Kapitel 4: Auf dem Sklavenmarkt
Auf dem Marktplatz waren viele Frauen aus dem Lager zu sehen, alle hübsch zurecht gemacht und geradezu verführerisch gekleidet. Man erkannte sie kaum wieder. Nobel ausstaffierte Männer aus aller Herren Länder trieben sich zwischen den Schönen herum, begutachteten und betatschten sie. Viele trugen teure Anzüge oder prächtige Gewänder, die mit Silber und Gold verziert waren. Einige bevorzugten traditionelle Kleidung, die – ebenso wie die leichten, wallenden Gewänder der Frauen – in verschiedenste Farben über den ganzen Platz strahlten. Alles war erfüllt vom Handeln und Feilschen, wie auf einem bunten, indischen Basar.
Als Touristin hätte mich dieses bunte Treiben fasziniert, doch ich wusste ja, was das alles wirklich zu bedeuten hatte. Einige der Frauen hatten das reinste Martyrium hinter sich und wohl noch ein weiteres vor sich. Jetzt sollten sie gute Miene zum bösen Spiel machen und wehe all denen, die an Flucht auch nur zu denken wagten. Es war ohnehin völlig aussichtslos. Zwei Palastwachen hatten mich mit ihren großen Pranken rechts und links an den Armen gepackt und schoben mich grob durch die Menge. Sergei war direkt dahinter und ließ mich nicht aus den Augen. Er schien zu ahnen, dass ich einen Plan ausheckte und die nächstbeste Gelegenheit ergreifen würde, um seinen Schergen zu entkommen. Mir fielen einige elegant gekleidete Frauen auf, die genauso wie die männlichen Kunden nach Sklavinnen Ausschau hielten, um diese zu kaufen, vielleicht als Haushaltshilfe oder Kindermädchen. Ahnten sie, dass sie sich eine potenzielle Nebenbuhlerin ins Haus holten oder war es ihnen einfach egal? Doch was mochte alles passieren, wenn eine von uns gekauft wurde? Würden wir nur den Haushalt führen und auf dem Land arbeiten oder auch zur Gespielin des Hausherrn werden?
Die Wachen schoben mich ohne jede Rücksicht durch das bunte Treiben auf eine große Tribüne zu, die an einem Ende des Innenhofes errichtet worden war. Meine Beklemmung wuchs. Die Ungewissheit, was mit mir geschehen würde, schnürte mir die Kehle zu. Trotz der beiden Wachen zu meiner Linken und Rechten kamen wir nur langsam durch die Menschenmenge voran. Männer drehten sich nach uns um, redeten zu den Wachen oder zu Sergei, der dicht hinter mir ging. Die Kerle wollten einen näheren Blick auf die „Ware“ werfen. Einige drängelten sich frech heran und versuchten, meinen Schleier herunterzuziehen, der Haare und Gesicht bedeckte. Einige schienen nicht abwarten zu können mit der Begutachtung, doch Sergei, der sein Job wohl sehr ernst nahm, wies die Männer schroff ab und gab den Wachen Befehl, mich unentwegt weiter in Richtung Bühne zu befördern.
Mit jedem Schritt, der uns näher an die Bühne heranbrachte, wuchs meine Beklemmung. Fieberhaft sann ich nach einem Ausweg, doch es gab keinen. Ich wollte nicht verkauft werden, wollte einfach nur wieder nach Hause und mich um meine Arbeit kümmern. Wäre es nicht sogar besser gewesen, sich mit meinem Exfreund, dem Stalker, herzumzuschlagen, als hier auf einem Sklavenmarkt wie ein Stück Vieh begutachtet und verkauft zu werden?
Irgendetwas in mir sagte, dass das wohl alles erst der Anfang war. Wir waren vor dem Podest angekommen. Viele Frauen, die sich vor und auf der Bühne befanden, kannte ich aus dem Lager, doch Anne war nirgends zu sehen. War sie etwa schon verkauft worden? Oder sollte sie erst noch hierhergeführt werden? War es ihr vielleicht sogar gelungen zu entkommen? Auch ich überlegte noch immer angestrengt, wie ich entkommen könnte, doch meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Sergei mir den Schaft seines Gewehrs in den Rücken stieß, sodass ich beinahe das Gleichgewicht verloren und nach vorne hingestürzt wäre, hätten mich die beiden Wachen nicht festgehalten.
