„Machen Sie sich keinen Kopf wegen Theo. Er ist ein Schürzenjäger, wenn man das in diesem Fall überhaupt sagen kann. Aber bisher hat André ihn stets abblitzen lassen.“
Das war definitiv keine Information, die Ricky gebraucht hätte. Erst recht nicht, wenn es um die beiden Männer ging, denen er noch immer hinterher starrte. Dass Herr Doktor Blöd schon wieder seine Wichsgriffel an Andrés Arm hatte, machte es stetig schlimmer. Trotzdem zwang Ricky sich, weiter zu lächeln.
Er war mit André hier. Um genau zu sein, war er für diesen hier. Denn eigentlich hätte Ricky den Samstagnachmittag viel lieber in trauter Zweisamkeit zu Hause verbracht. Wobei es in diesem Zusammenhang vollkommen unerheblich gewesen wäre, in wessen Wohnung sie sich getroffen hätten. Etwas gemeinsam unternehmen, Spaß haben und die Zeit zu zweit genießen. Dank Andrés Wechselschichten war es schwer genug, ihre unterschiedlichen Arbeitszeiten auf einen Nenner zu bringen.
„Wundern Sie sich übrigens bitte nicht, wenn ich oder jemand anderes, die Angehörigen ‚Gäste‘ nennt“, fuhr Susanne unbeirrt seines Schweigens fort.
Diesmal holte sie Rick damit jedoch aus seinen Gedanken. Mit Mühe schaffte er es, den Blick von André und dem Blödmann abzuwenden, um zu reagieren: „Wie bitte?“
Susanne lachte und deutete auf eine Gruppe Frauen, die etwas weiter entfernt damit beschäftigt waren schon ausgeladene Bierbänke und -tische aufzustellen. „Einige der Kolleginnen waren zwischenzeitlich dazu übergegangen, die Arbeit ihren Freunden und Ehemännern aufzubürden, anstatt selbst mit anzupacken.“
Verwundert runzelte Ricky die Stirn und sah zu den gut gelaunt lachenden Frauen hinüber. Die wirkten nicht gerade, als ob sie sich vor der Arbeit drücken wollten. „Ich verstehe nicht“, meinte er deshalb irritiert.
„Ja, das hatten die Damen auch nicht“, antwortete Susanne lachend. „Inzwischen haben sie verstanden, dass es bei diesen Treffen vor allem darum geht, dass wir außerhalb der im Krankenhaus vorgegebenen Hierarchie zusammenarbeiten.“
Ricky lächelte. „Beim Schleppen der Tische ist der Arzt auch nicht besser als der Pfleger?“
Ein breites Grinsen und ein zufriedenes Lächeln schlug ihm entgegen. Allmählich fing Ricky an, die Frau zu mögen. „Und deshalb sind Sie genau wie alle anderen Angehörigen hier heute unser ‚Gast‘.“
Schon konnte Ricky spüren, wie sich seine Wangen erhitzten. „Ich bin nicht ...“, stammelte er mit einem Mal jetzt doch etwas unsicher. Auch wenn er nach den letzten Wochen wohl definitiv Andrés ‚Freund‘ war, klang ‚Angehöriger‘ nicht richtig.
‚Zu viel.‘
Vorsichtig schielte Ricky zu André hinüber, der eben zusammen mit ‚Doktor Berov‘ gleich zwei Tische auf einmal auslud.
‚Andererseits ...‘
Es gefiel Ricky gar nicht, wie der Mistkerl Berov weiterhin grinste. Wenigstens war inzwischen eine Tischlänge zwischen den beiden, sodass der Kerl nicht schon wieder an André herumfingern konnte.
„Sehen Sie sich doch einfach erst einmal um. Falls Sie irgendetwas brauchen, fragen Sie ruhig mich oder einen der anderen.“
Ricky nickte und sah dann Susanne zu, wie die verschwand, um weitere Neuankömmlinge zu begrüßen. Das lenkte ihn zumindest ein paar Minuten von Doktor Blöd und André ab. Nicht sicher, was er mit sich anfangen sollte, sah Ricky sich schließlich zwischen den übrigen Anwesenden um.
André und dieser Theo waren weiterhin dabei Sachen vom Anhänger zu laden. Damit wären sie wohl noch eine Weile beschäftigt. Schade, Ricky hatte gehofft, dass er hier nicht dumm alleine rumstehen müsste. Der Gedanke, sich zu den übrigen ‚Angehörigen‘ zu gesellen, ließ jedoch ein ungutes Grummeln in seinem Magen aufkommen. Hoffentlich würde Susanne nicht gleich die nächste Aufgabe für die beiden finden, wenn sie endlich fertig waren. Wenigstens nicht für André. Theo konnte sich, was Ricky anging, durchaus zum Teufel scheren.
Jedenfalls trugen die beiden Männer die Tische und Bänke zu einer weiteren Gruppe, die eben diese anschließend aufbauten. Eine dritte tackerte etwas halbherzig Papiertischdecken darauf. Die um die drei großen Gasgrills herumstehenden Damen und Herren war nicht eindeutig zuzuordnen. Zumindest nicht dahingehend, ob sie um die Geräte herumstanden in der Hoffnung, dass sie dort etwas zu Essen fanden, oder ob sich irgendjemand von denen auch tatsächlich darum kümmerte, das Grillgut auf den Rost zu legen.
„Na, das kann ja was werden“, murmelte Ricky verhalten.
