Schon als Kind hatte André gewusst, dass er irgendwann einmal Arzt werden wollte. Mit zwei Elternteilen ‚vom Fach‘ vielleicht sogar auf den ersten Blick eine nahe liegende Wahl. Wobei sein eigener Vater ihm oft genug davon abgeraten hatte. Dass André Kinder behandeln wollte, hatte sich während der Pubertät ergeben – aus familiären Gründen. Die Entscheidung für die Chirurgie kam am Anfang des Studiums und danach war der Gang ins Krankenhaus aus seiner Sicht unausweichlich gewesen. Im Grunde liebte André seinen Job. Was er allerdings gar nicht mochte, waren die 24-Stunden-Dienste. Gott, wie er die verabscheute. Zumal sie ihn im Augenblick viel zu lange von einem gewissen Jemand abhielten.
Seufzend schlurfte André die Stufen zu seinem Wohnhaus hinauf. Ausgerechnet letzte Nacht hatte sich der Zustand von gleich zwei seiner Patienten verschlimmern müssen. Gedankenverloren rieb er sich über die Stirn, während er die Haustür aufschloss. Wenigstens lebten beide noch. Bei dem kleinen Enis stand leider weiterhin aus, ob es dabei bleiben würde. Die Stunden nach solchen Schichten waren grauenhaft. Nur zu gern würde er Rick anrufen, damit der vorbeikam. Nicht für Sex, nicht um was zu kochen – wobei André beidem grundsätzlich nicht abgeneigt wäre. Nein, eigentlich würde er nur gern jemanden neben sich spüren. Nicht irgendjemanden, sondern eben genau diesen Mann. Die Tatsache, dass er Rick seit Sonntag, und somit für bald zwei Tage nicht gesehen hatte, ließ Andrés Bauch grummeln. Dummerweise schaffte er es nicht, das dem Hunger zuzuschreiben.
„Allmählich wirst du weich“, murmelte André leise und wandte sich den Briefkästen zu.
Trotzdem schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Bei Rick kam das scheinbar ganz natürlich – und fühlte sich weder kitschig noch falsch an. Obwohl es Ersteres vermutlich war. Sobald André geduscht und im Tiefkühler nach etwas Essbarem gesucht hatte, würde er Rick anrufen. Nicht, damit der vorbeikam, sondern schlicht um dessen Stimme zu hören. Das wäre zwar kein Ersatz für ein paar Arme, die sich um Andrés Hals schlangen, oder einen warmen Körper, der sich an ihn presste. Aber trotzdem.
„Immerhin etwas.“
Die Stufen zur Wohnung hinauf schienen sich ins Unendliche zu ziehen. Das mit dem Essen würde er wohl doch auf nach dem Schlafen verschieben. Genauso wie den Anruf. Obwohl Rick ganz sicher nichts sagen würde, wollte André nicht riskieren, mitten im Telefonat einzupennen. Der alberne Kerl brachte es fertig und ließ ihn vor sich hinschnarchen, ohne aufzulegen. Mit gesenktem Blick schlurfte er weiter. Schon wieder musste André grinsen, als ihm einfiel, wie er zum ersten Mal mit Rick genau die gleichen Stufen hinaufgegangen war. Eher gestolpert als gestiegen und das definitiv nicht in dem Schneckentempo, das André gerade vorlegte.
„Hey.“
Überrascht sah er auf und runzelte die Stirn. „Waren wir ... verabredet?“, fragte André unsicher. Falls ja, war er ein Volltrottel sondersgleichen, weil er es vergessen hatte.
Die Schritte bis hinauf zu seiner Etage waren deutlich schneller und beschwingter als die bisherigen. Mit einem breiten Grinsen und einem lauten Stöhnen ließ André sich neben seinem Besuch auf dem Treppenabsatz nieder.
