passte, das er zu personifizieren schien, gehörten da allerdings Romanzen weniger dazu. Ein kurzes Lächeln zuckte über seine Lippen. Nein, er stand mehr auf Science-Fiction oder Comicverfilmungen.
Leider liefen die selten unter der Woche am Nachmittag im Free-TV.
Langsam ließ er sich zur Seite fallen und schloss die Augen. Bis zum Abend war genug Zeit für ein kurzes Nickerchen. War ja schließlich nicht so, dass er sich auf ein Date mit dem kleinen Bäckerlehrling sonderlich groß ‚vorbereiten‘ wollte. Ein kurzes Lächeln spielte über Rickys Lippen. Nein, so weit würde der Junge bei ihm heute garantiert nicht kommen, dass es dafür eine Notwendigkeit gegeben hätte.
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Ein beständiges Klingeln riss Ricky irgendwann aus einem traumlosen Schlaf. Der erste Gedanke war, dass, wer immer das war, er sich gefälligst zum Teufel scheren sollte. Doch kaum war sein verschlafenes Hirn diesem Gedankengang gefolgt, schnellte er nach oben.
Scheiße! Die Verabredung. Wie automatisch zuckte Rickys Blick zur Uhr an der Wand, nur um das zu sehen, was er bereits vorher gewusst hatte. Er war zu spät dran.
Fluchend sprang er auf und fuhr sich einmal durch die Haare. „Egal“, murmelte er, während er das Hemd zurechtzog. Moment, das hatte er am Morgen schon getragen. Hastig rannte er ins Schlafzimmer hinüber und zerrte wahllos irgend ein anderes Hemd aus dem Schrank.
Wieder klingelte es.
Seine eigene Schusseligkeit erneut verfluchend schaffte Ricky es aus dem Hemd heraus. Noch auf dem Weg zur Tür zog er sich dafür das frische über. Ein einfaches, hellblaues Leinenhemd, aber schließlich wollten sie ja nur auf einen Drink im Rush-Inn vorbeisehen.
„Als ob der Kleine nicht auf mehr hoffte“, murmelte er mit einem Grinsen auf den Lippen. „Moment!“, rief er lauter, damit Tim endlich aufhörte die Klingel und somit Rickys nicht ganz waches Hirn zu malträtieren.
Kurz darauf riss er die Tür auf und lächelte breit. Unruhig zappelnd stand Tim vor der Tür und schien nicht recht zu wissen, wohin mit den Händen. Mit einem kurzen Blick registrierte Ricky, dass der Kleine wenigstens darauf verzichtet hatte irgendeinen Müll anzuschleppen, damit es mehr nach einem Date aussah.
„Komm rein, ich bin gleich fertig“, forderte er Tim auf, der glücklich lächelnd der Einladung folgte und sich prompt nach allen Seiten umsah. „Brauchst die Jacke nicht ausziehen. Kann gleich losgehen“, fügte Ricky rasch hinzu, damit der Kleine nicht auf dumme Gedanken kam.
Statt Enttäuschung schlug ihm ein weiteres Lächeln aus Tims Gesicht entgegen. Für eine Sekunde zuckte Ricky zusammen, als das schlechte Gewissen ihm einen schmerzhaften Tritt in den Magen verpasste. Irgendwie war es fies, mit dem Kleinen auszugehen, nur damit er dem womöglich endlich klarmachen konnte, dass er hier auf Granit beißen würde. Andererseits hatte Tim ja alle mehr oder weniger subtilen Hinweise bisher vehement ignoriert. Vielleicht war es Zeit, härtere Geschütze aufzufahren und deutlicher zu werden. War ja nicht so, dass er sonst in dieser Hinsicht ein Blatt vor den Mund nahm.
Dennoch quälte Ricky sich schweigend ein Lächeln ab und zog sich endlich die Schuhe an. Wahrscheinlich würde es gar nicht so dramatisch werden. Ein paar Drinks, ein hoffentlich einigermaßen erträgliches Gespräch und dann würde Tim sicherlich selbst merken, dass sie nicht zusammenpassten.
Das miese Gefühl in Rickys Bauch wurde stärker. Im Grunde widersprach sich das doch selbst. Innerlich fluchend, versuchte Ricky sich nichts anmerken zu lassen. Es war saudämlich gewesen, diesem Date zuzustimmen, in der Annahme, dass er dabei einen ‚schönen‘ Abend verbringen und gleichzeitig Tims Avancen für die Zukunft loswerden könnte. Denn leider war Ricky sich nun einmal verdammt sicher, dass selbst falls Tim ihn für den Abend unterhalten würde, das Gleiche garantiert nicht für eine ganze Nacht galt.