Sie hatten extra das Mittagessen ausfallen lassen, weil André groß getönt hatte, dass es hier nicht nur schnöde Bratwürste vom Aldi, sondern – Zitat – ‚echt leckere‘ Sachen geben würde. Außerdem brachte wohl irgendeine der Damen den nach Andrés Meinung besten Kartoffelsalat der Welt mit.
Fragte sich, wo Ricky sich jetzt dazugesellen konnte. Susanne hatte gesagt, dass er sich umsehen sollte. Sonderlich viel zu sehen gab es ja aber nicht. Jedenfalls wenn er nicht André zusehen wollte, wie der Biertische schleppte. Grundsätzlich klang das nach einer ganz vernünftigen Idee. Allerdings hatte Ricky keine Lust, sich vom Anblick des Doktor Blöd weiterhin die Laune verderben zu lassen.
Weiter rechts neben ihm standen einige Männer herum und sahen ähnlich gelangweilt aus wie er. Jedenfalls schienen sie im Gegensatz zum Rest nicht wirklich beschäftigt. Vielleicht waren die ebenfalls ‚Gäste‘. Unsicher trat Ricky ein paar Schritte näher und versuchte herauszuhören, worüber sie sprachen.
„Ah, hallo!“, rief ihm prompt einer aus der Gruppe zu. Erschrocken fuhr Ricky zusammen. „Zum ersten Mal hier?“, fragte der Mann mit einem breiten Grinsen weiter.
Da Ricky nicht so richtig wusste, was er sagen sollte, nickte er zögerlich. Die prüfenden Blicke der anderen Männer, als diese sich herumdrehten, ließen es prompt in Rickys Bauch rumoren. Es war eine beschissene Idee gewesen, André hierher zu begleiten. Die Erkenntnis kam aber deutlich zu spät und so blieb ihm im Augenblick nur die Wahl zwischen Flucht nach vorn oder nach hinten.
Zu seinem eigenen Erstaunen trat Ricky in der Tat vor und damit auf die Gruppe von Männern zu. „Hallo“, grüßte er – noch immer unsicher, wie er sich verhalten sollte.
„Ich bin Herbert, aber alle hier nennen mich Bertie“, entgegnete der Mann, der ihn angesprochen hatte, und streckte Ricky die Hand entgegen.
Er wirkte freundlich. Sicherlich war er bereits Mitte fünfzig. Bierbauch, allerdings nicht sonderlich ausgeprägt. Welche Farbe die Haare einst gehabt hatten, war nicht mehr zu erkennen, denn sie strahlten in einem recht deutlichen weiß, was nur an wenigen Stellen von dunklerem Grau durchzogen war. Die offene Art des Mannes, ließ das Grummeln in Rickys eigenen Magen etwas verstummen.
„Rick“, antwortete er schließlich mit einem Lächeln und ergriff die Hand.
Nach und nach wurden ihm daraufhin die anderen Männer in der Runde vorgestellt. Augenscheinlich hatte er sich zu der ‚richtigen‘ Gruppe gesellt, denn es stellte sich schnell heraus, dass die vier in der Tat, genau wie Ricky, zu den ‚Gästen‘ gehörten, die Susanne angesprochen hatte. Bertie war sogar ihr Ehemann. Und offenbar war ‚Siezen‘ hier generell verpönt, wie man Ricky prompt informierte, als ihm das erste ‚Sie‘ an Herbert gewandt rausrutschte.
„Und was machst du so, wenn du nicht hier rumstehen musst, Rick?“, fragte schon kurz darauf einer der anderen Herren im Kreis.
Er zuckte zunächst zusammen und kämpfte darum, dem Mann einen Namen zuzuordnen – war sich irgendwann aber relativ sicher, dass der Kerl ‚Pavel‘ hieß. Ricky hatte dummerweise stets ein Problem gehabt, sich die Namen anderer zu merken.
Mit etwas Verzögerung antwortete er schließlich verhalten: „Ich ... bin Schneider.“
„Echt jetzt?“, hakte der gleiche Mann überrascht nach. Schon konnte Ricky das unangenehmes Ziehen im Bauch erneut spüren. „So richtig mit maßschneidern und allem?“, fuhr ‚Pavel‘ jedoch interessiert fort und löste damit den sich in Rickys Magen bildenden Knoten umgehend wieder auf.
„Äh. Ja“, stammelte er unsicher, während sein Blick von einem der Männer zum Nächsten wanderte. „Ich ... Wir ... Also ich arbeite im Laden meiner Tante. Sie verkauft Brautmode.“
„Oh, Gott!“, fuhr einer der anderen Männer dazwischen und hob abwehrend die Hand. Wieder war da dieses Stechen in Rickys Magen. „Lass das bloß nicht meine Freundin hören. Die hängt mir eh schon ständig in den Ohren, dass ich ihr einen Antrag machen soll.“
„Dann tu das halt endlich mal!“, belehrte Bertie ihn mit einem lautstarken Lachen. „Also wenn ihr noch Kundschaft braucht, bist du hier genau an der richtigen Stelle, Rick.“
Er grinste und nickte. Damit war das Eis offenbar endgültig gebrochen. In den folgenden Minuten stellte es sich als erstaunlich einfach heraus, mit diesen Männern zu reden. Jedenfalls hatte Ricky sich das deutlich schwerer vorgestellt gehabt. Niemand schien ihn zu belächeln. Keine schiefen Blicke. Allerdings hatte bisher auch vermutlich keiner von denen eine Ahnung davon, mit wem Ricky hier war. Der Gedanke schnürte ihm entsprechend immer wieder die Kehle zu, während er den Gesprächen lauschte und ab und zu etwas einwarf, wenn er angesprochen wurde.