Er beugte sich hinüber und flüsterte: „Wenn nicht, freue ich mich umso mehr, dass du da bist, Rick.“
Der lächelte ebenfalls und hob eine Einkaufstüte hoch, die er in den Händen gehalten hatte. „Hunger?“
„Auf dich? Immer!“
Das leise Lachen an seiner Seite, kribbelte André durch den ganzen Körper. Irgendwo protestierte ein entrüsteter Teil seiner Männlichkeit, dass er sich aufführte wie ein verknallter Teenager. Aber der Rest des Körpers schien damit weniger Probleme zu haben. Und wenn schon! Ein Jugendlicher war er sicher nicht mehr, aber den Teil mit dem ‚verliebt‘ konnte er nicht leugnen.
„Komm erst einmal rein“, forderte André seinen Gast auf und drückte sich leise ächzend wieder nach oben.
„Du bist müde“, flüsterte Rick zögerlich, schien gleichzeitig unschlüssig, ob er ebenfalls aufstehen sollte.
„Ja“, gab André mit einem amüsierten Lachen zurück. „Aber jetzt, wo du da bist, werde ich allmählich wacher.“
Um ehrlich zu sein, hatte er damit gerechnet, dass der dumme Spruch Rick ein eigenes Lachen entlocken würde. Tatsächlich saß der jedoch weiterhin mit gesenktem Kopf auf dem Absatz. Die Hände, die mit den Henkeln des Einkaufsbeutels spielten, wirkten nervös. Definitiv unsicherer als es in den letzten Wochen, um nicht zu sagen Monaten der Fall gewesen war. Verwundert runzelte André die Stirn und drehte sich zu Rick herum. Irgendetwas stimmte nicht. Aber inzwischen wusste er, dass man diesen nicht drängen durfte. Zu viel Druck führte bei Rick eher zu einer Explosion als zu dessen Abbau – oder wenigstens einer kontrollierten Entladung.
„Alles okay?“, fragte André dennoch behutsam.
Wenn Rick hier auftauchte, obwohl sie nicht verabredet waren, dann war das definitiv ein Grund zur Freude. Entsprechend hatte André sich bisher erfolgreich einreden können, dass Rick ja womöglich einfach nur Sehnsucht nach ihm gehabt hatte. Aber die stetig offensichtlicher werdende Zurückhaltung ließ diese Hoffnung weiter verblassen. Dennoch stand Rick ebenfalls auf und drehte sich herum. Dieses geradezu strahlende Lächeln, dass er daraufhin zu sehen bekam, war so leuchtend wie falsch. Das ungute Gefühl in Andrés Magen wurde stärker.
„Natürlich ist alles okay“, antwortete Rick und deutete auf die Tür. „Gehen wir rein. Ich koche dir etwas und danach kannst du dich ausruhen.“
André zögerte, aber es sah nicht so aus, als ob Rick ihm hier sofort eine Antwort liefern würde. Deshalb hielt er sich zurück. Irgendwann würde der Dickkopf schon mit der Sprache rausrücken. So war es bisher doch jedes Mal gewesen.
↬ ✂ ↫
Nachdem André förmlich dazu genötigt worden war, sich umzuziehen und sich auf das Sofa zu setzen um fernzusehen, fühlte er sich zunehmend mieser. Die Müdigkeit war weiterhin da, wurde aber erfolgreich von der Sorge in schachgehalten. Rick stand derweil in der Küche und machte das Abendessen. Helfen verboten. Selbst nachdem André sich so weit wie möglich auf die linke Seite der Couch geschoben hatte, konnte er den hübschen Hintern, der durch seine Küche wuselte kaum sehen. Für einen Moment war André versucht, das blöde Sofa zu verrücken, aber das wäre natürlich aufgefallen – und entsprechend peinlich geworden. Also begnügte er sich damit, sich immer wieder über die Armlehne zu beugen und so einen besseren Blickwinkel in den Küchenbereich zu erhaschen.
Dort huschte Rick von einer Stelle zur anderen. Das machte er ja immer. Und irgendwie war das niedlich – auf eine recht verquere Art und Weise, über die André lieber nicht nachdachte. Weil das schon wieder reichlich weichgespült und wenig männlich klang. Nicht, dass er oft einen auf Macho machte ... aber bei Rick kam mitunter der Neandertaler in ihm wie selbstverständlich heraus. Mit einem verhaltenen Stöhnen drehte André sich wieder weg und wandte sich stattdessen der Rückseite der Couch zu. Die Vorstellung von diesem netten kleinen Hinterteil, das gerade durch seine Küchel wuselte – mit deutlich zu viel Klamotten, die es verdeckten – weckten mal wieder ganz andere Triebe. Unruhig zappelte André hin und her. Dieses unreife Kribbeln, das sich wie so oft durch seinen Schritt vorarbeitete, würde heute sicherlich nicht helfen. Zumal da zwar ein Teil seines Fleisches willig zu sein schien, der Rest aber definitiv zu müde war.