Andererseits hatte der Kleine so oft Interesse angemeldet, dass er bei der geringsten Gelegenheit vermutlich auf die Knie fiel und darum bettelte, dass sie es endlich bis ins Bett schafften. Der Gedanke versetzte Rickys Puls einen kurzen Sprung, bevor er wieder zum normalen Rhythmus zurückkehrte. Das mit dem devoten, kleinen Jungen hatte für eine Sekunde durchaus seinen Reiz gehabt. Dann schob sich jedoch die Erkenntnis nach vorn, dass er das Ergebnis dieses Experiments bereits kannte: Er stand auf Männer, nicht auf Jungs.
Für Zögern oder Zweifel war es im Augenblick aber eh zu spät.
„Auf geht’s!“, meinte Ricky betont gut gelaunt und schob Tim aus der Wohnung. Je eher sie im Rush-Inn waren, desto früher bekam er ein Bier – und umso schneller wäre er wieder daheim um zu sehen, was seine magere DVD-Sammlung ihm heute als Einschlafprogramm zu bieten hatte. Alternativ ließ sich bestimmt die eine oder andere Webseite finden.
„Ich freue mich echt, dass du jetzt doch endlich nachgegeben hast“, meinte Tim, sobald sie auf der Straße draußen waren.
In Verbindung mit dem ehrlichen Lächeln verpasste diese Aussage Ricky schon wieder ein schlechtes Gewissen. Dennoch zwang er sich die vorgespielte gute Laune weiterhin ab und drängte den Gedanken daran, was er hier tat in den Hintergrund. Tim war nicht dumm, er würde schon kapieren, dass sie sich als Bekannte, womöglich irgendwann als Freunde ganz gut machten. Die Chance auf etwas Romantisches oder gar Sexuelles zwischen ihnen, lag nach Rickys Meinung allerdings bei quasi null. Jedenfalls nicht so lange Tim eben nur ein ‚Junge‘ war.
Wenn er fünf Jahre ältere wäre, vielleicht ... Dann könnte er den Kleinen womöglich sogar interessant finden und darauf hoffen, dass der entweder schon die eine oder andere Erfahrung gesammelt hatte. Zumindest könnte Tim dann beurteilen, ob er in der Tat bereit war diese zu machen. Verstohlen warf Ricky dem Jungen einen Seitenblick zu. Nur um dabei etwas irritiert festzustellen, dass der ‚Kleine‘ ein paar Zentimeter größer sein dürfte als er selbst. Außerdem grinste er weiterhin im Kreis und wirkte wie ein Kind, dem man einen geradezu gigantischen Lolli in die Hand gedrückt hatte.
Hastig blickte Ricky wieder nach vorn, denn bei der Assoziation folgte prompt eine ganz andere – weniger jugendfreie. Eine, die er definitiv nicht plante heute umzusetzen. Das würde den Kleinen ja erst recht anstacheln. Und schon war das schlechte Gewissen zurück.
„Ich wette, du hättest heute Morgen nicht damit gerechnet, ausgerechnet mit mir auszugehen“, fuhr Tim scheinbar unbeirrt von Rickys Schweigen fort.
Der horchte auf und lächelte dann diesmal ehrlich. „Die Wette würdest du gewinnen“, gab er schmunzelnd zu.
Wieder schien keiner von ihnen beiden zu wissen, was sie sagen sollten. Zum Glück erreichten sie in diesem Moment die Haltestelle, und der Bus war schon am Ende der Straße zu sehen.
Zum Rush-Inn war es nicht weit, trotzdem verharrten sie die ganze Fahrt über in ihrem Schweigen, was Ricky zunehmend auf der Seele lastete.
„Tut mir leid“, gab er schließlich leise zu, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren.
„Was denn?“
Ricky seufzte. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee war.“ Er konnte geradezu das Lächeln auf Tims Gesicht schwinden sehen und das setzte ihm noch mehr zu.
„Ach komm schon, Rick“, versuchte es der Junge erneut und er konnte förmlich sehen, wie Tim sich an diese im Moment geradezu irrwitzig erscheinende Vorstellung klammerte, sie wären hier irgendwie auf der gleichen Wellenlänge. „Wir hatten gesagt, nur ein Drink.“
Ricky seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die dunkelblonden Haare. „Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen“, murmelte er schließlich, konnte Tim jedoch nicht ansehen.
„Ich bin kein Kind mehr“, gab der in einem trotzigen Ton zurück, der die Aussage postwendend Lügen zu strafen schien. „Ich hab dir schon oft genug gesagt, dass ich dich mag, Rick.“
Er seufzte: „Ja, und genau deshalb ist das eine schlechte Idee, Tim.“ Der Kleine verzog das Gesicht. „Ich mag dich auch, aber eben nicht so.“
„Was nicht ist, kann ja noch werden.“
Mit einem Mal war das Grinsen wieder auf den Lippen des Jungen. Gerade in diesen Moment sah der Kleine wirklich nicht schlecht aus und ‚nett‘ war er auch. Für einen Augenblick zwang Ricky sich förmlich dazu, daran glauben zu wollen, dass da irgendetwas an Gefühlen existieren konnte. Aber da war kein noch so kleiner Funke von irgendwas. Wenn er Tim ansah, dann war das eben einfach ein ‚Junge‘ anstatt eines Mannes. Daran ließ sich zumindest vorerst nichts ändern.
