Kapitel 11
Die Stunden vergingen quälend langsam. Meine Wut auf Baltik steigerte sich
von Minute zu Minute. Am liebsten würde ich ihn einen Kopf kürzer machen!
Und dann auch noch dieses Arschloch von Steve! Dieser Psychopath gehörte
auf eine Streckbank gespannt und so lange gefoltert, bis er winselnd um
Vergebung all seiner Sünden bat. Der Gedanke an all die jungen Frauen, die sich
in seiner Gewalt befanden und ein jämmerliches Sklavendasein fristeten, war
kaum zu ertragen. Im Gegensatz zu ihnen hatte ich es bei Baltik geradezu gut
mit den gewissen Privilegien, die ich auf dem Anwesen genoss. Wie mochte es
nur Anne ergehen? Ich musste unbedingt einen Weg finden, Kontakt zu ihr
aufzunehmen. Sicherlich, Anne konnte sich ihrer Haut wehren, wenn es darauf
ankam. Sie würde, genauso wie ich, ihre Frau stehen, wenn es sein musste.
Doch ich wusste auch, wozu Steve imstande war. Seine morbide und dunkle
Seite war schlimmer und hässlicher, als man sich vorstellen konnte. Wenn es
doch nur einen Weg gäbe, Anne aus den Händen ihrer Häscher zu befreien und
hierher zu holen. Vielleicht könnte ich Baltik dafür gewinnen? Er war Steves
Geschäftspartner und würde sich nicht offen gegen ihn stellen. Doch womöglich
konnte er Anne durch eine Art Gefangenenaustausch frei bekommen.
Ich verrichtete meine Arbeiten und musste schon zum dritten Mal neue
Utensilien aus dem Putzraum holen. Einen Besen hatte ich beim Fegen aus Wut
zerbrochen, dann einen Staubwedel geliefert und zu guter Letzt noch einen
Putzeimer umgestoßen. Agate wird schimpfen wie ein Rohrspatz. Ich musste
mich unbedingt ein wenig beruhigen. Sie wirkte schon am Vormittag ziemlich
angesäuert und schien mit ihrem Personal alles andere als zufrieden. Sie
kommandierte die Dienerinnen mit herrischer Stimme herum, schnauzte die
Zimmermädchen an und stauchte die Küchenmannschaft zusammen. Die
Frauen zogen die Köpfe ein und verrichteten stumm ihre Dienste, als gingen sie
auf rohen Eiern. Sie hatten keinerlei Rechte und nicht eine hätte gewagt, gegen
Agate aufzubegehren, auch wenn es in der einen oder anderen innerlich
brodelte, wie in mir gerade.
Ich überlegte, was Baltik wohl machen würde, wenn jemand aus seinem
„Hofstaat“ ihm den Gehorsam verweigerte. Er konnte ziemlich unsanft werden,
wenn ihm etwas nicht passte. Wie kürzlich, als er mich in seinem Büro
unvermittelt angriff und an die Wand drückte, mit seiner groben Pranke meinen
Hals packte und mir die Luft abdrückte. Nur gut, dass ich es über mich ergehen
ließ und keinen Widerstand leistete, auch wenn ich sehr wohl wusste, wie man
sich aus einem Würgegriff befreit. In der Ausbildung hatte ich gelernt und
immer wieder geübt, wie man sich einem Griff entwindet, egal ob man von
vorne, von hinten oder von der Seite gepackt wird. Wie oft hatten wir in
unserer Einheit trainiert, uns aus den Armen eines Angreifers zu lösen und in
Sekundenschnelle außer Gefecht zu setzen. Doch es wäre taktisch unklug
gewesen, wenn Baltik oder Steve erfuhren, dass Anne und ich über gewisse
Fähigkeiten verfügten.
Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich nichts von Baltiks Rückkehr
mitbekommen hatte. Plötzlich stand er in der Tür. Ich hatte keine Ahnung wie
lange er schon dort stand und mich beobachtete, mit einem breiten Grinsen im
Gesicht und einem stierenden Blick, als würde er nicht einem Zimmermädchen
beim Saubermachen, sondern einem Model beim Tabledance zuschauen.
„Wenn du die Kommode wegpoliert hast, sag‘ Bescheid, dann muss ich eine
neue kaufen!” sagte Baltic offensichtlich gut gelaunt. Ich hätte mich schon
wieder über ihn aufregen können. Wie konnte er gute Laune haben? Abrupt
unterbrach ich meine Arbeit und fingerte den Zimmerschlüssel aus der
Rocktasche.
„Du scheinst ja richtig gute Laune zu haben. Hast wohl wieder ein armes Mädel
für deinen Hofstaat ersteigert?“ fragte ich sichtlich gereizt.
„Was ist denn mit dir los, Lenora? Wie kommst du auf die Idee, ich wäre auf
dem Sklavenmarkt gewesen?”
„Ach, wo denn sonst, großer Meister? Ein so potenter Typ wie du muss sich
doch gelegentlich neue Gespielinnen in den Harem holen, oder nicht?” Ich
wusste nicht, wie sehr Baltik von meiner provokanten Frage getroffen war. Ich
gebe zu, es war unfair von mir, denn ich hatte noch nie erlebt, dass er sich eines
der Mädchen mit ins Bett genommen hatte.
Baltic zog die Augenbrauen hoch. Ich trat nahe an ihn heran, als ich ihn aus dem
Türrahmen drängte und die Zimmertür hinter mir abschloss. Baltik setzte mich
mit seinen muskulösen Armen zwischen sich und der Tür fest.
„Du kleines Wildkätzchen! Wärst du denn eifersüchtig, wenn ich jemanden in
mein Bett lasse? Ich bin sicher, dass es dir da ganz gut gefallen würde!“
Mir verschlug es die Sprache. Mit seiner herablassenden, chauvinistischen Art
hätte er sogar Steve Konkurrenz machen können. Am liebsten hätte ich ihm
ordentlich eine geknallt, doch mein Arm lag eng am Körper, die Hand mit den
Zimmerschlüsseln noch in der Rocktasche. Er schien es zu genießen, mich
zwischen sich und der Tür gefangen zu haben, sah mich an, sein Gesicht nur
wenige Zentimeter vor meinem, ein neugieriges Lodern in seinen Augen. Mein
Körper begann innerlich zu vibrieren. Eine Mischung aus Wut und Verlangen.
Doch konnte es wirklich Begehren sein? Wie um alles in der Welt sollte ich
jemanden begehren, der Frauen kidnappt und als Sklavinnen hält?
„Was ist mit dir, Lenora? Die Wildkatze plötzlich so still und eingeschüchtert?”
säuselte seine tiefe Stimme direkt in mein Ohr hinein. Ich hatte große Lust, ihm
einen kräftigen Kniestoß in die Leistengegend zu verpassen. Mit einer solchen
Wucht, dass er drei Tage lang nur unter großen Schmerzen hätte Wasserlassen
können. Doch stattdessen tauchte ich unter seinen Armen weg, verpasste ihm
einen schwungvollen Hüftstoß und trat ihm, scheinbar aus Versehen, auf die
Füße. Baltic rief ein gespieltes „Aua“ und wich zurück.
„Aha, da ist sie ja wieder, die Wildkatze!” sagte er lächelnd. Ich seufzte nur und
hatte Mühe, Haltung zu bewahren. Doch es brachte nichts, sich über sein
Gehabe aufzuregen. Ich musste wissen, wo Baltik gewesen war und warum der
Name meines Ex-Freunds Steve massenhaft auf seinem Computer zu finden
war. Hatte Steve den Auftrag gegeben, Anne und mich zu entführen und hierher
zu bringen.
„Baltik, wir müssen uns unterhalten!“, sagte ich mit strengem Blick und
sachlichem Ton.