Nun war es soweit. Sergei befahl mir brüsk, auf das Podest zu treten. Er packte meine Hand und führte mich an zwei Frauen vorbei, die ich schon im Lager gesehen hatte und stellte mich neben sie in eine Reihe. Dann positionierte er sich direkt hinter mich, um anzuzeigen, dass ich seine Sklavin und er mein Verkäufer war. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass er sein Gewehr noch immer von hinten auf mich gerichtet hielt. An Kampf oder Flucht war nicht zu denken. Kurz überlegte ich, ihm mit einem gezielten „Back-Kick“ – auch „Pferdetritt“ genannt – das Gewehr aus der Hand zu treten, doch wie sollte es dann weiter gehen? Die Wachen rings herum waren ebenfalls bewaffnet und ich würde vermutlich einen Schuss abbekommen, bevor ich Sergeis Gewehr auch nur in die Hand bekäme.
In der Reihe der Frauen, die auf der Bühne standen, war ich die dritte von links. Rechts neben mir waren vier weitere „Sklavinnen“ unter strenger Bewachung durch ihre „Verkäufer“. Die Menge unterhalb der Bühne starrte uns an. Einige Männer machten sich Notizen auf kleinen Blöcken. Ich spürte, wie neugierige und wohl auch lüsterne Blicke an mir auf und niedergingen und wusste nicht, ob ich weinen oder schreien sollte. Doch ich entschied mich kurzerhand zu lächeln und mir nichts anmerken zu lassen. Wer auch immer mich kaufen und versklaven wollte, ich würde es ihm wahrlich nicht leicht machen. Ich war nicht der Typ von Frau, die sich kampflos dem Schicksal beugte. Sollen diese Bastarde mein aufgesetztes Lächeln ruhig missdeuten, sie werden noch kennenlernen, wozu ich fähig bin!
Die Frauen rechts und links neben mir hielten die Köpfe gesenkt. Einige weinten still vor sich hin, andere schienen völlig erstarrt zu sein. Keine schien entschlossen zu fliehen oder zu kämpfen. Gab es denn gar keine Rettung? Wie sehr es mich drängte, ihnen zu helfen, doch in der jetzigen Lage, konnte ich nicht das Geringste tun.
Ein Mann betrat die Bühne und zog die Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte ihn schon einmal im Lager gesehen. Er war blond und sah europäisch aus, war also kein Einheimischer. Er hielt ein Mikrofon in seiner Rechten und begann in Richtung der Menge zu reden. Während ich noch überlegte, welche Rolle er in der ganzen Sache spielte, wurde die erste Frau bereits als Sklavin verkauft. Man schleifte sie an uns vorbei und händigte sie am Ende der Bühne einem dicken Mann aus, der nur noch wenige Haare auf dem Kopf hatte. Er übergab sie zweien seiner Schergen, die das weinende und zitternde Bündel von Frau packten und wegbrachten. Die Arme würde vermutlich das neue Betthäschen ihres Käufers werden.
Die anderen Frauen wurden teilweise zu hohen Summen verkauft. Eine von ihnen wurde von einer eleganten Lady in einem schwarzen Kleid erworben, vermutlich irgendeine Edeldame, die auf der Suche nach einer tüchtigen Haushaltsmagd war.
Als mein Name fiel, zuckte ich jäh zusammen. Die Aufmerksamkeit der Menge vor der Bühne richtete sich nun ganz auf mich. Die Versteigerung hatte begonnen. Männer hielten Schilder mit Nummern hoch, um ihre Gebote abzugeben. Auch eine Frau in einem leuchtend orangefarbenen Sari hielt immer wieder ihre Nummer hoch und bot mit. Sie wurde stets überboten von einem großen, muskulösen Mann im Anzug, der auf mich wirkte wie ein Mafiaboss. Mehrere Teilnehmer der Versteigerung überboten sich gegenseitig und mein Preis stieg höher und höher. Nach fünfzehn Minuten war der Preis so hoch gestiegen, dass nur noch zwei Bieter dabei waren. Ein Mann mit schwarzen dunklen Haaren und stechend blauen Augen und ein Mann mit braunen Haaren und einer Narbe an der Wange. Beide schienen reich und mächtig zu sein. Wer auch immer von den beiden das Höchstgebot abgibt, ihm würde es noch leidtun. Ich war fest entschlossen nicht aufzugeben. Ich würde jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um zu flüchten. Und ich war bereit, zur Waffe zu greifen zu und zu kämpfen, wenn es denn sein musste!
