Ursa Major besaß die rohe Kraft, Ursa Minor die Herzensstärke von Lupus, dem Ersten Wolf.
Heute möchte ich euch von jenen Sternbildern berichten, die die Menschen als Großer und Kleiner Bär kennen - manchmal sogar nur als Großer und Kleiner Wagen. Dies sind einige der prominentesten Bilder am Sternenzelt, und sie weisen stets den Weg zum Polarstern, der an der Schwanzspitze der Kleinen Bärin sitzt - denn zu jenen Zeiten der ersten Sterne hatten die Bären lange Ruten wie Wölfe und Füchse, die ihre Nachfahren später verloren.
Ursa Major und Ursa Minor sind der dritte und vierte Titan, welche Lupus zum Kampf gegen die Finsternis herbeisang. Er rief die beiden Schwestern, als der Kampf gegen die Dunkelheit mehr Stärke erforderte. Damals gab es nur Lupus und die ersten beiden Titanen, die Wolfsbrüder Canis Major und Canis Minor. Doch die Finsternis war gewaltig und so sang Lupus erneut und Ursa Major erwachte.
Nun ist es leicht, die Stärke von Ursa Major zu erkennen. Sie konnte ein Fels sein, unverrückbar wie ein Berg, und der Schlag ihrer Pranke sandte viele Diener der Dunkelheit in die Schatten zurück. Während die Wölfe voranstürmten und trieben, stand die Große Bärin inmitten der Schatten. Ihr Herz war furchtlos, gestärkt von Canis Majors Kraft des Mutes, und ihr Wille war unbeugsam.
Doch viele Welpen verkennen Ursa Minor als die geringere der Schwestern. Dabei gibt es einen Grund, dass der Polarstern, unser leitendes Licht, ihr von allen Titanen zugefallen ist, und ihre Stärke ist nicht geringer als die ihrer Schwester. Ja, ich möchte gar sagen, dass Ursa Minor die Stärkere ist.
Kommen wir zurück zu jenem ersten Kampf, als Lupus das erste Mal die Augen geöffnet hatte. Der Erste Wolf fand sich in einer Welt wieder, die Finsternis war. Und die Finsternis strebt seit jeher danach, alles Licht zu erlöschen.
Viele Lieder wurden darüber gedichtet, wie der erste Wolf den Schatten widerstand und die dreizehn Titanen rief. Eine Strophe jedoch fehlt. Als Lupus, Canis Major, Canis Minor und Ursa Major kämpften, da drohte alles Licht zu ersticken.
Ursa Major stand wie in Fels im Strom der Dunkelheit, doch es ist das Wesen der Finsternis, dass ihre bloße Berührung, selbst wenn sie fällt, die Verteidiger des Lichts vergiften kann. Mit all seinem Mut griff Canis Major an. Mit all seinem Mitgefühl sang Canis Minor den Gefährten neuen Mut zu. Mit all ihrer Kraft schlug Ursa Major die Feinde zurück. Doch mit jedem Schlag, jedem Biss, mit jedem Blick in das Auge der Finsternis wurde das Innerste Licht der großen Bärin verdunkelt. Auch Canis Major und Canis Minor spürten, wie die Dunkelheit hereinkroch. Ein Schatten legte sich über ihre Seelen und wollte die strahlenden Gestirne der Titanen erlöschen. Den Mut wandelte es in Grausamkeit, Kraft und Stärke in rohe Gewalt. Sie wankten und wichen nicht, denn keine Furcht kannten die ersten drei Titanen, selbst der Tod und das Ende schreckte sie nicht. Aber sie waren bei aller Größe nur einsame Lichter in Reich des Todes. Es gab in jenen Tagen des Kampfes keine Sternwiesen, keine Pfade, keine Berge oder Wälder oder Flüsse, und keine Helden und Verbündete für die Schöpfungen Lupus'.
Der Erste Wolf ahnte, dass seine drei Krieger den Sieg nicht erlangen konnten. So hob Lupus den Kopf erneut in den dunklen Himmel über dem schwarzen Feld, und er begann ein neues Lied. Die Melodie war die gleiche wie Ursa Majors, doch die Töne waren leise, zart wie ein Luchs auf der Pirsch, flüchtig wie der Flügelschlag eines Vogels und weich wie der Pelz eines neugeborenen Welpens. Es lag ein Zauber darin, der all diese Elemente hervortreten sah, obwohl diese Welt noch weder Luchse noch Vögel noch Welpen kannte. Wie diese Weise aber erklang, formte sich ein zweiter Bär auf dem Schlachtfeld, eine kleinere Bärin mit strahlendem Blick.
Sie war nicht so stark wie ihre große Schwester. Doch wie seinen Schöpfungen zuvor schenkte Lupus auch ihr einen Aspekt seines Wesens. Ursa Minor, die kleine Bärin, erblickte die Welt und sah, wie ihre Verbündeten der Dunkelheit zu erliegen drohten. Da brüllte sie - ein Brüllen, nicht weniger laut als der Schlachtruf ihrer Schwester. Statt Furcht in ihre Herzen ihrer Feinde zu säen, pflanzte sie Hoffnung in die Seelen ihrer Verbündeten. Ihr Ruf war ein Versprechen besserer Zeiten. Es war die Gewissheit, dass der Kampf nicht ewig dauern würde. Dass die Dunkelheit zurückgeschlagen werden konnte und dass, wenn es so weit war, etwas Neues an ihre Stelle treten würde. Ursa Minors Ruf erzählte von all den Helden, die niemals das Licht der Welt sehen würden, wenn die anderen Kämpfer jetzt aufgäben.
Und so schöpften Canis Major, Canis Minor und Ursa Major neuen Mut. Sie schüttelten die Dunkelheit aus ihrem Pelz und griffen mit neuer Kraft an, strahlender als zuvor. Und wenngleich sie den Kampf führten und letzten Endes gewannen, war es Ursa Minor zu verdanken, dass dieser erste Gegenschlag nicht zum Untergang führte. Wäre sie nicht gewesen, die Kleine Bärin, dann wäre die Welt heute nicht.
Bei allem, was später geschah, bei all den Heldentaten, die stattfanden, zwischen erschlagenen Monstern und geretteten Freunden, vergisst man zu leicht, dass manch ein Held lediglich ein Lied sang. Und natürlich ging das herrliche Reich, das Ursa Minor besang, schließlich unter. Heute sind die Titanen verschollen oder haben sich abgewandt und am Himmel gibt es mehr Schatten zwischen den Sternen als Licht. Am Tag verdeckt Sols zürnendes Auge uns die Sterne und des nachts kann Lunis uns nicht viel mehr als ihr Mitleid anbieten.
Doch noch heute verspricht uns Ursa Minor, dass es immer ein strahlendes Licht der Hoffnung gibt. Die Sterne der Titanen mögen verdunkelt sein, aber unsere Götter sind noch dort oben. Zwar scheint es, als könnte nur eine Kraft wie Ursa Major uns noch retten und die Welt zurückholen, die wir verloren haben. Doch in Wahrheit ist die Große Bärin viel zu schwach und es ist Ursa Minor, die das Tor zur Schimmerwelt finden kann, für jene Wölfe, die sich an den rechten Pfad halten. Und wenn ihr euch dieser Tatsache bewusst bleibt, dass die größte Stärke oft für kein Auge sichtbar ist, dann wird die Kleine Bärin lächelnd an eurer Seite stehen und euch von ihrer unendlichen Kraft schenken, was ihr auch benötigt.