„Also. Wer von euch macht diesmal beim Spiel mit?“, fragte Herbert einige Zeit später in die Runde. Direkt anschließend nahm er einen großen Schluck aus seiner Bierflasche, der Ricky daran zweifeln ließ, dass Bertie selbst plante, sich als Spieler zu beteiligen.
„Ach, ich weiß nicht“, murrte Pavel und schielte in Richtung der noch immer um die Grills herumstehende Masse. „Wenn es nicht bald was zu Essen gibt, bin ich nicht sonderlich motiviert.“
„Vermutlich haben sie deshalb diesmal die Schnarchnasenfraktion zum Grillen abgestellt“, stimmte ein anderer der Männer, dessen Name Ricky sich bisher nicht hatte merken können, mit einem lauten Lachen ein.
„Als ob ihre Taktik nicht eh schon mies genug gewesen wäre“, meinte ein Weiterer grummelnd. „Was ist mit dir, Rick?“
„Ich ... bin nicht sonderlich gut im Fußball.“
„Unsere Frauen auch nicht“, gab Herbert prustend zurück.
Ricky senkte den Kopf und versuchte, aus dem Augenwinkel André auszumachen. Bisher war der Nachmittag ganz gut verlaufen. Trotzdem war er unsicher, wie die bis dato recht freundlich anmutende Herrenrunde darauf reagieren würde, dass er im Gegensatz zu ihnen hier keine Frau vorzeigen konnte.
Pavel grinste und deutete in Richtung einer weiteren Männergruppe, die ein paar Meter entfernt ebenso wie sie herumstand und quatschte: „Wahrscheinlich haben sie deshalb diesmal die andere Station dazu geholt. Die haben scheinbar ein paar mehr Männer da in der Onkologie.“
„Die wenigsten scheinen aber ihre Frauen dabei zu haben“, murmelte ein anderer.
„Ist deine Freundin eigentlich von der Onkologie?“, fragte mit einem Mal Pavel in Rickys Richtung und ließ ihn damit erschrocken zusammenzucken. „Entschuldige. Ehefrau?“
„Äh ...“
„Ah, da bist du ja!“, ertönte just in diesem Augenblick Andrés gut gelaunte Stimme hinter ihm. Mieser hätte das Timing echt nicht sein können. „Ich hab dich schon überall gesucht.“ Ricky konnte förmlich sehen, wie den vier Herren die Kinnlade herunter klappte, als sich Andrés Arm über seine Schulter legte. Fehlte nur noch, dass Bertie die Bierflasche aus der Hand rutschte. „Hey, Jungs. Habt ihr euch inzwischen bekannt gemacht, ja?“
„Ist ... Rick mit dir da?“, fragte Pavel zögerlich.
Diesmal war es kein einfaches Ziehen, sondern eher ein verdammter Faustschlag in die Magengrube, der Ricky zusammenfahren ließ. Zugegeben, er war mit den vier Herren nicht unbedingt auf einem Niveau warm geworden, bei dem Ricky damit rechnete, demnächst ihr bester Freund zu sein. Aber es war durchaus ganz angenehm gewesen, hier nicht alleine rumzustehen und sich wie ein Störfaktor vorzukommen.
„Ja“, gab André wie selbstverständlich mit einem unüberhörbaren Grinsen zurück, das Ricky das Blut in die Wangen schießen ließ. Eben dieses rauschte auch bereits in seinen Ohren, sodass er nur am Rande mitbekam, wie irgendjemand nach André rief.
Das verfluchte Schweigen schnürte ihm die Kehle ab. Er sollte etwas sagen, aber Ricky brachte wie so oft kein Wort heraus. Stattdessen spielte er nervös mit dem Etikett seiner bisher kaum angerührten Bierflasche.
„Ah. Verdammt. Ja, Susanne, ich komme ja schon. Entschuldige“, rief André lachend.
Entweder der Kerl raffte mal wieder gar nichts oder er ignorierte die starren Blicke der Männer um sie herum. In jedem Fall war Ricky sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Dass André ihm dann auch noch einen flüchtigen Kuss an die Schläfe drückte, dürfte der Katastrophe aber den Rest geben. Am liebsten wäre Ricky davongestürmt. Diese Selbstverständlichkeit, mit der André solche Sachen in der Öffentlichkeit machte, war für ihn selbst weiterhin schwer zu begreifen.
Kaum war André zurück zu einer Gruppe Damen verschwunden, stand Ricky nun also den vier Herren, mit denen er eben noch so ungezwungen geplaudert hatte, alleine gegenüber. Der Fluchtgedanke wurde zunehmend stärker.
„Bist du ... Andrés ... Freund? Sagt man das so?“ Etwas unsicher sah Bertie zu den anderen dreien. Die zuckten jedoch nur mit den Schultern.
„Ähm ... ja“, nuschelte Ricky, während seine Augen verzweifelt versuchten André irgendwo auszumachen. Der hatte ihm den Schlamassel eingebrockt, also sollte er ihm gefälligst auch da heraushelfen.
„Perfekt!“, rief Pavel in dem Moment begeistert und trat zu Ricky heran.
„Hä?“
Eine große Hand landete auf seiner Schulter, kurz darauf eine zweite, als auch Herbert jetzt zu ihm herantrat und breit grinsend verkündete: „Du spielst Verteidigung!“
„Was?“
„Oh ja! Das ist eine geniale Idee, Leute!“, mischte sich nun der Nächste ein.
