Strophe 3: Der Krieg gegen die Finsternis
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Verborgen und unerkannt konnte das Böse eine Weile walten.
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Nach Mimas' Tod waren die Lichterweiten in heller Aufruhr. Das traurige Schicksal des Fuchses hatte die Titanen und ihre Schöpfungen erschüttert. Viel wurde diskutiert, ob man Mimas hätte retten können und wie solch ein Unglück in Zukunft vermieden werden konnte.
Vulpecula arbeitete hart daran, das Cepheus-Meer besser zu sichern. Viele halfen, andere sammelten neue Ideen, und viele überlegten auch, wie man Erakis trösten könnte. Einzig die fünf Späher kamen ihrer Aufgabe nach, auf Lupus' Befehl hin.
In diesem Chaos fiel niemandem auf, dass Erakis selbst schon lange fort war. Und hinter dem Alkeswald, in der Wildnis des Vorgebirges, übersah Corvus die Bedrohung durch die Dunkelheit.
Ach, wie viel Leid uns erspart worden wäre, wäre der Rabe nur etwas aufmerksamer gewesen, können wir kaum erahnen. Ich weiß nur, wäre sein Blick scharf gewesen, würde hier kein neues Kapitel beginnen. Vielleicht würde Andromeda noch in seinem alten Glanz existieren, vielleicht wäre der Tod für uns nicht mehr als ein Übergang und Mimas und Erakis wären traurige Einzelfälle geblieben.
Doch so sollte es nicht sein, und die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern, nur noch beweinen.
Jedenfalls traf der Teil der Finsternis, der eingedrungen war, hier auf seine Diener, die Schlange Serpens und die Wasserschlangen, welche Hydra und Hydrus hießen. Alle drei waren bereits mit tiefer Dunkelheit infiziert, die Serpens über ihre Verwandten gebracht hatte.
Mit ihrer Hilfe gewann die Finsternis an Gestalt. Stück für Stück errichtete sie gemeinsam mit den Schlangen einen Körper.
Den Anfang machte das Horn der Finsternis, ein mächtiger Stoßzahn. Dazu fällten die Schlangen die älteste Pappel der Andromeda, die Carina genannt wurde, und umhüllten sie mit Dunkelheit. Dies war die Schattenschneide.
Als nächstes schufen sie der Finsternis Flügel. Dazu stahlen sie die reine Wolke Vela vom Himmel und formten sie zu gewaltigen Fledermausschwingen. Dies war der Sturmatem.
Dann nahmen sie die reine Erde der Andromeda von der Flussmündung Puppis und bauten daraus einen gewaltigen Magen, damit die Dunkelheit all ihre Feinde verschlingen konnte. Dies war das Sternengrab.
Sodann machten sie sich daran, der Finsternis noch weitere Waffen zu besorgen. Drei mächtige Krallen konnten sie gewinnen, deren Namen Sculptor, Antlia und Octans lauten. Jede von ihnen vermochte, einen Bären zu töten. Ein Chamäleon wurde eingefangen, und diese bedauerliche Wesen wurde in das vielfarbige, durchdringende Auge der Finsternis verwandelt. Zuletzt wirkten alle drei Schlangen zusammen, um einen Zahn von solcher Giftigkeit zu erschaffen, dass sein bloßer Anblick Krankheit zu bringen vermochte. Dies war der gefürchtete Pyxis.
Wie dies getan und die Finsternis zu einem bedrohlichen Monster angewachsen war, rekrutierten die Schlangen in ihrem Namen neue Diener. Die ersten von diesen waren Lynx' Sohn Regulus, die Eidechse Lacerta und der Krebs Cancer, welche bereits bei dem Streich der Zwillinge mitgewirkt hatten. Wie auch Mimas und Erakis hatte das Gift in ihnen fortgedauert, doch statt ihnen den Tod zu bringen, hatte es sie in die Umarmung der Dunkelheit getrieben.
Mit diesen treuen Dienern, sogar einem Titanensohn, wollte die Finsternis einen neuen, gefährlicheren Drachen erschaffen. Regulus sollte erneut das Brüllen beitragen, Lacerta die Schuppen und Cancer den Panzer.
