Noch während sie die Stufen zu Rickys Wohnung hinaufstiegen, gab André ihm den Wohnungsschlüssel zurück, da er ihn jetzt ja nicht mehr brauchen würde. Das Schweigen war komisch, wie überhaupt die ganze Situation. Aber Ricky hatte sich schließlich dazu entschieden, seiner Wette mit Alex – und damit auch André – eine Chance zu geben. Also würde er das durchziehen. Zumal es nach der abrupten Abfuhr nur fair erschien, wenn er diese André auch erklärte.
Ricky schloss die Wohnungstür auf und streifte die Schuhe im Flur ab. Weiterhin schweigend tat sein Gast es ihm gleich und folgte anschließend ins Wohnzimmer. Dort blieb André allerdings etwas unentschlossen an der Zimmertür stehen.
„Willst du ... was trinken oder so?“, fragte Ricky. Nervös wischte er sich durch die wuscheligen Haare und hoffte, dass seine Stimme nicht wirklich so sehr zitterte, wie es sich für ihn angehört hatte.
„Nachher“, murmelte André, rührte sich dabei keinen Zentimeter vom Türrahmen weg.
Ricky seufzte tonlos und ließ sich aufs Sofa fallen. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich. Einfach weil es ihm mehr als gerechtfertigt erschien, damit zu beginnen.
„Erklärst du es mir?“.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, gab Ricky etwas zögerlich zu. „Oder ob es für dich überhaupt einen Sinn macht.“
Langsam trat André nun doch zu ihm hinüber und setzte sich an auf andere Ende des Sofas. Mit den Unterarmen auf den Knien abgestützt, lehnte er sich vor und starrte zurück in Richtung Zimmertür.
„Wieso lässt du das nicht mich selbst entscheiden, Rick?“
Er seufzte. Vor ein paar Wochen hatte sein Vorsatz, sich nicht mehr mit irgendwelchen studierten Typen einzulassen noch ausgesprochen sinnvoll gewirkt. Inzwischen wirkte er eher reichlich lächerlich – um nicht zu sagen kindisch. Das ungute Gefühl, dass es am Ende aber doch wieder nur darauf hinauslief, dass er der peinliche Vollidiot war, wollte trotzdem nicht verschwinden und zog Ricky weiterhin die Brust zusammen. André hatte die Wahrheit verdient ...
„Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nicht mehr mit Leuten auszugehen, die irgendwas studiert haben“, murmelte Ricky verlegen. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie André den Kopf zu ihm drehte und die Stirn runzelte. „Und dann kommst du und alles hat gepasst, aber ...“
„Ich habe nicht einfach nur studiert. Ich habe sogar meinen Doktor“, beendete André seinen Satz. Er selbst zuckte schweigend mit den Schultern. „Warum, Rick?“
Das Ziehen in seiner Brust verstärkte sich, wurde zunehmend unangenehmer. Trotzdem zwang er sich, ehrlich zu bleiben. Abgesehen davon, dass Ricky es als Teil seiner Wette mit Alex betrachtete, wollte er es endlich hinter sich bringen. Und vielleicht würde André es ja sogar nachvollziehen können. Den weniger guten Gedanken, dass er am Ende eher Rickys Expartner als ihn selbst verstehen würde, schob er lieber schnell beiseite.
„Ich hab kein Abitur“, murmelte er unsicher.
Als auch nach gefühlten fünf Minuten weiterhin nichts als Schweigen von André kam, sah Ricky auf und sich selbst einem sogar noch deutlich tieferen Stirnrunzeln entgegen als zuvor.
„Okay. Ich bin offenbar etwas langsam. Oder zu blöd. Aber ich verstehe den Zusammenhang nicht, tut mir leid.“
„Na ja ...“, stammelte Ricky unsicher weiter. „Du bist Arzt und ich bin nur ... ein reichlich unbedeutender und offenbar auch ... ungebildeter ... Schneider. Noch dazu in einem Brautmodengeschäft.“
Andrés Blick änderte sich weiterhin nicht, als er lapidar erwiderte: „Und?“
„Irgendwann werde ich dir peinlich sein!“, platzte es aus Ricky raus.
Erschrocken darüber, wie jämmerlich er dabei klang, sprang er auf und trat ein paar Schritte vom Sofa zurück. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er da und schielte zu André, der ihn geradezu entsetzt ansah.
