Du bist Karja Sturmvogel.
Du beugst den Kopf vor dem Jarl und trittst zurück. Zusammen mit allen anderen wartest du darauf, dass die Zeremonie abgeschlossen wird. Elred und Allyster, die nach dir an der Reihe sind, empfangen das Schutzzeichen ebenfalls, ohne den Stein zu stehlen.
In dieser Situation ist das schlicht zu gefährlich. Ihr werdet einen zweiten Versuch unternehmen müssen.
Bald folgt ihr den Flutheimern nach draußen. Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen, außerhalb der Halle ist es eisig kalt. Zwischen den Wachen steht ein älterer Mann mit Eulenrunen an der Kleidung, der eine Schale haltet.
„Denkt daran“, ruft er, „die Götter lassen sich nicht betrügen. Ihr dürft nicht mehr mitnehmen, als ihr am Leibe tragt. Lasst Waffen und Vorräte zurück! Dafür müsst ihr hernehmen, was die Wildnis euch gibt.“
Nur knapp die Hälfte der Prüflinge tritt vor. Viele haben diese Gegenstände gar nicht erst mitgenommen. In Elreds Fall lässt er den Bogen unter seinen Fellen verschwinden. Deinen Säbel hast du ohnehin unter einer Art Rock aus Fell versteckt, und Allyster hat keine Waffen, die er abgeben könnte. So schmuggelt ihr alles hinaus, denn ihr wollt eure Waffen sicherlich nicht hier lassen.
Es geht in einer langen Prozession durch die Stadt. Die Häuser an eurem Weg sind mit Lichtern geschmückt. Flutheimer stehen in den Seitengassen oder blicken euch durch die Türen oder Fenster ihrer Häuser nach, während ihr dem alten Mann schweigend folgt, der euch bis zur Mauer der Stadt bringt.
Die ganze Zeit wird gesungen. Eine traurige Weise, zu der ihr drei die Lippen bewegt, da ihr die Worte nicht kennt. Doch das Lied klingt unheimlich. Der Wind heult dazu wie ein einsamer Wolf, der sein Schicksal beklagen muss.
Vor den Toren sammelt ihr euch in einer großen Gruppe, ehe der alte Mann euch anweist, eurem Herzen zu folgen.
„Wir gehen einfach in den Wald, ja?“, flüstert Elred euch zu. „Und treffen Langfinger?“
Du zögerst. Irgendwie scheint dein Blick von einem nahen Berg angezogen zu werden, einem weißen, glatten Gletscher, von dem aus man sicher weit über das Tal sehen kann. Dort ist man dem Himmel so nah …
Du hast noch den Duft der Räucherkräuter in der Nase, die in der Halle entzündet wurden. Wie in Trance murmelst du: „Nicht der Wald … wir müssen hoch …“
Du erwartest, dass deine Gefährten dich zur Vernunft rufen, wie es auch eine leise Stimme in deinem Inneren versucht. Doch zu deiner Verwunderung nickt Allyster. „Da, nicht wahr? Zum Berg.“
Er deutet auf ebenjenen Gletscher. Automatisch setzt du dich in Bewegung. Allyster bleibt an deiner Seite. Elred zögert kurz, dann wirft er die Arme hoch und seufzt. „Ja, geht ruhig! Ich … ich komme schon zurecht.“
Als ihr nicht reagiert, stapft der Elf euch hinterher.
Du fühlst dich, als würde ein unsichtbares Band dich ziehen. Etwa ein Drittel der Flutheimer schlagen den gleichen Weg ein wie ihr. Andere gehen in die Wälder und das letzte Drittel um Flutheim herum Richtung Meer.
Du kümmerst dich kaum um den Rest. Nach und nach zerstreuen sich die Grüppchen. Einige Flutheimer kehren sogar um, vielleicht, weil der Ruf eines anderen Ortes doch stärker wird. Du weißt jedoch, dass du zum Gletscher hinauf musst. Du könntest diese Gewissheit niemandem erklären, aber du spürst es.