„Wie? Ich ... ich kann gar nicht richtig Fußball spielen“, sagte Ricky hastig. Anstatt nach André zu suchen, zuckten seine Augen von einem der vier Männer zum anderen. Die traten jedoch näher zu ihm heran – alle recht zufrieden grinsend, was Ricky nur noch mehr irritierte. Um nicht zu sagen, eine Heidenangst einjagte.
„Es ist auch überhaupt nicht notwendig, dass du spielen kannst“, gab Herbert lachend zurück. „Es reicht vollkommen, wenn Du André lange genug ablenkst, damit der keine Tore schießen kann. Ohne ihn sind die aufgeschmissen!“
„Die machen wir nieder!“
↬ ✂ ↫
Es half nichts.
Ricky hatte sich vehement verweigert, mit sofortigem Abzug, respektive Rückzug in die eigenen vier Wände gedroht, finster in die Gegend gestarrt und irgendwann sogar bockig wie ein Kind die Arme vor der Brust verschränkt. Immerhin hatte Letzteres dazu geführt, dass er jetzt nur am Rand und nicht mitten auf der Wiese, die als Spielfeld herhalten musste, darauf wartete, dass es losging. Dennoch wäre Ricky im Augenblick lieber daheim als hier.
Aber er hatte es natürlich nicht übers Herz gebracht, den treudoofen Hundeaugen, mit denen André ihn während des Essens angesehen hatte, zu verkünden, dass er jetzt gehen wollte. Also versuchte Ricky, das komische Gefühl in seinem Bauch zu ignorieren. Und sich etwas einfallen zu lassen, wie er das, wozu Bertie, Pavel und die anderen beiden, deren Namen ihm blöderweise weiterhin nicht einfiel, ihn breit grinsend aufgefordert hatten. Nämlich André irgendwie davon abzuhalten hier auf Torejagd zu gehen.
Zu Rickys Linken stand das Krankenhauspersonal auf dem improvisierten Spielfeld beieinander und beratschlagten über ihre Taktik. Den Punkt hatte sein ‚Team‘ zur Rechten bereits hinter sich gebracht. Viel war da nicht zu besprechen gewesen, denn wenn man ihrem selbst ernannten Trainer Bertie glauben wollte, gab es zumindest für Ricky nur eine Anweisung, die er befolgen musste: Er hatte André davon abzuhalten, dem Tor zu nahe zu kommen. Und das wohlgemerkt ohne dabei selbst am Spiel teilzunehmen. Denn das hatte Ricky ja glücklicherweise abwenden können. Irgendwie hatte er aber weiterhin das Gefühl, als sollte er sauer sein, dass man ihm diese ‚Aufgabe‘ zugeteilt hatte. Vor allem, nachdem Pavel dann auch noch den Kommentar abgelassen hatte, dass er bestimmt lediglich hübsch blinzeln musste, damit André abgelenkt wäre.
„So ein Unsinn“, zischte Ricky – sauer, dass er sich hatte überreden lassen, an diesem durchaus etwas hinterhältigen Plan mitzumachen.
Irgendwie war es aber eben doch ‚nett‘. Denn die Männer hatten es nur zu offensichtlich nicht böse gemeint. Scheinbar funktionierte die gleiche Taktik bei ihnen nämlich jedes Mal. Deshalb hatten sie in den letzten Spielen trotz spielerischer Überlegenheit stets verloren. Bisher hatten sie André im Sturm schlicht keinen adäquaten Gegner vorsetzen können. Und das schien sich für heute nicht zu ändern.
„Das funktioniert niemals“, grummelte Ricky, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.
Und wenn er ehrlich war, fühlte es sich eben doch gut an, hier zu stehen. Zwischen all den anderen Gästen und Angehörigen. Sein Blick wanderte über die Zuschauer. Bertie stand ein paar Meter entfernt von ihm am Spielfeldrand und schrie in der Gegend rum. Er sah aus, als wollte er die Aufstellung in letzter Sekunde doch noch ändern. Blöderweise schien das niemanden wirklich zu interessieren. Die Damen in ihrer Mannschaft schnatterten munter weiter, während der Rest von ihnen zu sehr mit sich selbst beschäftigt war.
„Und ich hatte schon gehofft, dass du mitspielst, als ich dich bei Bertie und den anderen gesehen habe“, raunte es just in diesem Moment neben seinem Ohr und Ricky fuhr zusammen. „Komme ich etwa nicht zu meiner Manndeckung?“
Ricky grinste und zuckte mit den Schultern. „Wenn du kein Tor schießt, vielleicht.“
„Ich dachte, das ist der Sinn des Spiels. Tore zu schießen“, gab André frech zurück und grinste. Er zog den rechten Fuß hinter dem Rücken hoch – offenbar um sich zu dehnen. Vielleicht auch schlicht, um Ricky mit dem Anblick abzulenken. Hätte zumindest beinahe funktioniert.
Im Augenblick war er aber zu froh darüber, dass ihm selbst die Rennerei erspart bleiben würde, als dass er darauf eingehen würde. Also grinste Ricky seinerseits schelmisch zurück und antwortete: „Das kommt drauf an, welches Ziel man verfolgt.“
Verwundert kratzte André sich am Kinn. „Na ja, es ist ein Fußballspiel. Sollte klar sein, worum es geht. Oder nicht?“
Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen trat Ricky auf André zu und lächelte so zuckersüß, wie er konnte. Schon sah er, wie die graublauen Augen nervös hin und her zuckten. Nach außen hin, kam André stets als selbstsicher rüber. Jemand, der scheinbar unmöglich aus der Fassung zu bringen war. Für einen Arzt sicherlich eine hervorragende Eigenschaft. Allerdings wusste Ricky sehr genau, dass es da zusätzlich eine ganz andere Seite gab. Eine, der er selbst zunehmend schwerer widerstehen konnte. Weil es einfach zu herrlich war, André aus dem Konzept zu bringen. Und der diese hinterhältige Seite in Ricky immer öfter zu triggern schien.