„Weil du ... Brautkleider entwirfst? Warum sollte das peinlich sein? Offenbar bist du doch verflucht gut in dem Job.“
„Ja, aber es ist so ein Klischee und ich ... bin nur ...“
Ricky brach ab, nicht wissend, wie er André das begreiflich machen sollte. Aber kaum hatte er darüber nachgedacht, klang das alles schon wieder absolut lächerlich. Nur war es das nicht. Nicht für ihn – und offenbar auch nicht für die Männer, mit denen Ricky vor André zuletzt ausgegangen war. Na gut, abgesehen von Tim, aber der war nicht nur ein halbes Kind, sondern hatte eben auch kein Abitur.
Ricky verzog das Gesicht. Wann war er denn zu einem derartig jämmerlichen Weichei mutiert?! Das verfluchte Ziehen in seiner Brust wurde auch schon wieder stärker. Er machte sich hier doch gerade völlig zum Affen! Kein Wunder, dass seine Expartner ihn hatten stehen lassen. So wie er sich im Moment aufführte, war Ricky sich ja selbst nur noch peinlich.
Mit einem Stirnrunzeln stand André ebenfalls auf und trat auf ihn zu. Allerdings blieb er gut zwei Meter auf Abstand und Ricky war nicht sicher wieso.
„Nur damit ich das richtig verstehe“, setzte André mit einem Lächeln an, das dieses verfluchte Ziehen in Rickys Bauch etwas leichter zu machen schien. „Der Grund, dass du mich hast stehen lassen, ist ... weil du denkst, dass es mir peinlich sein könnte, dass du ... kein Abi hast. Und stattdessen der Schwarm aller werdenden Bräute in der Gegend bist, die sich den Laden deiner Tante leiste können.“
Okay, so formuliert klang es noch lächerlicher als in Rickys eigener Version. Was dem Punkt ‚jämmerlich‘ förmlich das i-Tüpfelchen aufzusetzen schien.
„Dir ist schon klar, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Ärzten dazu tendieren was mit Krankenschwestern anzufangen, die ebenfalls nicht studiert haben“, fuhr André fort, während er einen weiteren Schritt auf ihn zutrat.
Das Ziehen in Rickys Eingeweiden wurde ein Stück erträglicher, die Situation jedoch zunehmend peinlicher.
„Und dass ich genau genommen gerade einmal mit meinem Facharzt angefangen habe. Dass ich somit – im Gegensatz zu dir, der ja schon seinen Meisterbrief vorweisen kann – noch nicht mal fertig bin mit der Ausbildung, ist dir auch nicht klar, oder?“
Ein weiterer halber Schritt und André stand direkt vor ihm. Unsicher sah Ricky auf, bevor er zögerlich den Kopf schüttelte. So ganz verstand er nicht, was das heißen sollte. Aber es klang irgendwie nicht so, als würde André ihm zustimmen wollen. Je länger sie sich anstarrten, desto mehr verschwand das Lächeln von Andrés Lippen, sowie auch aus seinen Augen.
„Du glaubst das wirklich“, flüsterte André schließlich kaum hörbar. „Dein Job ist doch nichts, was einem peinlich sein muss.“
Rickys Arme zogen sich fester um seine Brust. „Würdest du es denn jemandem sagen? Ich meine .... keine Ahnung ... Wenn du mich vielleicht irgendwann zu einer Feier bei einem Kumpel oder Kollegen mitnimmst. Als was stellst du mich dann vor?“
„Als meinen Lover würde ich hoffen“, gab André kühl zurück.
„Nein“, beharrte Ricky weiter. „Was würdest du sagen, wo ich arbeite?“
„Im offensichtlich besten Brautmodengeschäft der Gegend. Jedenfalls wenn ich meiner Schwester, deren Freundinnen und gefühlt jedem weiblichen Wesen glauben kann, das ich in den letzten Wochen hab quietschen hören bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie eines deiner Kleider tragen dürfen.“
Okay, mit der Antwort hatte Ricky nun gar nicht gerechnet und für einen Moment konnte er André nur fassungslos mit offenem Mund anstarren.
„Aber ...“, setzte Ricky an, brach jedoch sofort verzweifelt ab.