Trotzdem konnte Ricky sich ein eigenes Lächeln nicht verkneifen. Irgendwie hatte diese Sturheit durchaus etwas für sich. Und es war vielleicht auch einfach echt schmeichelhaft, dass der Kleine ihm seit zwei Jahren hinterherrannte.
„Also gut, Tim. Aber es bleibt dabei: ein Drink. Die anderen zahle ich selber.“
Das heftige Nicken und das um so breitere Lächeln ließ Ricky schon wieder an seinem Entschluss zweifeln. Langsam folgte er dem Jungen durch die grüne Tür in die kleine Kneipe, die er seit ihrer Eröffnung nur zu gut kannte.
Unter der Woche war abends hier extrem selten übermäßig viel los und so tummelten sich auch heute bisher nur ein paar Ausgewählte im Gastraum. Alex, der Inhaber dieser Bar, stand wie jeden Abend hinter dem Tresen und bediente gerade zwei der Gäste. Das Lächeln, das sich bei dem Anblick auf Rickys Gesicht schlich, konnte er nicht verhindern.
Ohne weiter auf seine Begleitung zu achten, trat er zur Bar hinüber und winkte Alexander gut gelaunt zu. „Was hat dich denn zu der Haarfarbe getrieben?“, fragte er lachend, sobald der junge Mann sich zu ihnen gesellt hatte.
„Ach, ich dachte, ich probiere mal was Neues. Wie findest du es?“, gab Alex ebenfalls lachend zurück.
Ricky legte den Kopf zunächst nach links, dann nach rechts, als müsste er ernsthaft darüber nachdenken. Dabei drängte sich die Antwort förmlich auf und womöglich deshalb auch kurz darauf aus ihm heraus: „Steht dir nicht. Sorry, Alex.“
„Also ich finde, es gar nicht schlecht“, mischte sich Tim in dem Moment ein.
Das Grinsen auf Alexanders Gesicht wurde wieder breiter: „Danke! Was kann ich euch bringen?“
„Ein Bier, auf seine Rechnung“, meinte Ricky feixend und deutete auf Tim.
„Und noch eins für mich.“
Alex grinste weiter und holte zwei Bierflaschen unter dem Tresen hervor. „Gläser?“ Beide nickten. „Stempelkarte oder gleich zahlen?“
Ricky sah zu Tim, der mit leicht geröteten Wangen kaum hörbar nach der Karte verlangte. Offenbar erhoffte sich da doch jemand zumindest einen längeren Abend. Und irgendwie war der Kleine ja durchaus auf seine Art niedlich, wie er da stand, und versuchte, ein Mann zu sein. Aber Katzenbabys waren ungefähr genauso ‚niedlich‘ und mit denen strebte Ricky schließlich auch keine Beziehung an.
Entschlossen schob er Tim kurz darauf zu einem der Tische hinüber. Sobald sie saßen, wanderte Rickys Blick wie automatisch durch den Gastraum und über die Gesichter. Niemand, den er kannte. Hastig nahm er einen Schluck aus dem Bierglas, bevor er auf die bescheuerte Idee kam auch noch zu prüfen, ob er statt Tim lieber jemand anderen hier kennenlernen wollte. Dafür war er schließlich nicht hergekommen. Und obwohl Ricky weiterhin damit rechnete, dem Jungen hier heute eine deutliche Abfuhr erteilen zu müssen, wollte er nicht zusätzlich so mies sein und stattdessen einen anderen Kerl aufreißen.
„Wie war dein Tag?“, fragte Tim plötzlich.
Kurzzeitig irritiert sah Ricky zurück. Der Junge hockte auf dem Stuhl und spielte nervös mit dem Glas zwischen den Händen, während er es offensichtlich vermied aufzusehen.
„Hab mein aktuelles Projekt beendet. Das hat immer etwas Befreiendes. Aber es ist auch irgendwie traurig, weil es vorbei ist.“, gab Ricky zurück. „Was ist mit dir? Läuft die Ausbildung gut?“
Tim nickte hastig. „Nächstes Jahr bin ich fertig.“
„Willst du den Meister gleich noch hinterher machen?“
Ein Schulterzucken. „Weiß nicht.“
Ricky seufzte innerlich, hütete sich aber davor, das laut zu tun. Diese ersten Dates hatte er schon immer gehasst. Kaum war der Gedanke da, schimpfte er bereits mit sich selbst. Schließlich war das hier keine richtige Verabredung, erst recht nicht ‚die erste‘. Denn das würde implizieren, dass weitere Treffen folgen könnten. Und das war ja am Beginn des Abends bereits unwahrscheinlich – beim bisherigen Verlauf ihres Gespräches förmlich unmöglich – gewesen.
