Die Anstrengungen zahlen sich aus
Einen Augenblick lang, standen sie still, um nochmals alles was die Alte Windfrau ihnen gesagt hatte, auf sich wirken zu lassen. Dann aber machten sie sich eilig an den Abstieg. Was würde wohl für ein Geschenk auf sie warten?
Schon als sie den Höhleneingang erreichten, spürten sie eine ganz besondere Energie, die ihnen entgegen strömte. Die Höhle war mit einem bläulichen Leuchten erhellt, das ihnen irgendwie wunderbar vertraut vorkam. Ihre Herzen klopften zum Zerspringen, sie liefen hinein und dann sahen sie etwas, dass sie kaum fassen konnten: Vor ihnen in der Luft, direkt vor den Zeilen des Gedichtes, das sie damals in die Mauer geritzt hatten, schwebte er in der Luft… der vierte und letzte Teil des Medaillons der vier Naturgewalten!
«Mein Gott!» stiess Benjamin hervor «Ich kann es nicht fassen! Die Windfrau hatte ihn die ganze Zeit und nun… hat sie ihn uns tatsächlich anvertraut!» Mit zitternden, fiebrigen Fingern griff der Junge nach dem Medaillonsviertel und als er seine Hand darum schloss, spürte er dessen Magie, wie einen samtenen Hauch der Ewigkeit! Er öffnete die Hand wieder und das bläuliche Leuchten, spiegelte sich in den glücklichen Augen der drei Freunde wider. Die Geschwister glaubten zu träumen. Alle Schwere fiel von ihnen ab, alle Mühen hatten sich ausgezahlt! Die Teile des kostbaren Medaillons lagen nun vollständig in ihren Händen! Eine unbeschreibliche Kraft wohnte diesen inne, welche imstande war, die Grenzen zwischen den Welten, für kurze Zeit, verschwinden zu lassen!
Noch nie bisher, hatte jemand alle Teile des Medaillons anvertraut bekommen. Vor Äonen hatten es die Geister der Hohen Himmel, aus Sicherheitsgründen, an verschiedenste, fortgeschrittene Lebewesen verteilt. Nun aber, waren die Viertel wieder vereint. Der Anfang für eine ganz neuen Zeitepoche war gemacht! Ab diesem Moment würde sich alles verändern und ihnen, zwei einfachen Menschenkindern, war diese grosse Kraft anvertraut worden!
Pia und Benjamin liefen nun aus der Höhle und riefen zum Berggipfel gewandt: «Danke liebe Windfrau, vielen tausend Dank!» Ein kurzer, heftiger Windstoss, fegte ihnen durchs Haar und sie wussten, dass dies die Antwort der Mutter der vier Winde war.
«Wir werden dich niemals vergessen! Niemals!» Tränen der Freude und Rührung, liefen ihnen und auch Malek über die Wangen.
«Los! Setzen wir die vier Teile zusammen!» meinte Pia, bebend vor Aufregung. Benjamin zögerte, als ob er sich vor dem, was bald geschah, fürchten würde. Hatte er wirklich das Recht, so ein mächtigen Relikt, mit seinen irdischen Händen zusammenzusetzen?
«Tu es!» munterte ihn Malek auf «es ist deine und Pias Bestimmung!»
«Machen wir es miteinander Pia!» sprach Benjamin und Schweiss glänzte auf seiner Stirn. Die Geschwister hoben nun, je zwei der Viertel, in die Höhe und die Abendsonne warf ihr Licht auf sie. Es war ein magischer Moment. Die Kinder sprachen ein Dankgebet zum Grossen Göttlichen Geist, der ihnen in den letzten Monaten so beigestanden hatte. «Wir stehen nun hier, voller Ehrfurcht und Liebe zum ewigen Licht!» rief Benjamin «und wir setzen dieses magische Artefakt, mit deinem Segen, zusammen! Führe uns auch weiterhin auf unserem Weg!» Und Pia ergänzte: «Bitte gib uns die Kraft, unsere Aufgabe würdig zu erfüllen!»
Mit diesen Worten hielten die Geschwister die Viertel des Medaillons aneinander.