Weil er keine Ahnung hatte, was er sagen wollte. Oder konnte. Denn zu jämmerlich, lächerlich und peinlich gesellte sich allmählich auch noch idiotisch. Und damit waren es inzwischen deutlich zu viele Adjektive, die Ricky auf sich vereint sah.
Als das Lächeln mit einem Mal wieder auf Andrés Gesicht Einzug hielt, war das Ziehen in Rickys Bauch allerdings wie weggefegt. Und stattdessen das nette Flattern zurück, das er bei ihrem letzten, und bisher einzigen Date so sehr genossen hatte. Aber ein kleiner Teil von Ricky weigerte sich weiterhin stur, daran zu glauben.
„Ein Vorschlag“, meinte André plötzlich und beugte sich zu ihm vor, sodass ihre Gesichter nurmehr wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Gib mir eine weitere Verabredung und falls du danach das Gefühl hast, dass das zwischen uns nicht funktionieren kann, lasse ich dich in Ruhe. Selbst wenn es aus einem derartig absurden Grund ist.“
Ricky biss sich auf die Lippe. Abgesehen davon, dass seine Wette mit Alex geradezu verlangte, dass er dem Vorschlag nachgab, schlug das Flattern in seinem Bauch in genau die gleiche Kerbe. Dazu der Sandelholzgeruch von diesem verfluchten Aftershave, das irgendetwas mit Rickys ohnehin schon verwirrten Gedankengängen anzustellen schien, und sie mit einem Mal in die völlig falsche Richtung drängten. Nämlich eine, in der er, ohne zu zögern, und ohne Details einfach zusagen wollte.
„Was für eine Verabredung?“
„Komm mit mir zu Maries Hochzeit.“
„Was?!“ Ricky hätte gern gesagt, dass er überrascht war, ‚entsetzt‘ traf es allerdings eher. „Du kannst mich doch nicht einfach zur Hochzeitsfeier deiner Schwester mitnehmen!“
„Warum nicht? Auf meiner Einladung stand ‚mit Begleitung‘.“
Fassungslos starrte er André mit offenem Mund an. Der Kerl meinte das scheinbar tatsächlich ernst. Schon wollte Ricky zu einem erneuten Widerspruch ansetzen. Er konnte schließlich nicht einfach bei quasi wildfremden Leuten in eine Hochzeit platzen. Und auch noch als Date vom Bruder der Braut. Wie sah das denn aus?!
„Außerdem habe ich ja eine Wettschuld bei dir einzulösen“, fügte André mit einem Grinsen hinzu, dass das Flattern in Rickys Bauch zu einem mehr als angenehmen Pulsieren werden ließ – allerdings etwa zwanzig bis dreißig Zentimeter tiefer. André verflucht gut küssen konnten, wusste er nur zu gut. Dazu der zunehmende Nebel in Rickys Kopf und das immer heftiger werdende Pulsieren unterhalb der Gürtellinie. Unter andren Umständen wäre ihm das vermutlich peinlich gewesen. Aber an Peinlichkeiten hatte er gerade bereits genug geliefert und André stand immer noch in seinem Wohnzimmer.
„Die Wette war um ein Foto“, krächzte Ricky.
Er zog seine Arme fester um die eigene Brust. Damit er nicht auf die Idee kam, diesen viel zu netten, viel zu sexy und viel zu verständnisvollen Kerl zu packen – und da weiterzumachen, wo er selbst vor zwei Wochen idiotischerweise einfach abgebrochen hatte.
‚Einbildung ist auch eine Bildung ...‘
Verdammt! Es wurde zunehmend peinlich. Was man daran sah, dass er sich nicht ein Stück wehrte, als sich stattdessen Andrés Lippen auf seine legten. Sanft, nur leicht und trotzdem hatte Ricky das Gefühl, als würden in seinem Bauch gerade tausend Seifenblasen explodieren.
„Kannst das Foto ja selbst machen“, wisperte André gegen seine Lippen. „Ich wette, dass du an dem Abend Spaß haben wirst, Rick.“
„Um was?“, schoss er automatisch zurück, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht zu haben.
Als Ricky merkte, was da schon wieder unkontrolliert aus seinem Mund gepurzelt war, verzog er das Gesicht und verfluchte sich selbst. Zumal sich im Grunde die Frage, ob er André auf die Hochzeit begleiten wollte, nicht mal stellte. Und da spielte die Wette mit Alex nicht einmal mehr eine Rolle. Schließlich wünschte Ricky sich das, schon seit er das erste Kleid für den Laden seiner Tante geschneidert hatte.