Nach einer Weile sind nur noch Allyster und Elred hinter dir. Es ist so kalt geworden, dass du zitterst, aber du kannst trotzdem nicht anhalten. Eine Macht zieht dich nach oben, der du nichts entgegenzusetzen kannst.
Ihr steigt die immer steileren Felsen hinauf und erreicht die Ausläufer der gefrorenen Eismasse. Grau, blau und weiß erhebt sich der Gletscher im Sternenlicht vor euch. Über ihm ist der Himmel voller Sterne. Du bist sicher, dass es mehr Sterne sind als jene, an denen du dich auf der Mondsee orientiert hast. Der Himmel ist nicht mehr schwarz, sondern gezeichnet von blauen Nebeln.
Zitternd trittst du aus der Deckung von Felsen und Bäumen auf den Gletscher. Das Eis unter deinen Schritten knirscht. Du rutscht ein wenig, aber mit ausgebreiteten Armen hältst du das Gleichgewicht.
„Bist du dir sicher, dass das der richtige Weg ist?“, ruft Allyster dir nach.
Du siehst dich um. Wieso zögert er denn jetzt plötzlich? „Spürst du es nicht?“
Du gehst weiter. Vor dir bewegt sich ein großer Schatten. Als du näher kommst, erkennst du zwei blaue, leuchtende Augen, die sich auf dich richten.
Das Herz schlägt dir bis zum Hals, als sich das Tier bewegt. Es ist riesig – höher als jedes Tier, das du je an Land gesehen hast. Es erinnert eher an einen Wal, doch die Gestalt ist die eines großen, weißen Bären. Er hat ein schlankeres Gesicht als Grizzlies, und dieses ist länger als du hoch bist.
Eis knirscht unter den Schritten dieses Monstrums, als der Bär näher kommt. Sein blauer Blick wandert über euch und fixiert dich. In seinem weißen Fell schimmern hellblaue Linien, die dich an Runen erinnern, die du auch in Flutheim gesehen hast. Sie sind den Bärenrunen ähnlich, die du kennst, aber nicht genau die gleichen.
Ein Knurren dringt aus dem Maul des Tieres. Die großen Zähne lassen dich erstarren. Dein Herz wummert wie verrückt. Du weißt, dass der Bär dich angreifen wird. Und nur, wenn du überlebst, wirst du …
Ein Pfeil zischt an dir vorbei und bohrt sich in die Schulter der Bestie. Der Bär reißt das Maul auf, schwarze Lippen schimmern. Das Gebrüll des Tieres reißt euch von den Beinen. Du hörst nicht nur den Laut eines verletzten Tieres, sondern ein Geheul voller Verrat und Zorn.
Ihr habt die Gesetze gebrochen! Während Entsetzen dich durchspült, springt der Bär vor. Seine Pranken lassen das Eis krachend bersten. Du willst ausweichen, aber ein Hieb fegt dich zur Seite.
Dein Kopf klingelt, als du wieder zu dir kommst. Du lehnst an einem Felsen, in den du vermutlich auch hineingeschleudert wurdest. Deine Schulter fühlt sich nicht gut an. Als du den Kopf wendest, jagen Schmerzen durch deinen Nacken. Zischend saugst du die Luft ein.
Daraufhin hebt der Bär den Kopf und sieht dich an. Er steht einen guten Steinwurf entfernt, ein hellerer Schatten in der Dunkelheit der Nacht. Seine Schnauze ist blutig, er hebt sie aus Allysters aufgerissenem Brustkorb. Der kalte Wind, der über den Gletscher streicht, trägt dir den Geruch des Todes zu.
Mit schweren Schritten kommt der Eisbär näher. Du versuchst panisch, dich zu bewegen, aber dein Körper ist vom Aufprall zu zerschmettert. Du wimmerst, während Schmerzen durch deinen Leib jagen.
Der Bär beschleunigt. Du hast keine Chance, auszuweichen. Im nächsten Moment beenden die langen Zähne deine unwürdige Existenz, die du die Gesetze dieses Ortes verletzt hast.
Die Gesetze des eisigen Todes.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hier keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Karjas Teil der Geschichte zu erreichen, musst du mit dem Kanu fahren.
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!