„Also mein Ziel ist es im Moment, dass Du heute kein Tor machst.“
André lachte. „Dann solltest du vielleicht hierher aufs Feld kommen und mitspielen.“ Mit einem selbstsicheren Lächeln beugte er sich vor und wisperte: „Mein Ziel ist es jedenfalls, ein paar Tore zu schießen.“
„Hm ...“, gab Ricky gespielt nachdenklich zurück. „Und ich dachte doch tatsächlich, dass du eine Wette gewinnen wolltest.“
„Wie bitte?“
Rickys Gesichtsausdruck wurde traurig. „Ich weiß wirklich nicht, wie viel Spaß mir das Spiel machen wird, wenn wir verlieren.“
André zuckte sichtlich zusammen, konnte sich aber ein weiteres Grinsen nicht verkneifen. „Oh das ist fies. Sie spielen nicht fair, Herr Hansen ...“
„Fair können die spielen, die auch tatsächlich auf dem Feld stehen.“
Ehe André noch einmal etwas erwidern konnte, wurde er von jemandem aus dem Krankenhausteam zurückgerufen. Der unsichere Blick, den er Ricky dabei zuwarf, verstärkte das ohnehin schon heftige Flattern in seinem Bauch. Es war in der Tat ein ausgesprochen erregendes Spiel, André zappeln zu sehen. Eines, das Rickys normalerweise sicher unter Verschluss gehaltene Seite extrem liebte.
Ob er das kurz darauf startende Fußballspiel wirklich mochte, war hingegen eine ausgesprochen schwere Entscheidung. Wahrscheinlich hätte er sich geradezu königlich darüber amüsiert, wie André zwischen Pflichtbewusstsein seinem Team gegenüber und der Aussicht auf einen Wettgewinn hin und her schwankte. Leider tauchte immer wieder Theo blöd in Rickys Sichtfeld auf und trübte seine Stimmung damit gewaltig.
Auf diese Weise war es auch nicht mehr wirklich befriedigend, dass Berties Plan aufging und André sich entsprechend zurückhielt. Im Verlauf der ersten Halbzeit wechselte er sogar freiwillig in die Verteidigung. Vermutlich um der Versuchung zu entgehen, weiterhin aufs Tor zu stürmen. Allerdings handelte André sich dafür einige Buhrufe aus den eigenen Reihen ein, was Ricky dann doch wieder leidtat. Deshalb kämpfte er sich kurz vor der Pause durch die Zuschauerreihen hindurch zu Bertie und tippte dem gegen den Arm um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Das Spiel ist ziemlich lahm, meinst du nicht?“, fragte Ricky mit einem möglichst entschuldigenden Lächeln.
„Hey, jetzt werde mir bloß nicht weich, Kleiner! Wir führend endlich mal wieder. Das können wir nicht einfach aufgeben.“
Ricky verzog den Mund und sah zum Spielfeld. André war erneut auf dem Weg in die gegnerische Hälfte. Mit jedem Schritt schlug auch Rickys Herz etwas schneller. Das Lächeln auf seinen Lippen wurde breiter, als André einen Gegner umspielte und den Ball nach links passte.
„Ich will ihn auch mal anfeuern können“, flüsterte Ricky beschämt. Zögerlich blickte er dann zu ihrem ‚Teamleiter‘. „Tut mir leid, Bertie.“
Der seufzte und fuhr sich durch die weißen Haare. „Oh, Mann. Junge Liebe, hm? Hast ja irgendwie recht, Rick.“ Mit einem breiten Grinsen klopfte Bertie ihm auf die Schulter „Aber warte wenigstens noch bis zur zweiten Halbzeit. Okay?“
Ricky grinste heftig nickend zurück. Als er sich dem Spiel wieder zuwandte, fühlte er sich schon deutlich besser. Trotzdem konnte Ricky sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen, als er André dabei erwischte, wie der nach ihm Ausschau hielt. Scheinbar war da jemand besorgt, nachdem er Ricky nicht mehr an seinem alten Platz gefunden hatte. Kaum, dass sich ihre Blicke trafen, winkte Ricky André gut gelaunt zu. Der erwiderte zögerlich den Gruß, konnte aber den nervösen Seitenblick zu Bertie nicht verstecken.
Da es kurz vor der Pause war, verschwand Ricky schon einmal in Richtung der Getränke und holte je eine Flasche Wasser für André und sich selbst. Kaum war er zurück am Spielfeldrand, wurde die Halbzeit endlich abgepfiffen. Die ‚Gästemannschaft‘ jubelte dank der aktuellen Führung von zwei Toren. Ob sie die wirklich behalten würden, stand nach Rickys Entschluss in den Sternen.
„Und? Hast du Spaß?“, fragte André keuchend, als er vom Spielfeld zu ihm kam.
„Ach, ich weiß nicht“, gab Ricky betont gelangweilt zurück. Und im Grunde war das nicht einmal gelogen. Denn realistisch betrachtet war es ein unheimlich langweiliges Spiel bisher. Dabei war er nun wirklich kein sonderlich großer Fußballfan. „Ziemlich lahme Partie, wenn du mich fragst.“
André grummelt irgendwas Unverständliches, nahm allerdings dankend die Wasserflasche von Ricky entgegen. Gemeinsam schlenderten sie ein Stück beiseite zu einigen Bäumen, um wenigstens für die Zeit der Pause aus der Hitze zu kommen.