Mal ehrlich, was tat er hier eigentlich? Der Junge war achtzehn, verdammt noch mal! Der hatte doch vom Leben gar keine Ahnung, von Beziehungen erst Recht und von dem, was Ricky brauchte dreimal nicht. Tims einziger Pluspunkt war, dass er unkompliziert erschien, bodenständig. Eben kein studierter Lackaffe, dem irgendwann auffallen würde, dass Ricky weder Abi noch Uniabschluss vorweisen konnte. Dieser eine grauenhafte Moment würde bei Tim nie kommen. Der, in dem er neben seiner aktuellen Beziehung stand und der herumdruckste, weil er nicht zugeben wollte, dass er mit einem Mann liiert war, der am Ende des Tages eben ‚nur‘ ein Schneider war.
Wieder zuckte der Gedanke durch Rickys Kopf, dass er Tim ja vielleicht doch eine Chance geben sollte. Es gab fatalere Fehler als Unerfahrenheit. „Sag mal“, setzte er deshalb an. „Wie viele Beziehungen hattest du eigentlich schon?“
„Ähm“, druckste Tim herum und Ricky sah seine schlimmsten Befürchtungen bereits bestätigt. „Also da war Ben.“
Etwas in ihm hoffte wider besseren Wissens, dass da ein weiterer Name kommen würde. Aber Tim schwieg. Um nicht resignierend zu stöhnen, nahm Ricky einen erneuten Schluck aus dem Glas. Das hier war definitiv ein Fehler, egal wie sehr er sich versuchte einzureden, es wäre anders.
„Und Ben ist wie alt?“, hörte er sich trotzdem fragen. Gegen alle Vernunft. Dabei konnte Ricky nicht einmal sagen, warum er überhaupt fragte. War ja nicht so, dass es er wirklich interessiert hätte, mit wem der Kleine gegangen war. Aber vielleicht war es einfach dieser winzige Funken Hoffnung ...
„Siebzehn“, nuschelte Tim, während er ebenfalls an dem Glas nippte. Das gequälte Stöhnen, das Ricky entkommen wollte, konnte er gerade noch zurückhalten. Die verdrehten Augen jedoch nicht.
„Wie lange lief das denn zwischen euch?“, forschte er trotzdem nach, wohlwissend, dass guter Wille und Hoffnung allein hier auf verlorenem Posten stehen würden.
„Sicher drei, vier Monate.“
Am liebsten hätte Ricky den Kopf auf den Tisch geschlagen. Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht, Tim zuzusagen? Es war doch von Anfang an klar gewesen, wie das hier enden würde. Ebenso gut hätte er sich für heute Abend irgend einen netten, warmen Körper fürs Bett suchen können, der den Anstand hatte am nächsten Morgen weg zu sein und nie mehr aufzutauchen.
„Wie ... viele Beziehungen hattest du denn schon?“, fragte Tim plötzlich.
Der hielt das Seufzen diesmal nicht zurück und schüttelte den Kopf, nur um kurz darauf das Glas zu leeren. Mit einem tiefen Atemzug ließ er es danach auf den Tisch sinken.
Statt zu antworten, stand er auf und klopfte Tim kurz auf die Schulter. „Dafür brauch ich noch ein Bier.“
Kaum war er am Tresen, kam Alex grinsend auf ihn zu. Als der Rickys Gesichtsausdruck sah, konnte er offensichtlich sofort sehen, dass der Abend nicht sonderlich gut lief. „Probleme?“, fragte er leise und schielte zu Tim.
„Gib mir einfach noch ein Bier, bevor ich dem Kleinen das Herz rausreiße.“
Alex grinste und schob ihm schweigend ein frisch gefülltes Glas hinüber. „Seine Rechnung?“
„Nein, das wäre nun wirklich grausam.“
Wortlos reichte Alex ihm eine Stempelkarte und Ricky machte sich zurück auf den Weg zu seinem Platz. Tim saß mit dem Rücken zu ihm und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Wieder kam dieses miese Schuldgefühl in ihm hoch. Aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Irgendwann würde Tim ihm dafür dankbar sein. Vielleicht. Hoffentlich. Oh, Mann, wie er diese Gespräche hasste.
„Also?“, fragte Tim erneut nach, kaum dass er sich gesetzt hatte.