Nun ließ sie nach Apus schicken, dem Paradiesvogel, der der Kreatur Flügel verleihen sollte. Allein, der Paradiesvogel weigerte sich, dem Ruf zu folgen, und floh ans andere Ende der Lichterebenen. Die Schlangen folgten ihm, konnten ihn jedoch nicht finden. Aber Apus warnte auch niemanden vor der Gefahr und so kehrten die drei Schlangen schließlich heim.
Dafür trafen die heimkehrenden Diener auf ein anderes geflügeltes Wesen: Die Fliege Musca. Da sie auch Flügel besaß, luden die Schlangen sie ein - und die Fliege stimmte zu, sich mit der Dunkelheit zu verbünden.
Nun waren alle Teile bereit, um einen Drachen zu erschaffen. Zufrieden begann die Dunkelheit ihr Werk. Sie nannte es Draco. Doch da der Drache gefährlich werden sollte, wurde rasch offenbar, dass viel Zeit vergehen musste, ehe er fertig wäre. So lange wollte die Finsternis vor den Blicken der Titanen verborgen ausharren. Sie war gierig, doch geduldig wie ein Krokodil im Fluss.
Nun fragt ihr euch sicher, was einen Bewohner der Sternwiesen nur bewegen konnte, einen Pakt mit der Dunkelheit zu schließen. Und darauf gibt es eine Antwort, denn die Finsternis versprach ihren Dienern drei Dinge.
Das erste war Naos. Dies war Schutz vor der Dunkelheit. Denn wer sie traf und von schwachem Herzen war, der glaubte rasch, dass die Dunkelheit unbesiegbar war und fürchtete ihre Macht. Viele schlossen sich ihr aus Furcht an, weil sie nicht daran glaubten, dass es einen Sieg des Lichts geben könnte. Und diese hatten ihr Vertrauen in Lupus verloren.
Als zweites lockte die Dunkelheit mit Hadir, Rache an den Feinden. Ihr Streben, Andromeda zu zerstören, hieß auch, dass ihre Diener Rache an jenen nehmen konnten, von denen sie sich unfair behandelt glaubten. Diese hatten ihr Vertrauen in den Gerichtssaal von Corvus, Ursa Minor und Lynx verloren.
Und zuletzt versprach die Dunkelheit Azmidiske. Dies war ihre größte Lüge, denn sie erzählte von einer noch besseren Welt, wo kein Wesen wie Mimas sterben könne und man niemals eine Bedrohung hinter den Bergen fürchten müsse. Ihre verkehrte, besser erscheinende Version von Andromeda war es. Azmidiske wäre ein Land des Friedens; doch was keiner wusste, war, dass der Friede Tod sein würde. Niemand würde Gefahr fürchten müssen, weil Finsternis allüberall sein würde, und niemand könnte sterben, da kein Leben existieren würde. Jedoch folgten viele der Verlockung durch die Dunkelheit, und diese hatten ihr Vertrauen in die Lichtweiten selbst verloren.
Ein besonders mächtiges Wesen schloss sich der Finsternis jedoch ganz ohne Verlockungen an, aus eigenem Antrieb. Und dies war Auriga, der Fesselleger. Ihm folgte Indus, verleitet von dem Versprechen der Rache, da er Lupus noch immer nachtrug, für die Schöpfung der Hunde bestraft worden zu sein, und noch immer Groll über den Richtspruch hegte.
Auriga jedoch wollte der Finsternis aus freien Stücken dienen, obwohl er erkannte, was sie war. Er bot ihr als Geschenk gar ein mächtiges Netz an, das aus Schlingpflanzen gewoben war und seinen Worten nach selbst einen Titan einfangen könne. Dieses mächtige Netz, Reticulum genannt, war die letzte Waffe, die die Finsternis erhielt, und das wohl dunkelste Geschenk, das je gemacht worden war.
Derartig gerüstet, umringt von Getreuen und mit diesen Waffen war die Finsternis beinahe bereit für einen offenen Kampf. Nur Draco fehlte noch. Das Monster schlummerte in einem großen Ei, welches wuchs und wuchs und wuchs, ohne ein Zeichen des Schlüpfens zu geben.
Und noch immer war Corvus blind für die Gefahr.