„Schläfst du schon?“
Erschrocken fuhr André zusammen. Dass er dabei auch noch quiekte, stimmte garantiert nicht! Egal wie sehr Rick deshalb feixte und völlig unabhängig davon, wie anziehend, den das schon wieder machte. André stöhnte und vergrub das Gesicht in den Sofakissen. Allmählich fing es wirklich an, peinlich zu werden.
„Offenbar nicht“, sagte Rick noch immer lachend und rieb André flüchtig über den Rücken. „Komm Essen, danach lass ich dich schlafen.“
„Und wenn ich dann noch nicht schlafen will?“, murrte André ins Kissen – darum bemüht wenigstens einigermaßen bockig zu klingen.
Der warme Atem, der kurz darauf über sein Ohr kitzelte, ließ André weiter in sich zusammensinken. Rick war so etwas von fies! Aber irgendwie machte ihn das nur umso verführerischer – dieses Mysterium von Mann, der zwischen devotem Stubentiger und dominantem Gepard wechseln konnte, als wäre es ein Schalter, den man umlegte. Bei der Erinnerung an den letzten Sonntag wurde Andrés Selbstbeherrschung weiter auf die Probe gestellt. Um sich nicht völlig lächerlich zu machen, presste er die Hände in den Schritt, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.
„Brauchst du Hilfe, oder kommst du zum Essen?“, flüsterte es schon wieder viel zu nah neben seinem Ohr. Ein Schauer rann André den Rücken hinab, an der Hüfte nach vorn, die Beine entlang bis in die Zehenspitzen.
„Fiese ... kleine ... “, setzte er an, fand aber kein Wort, das passend wäre.
Kröte war zu hässlich, Ratte sowieso und im Grunde war das einzige Tier, das er mit Rick in Verbindung bringen konnte besagte Raubkatze. Diejenige, der André sich im Augenblick nur zu gern zum Fraß vorwerfen würde. Etwas zu sagen, war aber gar nicht notwendig, denn mit einem Mal schob sich eine Hand in Andrés Jogginghose. Die fuhr die Rundung seines Pos nach, bis die Fingerspitzen die Hoden erreichten und diesmal ein gequältes Fiepen hervorriefen. Immerhin war es kein Quieken – obwohl es deshalb weiterhin reichlich jämmerlich klang.
„Wenn du jetzt brav zum Essen kommst, kümmere ich mich nachher um jeden müden Muskel in deinem Körper.“
Zischend zog André die Luft ein und versuchte, irgendwelche Worte in sich heraufzubeschwören, die er auf diese offensichtliche Herausforderung erwidern konnte. Alles, was ihm einfiel, war aber ein reichlich lahmes: „Nur die Muskeln?“
Die verfluchte Hand schob sich noch ein paar Zentimeter weiter in seine Jogginghose und die damit ein Stück hinunter. Der sanfte Biss in sein Ohr trieb André zielstrebig auf die Klippe zu, an der er irgendwann in naher Zukunft vermutlich den Verstand verlieren würde. Der sanfte Kuss hinter sein Ohr kam hingegen etwas überraschend, genauso wie die nächsten, die seinen Hals hinunter wanderten. Und wie die Tatsache, dass die Hand in Andrés Hose den Rückzug antrat und statt weiterhin Aufmerksamkeit auf seinen Schritt zu legen, jetzt wieder zärtlich über den Po strich. Nicht, dass André irgendetwas davon unangenehm gewesen wäre, aber es passte nicht zu Rick. Der nahm doch sonst in letzter Zeit nur zu willig alle Herausforderungen dieser Art an, um ihn zu reizen.
„Ich kümmere mich um jeden Zentimeter von dir, solange du mich lässt“, raunte es irgendwann heiser in Andrés Ohr.