„Sagen wir mal so“, meinte Ricky und sah Tim dabei fest in die Augen. Da war weiterhin dieser Schimmer. Eine Hoffnung, die er dort in den nächsten Minuten würde zerstören müssen. „Mindestens eine zu wenig“, beantwortete er irgendwann die eigentliche Frage. „Aber auch wenn ich dich mag ... das hier wird nichts.“
Tim schluckte und Ricky konnte förmlich hören, wie dem Jungen das Herz in die Hose rutschte, da keinen Halt fand und krachend auf dem Fußboden einschlug. „Warum nicht?“
„Du bist echt nett“, gab Ricky schließlich zu und konnte sehen, wie dem Kleinen die breite Brust aufging. „Aber ich bin nicht der Typ, der gern den Lehrer spielt.“
Tim verzog das Gesicht und nippte erneut an seinem noch immer fast vollen Glas. „Ich bin kein Kind mehr.“
„Nein“, gab Ricky zu. Denn wie ein ‚Kind‘ sah der Kleine zumindest körperlich nun wirklich nicht aus. „Aber du musst erst noch deine Erfahrungen sammeln.“
„Die könnte ich auch mit dir machen.“
Diese Beharrlichkeit hatte etwas, vor allem da Tim weiterhin so verlegen war, dass er Ricky nicht mal ansehen konnte. Unter anderen Umständen könnte er dieser Seite durchaus etwas abgewinnen. Und irgendwie war es niedlich, aber eben mehr in Richtung ‚Katzenbaby‘ als ‚will ich mit nacktem Hintern vor mir sehen‘. Und wie Ricky inzwischen mehrmals an diesem Abend festgestellt hatte, wollte er nun einmal einen ‚Mann‘.
„Ich bin fünfundzwanzig, Tim. Was ich in einer Beziehung suche sind keine ‚Erfahrungen‘.“
Diesmal sah Tim auf und Ricky konnte die Verwirrung in seinen Augen sehen. Einen Moment lang schien der Kleine zu überlegen, bevor er fragte: „Was dann?“
Er zuckte mit den Schultern. Denn ganz genau wusste er das auch nicht. Ricky hätte nicht mal sagen können, was für eine Art Mensch es sein sollte. Ja, er hatte gewisse ... optische Typen, die er ausgesprochen interessant fand. Ein Bild, dem Tim im Übrigen durchaus genügen würde. Aber eben diese Äußerlichkeiten, spielten bei dem Gedanken an etwas Langfristiges für Ricky inzwischen weniger eine Rolle. Die meisten im Augenblick gut trainierten Mittzwanziger dürften nach noch einmal dieser Lebenszeit eben auch ihre Fettpölsterchen haben.
Nein, was Ricky suchen wollte, war jemand, der ihm das Gefühl gab begehrt zu sein – und nicht peinlich. Ein Mann, den seine manchmal zu vorlaute Klappe nicht abschreckte. Der mit der an manchen Tagen etwas raueren Art im Bett genauso zurechtkam, wie mit den Kuscheleinheiten, die Ricky ebenso brauchte. Ja, er selbst war durchaus ein Mann der Gegensätze. Und er wollte definitiv jemanden, der die Erfahrung hatte, mit allen diesen Seiten fertigzuwerden. Auch wenn er keine Ahnung hatte, ob so ein Mensch überhaupt existierte. Oder wie er das einem unerfahrenen Achtzehnjährigen erklären sollte.
„Erfahrungen sammelt man mit mehr als einem Menschen, Tim.“
Der runzelte die Stirn. Offensichtlich war die Antwort nicht verständlich genug. „Du hast gerade keinen Freund. Oder, Rick?“
Langsam schüttelte er den Kopf. Seine letzte Beziehung hatte immerhin gut ein halbes Jahr gehalten. Trotzdem hatte es genauso geendet, wie die manchmal unzählbar erscheinenden Versuche zuvor. Dabei wären es, wenn Ricky genauer darüber nachdenken würde, nicht einmal so arg viele gewesen. Trotzdem hatte er von kurzfristigen Beziehungen vorerst die Nase voll. Beim Nächsten würde er genauer hinschauen. Diesmal sollte es halten. Wenigstens ein paar Jahre. Mit der Hoffnung auf länger.
„Nein, aber ich suche auch nicht nur einfach irgendjemanden.“
„Was spricht dann dagegen, mir eine Chance zu geben?“
Ricky musste grinsen. Irgendwie war es tatsächlich niedlich – auf eine etwas verquere Art und Weise – wie der Junge weiter versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass sie eine Zukunft haben könnten.
