Die Kräfte der Finsternis, wenn auch schwer geschwächt, hatten noch Macht.
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Die Dunkelheit war ihrer drei Klauen beraubt, sie hatte Regulus, Serpens und Cancer verloren und Draco war geschwächt, doch an ihrer Seite verblieben Musca, Auriga und Indus. Nun halfen sie der Dunkelheit, ihre letzte Waffe zu holen, die bisher verborgen geblieben war: Das große Netz Reticulum. Sie breiteten es über der Lichtung Trishanku aus, senkten es über die Verteidiger, auf dass niemand mehr entkomme.
So schloss sie ihre Feinde ein und Nacht senkte sich über Andromeda. Kein Licht leuchtete jenseits der Titanenlichtung, und selbst dort wurden die Schatten länger und kräftiger. Die Welt von einst war untergegangen, viele Herzen in jenen Stunden waren zu schwer, um der Dunkelheit zu widerstehen. Selbst Aldeban wankte, und der Schild hielt nur noch mit Mühe. Furcht und Trauer waren alles, was hier gedieh.
Andromeda war gefallen. Die Lichterweiten waren dunkel geworden.
In dieser Stunde, da alle bei den Gräbern Mira und Fornax versammelt waren, ahnte Vulpecula, dass er sich nicht länger verbergen durfte. Er wies seinen letzten Sohn, Castor, jedoch noch einmal an. Während er sich versteckt hatte, war der große Fuchstitan nämlich nicht untätig gewesen. Er hatte die Versammelten beobachtet und schließlich die Fliege Musca als Spion erkannt.
Mirfak herrschte inzwischen über die Verteidiger, obwohl er das jüngste Titanenkind war. Sein Rudel stand treu hinter ihm, Sabik und Kornephorus ihm zur Seite. Sie informierte Castor über die Fliege.
Sofort begann die Jagd, doch Musca war zu flink selbst für Castor und Sabik Pfeilstern. Sie entkam, doch die Zeiten, da sie ungestört lauschen konnte, waren vorbei. Sobald der Spion vertrieben war, erhob sich Vulpecula zur Verwunderung aller außer Castor. Staunend sah die Gesellschaft auf den totgeglaubten Fuchs, der in der dunkelsten Stunde zu ihnen zurückkehrte. Zwar hatte auch Vulpecula keine Antworten, doch sein Erscheinen hatte einen winzigen Funken Hoffnung entfacht.
Dieser Funke, so wollte es das Schicksal, fiel auf Phoenix und fand Nahrung. Flammen züngelten aus dem Grab Fornax, dann erhob sich der erste Späher in einem Flammenball. Denn der Phönix war unsterblich, solange nur Hoffnung existierte, und Hoffnung war nun zurückgekehrt, so schwach sie auch sein mochte.
So waren der Fuchs und der Phönix zurückgekommen. Angesichts dieser Wunder fassten die Versammelten Mut, um sich um die Verletzten zu kümmern, welche Lupus, Cygnus und Pegasus waren. Alle drei waren von der Finsternis vergiftet worden. Doch Virgo und Phoenix gemeinsam konnten sie heilen. So kamen der geflügelte Hengst, der Schwan und der Erste Wolf wieder zu sich.
Doch noch immer waren die Verteidiger gefangen. Noch einmal rafften sie alle Kräfte in einem letzten Aufbäumen zusammen, um die Dunkelheit zurückzuschlagen. Sie bissen in das Netz und schlugen nach der Finsternis. Sie kämpften mit allen Waffen, die ihnen gegeben waren, vom Größten bis zum Kleinsten. Phoenix' Licht leuchtete über ihnen, aber es konnte die Schatten nicht vertreiben. Das listige Netz, aus Dornen und Ranken geschmiedet, duldete kein Entkommen.
Dann kam die Finsternis selbst. Sie stieß mit ihrem Horn zu und sandte ihren Sturmatem, und sie riss viele in ihren Magen. Zuletzt maß sie sich mit Lupus im direkten Kampf, und die Angst der Verteidiger um ihren Herrscher wurde so groß, dass er sich zurückziehen musste. Die Nacht triumphierte mit lautem Geheul.
Die drei Verräter, der Paradiesvogel, der Tukan und die Giraffe, gaben zuerst auf. Viele der Helden wichen zurück, als ihnen die Finsternis schadenfroh vom Verlust ihrer Liebsten sang. Zuletzt saßen die Verteidiger wieder, wie sie begonnen hatten: Auf der Lichtung gefangen, geschützt von Aldeban und den drei Schilden, deren Licht immer stärker flackerte.