In diesem Augenblick schoss ein Lichtstrahl vom Himmel und das Medaillon begann hell zu leuchten! Wie ein Blitz durchzuckte der Lichtstrahl nun auch die Turner Kinder und erfüllte sie ganz! Er stiess in die hintersten Winkel ihres Körpers und ihrer Herzen vor und brachte ihre Seelen zum Klingen. Sie wurden ganz von diesem überirdischen Licht durchdrungen und spürten eine unbeschreibliche Glückseligkeit, göttliche Kraft und einen unerschütterlichen Mut in sich. Alle Ängste fielen von ihnen ab und sie glaubten sich nun wahrlich allem gewachsen, das noch auf sie zukommen würde. Sie würden alles geben, um ihre Aufgabe zu erfüllen, wohin sie diese auch immer führen mochte.
Malek schaute mit geweiteten Augen und masslosem Staunen dem Schauspiel zu, das sich ihm nun, an diesem besonderen Ort, darbot. Die Medaillonsviertel, welche noch immer hell strahlten, verschmolzen miteinander und das überirdisches Licht, des nun wieder vollständigen Reliktes, spiegelte sich auf den weit entrückten Gesichtern der Kinder. Es war ein ganz besonderer, unvergleichlicher Moment. Die Vier Elemente, waren wieder zusammengefügt worden, so wie einst auch die verschiedenen Welten des Omniversums, wieder zusammengefügt werden würden.
Pia und Benjamin veränderten sich auch äusserlich. Das Mädchen war nun in ein langes, fliessendes Gewand aus hellblauer Seide gekleidet. Um den Hals und in ihrem goldenen Haar, trug sie wundervollen Schmuck, der besetzt war mit Edelsteinen, aller vier Elementfarben (Roter Achat, Tigerauge, grüner Calcit und Türkis). Benjamin trug eine dunkelblaue Hose, ebenfalls aus fliessendem Stoff und ein weisses Hemd mit weiten Ärmeln. Um seine Stirn lag ein Band mit einem grossen Türkis in der Mitte, welche ebenfalls umgeben war mit Edelsteinen, aller Elementfarben. Noch immer hielten sie ihre Arme, mit einem verklärten Ausdruck in ihren tiefblauen Augen, gen Himmel und die Abendsonne leuchtete dahinter wie ein strahlender Feuerball. All das erinnerte den Magier an ein Gemälde und er wusste, dass er diesen Anblick, Zeit seines Lebens, nie wieder vergessen würde!
Die Geschwister erwachten nun wieder aus ihrer Trance und blickten erstaunt an sich herunter. Malek neigte seine Haupt und sprach tief bewegt: «Meine Führer!»
Die Geschwister erwiderten etwas unangenehm berührt: «Bitte lass das doch, wir sind und bleiben dieselben!»
«Nicht ganz!» lächelte Malek. «Ihr habt euch verändert, nicht nur äusserlich, auch sonst. Etwas Grosses ist mit euch geschehen.»
«Ja, etwas ist tatsächlich mit uns geschehen,» musste Pia zugeben. «Es fühlte sich an, als wären wir ein zweites Mal geboren worden. Dennoch ändert sich dadurch nichts an unserer Beziehung zu dir. Wir sind nach wie vor Pia und Benjamin, deine besten Freunde.»
Ben nickte und sprach: «Wir wollen auch nicht anders behandelt werden als bisher. Wir erfüllen einfach die Aufgabe, die wir vom Göttlichen Licht erhalten haben.»
«Euer Leben wird aber nie mehr dasselbe sein. Das ist euch doch klar, oder?»
«Ja, dieser Tatsache können wir uns wohl nicht verschliessen. Dennoch machen wir nicht zu viel Wind darum! Das Wichtigste ist, dass wir das Medaillon haben.»
Der Junge strich liebevoll über das schimmernde Kristallamulett, das nun vollständig war. «Es wird Zeit, dass wir wieder zum Blauen Kristall gehen, um es auszuprobieren. Vorher aber, sollten wir uns noch bei Ululala und unseren anderen Freunden im Kristallschloss vorbeischauen und ihnen die frohe Kunde überbringen. Sie werden sich bestimmt riesig freuen.»