So sehr ihm das hier gefiel, das ungute Gefühl in Andrés Bauch wuchs ein weiteres Mal an. Irgendetwas stimmte nicht, aber es schien immer klarer, dass Rick nicht offen darüber reden wollte. Langsam drehte André sich herum, um diesem ins Gesicht zu sehen. Der Versuch scheiterte jedoch bereits im Ansatz, da Rick sich sofort erhob und in Richtung Küche zurückging.
„Das Essen ist fertig. Erst einmal ist dein knurrender Magen dran.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte Rick den Kopf herum und sah über die Schulter hinweg zu André. „Danach sehen wir, was ich für den Rest deines Körpers tun kann.“
Zwar blieb das ungute Bauchgefühl, trotzdem rappelte André sich auf und lief zum Esstisch hinüber. Dort war bereits gedeckt, wie er kurz darauf beschämt feststellte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er Rick hier alles machen ließ, sollte ihm allmählich wirklich peinlich sein. Immerhin waren sie erst zwei Monate zusammen und das sicherlich nicht, damit Rick für ihn die Hausfrau spielte.
Unsicher schielte André zu diesem hinüber. Für einen Moment fragte er sich, ob sie hier in ein Problem liefen. Aber bisher hatte er eher den Eindruck gehabt, als ob Rick Spaß daran hatte für ihn zu kochen. Was auch immer den bedrückte, André war ziemlich sicher, dass er selbst es nicht verursacht hatte – zumindest nicht wissentlich. Fragte sich nur, wie er die Sache ansprechen sollte.
Zunächst setzten sie sich an den Tisch und begannen das Essen. Wie immer war es ausgesprochen lecker. Aber etwas anderes hatte André ehrlicherweise nicht erwartet. Er war zugegeben nicht sonderlich anspruchsvoll, was sein Essen anging. Zum Kochen fehlte ihm selbst augenscheinlich das Talent. Und so hatte André sich in den Monaten, die er hier allein gelebt hatte, vornehmlich von dem Essen der Krankenhauskantine und diversen Lieferservices ernährt. Vielleicht war es auch ein Stück Verliebtheit, die da mit reinspielte, aber etwas so Gutes, wie Ricks selbstgekochtes Essen hatte es in diesen vier Wänden schon eine Weile nicht mehr gegeben.
„Verrätst du mir jetzt endlich, was dich heute so unerwartet auf meine Türschwelle gebracht hat?“, fragte André dennoch irgendwann während des Essens.
Rick schien weiterhin keine Anstalten zu machen, ihm mit ein paar Informationen diesbezüglich entgegenzukommen. Entsprechend ausweichend war seine Antwort: „Brauche ich einen anderen Grund als das hier, um herzukommen?“
Lächelnd schüttelte André den Kopf. „Natürlich nicht. Ich ... muss zugeben, dass ich mich sehr freue, dass du da bist. Nicht ... nicht nur wegen des Essens.“
Das schien Rick zufriedenzustellen. Zumindest rückte er ein weiteres wunderbares Lächeln heraus. Eine Antwort auf seine ursprüngliche Frage bekam André jedoch weiterhin nicht. So sehr er Ricks Gegenwart – und dessen Essen – genoss, er hatte immer mehr das Gefühl, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis dieses scheinbar friedliche Kartenhaus in sich zusammenfiel. Rick schien aber weiterhin nicht gewillt, ihm zu sagen, was er für ein Problem hatte.
Obwohl er nur zu gern noch einmal nachgefragt hätte, schwieg André weiter. Das ganze Essen über, sagte er sich, dass Rick aus einem bestimmten Grund hergekommen war. Was auch immer ihn bedrückte, er war damit zu ihm gekommen. Und es war erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit, bis es aus Rick herausplatzen würde. Bisher war die Anspannung stets irgendwann zu viel geworden. Wenn es so weit war, würde André da sein. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun. Deshalb übte er sich in Geduld – obwohl das nicht unbedingt zu seinen Stärken zählte.