Darüber konnte er im Augenblick aber nicht wirklich nachdenken, denn ein weiterer flüchtiger Kuss riss ihn aus seinen Gedanken. Kaum war der vorbei, wisperte André: „Wenn ich gewinne, gibst du mir auch mit dem Uniabschluss eine Chance.“
„Hrm“, war alles, was Ricky in diesem Moment herausbrachte. Wenig eloquent und erst recht deutlich zu mehrdeutig, um als Antwort zu gelten. Aber für Vokale reichten seine Hirnkapazität offenbar gerade nicht aus.
„Und wenn ich verliere, lasse ich dich in Ruhe. Falls du das dann immer noch willst.“
Rickys Herz schlug ihm so heftig gegen die Rippen, dass er für einen Moment das Gefühl hatte, als wolle es aus der Brust springen. Bevor sein Hirn sich vom Nebel befreien und ein Veto einlegen konnte, schaffte es bereits ein leises „Deal“, über seine Lippen.
Weitere Worte konnten dann allerdings nicht mehr folgen, denn zwei Sekunden später hob André die Hände und legte sie an Rickys Wangen. Kurz schloss er die Augen und genoss den nächsten Kuss. Der alberne Kerl war viel zu gut darin!
Während Ricks Verstand versuchte zu begreifen, was der Rest vom Körper hier gerade trieb, hoffte ein anderer Teil von ihm nur noch, dass Alex recht behalten würde. Denn kaum einen Tag nachdem er sie geschlossen hatte, war Ricky sich nicht mehr sicher, ob er diese Wette jeweils gewinnen wollte. Die heutige mit André, definitiv nicht.
‚Verdammte Hoffnung!‘
Also schloss Ricky die Augen und ganz allmählich löste er die Arme vor seiner Brust. Schlang sie stattdessen um die Hüften vor ihm und zogen André näher heran. Irgendwo in den Tiefen von Rickys Magens war ein winziges Ziehen zu spüren, das ihn daran erinnern wollte, dass er einen guten Grund gehabt hatte, keine Akademiker mehr in seinem Liebesleben zuzulassen. Aber sie war zu leise und zu klein, als dass sie sich im Augenblick nach vorn kämpfen konnte.
Andrés Hände hielten seinen Kopf noch immer gefangen, als sich ihre Lippen voneinander lösten. Mit einem leisen Seufzen lehnte er seine Stirn gegen Rickys und unterbrach den Kontakt so nicht ganz.
„Wie unsittlich würde es rüberkommen, wenn ich sage, dass ich jetzt nicht gehen will?“, fragte André mit rauer Stimme und erntete dafür von Ricky ein kurzes Schmunzeln.
„Vermutlich nicht mehr als wenn ich fragen würde, ob du noch bleiben willst.“
Das verhaltene Stöhnen, das André entkam, schien in Ricky selbst einen willigen Klangkörper zu finden. Er spürte er förmlich in allen Knochen. Mit einem eigenen Seufzen schloss er die Augen und lehnte sich nach vorn. Mit jedem Atemzug fiel es Ricky schwerer, dem Nebel im Kopf entgegenzuwirken. Und immer unwichtiger, ob das hier ein Fehler sein könnte oder nicht. Denn es fühlte sich definitiv nicht wie einer an.
„Du stellst meine Selbstbeherrschung ganz schön auf die Probe ... Ricky“, raunte André.
Kurz darauf hob er den Kopf erneut ein Stück an. Ein weiter viel zu sanfter und zarter Kuss. Kein ungezügeltes Verlangen, wie in ihrer letzten Nacht. Eher zögerlich, geradezu schüchtern. Etwas, das so gar nicht zu André zu passen schien.
„Dann lass sie los“, flüsterte Ricky zurück, denn um die eigene Beherrschung war es zunehmend schlechter bestellt.
Das nachfolgende Geräusch Andrés war eher ein Knurren als ein Stöhnen. Aber auch das vibrierte förmlich durch Rickys Körper. Allerdings auf eine vollkommen andere Art und Weise. Dieses wanderte zwar an diverse Stellen, jedoch nicht durch Knochen. Und so war es Ricky, der stattdessen ein deutliches Stöhnen nicht unterdrücken konnte.