Seufzend ließ André sich ins Gras fallen. Auch Ricky setzte sich neben ihn. Während er seinen Begleiter dabei beobachtete, wie der erschöpft die Beine ausschüttelte, kam Ricky nicht darum, zu bemerken, dass der verschwitzte Look André ausgesprochen gut stand. Allerdings sah der Mann ja sowieso stets und in allem – oder auch gar nichts – derart unverschämt gut aus, dass Ricky das nicht verwundern sollte.
„Ich hätte nie gedacht, dass es so anstrengend ist keine Tore zu schießen“, murrte André neben ihm.
Mit einem ausgesprochen anziehenden Schmollmund drehte er sich herum und ließ sich nach hinten fallen, sodass sein Kopf direkt in Rickys Schoß landete. Mit geschlossenen Augen und einem übertrieben erscheinenden Stöhnen streckte André alle viere von sich. Ein weiteres Lächeln wanderte über Rickys Lippen, während er die Finger durch die kurzen, braunen Haare gleiten ließ.
„Dann schieß halt mal eins“, flüsterte Ricky lächelnd.
André verzog beleidigt den Mund. „Ich gewinne lieber unsere Wette, als das blöde Spiel“, murmelte er mürrisch.
Ricky konnte das glucksende Lachen nicht unterdrücken, als er sich vorbeugte und André spielerisch in die Seite zwickte. Erst recht als er den daraufhin zusammenzucken sah.
„Triebgesteuerter Neandertaler“, flüsterte Ricky lachend.
„Die Aussicht darauf dich morgen den ganzen Tag lang nackt durch meine Wohnung hüpfen zu sehen ist deutlich motivierender, als ein dankender Händedruck von Susanne. Also ...“
Die Erinnerung an den eigenen Wetteinsatz trieb Ricky prompt das Blut in die Wangen. Manchmal war er sich selbst nicht sicher, warum er sich auf solche dummen Wetten überhaupt einließ. Denn die meisten davon wollte er inzwischen nicht einmal mehr gewinnen. Vielleicht war es aber manchmal schlicht leichter, der Wette nachzugeben, als einer simplen Bitte.
Der Gedanke daran, permanent Andrés Blicke auf sich zu spüren, ließ es nicht nur in Rickys Bauch kribbeln, sondern förmlich überall an seinem Körper. Allerdings war er nicht wirklich der FKK-Typ, der den ganzen Tag vollkommen nackt durch die Gegend laufen wollte. Wenigstens über eine Unterhose würde er definitiv mit André verhandeln müssen.
„Vielleicht könnte ich ja durchaus Gefallen daran finden, dir zuzujubeln, falls du ... doch noch ein Tor schießt“, nuschelte Ricky verlegen.
Bevor er eine Antwort bekam, verriet das Rascheln im Gras hinter ihm, dass sich jemand näherte. „André!“, rief Susanne kichernd. „Weniger flirten, mehr Tore schießen. Auf, auf. Das Spiel geht gleich weiter.“
Weiterhin lachend drehte sie sich direkt wieder um und lief zurück in Richtung Spielfeld. Seufzend richtete André sich auf, blieb aber zunächst sitzen. Ricky war sich derweil ziemlich sicher, dass er schon wieder knallrot angelaufen war.
Die Selbstverständlichkeit, mit der hier alle mit ihm umgingen, war merkwürdig. Dabei hatte er in den letzten Jahren nicht wirklich die Erfahrung gemacht, dass ihn jemand ausgegrenzt oder schlecht behandelt hätte, weil er auf Männer stand. Allerdings hatte Ricky das sich auch nicht gerade auf die Stirn tätowiert. Jedenfalls nicht außerhalb gewisser Kreise.
‚Vielleicht ist es ja deshalb immer schiefgegangen.‘
Ein kurzer Stich in der Brust, ließ Ricky den Kopf senken. Aber womöglich war das ja tatsächlich einer der Gründe. Er hatte es ja nicht einmal geschafft, ehrlich zu seinen Eltern zu sein. Vorsichtig schielte Ricky Susanne hinterher, die inzwischen lachend neben ihrem Mann Herbert stand. An diesem wunderbar sonnigen Frühlingstag, zwischen all diesen netten Menschen erschien es doppelt dämlich, dass er sich bisher immer so versteckt hatte.
„Willst du lieber gehen?“, fragte André mit einem Mal und zog damit Rickys Blick wieder auf sich.
„Was? Nein! Sicher nicht“, entgegnete er hastig. Erst als die Worte heraus waren, wurde Ricky klar, dass er sie ernst meinte. Und nachdem er Andrés zufriedenes Gesicht sah auch, was er dem mit seinem Ausbruch gerade eingestanden hatte.
Mit einem stetig breiter werdenden Grinsen beugte André sich erneut zu ihm hinüber. „Ich bin ja so was von froh, dass ich erst am Montag wieder zum Dienst muss.“
„Kein falscher Stolz. Bisher hast du nichts zum Gewinn dieser Wette beigetragen“, gab Ricky schmollend zurück. „Also scher dich gefälligst aufs Spielfeld. Ich will wenigstens ein Tor von dir sehen!“
„Und wenn nicht?“
Der lüsterne Blick, der ihm bei diesen Worten entgegenschlug, hätte Ricky beinahe dazu gebracht, nachzugeben. Aber nachdem er ihre Wette schon wieder verloren hatte, wollte er sich wenigstens in diesem Punkt nicht geschlagen geben.