"Es ist zu spät", sprach Lupus ernst zu ihnen. "Zu viele sind verloren. All eure Bemühungen waren redlich und dem Licht verschrieben, doch sie kamen nicht früh genug. Hätten wir nur mehr Zeit ... hätten wir nur mehr Kämpfer ..."
Wie sie ihren Anführer so resigniert sahen, verloren auch die Verteidiger jeden Mut.
Corvus, der die Finsternis nicht erspäht hatte, machte sich deshalb noch immer große Vorwürfe. Er dachte in jener Stunde der Dunkelheit, da das Licht zu ersterben schien, um das Zeitalter der Titanen für immer zu beenden, an Mimas und Erakis Granatstern und an alle anderen, die ihr Licht an die Dunkelheit verloren hatten. Leise und voller Reue hob er zu einem Lied an. Kein Wolfslied war es, wie Pictor und Deneb es singen würden, doch ein Lied voll Schmerz.
Corvus' Klage:
Tränen, Tränen auf dem Gras!
Auf dem Gras, auf den Hügeln,
auf den Tannen im Wald!
Vergessen, verloren,
vom Schmerz erfror’n.
Tränen auf dem Gras,
Tränen und Blut.
Glücklicher Tage Sonnenschein
riss der Strom der Zeit mit sich fort.
Oh, wie klagt mein Herz, vom Wandel der Welt gestürzt!
Wo sind die Schwalben über neb'ligem Feld,
unter wolkenverhangenem Himmel?
Was ist geschehen, am Abgrund der Tage?
Bevor dem Unheil geweiht war die Welt,
war schon der Strom, der abwärts eilt.
Abwärts, abwärts, dem Ende entgegen,
und nimmer wieder herauf.
Tränen und Blut im Schnee vermischt.
So rot, so weiß, so schwarz ist die Nacht!
Blutiger Schnee im Sturm verweht,
und immer und immer und immer verlor’n!
Oh, wie konnte das alles geschehen?
Wie das Rabenlied hallte, rau und weit über der dämmrigen Lichtung, dachten alle an die Verlorenen. Lupus selbst senkte das Haupt und vergoss eine Träne um Mimas und Erakis, um ihre große Freundschaft, deren helles Strahlen die Finsternis eingelassen hatte. Denn das Wunder jener ungewöhnlichen Freundschaft hatten viele Wesen geliebt. Diese Liebe war noch in ihnen und sie trauerten darum, dass etwas so Schönes vergangen war.
Und so geschah das größte Wunder: Denn mit einem Mal erglühten zwei Sterne im Mantel der Finsternis, rot wie Fuchspelz und Wolfsfell, und ihr Strahlen jagte die Nacht zurück. Sofort erkannten alle, dass sie Mimas und Erakis erblickten, die gegen alle Widrigkeiten zu ihnen sprachen.
Von Ferne klang das Singen der beiden Freunde, die wie Brüder waren, und Lupus antwortete mit einem mächtigen Lied. Da erschienen, Stern um Stern, immer mehr Lichter im pechschwarzen Dunkel der Nacht. Canis Major und Canis Minor erschienen, und Ursa Major und Ursa Minor, und Pollux und Lukida. Viele der Verstorben aus dem Grab Fornax kehrten zurück, und die Titanen aus dem Grab Mira.
"Die anderen fehlen", sprach Corvus und sah in die Dunkelheit, welche Andromeda verschlungen hatte. Da erkannte er die Wahrheit: "Sie brauchen einen Pfad hierher!"
Das Licht der Schilde flackerte immer stärker. Wieder und wieder füllte Nacht die Lichtung. Doch im hellen Fluss Lyra war ein Strahlen erwacht. In diesen Strom entsandte Corvus die Fische, auf dass sie einen leuchtenden Weg zur Lichtung führten, und bald erschienen neue Sterne. Überall erglühten diese hellen Lichter. Eine große Macht war ihnen nicht gegeben, doch sie setzten die Dunkelheit fest und stärkten den Schild. Die vielen Lichter konnten den Feind zurückdrängen und die Verteidiger waren gerettet.
Unfähig, sich zu rühren, musste die Finsternis schließlich aufgeben. Die Verteidiger der Trishanku jubelten nicht. Doch man hörte sie aufatmen, als sie begriffen, dass der Krieg gewonnen war.