Damit das Essen nicht völlig schweigend ablief, verfielen sie in Small Talk und darüber recht schnell in die Planung eines möglichen Ausflugs für das übernächste Wochenende, wenn André wieder freihatte. Das kam ihm selbst durchaus gelegen. Der Sommer hielt immer klarer Einzug und er plante, diesen dafür zu nutzen, möglichst viel gemeinsame freie Zeit zu verbringen. Zwar hatte André wenig Probleme damit, den Tag mit Rick zusammen im Bett zu liegen, aber das zwischen ihnen sollte schließlich mehr als nur Sex sein.
Außerdem lief André allmählich die Zeit davon. Rick hatte im September Geburtstag und er selbst nicht einmal ansatzweise einen Plan, was er mit dem zu diesem Anlass unternehmen könnte. Essen und Kino wirkte zu banal. Aber Rick hatte außer seiner Leidenschaft für Comicverfilmungen bisher keine wirklichen Hobbys durchblicken lassen. Als André klar wurde, dass er tatsächlich nach nur zwei Monaten ‚Beziehung‘ darüber nachdachte, was er in zwei weiteren, im September, mit Rick unternehmen könnte, musste er schmunzeln. Im Grunde genommen war es wohl etwas voreilig, so weit in die Zukunft zu denken. Trotzdem fühlte es sich selbstverständlich an – und absolut richtig.
„Was ist los?“, fragte Rick, der vermutlich das Schmunzeln bemerkt hatte.
André lachte sanft und schüttelte den Kopf. Über seine Pläne für September würde er jetzt sicherlich noch nichts verraten. Zumal man da ja nicht wirklich von einem ‚Plan‘ sprechen konnte. Im Grunde war André, was das anging, ja wohl eher ‚planlos‘. Dass sich diese Tatsache in den nächsten zwei Monaten ändern musste, stand aber völlig außer Frage. Der Gedanke ließ ihn erneut lächelnd.
„Jetzt sag schon!“, forderte Rick nun seinerseits lachend.
Anstatt sofort zu antworten, stand André zunächst auf und fing an, das Geschirr zusammenzuräumen. Prompt sprang auch sein Besucher auf und half tatkräftig mit. Erst als er in der Küche war, wurde André klar, was er gerade gedacht hatte und er stockte. Rick war kein Gast. Nicht mehr. Zumindest würde André sich wünschen, dass es so wäre. Dazu würde aber ebenso gehören, dass der Mann ihn einweihte, wenn er Probleme hatte.
„Warum ...?“, setzte André zögerlich an, während er Rick den Teller reichte, damit dieser ihn in den Geschirrspüler räumen konnte.
Als Rick aber nicht einmal zu ihm hinsah, war André klar, dass er mit einer direkten Frage womöglich nur erreichte, dass der Mann am Ende wieder verschwand. Er seufzte verhalten und reichte Rick zunächst den Rest vom Geschirr. Erst nachdem der mit dem Einräumen fertig war und nun reichlich ziel- sowie sinnlos über die ohnehin saubere Arbeitsplatte wischte, trat André hinter ihn und schlang die Arme um Ricks Hüften.
„Musst du morgen früh raus oder bleibst du noch hier?“
Da war ein ungewohntes Zögern und Rick drehte sich weiterhin nicht zu ihm herum, als er schließlich verhalten antwortete: „Ich ... bin nicht nur hier, weil ich mit dir schlafen will. Das weißt du, nicht wahr?“
„So genau, wie du weißt, dass ich nicht deshalb gefragt habe“, entgegnete André. Er hauchte einen Kuss auf den derartig passend neben seinem Mund liegenden Hals. „Aber den ... Nachtisch nehme ich trotzdem gern mit.“
Das entlockte Rick zumindest ein weiteres Lachen. Die Anspannung, die André in dem Körper zwischen seinen Armen spüren konnte, schien ebenfalls nachzulassen. Allerdings verschwand sie nicht in Gänze – damit auch nicht das miese Gefühl in Andrés Bauch.
„Und nur, falls das nicht deutlich genug war ...“, fügte er mit einem weiteren Kuss am Halsansatz hinzu. „Den möchte ich bitte im Schlafzimmer serviert haben, nicht unbedingt hier.“ Noch ein Lachen. Diesmal lehnte Rick sich sogar gegen ihn. Scheinbar kam er der Sache näher.