„Hatte ich heute nicht wirklich Spaß. Oder muss morgen ganz furchtbar dringend gleich nach dem Frühstück auf Arbeit, um ein Kleid fertig zu nähen“, gab Ricky grinsend zurück.
Auf allen vieren bewegte André sich auf ihn zu, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten und er Rickys ganzes Sichtfeld ausfüllte. Da war niemand sonst mehr, keine Kollegen, keine ‚Gäste‘ oder ‚Angehörige‘. Alles andere trat in den Hintergrund, fast so, als wären sie allein hier. Das Einzige, was Ricky noch hörte, war das Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
„Ich mag deine Spiele, Rick“, wisperte André. „Aber diesen Sieg wirst du mir nicht wegnehmen. Der Sonntag gehört mir. Genau wie du. Und dein süsser nackter Hintern. Den. Ganzen. Tag.“
Das Keuchen, was ihm entkam, konnte Ricky nicht aufhalten – versuchte er aber zugegeben auch nicht einmal. In seiner Brust hämmerte es nur so gegen die Rippen. André wusste genau, welche Knöpfe er bei ihm zu drücken hatte – und Ricky wünschte, er hätte noch deutlich mehr davon. Trotzdem gehörten zu diesem Spiel zwei und ganz sicher würde Ricky sich nicht einfach so geschlagen geben. Bevor er etwas sagen konnte, rief leider Susanne erneut. Grinsend erhob sich André und lief zurück zum Spielfeld. Mit den Händen im Schoß saß Ricky da und starrte ihm hinterher. Erst als sich sein Pulsschlag wieder normalisiert hatte, stand er ebenfalls auf.
Das Spiel war inzwischen erneut in vollem Gange. Sehr zu Berties Unmut hatte André tatsächlich in den Sturm gewechselt. Als er an Ricky vorbei rannte, war das fette, zufriedene Grinsen nicht zu übersehen. Vier Minuten später schoss André sein erstes Tor des Tages und erntete damit nicht nur von seinem eigenen Team einen Jubelschrei.
Rickys Herz schlug ihm bis zum Hals. Vielleicht war es lächerlich, aber in diesem Moment fühlte er sich zum ersten Mal wirklich wie Andrés ‚Angehöriger‘ und nicht mehr wie ein ‚Gast‘. Da konnte nicht einmal der Anblick von Theo, der André beim kollektiven Jubel förmlich in den Rücken sprang etwas ändern.
‚Zumindest nicht viel ...‘
Als ihn Pavel und die anderen zwei aus ihrer Runde entsetzt anblickten, konnte Ricky nur entschuldigend lächeln und mit den Schultern zucken. Trotzdem fragte sich dieser unsichere Teil in ihm für einen Augenblick, ob das wohl das Ende ihrer bisherigen Freundlichkeit sein würde. Statt bösen Blicken erntete Ricky jedoch nur wissendes Grinsen und kollektives Kopfschütteln.
Die nächsten Minuten kämpfte das ‚Gästeteam‘ verzweifelt darum, die knappe Führung zu halten – und womöglich doch weiter auszubauen. Jetzt, da André sich nicht mehr zurückhielt, schien das Spiel immer deutlicher in Fahrt zu kommen. Die begeisterten Rufe aus dem Publikum wurden lauter. Scheinbar war Ricky nicht der Einzige, der die zweite Halbzeit wesentlich spannender und interessanter fand.
Am Ende kam es zu einem Unentschieden, mit dem alle Spieler zufrieden zu sein schienen. Bertie kam noch einmal bei Ricky vorbei und schlug ihm beiläufig auf die Schulter – erfreut, dass sie diesmal wenigstens nicht verloren hatten.
Nachdem das Spiel zu Ende war, schien sich das Treffen jedoch allmählich aufzulösen. Zumindest verabschiedeten sich die ersten Familien kurz darauf. Im Gegensatz zum Aufbau der Tische und Bänke, waren beim Abbau diesmal alle helfenden Hände willkommen. Und so packte auch Ricky mit an.
Dieses scheinbar so zwanglose Treffen kam ihm immer normaler und selbstverständlicher vor. Während er mit einer netten jungen Krankenschwester beim Aufräumen der leeren Flaschen half, erwischte Ricky sich sogar bei dem Gedanken wiederzukommen. Niemand hier schien ein Problem damit zu haben, dass André einen Mann mitgebracht hatte. Im Gegenteil. Die Gruppe rund um Bertie hatte ihn ohne jeden Vorbehalt aufgenommen.
Wie automatisch wanderte Rickys Blick über die verbliebenen Leute, die alle mit den Aufräumarbeiten beschäftigt waren. André hatte sich trotz offensichtlicher Erschöpfung vom Spiel wiederum zum Tragen der Tische bereit erklärt. Im Moment war er aber nirgendwo zu sehen. Verwundert trat Ricky beiseite und lief in Richtung des Anhängers, in den die Sachen geladen wurden.
Er hatte gerade eine Baumgruppe umrundet, als er André endlich entdeckte. Der sah allerdings gar nicht mehr so gut gelaunt aus. Irritiert stockte Ricky zunächst, lief dann aber langsam weiter. Der Grund für Andrés Verärgerung war nach wenigen Metern ebenfalls ausgemacht.