Mit einem Mal lösten sich Andrés Hände von Rickys Kopf und lagen kurz darauf auf seinem Po. Ein paar Sekunden später fand er sich an die Wand neben der Zimmertür gepresst wieder. Ricky keuchte, als Andrés Lippen sich diesmal an seine Halsbeuge legten.
‚Wen interessiert es, ob das hier die richtige Entscheidung ist?‘
Vielleicht war es ja am Ende schlichte Geilheit, die gerade aus Ricky sprach. Alles, woran er denken konnte, war jedenfalls, dass hier im Augenblick eindeutig zu viele Klamotten im Spiel waren. Da schienen weder seine eigenen, noch Andrés Hände, die bereits allesamt versuchten besagte Kleidungsstücke aus dem Weg zu schaffen nicht schnell genug etwas ändern.
„Wo ist das Schlafzimmer?“, zischte André. „Ich hab vom letzten Mal noch was gutzumachen.“
„Flur. Links. Hinten“, ächzte Ricky gequält und drängte seinen Gast bereits durch die Zimmertür in den Gang hinaus.
Der daraus resultierende Abstand zwischen ihnen reichte aus, damit er es endlich schaffte, André das Shirt aus der Hose zu ziehen. Der blieb derweil auch nicht untätig, hatte mit den Knöpfen an Rickys Hemd allerdings so seine eigenen Probleme.
„Du brauchst mehr T-Shirts“, zischte André mit einem Lachen, während er Ricky rückwärts in Richtung Schlafzimmer drängte.
„Oder du einfach nur mehr Übung.“
Wieder war da ein Knurren zu hören, als André ihn an sich zog. Das Geräusch schoss Ricky die Wirbelsäule entlang und versetzte dem Pulsieren in seinem Schritt einen weiteren Schubs. Lippen, Haut, Küsse und die Aussicht darauf, endlich an nichts anderes zu denken, als was er mit Andrés Körper so alles anstellen wollte.
„Und ich dachte, Ärzte hätten eine gewisse ... Fingerfertigkeit“, stichelte Ricky grinsend weiter.
„Du spielst gern mit dem Feuer, was?“, gab André zischend zurück, bevor sich seine Lippen erneut an Rickys Hals entlang in Richtung Schulter bewegten.
Das Kitzeln, das die Stoppeln von Andrés Dreitagebart dabei bei ihm auslösten, brachte Ricky nicht nur zum Zusammenzucken, sondern ebenso zum Lachen. Der Versuch, sich daraufhin aus der Umarmung zu lösen, war jedoch chancenlos. André hatte augenscheinlich nicht vor, ihn so schnell wieder entkommen zu lassen. Nicht, dass Ricky es ernsthaft darauf abgesehen hätte, hier in den nächsten Minuten oder gar nur Stunden wegzukommen. Trotzdem kitzelten die Stoppeln verdammt noch einmal immer stärker und Rickys Lachen wurde entsprechen ebenfalls lauter.
Plötzlich zuckte Andrés Kopf zurück. Er hörte auf, an den Knöpfen des Hemdes herumzufummeln und umfasste stattdessen erneut Rickys Gesicht. Jetzt, da er direkt in Andrés Augen starrte, fiel ihm zum ersten Mal auf, wie viel Blau da in dem Grau drinnen war. Er lächelte. Als ob er schon jemals auf die Augenfarbe von irgendeiner seiner Verabredungen geachtet hätte.
„Ich mag dein Lachen“, flüsterte André, bevor er ihn deutlich sanfter küsste, als die eben noch gezeigte Hektik möglich erscheinen ließ.
Für eine Sekunde hatte Ricky ernsthaft das Gefühl, als würde sein Herz für einen Schlag aussetzen.
Natürlich war das albern und unsinnig. Aber diese geradezu berauschende Mischung aus zwei so völlig konträr wirkenden Seiten in André, waren faszinierender, als Ricky im Augenblick hätte zugeben wollen. Da war dieser attraktive, förmlich unwirklich perfekt erscheinende Modelverschnitt, der flirten konnte, als gäbe es kein Morgen. Und auf der anderen Seite eine Sanftheit und Ruhe, die sich wie eine wärmende Decke über einen legen wollte.