„Du bist ein Nymphomane“, wisperte es vor ihm, während sich nun auch Andrés Hände auf Wanderschaft begaben.
„Ich bin eben verrückt nach dir.“
Rick trug wie eigentlich fast immer ein Hemd, was es einfach machte, die Knöpfe bis zum Bauch hoch zu öffnen und die Hand hineinzuschieben. Warme Haut unter der Handfläche, während André versuchte, sich zu entscheiden, ob er sie tiefer oder höher gleiten lassen wollte. Keine harten Muskeln, dafür war Rick nicht der Typ. Sport langweilte ihn offenbar, zumindest wenn er ihn selbst ausüben sollte. Bei den Joggingrunden im Park begleitete er André allerdings ausgesprochen gern – als Zuschauer.
„Dafür musst du schon die Verantwortung übernehmen“, flüsterte er Rick ins Ohr. „Besonders wenn du hier derartig sexy in meiner Küche stehst.“
Diesmal war das Lachen laut und ein Ellenbogen rammte sich nach hinten, André in die Seite. „Du bist albern.“
Um noch etwas weiter zu provozieren, schob André das Becken vor, was prompt die Anspannung in Ricks Körper zurückbrachte – zusammen mit einem Grinsen auf Andrés Lippen. „Das da ist definitiv deine Schuld.“
Rick keuchte verhalten, machte allerdings keine Anstalten sich aus der Umarmung zu lösen. „Du bist dauergeil. Das kannst du mir nicht in die Schuhe schieben.“
Als Ricks Stimme am Ende zu brechen schien, war Andrés Schmerzgrenze erreicht. Was auch immer da los war, der Kerl würde es ausspucken. So oder so. Mit einem Ruck drehte er Rick herum, ging kurz in die Knie und warf sich diesen kurzerhand über die Schulter.
„Da du offenbar nicht freiwillig reden willst, werde ich dich jetzt ins Bett verfrachten und sehen, was ich so alles aus dir rauskitzeln kann.“
Das laute Lachen war befreiend. Fast genug um das mulmige Gefühl aus Andrés Bauch zu vertreiben. Beinahe. Aber nicht ganz. Also machte er weiter. Stapfte ins Schlafzimmer, wo er Rick mit Schwung aufs Bett warf. Der federte ächzend darauf zurück, bevor er sich umgehend zum Kopfende hinauf schob. Die auseinanderfallenden Beine und das fette Grinsen machten allerdings mehr als deutlich, dass die Aktion nicht auf echten Widerstand stieß. Mit einem Ruck hatte André sich das eigene T-Shirt über den Kopf gezogen und achtlos zur Seite geworfen.
„Ach ja?“, provozierte diesmal Rick weiter.
„Oh ja. Und ich meine das wörtlich.“
Tatsächlich war da für eine Sekunde Verunsicherung auf dem hübschen Gesicht zu sehen, aber sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Stattdessen dieses provozierende Grinsen, noch dazu Ricks Finger, die eben dabei waren, hier definitiv zu viel selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem Knurren schnappte André sich den ihm am nächsten liegenden Fuß und zog mit einem kräftigen Ruck daran. Die darauffolgende Gegenwehr, als er hastig die Hose öffnete und Rick von den Hüften zog, war auf jeden Fall nur gespielt. Das Quieken, das dem dabei entkam allerdings echt.
„Nicht!“, schrie Rick auch schon unter weiterem Lachen und versuchte, ihn von sich weg zu drücken, während Andrés Finger wenig liebevoll, dafür an genau die richtigen Stellen, auf Wanderschaft gingen.
„Vergiss es!“
Die Hüften waren eine der kitzeligsten Stellen bei Rick und folglich der erste Angriffspunkt, dem André sich mit vollem Einsatz widmete. Entsprechend dauerte es nicht einmal eine Minute, bis Rick sich unter ihm wand und zappelte, als würde es um sein Leben geben. Das lautstarke Lachen erleichterte hoffentlich nicht nur Andrés eigenes Herz ein Stück weiter. Um Rick wenigstens zwischendurch Luft zum Atmen zu geben ließ er kurzzeitig von ihm ab und krabbelte an diesem entlang, bis sie sich Auge in Auge gegenüberlagen.
