Kapitel 6: Der erste Arbeitstag
Der Wecker klingelte. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit um aufzustehen, stieg schließlich langsam aus dem Bett, suchte ein paar frische Klamotten heraus und wankte ins Bad. Die Dusche tat gut. Meine langen, schwarzen Haare fühlten sich nach dem Waschen und Föhnen wie neu an. Ich band sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und war einen letzten Blick in den Spiegel.
Was mochte der bevorstehende Arbeitstag mit sich bringen? Nachdem ich mir das obligatorische Headset ans Ohr gesteckt hatte, ging ich zum Frühstück in den großen Speisesaal. Dort herrschte schon reges Treiben. Einige Frauen waren bereits fertig mit dem Essen und verließen schon wieder den Saal. Die Tische waren in drei langen Reihen angeordnet. In der ersten saßen die Sklaven und aßen gemütlich aber schweigend. In der zweiten und dritten Tischreihe waren Sicherheitskräfte und Wachleute platziert. Dort ging es mit lautem Schmatzen und regen Unterhaltungen weniger ruhig zu.
Das Frühstück war reichlich. Auf den Tischen befanden sich Tabletts mit köstlichem Essen: verschiedene Brotsorten, Brötchen, Eier, verschiedene Wurst- und Käsesorten sowie Apfel-, Orangen- und Multivitaminsaft. Außerdem mehrere Teesorten und Kaffee. Ich schlug mir den leeren Magen voll und hatte dabei ständig die Uhr im Blick. In weniger als zehn Minuten war Arbeitsbeginn. Dann sollte ich putzen und dieses Arschloch nach Strich und Faden bedienen. Meine Laune sank augenblicklich. Ich trug Tasse und Teller zur Geschirrabgabe und machte mich auf den Weg in die oberen Stockwerke. Auf dem Headset meldete sich Baltik: „Lenora, mein Frühstück esse ich heute im Büro!“ Also machte ich auf dem Absatz kehrt und stapfte wieder nach unten in Richtung der großen Küche. In den unteren Etagen ging es hektischer zu als irgendwo sonst im Palast. Egal wo man hinsah, überall liefen Bedienstete, Diener, Mägde, Sklaven umher, emsig mit ihren Arbeiten beschäftigt. Auf den Gängen patrouillierten Wachen, darunter auffallend viele weiblichen Geschlechts, wohingegen nicht wenige Diener und sogar einige der Reinigungskräfte Männer waren. Dies wollte nicht so recht zu dem Bild passen, das ich mir von Baltik gemacht hatte. War er nicht ein egomaner, selbstgefälliger, frauenverachtender Macho?
Eine der bewaffneten Uniformierten nickte mir freundlich zu, andere starrten nur stur geradeaus. Sera, die hier das Sagen hatte, hielt die ganze Küche auf trapp. Sie begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln.
„Hallo, du musst Lenora sein, die neue Privatdienerin sein. Mein Name ist Sera. Ich bin die Küchenchefin. Da du hier aufkreuzt, vermute ich, dass du einen direkten Auftrag von Baltik bekommen hast?“
„Ja, in der Tat, ich soll ihm das Frühstück ins Büro bringen!“ Sera ging an eine Theke, stellte mit wenigen, flinken Handgriffen ein Tablett zusammen und drückte es mir in die Hand.
„Bring es sogleich nach oben! Der Herr mag es nicht zu warten.“ Ich dankte ihr, nahm das Tablett und stampfte wieder nach oben. An der Tür zu Baltiks Büro musste ich für einen Moment innehalten, um das Tablett mit dem einen Arm abzustützen und mit dem anderen die Tür zu öffnen. Dabei musste ich mich konzentrieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich betrat das Büro und da saß er. Ein großer Mann im weißen T-Shirt, das Haar ordentlich gekämmt mit einem leichten Dreitagebart.
„Kannst du denn nicht anklopfen?“ knurrte Baltic ein wenig mürrisch.
„Genau genommen konnte ich das nicht! Denn wie man sehen kann, habe ich beide Hände voll. Sie hätten ja auch ihren Arsch hochkriegen und im Speisesaal essen oder mir ganz einfach die Tür öffnen können!“ schoss ich zurück und stellte das Essen abrupt vor ihm ab. Er schaute mich überrascht und amüsiert zugleich an. Meine patzige Replik provozierte offensichtlich. Vermutlich ballte er innerlich die Fäuste zusammen.
„Du weißt schon, dass du mir gehörst. Du bist meine Sklavin, mein Eigentum. Also lerne schnell den gebührenden Respekt, sonst wirst du gleich am ersten Tag Bekanntschaft mit unserem Bestrafungssystem machen!“
„Wie Sie meinen, mein großer, ach so toller Meister!“ erwiderte ich sarkastisch, drehte mich um und huschte rasch zur Tür. Dort blieb ich kurz stehen, deutete amüsiert eine leichte Verbeugung an und schlug die Tür krachend zu. Er hatte es doch wirklich gewagt, mir zu drohen, dieses miese, widerliche, arrogante Arschloch. Ich war innerlich geladen wie eine Pistole, ließ mir jedoch äußerlich nichts anmerken. Wut konnte ich schon immer gut durch Arbeit abreagieren. Daher holte ich die Putzmaterialien und fing an, den mir zugewiesenen Gebäudeflügel zu reinigen. Ich war noch nicht sehr weit gekommen, als erneut das Headset ertönte.