„Weiterhin die Tatsache, dass ich vorerst genug ‚Erfahrungen‘ gesammelt habe“, gab Ricky mit einem Grinsen zurück, bei dem Tim sich verlegen abwendete. „Ich will im Moment einfach keine weiteren blinden ‚Versuche‘. Der nächste Mann, mit dem ich zusammen komme, soll was Dauerhaftes sein. Es muss sich ‚richtig‘ anfühlen. Und das hier ... fühlt sich nicht so an. Tut mir leid.“
Einen Augenblick lang überlegte Tim und in Ricky stieg die Hoffnung auf, dass der Kleine verstanden hatte, worauf er hinaus wollte. Dann fragte er allerdings wieder nach: „Wenn du ewig nur wartest, entgeht dir vielleicht der eine, mit dem es doch funktioniert.“
Der Schmollmund hatte was, obgleich er wieder einmal ebenso kindisch war. Rasch nahm Ricky einen weiteren großen Schluck. Allmählich wurde es Zeit, den Abend zu beenden. „Du wirst mich nicht umstimmen, Tim. Ich will kein Experiment, bei dem es am Ende nur darum geht, dass du mit mir im Bett landest. Jemanden für Sex zu finden ist keine Kunst. Wenn ich einen der Kerle ohne Date in dieser Bar haben wollte, dann würde ich ihn auch kriegen.“
Tim grinste schief. „Wie wäre es mit einer Wette?“
Ricky hielt inne und schielte zu dem Jungen. Der hatte sein erstes Bier kaum angerührt. Wahrscheinlich war die Plörre inzwischen viel zu warm, um noch erträglich zu sein. Jedenfalls wenn man danach urteilte, wie fest der Kleine das Glas mit beiden Händen umklammert hielt. Fast, als würde es ihm Kraft geben, durch diese von Tim vermutlich so nicht geplante Unterhaltung zu kommen.
„Also gut. Sag an“, murrte Ricky schließlich. Denn auch wenn er es ungern zugab – und Tim ihn scheinbar zu gut kannte – zu einer anständigen Wette hatte er noch nie ‚Nein‘ sagen können.
„Ich glaube nicht, dass du jeden hier dazu kriegst, dir einen Kuss zu geben“, meinte Tim schließlich mit belegter Stimme.
Ricky runzelte die Stirn. Okay, das kratzte vielleicht mehr an seinem Ego, als er zugeben wollte. „Welcher Einsatz?“
Er konnte sehen, wie Tim überlegte. Irgendwann nippte der Kleine erneut an seinem Bier. „Ich such den Mann aus. Wenn ich gewinne, gehst du noch mal mit mir aus.“ Ricky verzog das Gesicht. „Nur ausgehen! Ich erwarte nichts sonst.“
‚Als ob.‘ Aber das sagte er natürlich nicht laut: „Und wenn ich gewinne?“
„Lass ich dich in Ruhe.“
Ricky runzelte die Stirn. „Du gibst einfach auf?“
Es war schwer zu glauben, dass Tim tatsächlich diese zwei Jahre andauernde Schwärmerei problemlos ablegen würde. Vielleicht war es auch nur ein Stück weit verletzend, wenn der Junge ihm zuerst derartig hinterherrannte und dann mit einem Mal sagte, dass er wiederum einfach zu vergessen war. Selbst wenn er nicht vorhatte, mit Tim etwas anzufangen, war die Vorstellung, dass er am Ende wieder einmal ohne einen weiteren Gedanken abgeschrieben werden würde, unangenehm.
Tim lächelte sanft und zuckte mit den Schultern. „Sagen wir, ich würde mich vorerst darauf beschränken zu warten.“
Wieder glitt Rickys musternder Blick über den Jungen. Im Grunde hieß diese Antwort gar nichts. Der Kleine würde nicht aufgeben. Jedenfalls nicht, bis einer von ihnen eine Beziehung hatte. Das konnte man ihm förmlich ansehen. Aber wenigstens würde Tim auf weitere Einladungen verzichten. Der Gedanke, dass der Kleine trotzdem auf ihn ‚warten‘ wollte, gefiel Ricky allerdings nicht.
„Dein Gewinn ist ungleich größer, als meiner“, gab er deshalb zurück und vertrieb damit ein weiteres Mal das Lächeln auf Tims Lippen. „Gegenvorschlag. Wenn Du gewinnst, gehen wir aus und ich verspreche, dass ich versuche, unvoreingenommen zu sein. Auch bezüglich der Nacht danach.“
„Und wenn ich verliere?“
Ricky nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und wünschte sich für eine Sekunde, dass es nicht schon wieder fast leer war. Er seufzte und kratzte sich einen Moment am Kopf. Tim musste kapieren, dass er sich keine Hoffnungen machen durfte, oder er würde nie die Chance haben, überhaupt diese ‚Erfahrungen‘ zu sammeln.
„Dann kann ich dir genauso einen Mann aussuchen, den du um einen Kuss bitten musst.“
In gewisser Weise war es amüsant, wie Tim zusammenzuckte und hektische Augen sofort durch den Raum zuckten. Vermutlich kämpfte er damit abzuwägen, wie schlimm es ihn treffen könnte. Das Risiko, den Kleinen hier potenziell einem absoluten Vollidioten in den Schoss zu setzen, würde Ricky natürlich niemals eingehen. Dieser besorgte Blick bestätigte ihn jedoch darin, dass Tim schlichtweg nicht so weit war. Ein unsicherer Junge, kein gestandener Mann.