Theo stand André direkt gegenüber. Rickys Augen verfinsterten sich, als er beobachtete, wie der Kerl seine Finger schon wieder in Richtung seines Mannes ausstreckte. Prompt beschleunigte sich Rickys Herzschlag. Den ganzen Nachmittag hatte Ricky zugesehen, wie dieser Doktor Blöd immer wieder deutlich zu aufdringlich geworden war. Selbst wenn André nicht derartig offen wäre, was ihre Beziehung anging, dürfte es dem Mistkerl vollkommen klar sein, dass sie zusammen hier waren.
„Nicht so“, zischte Ricky, als das Brennen in seinem Bauch immer stärker wurde. Es gab Grenzen des Anstandes, die man nicht überschritt. Und dieser ‚Doktor Berov‘ hatte inzwischen beide Füße auf der falschen Seite.
„Ach komm schon, André“, konnte Ricky die Stimme von Theo hören, als er nur noch wenige Schritte entfernt war. „Ist das dein Ernst?“
„Ich wüsste nicht, was dich meine Beziehungen angehen, Theo“, gab André knurrend zurück. „Nur weil wir zusammen arbeiten, heißt das noch lange nicht, dass du dich in mein Leben einmischen kannst. Wir sind weder Freunde oder sonst irgendwas.“
Schon wieder streckte Doktor Blöd die Hand aus. Das Lachen klang noch weniger freundlich als die darauffolgenden Worte: „Ist er so gut im Bett oder was findest du an dem? Der Kleine ist ja wohl so gewöhnlich, wie man nur sein kann.“
‚Nicht gut genug.‘
Ricky konnte es förmlich hören, auch wenn Theo die Worte nicht aussprach. Aber das war es garantiert, was der Kerl sagen wollte. Dass André etwas Besseres verdient hatte. Und vielleicht stimmte das sogar. Ricky war sich in Bezug auf diese Frage mitunter selbst nicht sicher. Aber das spielte heute keine Rolle. Denn an diesem wunderbaren Nachmittag, der nicht einmal ansatzweise so verlaufen war, wie Ricky befürchtet hatte, wollte er dem Flüstern nicht nachgeben.
Also trat er schräg hinter Theo. Auf dessen anderer Seite weiteten sich Andrés Augen weiten, als er merkte, dass Ricky sie gehört haben musste. Schon öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, aber das wollte Ricky selbst klären.
„Lieber gewöhnlich als ein Arschloch“, zischte er Theo wütend an. „Und wenn ... du ... nicht aufhörst, meinen Freund anzutatschen, wird dir der gewöhnliche Kleine mal zeigen, wie ungewöhnlich schmerzhaft ein ganz gewöhnlicher Tritt in die Eier sein kann.“
Überrascht fuhr Theo herum und sah ihn an. Ricky presste die Lippen aufeinander und hielt dem Blick stand. Ganz sicher würde er diesem Blödmann nicht zeigen, dass ihm bei dem Gedanken, diese Drohung wahr zu machen, das Herz nicht nur heftiger in der Brust schlug, sondern eher in die Hose rutschte. Keines von beidem würde ihn jedoch davon abhalten, seine Worte in die Tat umzusetzen.
Da Theo bisher nichts erwidert hatte, nutzt Ricky die Gelegenheit, eine Sache endgültig klarzustellen: „André ist schon vergeben, also such dir jemand anderen, Großkotz.“
„Witzig. Hat das Kätzchen etwa Krallen?“, tönte Theo, als er endlich die Sprache wiedergefunden hat.
„Das Kätzchen hat vor allem Zähne“, schoss Ricky unbeeindruckt zurück. „Und keine Angst, sie zu benutzen.“
„Hm. Allmählich kann ich verstehen, was André an dir findet. So eine kleine Wildkatze hat bestimmt auch im Bett ihre Reize“, meinte der Mistkerl jedoch grinsend und erwischte Ricky damit eiskalt.
Diesmal kam er nicht dazu, zu antworten, denn André war an Theo herangetreten und ließ seine Hand auf dessen Schulter fallen. „Ich denke, es wäre besser, wenn du verschwindest. Bevor irgendjemand hier etwas tut, das wir alle später bereuen würden.“
Schnaubend schüttelte Theo Andrés Hand von der Schulter und trat beiseite. Wenigstens hatte der Arsch die Größe, sich nicht noch einmal umzudrehen oder irgendwelche weiteren, dämlichen Kommentare abzulassen, als er verschwand.
„Tut mir leid“, meinte André verhalten, während er zögerlich einen Arm um Rickys Hüfte legte. „Ich ...“
„Nein“, antwortete er schnell und lächelte verlegen zurück. „Es sind seine, nicht deine Worte.“
André zog Ricky näher zu sich heran und küsste ihn flüchtig auf die Wange. „Ist da etwa jemand eifersüchtig geworden?“
Mit einem Schnauben stieß er André von sich weg. „Bild dir bloß nichts drauf ein.“
Statt sofort zu antworten, wurde Ricky am Arm zurückgezogen und fand seinen Kopf kurz darauf zwischen zwei großen, kräftigen Händen wieder. Wie selbstverständlich legten sich Andrés Lippen sanft auf seine.
„Lass uns abhauen, Rick. Jetzt.“
„Solltest du nicht hier erst beenden, was du angefangen hast?“, gab er unsicher lächelnd zurück. Denn um ehrlich zu sein, hätte er nichts dagegen möglichst schnell von hier zu verschwinden. Nicht nur wegen Doktor Blöd.
„Hab ich vor. Aber nicht das Tischeschleppen. Eher das hier. Zu Hause. Mit meinem ... Freund.“