„Lenora, bring mir bitte rasch noch eine Kanne Kaffee ins Büro!“ Am liebsten hätte ich zurückgeplärrt, dass er sich seinen Kaffee doch selbst holen solle. Ich hatte es nicht eilig, Baltiks jüngsten Befehl auszuführen und staubte gerade in aller Ruhe eine Kommode ab, als Baltiks Stimme, diesmal deutlich mürrischer, wieder im Headset ertönte:
„Lenora, wo bleibt mein Kaffee?!“
Er hörte sich tatsächlich gereizt an. Ich musste nicht weit zum Servierwagen im Flur gehen, wo Kaffeekannen und Tassen bereitstanden. Ein Tablett jonglierend betrat ich das Büro ohne anzuklopfen.
„Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal, klopf‘ gefälligst vorher an!“, fauchte Baltic in seinem Stuhl.
„Ja, ja, mein Herr und Gebieter“, presste ich mir heraus.
„Lenora, es reicht! Du bringst mir den Kaffee mit einer halben Stunde Verspätung und dann platzt du hier einfach herein ohne anzuklopfen und das heute schon zum zweiten Mal! Wenn du so weiter machst, wirst du bestraft werden, und ich kann dir versichern, es wird alles andere als angenehm für dich sein!“
Baltiks Drohungen machten mir keine Angst. Was konnte er mir schon antun? Nach all dem, was ich in den letzten Tagen und Wochen durchgemacht hatte, fürchtete ich nichts mehr. Also nahm ich ein Glas Wasser, das auf seinem Schreibtisch stand und schüttete es ihm ins Gesicht. Dann ging alles ganz schnell. Baltiks mächtige Pranke holte zu einem Hieb aus, dem ich nur halb ausweichen konnte. Ich fand mich am Ende des Raumes wieder und rang nach Atem. Seine große Hand umschlang meinen Hals und drückte mir die Luft ab. Ich sah Sternchen, durch diese hindurch war Baltic jedoch klar zu erkennen. Er knurrte mich an wie ein kläffender Hund. Ich unternahm keinen Versuch, mich aus der Umklammerung zu befreien und ließ mich von seinem starken Arm an die Wand drücken.
„Du hörst mir jetzt genau zu, ist das klar?“ Ich blinzelte nur und hoffte, er würde dies als Antwort gelten lassen. „Ich bin dein Meister, dein Herr und Gebieter. Du wirst mir gehorchen. Noch bin ich nett zu dir, doch ich kann auch andere Saiten aufziehen. Wenn du auf Auspeitschen oder Verbrennungen stehst, dann mach‘ nur weiter so. Doch ich tue derartiges nur ungern. Ich erwarte Gehorsam, denn alle meine Untertanen werden von mir gut behandelt. Jeder bekommt drei Mahlzeiten am Tag, hat sein eigenes Zimmer und kann nach getaner Arbeit allerlei Freizeitbeschäftigungen nachgehen. Ich habe hier ein Paradies geschaffen, an dem ihr alle teilhaben könnt, wenn ihr euch an die Regeln haltet! Also, überlege dir, wie du dich hier in Zukunft verhalten willst!“ Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Baltic mich los und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Ich rappelte mich an der Wand hoch, noch immer atemringend. Dann nahm sammelte ich das zerbrochene Geschirr ein, wischte den verschütteten Kaffee auf und trat schweigend ab. Baltic war körperlich stark. Es war unübersehbar, dass er regelmäßig Krafttraining betrieb. Doch er hatte wohl keine Nahkampfausbildung wie ich. Sollte es hart auf hart kommen, würde ich mich seiner Übergriffe zu wehren wissen. Es konnte auch nicht schaden, wenn er mich unterschätzte.
Baltic arbeitete den ganzen Tag. Noch zweimal wurde ich von ihm einbestellt, um Wasser und Tee oder Kaffee und Gebäck zu bringen. Ich gehorchte schweigend und widerwillig. Wenn ich das Büro betrat, sah ich einfach durch ihn hindurch. Für heute hatte ich genug. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und war entschlossen, nicht klein beizugeben. Nochmal würde ich so einen Gewaltausbruch nicht dulden. Sollte Baltic es wagen, erneut seine Hand gegen mich zu erheben, dann gnade ihm Gott. Er würde nicht der erste Mann sein, der sich bei mir blaue Augen und gebrochene Knochen abholte.
Am Abend aß Baltic im großen Saal. Ich musste nur das gebrauchte Geschirr vom Tisch wegnehmen und frische Teller reichen. Nach dem Abendessen hatte ich frei. Ich verbrachte sie mit ausgiebigem Duschen und fläzte mich anschließend ins Bett. Ich musste an Anne denken. Wo mochte sie gerade sein? Was mochte sie gerade durchmachen? Ich versprach mir im Stillen, so lange nach ihr zu suchen bis ich sie gefunden hätte. Ich war umso mehr entschlossen, diesem Albtraum irgendwie zu entkommen. Es musste einen Weg geben, nicht nur Anne, sondern auch die gefangenen Frauen aus dem Lager zu befreien. In Gedanken brütend, schlief ich irgendwann ein.