Schon bald befanden sie sich auf beträchtlicher Höhe und sie hielten auf einer der grossen Terrassen einen Moment lang inne um zu verschnaufen. Dabei schweifte ihr Blick umher. Unter sich sahen sie die netzartig angelegten Innenhöfe des Schlosses. Sie erblickten das riesige, bunte Blumenbeet, welches in der Nacht mit Fackeln beleuchtet war, das sanft klingende Windspiel und die Wasserfontäne. Einige Leute liefen unten auf Wegen und Plätzen herum. Sie wirkten wie kleine Ameisen. Viele wunderbare Erinnerungen stiegen in den Geschwistern hoch. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein, seit sie mit Lumniuz dem Erdgnomen, das erste Mal, hierhergekommen waren. Damals hätten sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht auszumalen vermocht, was sie im Reich der Märchen, Mythen und Sagen alles erleben und lernen würden. Sie waren um so vieles reifer geworden, seit damals.
Auch Maleks Gedanken reisten zurück in die Vergangenheit. Er dachte an die glücklichen Zeiten zurück, in der er noch Lehrling bei Ululala gewesen war, an die Liebe und die Geduld, die ihm sein Meister stets entgegengebracht hatte. Wie nur, hatte er ihn so tief enttäuschen können? Wie nur, konnte er ihm und seiner einst grossen Liebe Nofrete, jemals wieder in die Augen schauen…
«Benjamin, Pia!» rissen sie die Rufe von Ululala aus ihren Gedanken «Meine lieben Kinder, ihr seid tatsächlich zurück! Ich sah euch in einer Vision!» Der alte Magier lief ihnen auf der Terrasse entgegen und die drei schlossen sich in die Arme. Bei Ululala war auch Lumniuz, der nun ebenfalls glücklich lachend die Geschwister begrüsste. «Es ist so schön, dass ihr zurück seid!» rief er.
Malek blieb etwas unbeholfen im Hintergrund stehen, war jedoch erleichtert, dass Nofrete nicht mit dem Magier und dem Erdgnom gekommen war, denn besonders bei ihr, hätte er bestimmt keine Worte gefunden. Ululala schob die Kinder nun wieder etwas von sich fort und betrachtet sie erstaunt. «Ihr seht ja wunderbar aus! Was hat sich alles zugetragen?» «Wir haben das Medaillon endlich zusammen!» platzte Pia heraus. «Diese Veränderung ist passiert, als wir es vervollständigt haben. Cool, nicht wahr?» Sie drehte sich stolz im Kreis und zeigte ihr neues Outfit. «Beim grossen Geist! Das ist es wahrlich. Die vier Elemente haben euch ausgezeichnet! Ich kann es nicht fassen!» Wieder umarmte der alte Zauberer die beiden.
«Aber ohne Malek hätten wir das nie geschafft!» sprach Benjamin. Er löste sich von Ululala, legte leicht den Arm um den jüngeren Magier und zog diesen ins Blickfeld. «Ihm haben wir so vieles zu verdanken!» Malek senkte den Blick, irgendwie schaffte er es, wie vermutet kaum, seinem alten Lehrer in die Augen zu schauen.
«Malek… du bist also tatsächlich auch hergekommen…» sprach Ululala leise. «Meine Vision hatte also recht. Es scheint wirklich, als hätte dich das Feuer der ewig göttlichen Liebe geheilt! Ich… hatte es so gehofft.» Seine Stimme klang so sanft, so ohne Wertung, dass Maleks Beine auf einmal zitterten. Er sank in die Knie und begann zu schluchzen. «Meister!» sprach er «es… tut mir alles so unendlich leid. Bitte vergib mir!» Die Geschwister und Lumniuz schauten bewegt auf die Szenerie. Ululala zögerte einen kurzen Moment, dann ging er mit langsamen Schritten auf Malek zu und streckte ihm die Hände entgegen. «Ist schon gut. Komm!» Er zog seinen einstigen Lehrling auf die Füsse zurück und schaute ihn liebevoll an. «Du hast mehr als deutlich bewiesen, dass du dem Bösen den Rücken gekehrt hast. Ich sehe, dass Pia und Benjamin dir vollkommen vertrauen und darum will ich das auch tun. Lassen wir die Vergangenheit hinter uns und wenden uns der Zukunft zu!»