„Du bist ein merkwürdiger Mann“, flüsterte Ricky zufrieden. Das leichte Lächeln Andrés, das er an den eigenen Lippen spürte, zeigte ihm jedoch sofort, dass die Bemerkung offenbar nicht falsch angekommen war.
„Ist das etwas Gutes?“
„Im Moment definitiv nichts Schlechtes“, gab Ricky mit einem eigenen Lächeln zurück.
„Hm. Dann muss ich wohl zusehen, dass ich noch ein paar bleibende Eindrücke hinterlasse.“
Rickys Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er sich bereitwillig durch die offenstehende Tür ins Schlafzimmer drängen ließ. Oh ja, dieser flirtende Kerl gefiel ihm definitiv genauso gut wie der sanftere Teil. Und ganz sicher würde Ricky auf ein paar dieser besonderen Eindrücke bestehen. Aber vorerst hatte er andere Pläne.
Also zog er mit einem Ruck an Andrés Shirt und mit dessen Hilfe ihm selbiges über den Kopf. Bei dem darauf folgenden Anblick musste Ricky zunächst kräftig durchatmen. Den hatte er zwar schon einmal genießen dürfen, das machte ihn aber auch beim zweiten Mal nicht weniger anregend. Die Haut unter Rickys Fingern war warm, als er sie über die gut definierten, allerdings nicht übertrieben kräftigen Brustmuskeln gleiten ließ.
Wie schon das letzte Mal war er fasziniert von dem unpassend klein erscheinenden Tattoo auf der rechten Brustseite. Die Farbe fing bereits an zu verblassen. Auch wenn Ricky keine persönlichen Erfahrungen mit dieser Art des Körperschmucks vorweisen konnte, wusste er von einem seiner Ex recht genau, dass Andrés Tattoo ein paar Jahre alt sein musste.
Beim letzten Mal hatte Ricky keinen Gedanken freigehabt, um danach zu fragen. Diesmal konnte er die Neugier jedoch nicht bremsen. Mit dem Daumen fuhr Ricky über das Bild der kleinen Feder, die aussah, als würde sie fallen. Es wirkte zu deplatziert, als dass es eine spontane oder willkürliche Entscheidung gewesen sein konnte.
„Warum hast du das?“, fragte er deshalb vorsichtig.
Zunächst schien André zu zögern, lächelte schließlich allerdings er etwas beschämt, als er antwortete: „Es erinnert mich an einen guten Freund.“
Ein Flattern in Rickys Bauch hielt ihn davor zurück, weitere Fragen zu stellen. Insbesondere die, was für ein ‚Freund‘ es wert war, dass man ihn sich geradezu unauslöschlich auf die Haut bannte. Vielleicht wollte Ricky es in diesem Augenblick schlichtweg gar nicht wissen.
Glücklicherweise lenkte Andrés Hände ihn kurz darauf von dem, wie von allen anderen Gedanken ab. Na gut, vielleicht nicht wirklich von jedem weiteren, denn da schwirrten so einige Ideen in Rickys Geist herum, wie er die nächsten Stunden gemeinsam mit André verbringen wollte. Und auch wenn für alles, was ihm da durch den Kopf spukte, garantiert die Zeit fehlen würde, so ließ sich die eine oder andere heute bestimmt noch umsetzen.
Dass André glücklicherweise ähnliche Vorstellungen haben dürfte, zeigte sich spätestens, als der es endlich schaffte, die nächsten Knöpfe an Rickys Hemd zu öffnen. Für weitere reichte die eigene Geduld allerdings nicht mehr. Und so öffnete Ricky die an den Ärmeln und zog sich das Hemd kurzerhand über den Kopf.
„Wo waren wir noch gleich das letzte Mal stehengeblieben?“, raunte André, als er seine Finger über Rickys Brust hinab gen Hosenbund wandern ließ.
Er selbst kämpfte derweil darum, seinen Atem möglichst flach zu halten, während er noch immer fasziniert mit dem Daumen über die kleine Feder auf Andrés Brust strich. Vorsichtig beugte Ricky sich vor und hauchte einen flüchtigen Kuss neben das Tattoo. Als die Muskeln darunter zuckten, stahl sich ein hinterhältiges Grinsen auf Rickys Lippen.
„Weiß nicht“, antwortete er herausfordernd. „Es waren allerdings deutlich weniger Klamotten im Spiel.“