Noch in Gedanken über das, was mir bevorstehen mochte, bekam ich gar nicht mit, dass jemand das Höchstgebot abgegeben hatte und ich bereits verkauft war. Sergei schob mich von der Bühne herunter. Zwei uniformierte Männer packten mich grob an den Armen und zogen mich fort durch einen Korridor mit vielen Türen. Nach wenigen Schritten wurde eine Tür auf der linken Seite geöffnet. Die Wachen schoben mich hindurch in ein kleines Zimmer hinein, banden mich an einem Stuhl fest und stopften mir ein zusammengeballtes Tuch in den Mund. Ich bekam es mit der Angst zu tun, doch es war völlig widersinnig, mich erst für viel Geld zu ersteigern, um mich gleich anschließend zu foltern oder gar zu töten.
Nach qualvollen Minuten ging die Tür auf und mein neuer Besitzer betrat den Raum, ein Mann mit vollem schwarzem Haar und blauen Augen. Ein weiterer Mann in einem schlichten, schwarzen Gewand folgte ihm auf den Fuß, das Gesicht voller Narben. Er wirkte wie ein Henker, der entschlossen war, das Todesurteil an mir zu vollstrecken.
„Herr, wo soll das Sklavenmal angebracht werden?“ fragte der Henker. Meine Augen weiteten sich. Ein Sklavenmal? Was hatte das zu bedeuten?
„Macht es auf der Innenseite des linken Oberschenkels!“ befahl mein neuer Besitzer. Doch was immer sich dieser Großmufti einbilden mochte, ich würde ihn niemals Herr, Meister oder Besitzer nennen, das konnte er sich abschminken!
Der Schwarzgekleidete wandte sich mir zu und machte sich an meinem leichten Gewand zu schaffen. Er schob den Rock hoch bis die Oberschenkel frei lagen. Da ich nur an den Händen gefesselt war, bot sich eine gute Gelegenheit, die unfreiwillige Beinfreiheit zu nutzen, um ihn mit einem beherzten Tritt in die Leiste zu überraschen. Ein zweiter Tritt in die Magengrube würde ihn kampfunfähig machen und mich in den Besitz seiner Waffe bringen. Doch draußen vor der Tür wimmelte es von Wachen und Soldaten. Auf mich allein gestellt, würde ich nicht sehr weit kommen. Daher verwarf ich diesen unausgegorenen Fluchtplan in der Hoffnung, dass sich noch andere, bessere Gelegenheiten bieten würden.
Erneut ging die Tür auf und eine uniformierte Frau mit kurzärmeliger Uniformbluse, knielangem Rock und Stiefeln kam herein. Sie hielt ein glühendes Eisen in der Hand, das am Ende in eine Art Stempel mündete. Das „Sklavenmal“ war also ein Brandzeichen, das sie mir in den Oberschenkel tätowieren wollten. Ich versuchte, mich aus meinem Stuhl herauszuwinden, doch die Fesseln hielten. Als die Uniformierte näher kam, erkannte ich eine Brandnarbe auf ihrem Oberarm. War sie selbst einst als Sklavin gebrandmarkt worden oder war dies vielleicht eine Kriegsverletzung?
Die Frau überreichte dem „Henker“ das glühende Eisen. Da ich mich heftig wehrte und windete, hielten zwei Wachen mich an Händen und Füßen fest. Dann überflutete brennender Schmerz mein Bewusstsein, als das glühende Eisen sich in meine Haut brannte. Das Tuch in meinem Mund hinderte mich daran zu schreien. Ich schaute den Mann an, der mich ersteigert hatte, und legte meine ganze Wut in den Blick. Ich würde ihn bei nächstbester Gelegenheiten töten, doch ihn zuvor unsäglich leiden lassen für das, was er mir angetan hat.
Der Schmerz ebbte nur langsam ab. Der „Henker“ zog sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück. Er verbeugte sich kurz vor seinem Herrn, meinem „Käufer“, und ging zusammen mit der Soldatin von dannen. Der Käufer wandte sich unumwunden an mich: „Mein Name ist Baltic. Ich bin von nun an dein neuer Herr und Meister. Du sprichst mich mit ‚mein Herr‘ oder ‚Meister‘ an!“
Nichts dergleichen würde ich tun! Baltic kam auf mich zu, zog eine Döschen mit Salbe aus seinem Jackett und beugte sich herunter, um meine Verbrennung zu begutachten. Ich hätte dieses miese Arschloch am liebsten auf der Stelle erwürgt, doch ich hatte leider gerade keine Hand frei. Baltic trug Salbe auf meine Wunde auf und verband sie. Was sollte das? Die verbrannte Stelle schien etwas weniger zu schmerzen.
„Los, gebt ihr das Schlafmittel, damit wir hier endlich wegkommen. Ich habe zu tun!“ befahl Baltic und drehte sich zur Tür. Einer der Wachtposten verpasste mir einen Injektion in den Hals. Ich fühlte den Stich und sank in mich zusammen.