Einen Moment lang versuchte André etwas in Ricks Gesicht zu lesen. Irgendein Hinweis darauf, was diesen heute hierher gebracht hatte. Nicht, dass er selbst darüber böse gewesen wäre. Noch bei seiner Ankunft hatte er schließlich daran gedacht, Rick zumindest anzurufen. Aber da war irgendetwas, was er nicht greifen konnte. Vorsichtig legte André seine Hand an Ricks Wange und streichelte mit dem Daumen darüber.
„Was ist passiert?“, fragte er ernst. Zunächst kam keine Antwort. Doch je länger das Schweigen anhielt, desto stärker schien es in Rick zu brodeln. Zögerlich beugte André sich vor und hauchte einen Kuss auf dessen Lippen. „Du hast doch etwas ...“
„Ich hab mir heute freigenommen“, platzte es mit einem Mal aus Rick heraus.
Irritiert hob André den Kopf und runzelte die Stirn. Er hatte mit vielem gerechnet, aber damit nun wirklich nicht. Vor allem lieferte das keinen echten Ansatzpunkt dafür, warum Rick so offensichtlich bedrückt war.
„Ich bin heute Morgen zu meinen Eltern gefahren.“
André runzelte die Stirn und wollte sich aufsetzen, aber Ricks Hand schoss nach oben und zog ihn zu einem weiteren Kuss herunter. Sanft und kein Stück fordernd, war die Berührung so leicht, dass sie genauso gut ein Traum hätte sein können.
„Ist etwas passiert? Sind deine Eltern krank? Deine Großmutter?“, fragte André besorgt nach, als Rick nicht fortfuhr.
„Nein ...“, antwortete der leise. Das Lächeln wirkte erzwungen, beinahe traurig. „Ich wollte nur den Mut nicht verlieren, indem ich noch länger warte.“
„Ich verstehe nicht ...“
Das Lächeln wurde breiter aber leider auch trauriger. „Ich ... habe meiner Mutter gesagt, dass ich jemanden kennengelernt habe.“
Andrés Augen weiteten sich im gleichen Maße, wie sein Puls an Geschwindigkeit zulegte. „Wie bitte?“, keuchte er überrascht und stemmte sich ein Stück nach oben, damit er Rick besser ins Gesicht sehen konnte.
Dessen Lächeln wirkte zumindest weniger gequält, als er ein weiteres Mal die Hand hob und diesmal über Andrés Wange streichelte. „Mir ist klar, dass wir erst zwei Monate zusammen sind. Aber ... Ich wollte, dass sie weiß, dass ich endlich jemanden gefunden habe, den ich ihr irgendwann vorstellen will.“
Da war es wieder, dieses ungute Gefühl in Andrés Bauch. „Was hat sie gesagt?“, fragte er heiser nach.
Rick lächelte weiter, schüttelte aber den Kopf. „Das ist nicht wichtig.“
„Doch, ist es“, widersprach André prompt.
Das Brennen in seinem Bauch wurde stärker. Eigentlich hätte es ihn freuen sollen, dass Rick sogar seiner Familie von ihnen erzählen wollte. Aber die Vorstellung, dass das Gespräch schlecht gelaufen, und er dafür verantwortlich war, zog immer stärker an seinen Eingeweiden.
„Bitte sag mir, dass sie damit klargekommen ist, dass ich ein Mann bin.“
Ricks zweiter Arm kam nach oben und beide schlangen sich um Andrés Hals. Bevor er sich versah, wurde er runtergezogen und fand sich in einer festen Umarmung wieder. Seine eigenen Arme schoben sich unter Ricks Körper und pressten diesen genauso stark an sich.
„Ich gebe dich nicht auf“, flüsterte es leise neben Andrés Ohr. „Sie braucht nur etwas Zeit.“
Ende Teil 1
(Fortsetzung beginnt eigentlich im nächsten Kapitel, ist aktuell aber "unveröffentlicht", weil ich den 2. Teil noch einmal anpassen musst, bevor ich ihn hoffentlich irgendwann beende ^^`)