Malek hob nun sein verweintes Gesicht und schaute seinen alten Mentor voller Erleichterung an. «Du vergibst mir also wirklich?» Ululala lächelte jetzt leicht. «Würde ich es sonst sagen?» «Ich bin ja so froh. Danke!» Der alte Zauberer zog nun den Jüngeren spontan zu sich heran und umarmte ihn. Dabei glänzten auch in seinen Augen, glitzernde Tränen der Freude.
Lumniuz reichte Malek ebenfalls die Hand und meinte: «Schön, dass du zu uns zurückgefunden hast Malek. Und danke für die Unterstützung. Wer Benjamin und Pias Freund ist, ist auch mein Freund. Herzliche willkommen. Nun kommt aber alle erst mal rein und ruht euch etwas aus. Danach könnt ihr uns erzählen, was sich alles zugetragen hat!»
Als alle glücklich zusammen im grossen Salon sassen, der mit edlen, pastellfarbenen Möbeln ausgestattet war, sprach Ululala, während er ihnen etwas Tee und Gebäck anbot: «Nun müsst ihr aber wirklich mal berichten, was ihr alles erlebt habt!» Die Geschwister begannen zu erzählen und ihr alter Mentor und der Erdgnom hörten gebannt zu.
Als die Geschwister mit ihren Erzählungen am Ende waren, war es einen Moment lang ganz still. Keiner der Gastgeber wagte zu sprechen, so unfassbar und gewaltig war das, was sie da gehört hatten. Ululala ergriff als Erster wieder das Wort: «Dann habt ihr es also tatsächlich geschafft und das Medaillon ist in eurem Besitz?»
«Ja, schaut mal!» sprach Ben eifrig und zog das Medaillon aus seiner Tasche. Es leuchtete kurz auf und die beiden Gastgeber betrachteten das Artefakt tief beeindruckt. Ululala streckte seine Hand danach aus und berührte es liebevoll. Wieder leuchtete das Medaillon auf. «Es scheint dich zu mögen,» scherzte Benjamin. «Es ist wundervoll!» sprach der Magier, tief bewegt, dann blickte er die Geschwister mit einem Strahlen in den Augen an: «Es ist unglaublich, was ihr erreicht und was ihr alles dazugelernt habt! Ihr seid nun erfüllt von ganz neuem Wissen und Weisheit! Ich bin so stolz auf euch und auch auf dich Malek! Ihr wart ein wundervolles Team.»
«Es gab viele wunderbare Helfer, die uns zur Seite standen. Neben Malek wart ihr beide unsere wichtigsten Wegbegleiter. Wie ist es euch eigentlich so ergangen? Sind Nofrete und Hungoloz auch noch irgendwo im Kristallschloss?» «Nofrete ist noch immer im Ostflügel einquartiert, aber wir dachten, wir informieren sie etwas später über euren Besuch. Auch wegen der Vorgeschichte, die sie mit Malek hat» meinte Ululala.
«Hungoloz ist gerade auf Besuch in seinem Heimatdorf.» Pia fand das etwas schade, denn sie hätte den Waldelfen gerne noch einmal gesehen, seit ihrer ersten Begegnung, ging er ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf.
«Vielleicht schauen wir ja auch nochmals im Waldreich vorbei, um uns noch richtig zu verabschieden, bevor wir… nach Hause zurückkehren.» meinte sie. «Darüber würden sich Hungoloz und sein Volk bestimmt sehr freuen. Auch Nofrete wollen wir eigentlich nicht mehr lange, über eure Rückkehr, im Unklaren lassen.»
«Wir könnten ja bei ihr vorbeigehen und mit ihr sprechen. Sie wird Malek bestimmt auch vergeben, wenn sie die ganze Geschichte erfährt.»
«Ich hoffe das natürlich sehr,» sprach der jüngere Magier betrübt.
«Das wird schon! Immerhin werden wir bald alle Verbannten wieder nach Hause holen können und dazu hast du einen bedeutenden Beitrag geleistet!» erwiderte Benjamin überzeugt «du hast Skarion damals besiegt und auch in der Unterwelt hast du grosse Treue und grossen Mut bewiesen. Wir werden Nofrete sicher davon überzeugen können, dass sie dir vergibt. Heute Nachmittag gehen wir gleich bei ihr vorbei. Die Freude über unseren grossen Erfolg, wird ganz bestimmt ihren Groll überdecken. Nur keine Sorge!»