„Oh, nicht heute“, fügte Ricky deshalb schnell hinzu.
„Was?“, keuchte Tim – offenbar noch immer beunruhigt, was diese Wette ihn womöglich kosten könnte.
„Nun ... sagen wir mal so“, raunte Ricky und konnte sich das hinterhältige Grinsen nicht verkneifen. „Ich kann dir jederzeit, wo auch immer wir gerade sind, einen Mann nennen, den du um einen Kuss bitten musst. So lange du in diesem Moment keine feste Beziehung vorweisen kannst.“
Er konnte sehen, wie es in Tim kämpfte. Diese Angst davor, irgendeinen Idioten anquatschen zu müssen. Wieder zuckten die Augen von dem Kleinen durch den Raum und plötzlich war Ricky sich nicht mehr sicher, ob er zu weit ging. Er sollte mit einem Kind nicht solche Spielchen zu treiben. Dem Jungen fehlte die Erfahrung, um überhaupt zu begreifen, dass es genau das war: ein Spiel.
„Wenn ich gewinne, gehst du ernsthaft mit mir aus?“, flüsterte Tim erneut und Ricky nickte. Zögerlich streckte der Kleine eine zittrige Hand zu ihm aus. „Deal.“
Auch auf Rickys Lippen breitete sich ein Lächeln aus. Die Wette war zu verlockend und er konnte quasi nicht verlieren, egal wie es ausging. Also schlug er ein: „Denk daran. Hier und heute nur einen, der definitiv kein Date hat. Ich habe nicht vor irgendjemanden um seine Verabredung zu bringen.“ Diesmal war es Tim, der nickte. „Die Wette gilt.“
Nun war es an Ricky einen Blick durch den Raum gleiten zu lassen. Der eine oder andere Mann hätte ihm sicherlich rein optisch zugesagt. Aber Tim würde keinen von denen wählen. Ein kurzes Lächeln huschte über Rickys Lippen. Mal sehen, was er Kleine glaubte, mit wem er ihn ärgern konnte. Dieser Teil des Spiels fing zunehmend an, ihm zu gefallen.
„Nun?“, fragte er und sah Tim herausfordernd an. „Wer soll es sein?“
Amüsiert beobachtete er, wie Tim seinerseits erneut durch den Raum sah – wahrscheinlich auf der Suche nach dem einen Mann, der Ricky garantiert keinen Kuss schenken würde. Vielleicht war es etwas selbstsicher von ihm gewesen. Aber er war sich sicher, dass er genug Zeit in diesen vier Wänden verbrachte, um wenigstens eines zu wissen: Wer hier ohne Verabredung herkam, würde zu einem simplen Kuss nicht ‚Nein‘ sagen.
„Alex.“
„Was?“, irritiert sah Ricky zu Tim zurück.
„Er ist ohne Date hier“, erwiderte der Junge schulterzuckend. Das geradezu hinterhältige Grinsen, das an seinen Lippen zog, hätte unter anderen Umständen womöglich attraktiv auf Ricky gewirkt.
„Das ist unfair. Alex ist nicht schwul“, gab er beleidigt zurück. Dass er nicht gerade jemanden aussuchen würde, der aussah, als vögelte er alles, was bei drei nicht auf den Bäumen war, damit hatte Ricky gerechnet. Aber Alex? Das grenzte an falsches Spiel.
Das schon fast hinterhältige Grinsen auf Tims Lippen wurde breiter: „Du hast gesagt ‚jeder‘. Wenn du kneifen willst, bitte. Aber dann habe ich gewonnen.“
Seufzend leerte Ricky das Glas und stand auf. So einfach würde er sich sicherlich nicht übertölpeln lassen. „Also gut.“
Sofort verschwand Tims Grinsen: „Was?“
„Ich kneife nie“, gab Ricky mit einem Schmunzeln zurück. Der Kleine war nicht dumm, das musste er ihm lassen. Für jeden anderen wäre Alex die eine Wahl gewesen, bei der absolut keine Chance auf einen Gewinn dieser Wette bestand. Clever. So viel musste Ricky Tim lassen. Aber er selbst hatte zu viele Jahre in dieser Bar verbracht, um sich ausgerechnet hier irgendeine Blöße zu geben. Was Ricky seiner Familie gegenüber noch immer nicht zugeben konnte, der Teil seines Charakters, den er in der Öffentlichkeit nur selten zeigte ... Der lebte hier. Hier konnte Ricky er selbst sein. Meistens zumindest. Tim dachte, er hätte ihn kalt erwischt. Aber dafür war der Kleine nicht clever genug.
„Du kriegst Alex niemals dazu, dich zu küssen!“
Rickys Lächeln wurde sanfter, als er sich vorbeugte, bis seine Lippen neben Tims Ohr waren. Er konnte das Beben, das durch den Kleinen lief sehen, förmlich fühlen. „Abwarten“, raunte er und stapfte dann in Richtung Tresen.
Dort angekommen, war es aber nicht Alexander, der zu ihm trat, sondern eine der Aushilfen. „Noch eins“, meinte Ricky und schob das Glas zusammen mit der Stempelkarte über den Tresen. „Und ich muss mit Alex reden.“
Das Bier bekam er prompt, auf den Besitzer dieser Bar musste er aber etwas länger warten. Immer wieder wanderte Rickys Blick dabei durch den Gastraum. Es war quasi unmöglich, dass er diese Wette durchziehen konnte, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommen würde. Dadurch wurde die Sache deutlich komplizierter.
„Hey, Ricky. Was kann ich für dich tun? Macht deine Verabredung jetzt doch Probleme?“
Er lächelte und zuckte mit den Schultern. „Irgendwie schon“, gab er mit einem kurzen Lachen zu. „Aber keinen Ärger.“
Alex runzelte die Stirn. Er stützte die Unterarme auf dem Tresen ab und beugte sich zu Ricky vor. „Sag an.“
„Ich brauche einen Gefallen, Xandi“, gab er flüsternd zu, darauf bedacht, dass die umstehenden Gäste ihn nicht hören würden.
Sofort ließ Alex den Kopf hängen und fuhr sich durch seine zur Abwechslung dunkelrot gefärbten Haare. „Du hast gewettet, oder?“
Mit einem beschämten Grinsen zuckte Ricky mit den Schultern. „Du kennst mich doch.“
„Ja. Leider. Schon viel zu lange“, gab Alex murrend zurück. „Irgendwann wirst du dich mit einer Wette in echte Schwierigkeiten bringen.“ Ricky grinse schlichtweg. „Worum geht es?“
„Wenn du mir einen Kuss gibst, wird der Welpe aufhören, mir hinterherzurennen.“
Alex schnaubte. „Das wirst du ja wohl anderweitig lösen können.“
„Bitte!“ Der Unwille war Rickys altem Freund jedoch klar ins Gesicht geschrieben. „Komm schon, es wird dem Kleinen helfen, endlich den Kopf freizubekommen für jemanden, der ... besser für ihn ist.“
„Ich werde eh ohnehin von jedem Zweiten hier angemacht. Wenn die jetzt auch noch denken, dass sie Chancen haben ...“
„Dann werden sie dich umso mehr mögen.“ Alex verzog erneut das Gesicht. „Komm schon, Xandi. Es ist nur ein Kuss. Um der alten Zeiten willen“, versuchte es Ricky weiter. Allmählich konnte er den Widerstand in seinem Freund schwinden sehen.
„Dafür schuldest du mir etwas, Rick.“ Der grinste zufrieden und nickte hastig. „Was Großes!“ Sein Grinsen wurde breiter. „Wehe du erzählst dem Kleinen irgendeinen Mist dazu!“
„Natürlich nicht“, versicherte Ricky, darum bemüht sich das Grinsen von den Lippen zu wischen und einigermaßen ernsthaft rüberzukommen.
Alex verzog erneut das Gesicht. „Dir ist hoffentlich klar, dass du dafür einen Arschtritt kassieren würdest, wenn du nicht seit zwanzig Jahren der beste Freund von meinem kleinen Bruder wärst!“, zischte er ungehalten.
„Glasklar.“
„Ich fasse es nicht, dass ich das tue ...“, murmelte Alex mit einem Schnauben.
Dann atmete er tief durch, packte Ricky mit einem Mal am Shirt, zog ihn ein Stück über den Tresen und presste ihre Lippen recht ungelenk und wenig liebevoll gegeneinander. Schlagartig ging ein Grölen durch die kleine Kneipe, das seinesgleichen suchte.
Mit einem kurzen Stoß schubste Alex Ricky in dem Moment, in dem sich voneinander lösten, ein Stück zurück. „Und zieh mich nie wieder so in deine Wetten rein. Richard!“
Grinsend nickte der: „Der Kleine hat dich ausgesucht, nicht ich.“
„Denk dran“, erinnerte Alex ihn stattdessen grummelnd. „Du schuldest mir was.“ Dann wandte er lautstark sich an den Rest der Besucher: „Schon gut. Beruhigt euch endlich.“
„Hey, krieg ich auch einen?!“, rief bereits der Erste von irgendwo her.
„Nein!“, fauchte Rickys alter Freund scheinbar genervt. Noch einmal sah Alex zu ihm, aber da war schon wieder das übliche Lächeln zu sehen. „Ich knutsch doch nicht mit jedem!“