Kapitel 26
Sobald die Musik endete, würden wir losschlagen. Per Funk gab ich den Befehl an alle Beteiligten. Baltic sah mich an und zog mich fest in seine Arme. „Kätzchen, bleib am Leben, wir sehen uns nach dem Kampf, und dann werden wir heiraten!” Er küsste mich mit der ihm eigenen Leidenschaft und verschwand in der Menge. Baltic wollte sich den dicken Kerl mit dem vielen Goldschmuck und dessen Konsorten vornehmen und somit der Schlange quasi den Kopf abschlagen. Meine Mädels und ich würden sich auf die Wachmannschaften konzentrieren. Als es so weit war, sprangen die Tänzerinnen von der Bühne herunter und erledigten mit bloßen Händen etliche Wachen, die um die Bühne herumstanden. Sie bemächtigten sich ihrer Waffen und gingen damit gegen weitere Wachmänner vor. Ich zog die Say aus dem Holster am rechten Oberschenkel und rammte sie dem nächstbesten Sklavenhalter direkt ins Herz. Binnen Sekunden brach Chaos aus. Schläge, Schüsse, Schreie und wild umherlaufende Männer und Frauen. Etliche suchten Schutz unter den Tischen, hinter der Bühne oder rannten in Richtung der Ausgänge. Einige der Sklavinnen und Sklaven begriffen schnell, was vor sich ging und nahmen ihrerseits den Kampf gegen ihre Unterdrücker auf. Mit Flaschen, Gläsern, Vasen und Stühlen rückten sie ihren Peinigern auf den Leib. Viele Sklavenhalter und reiche Kunden wollten das Weite suchen und aus dem Saal entkommen, doch Baltics Männer blockierten die Ausgänge. Baltic hatte sich dem Dicken bis auf zwei Meter genährt, zog seine Pistole und drückte ab. Der König ging zu Boden und war tot. Jetzt fehlte noch der Rest des Abschaums. Anne tat sich mit Isabell zusammen und die beiden kämpften sich zu den Sklavenverließen vor. Durch den Knopf im Ohr hörte ich alle paar Sekunden neue Meldungen von den Mädels. Sie schwärmten in die verschiedenen Palastbereiche aus. Ein Wachmann stürmte mit erhobenem Knüppel auf mich zu. Ich wich im letzten Moment aus, tanzte regelrecht mit schwingender Hüfte um ihn herum, um in die richtige Position für einen Angriff zu kommen. Der Wachmann war stark und schnell. Nachdem seine Knüppelattacke ins Leere gegangen war, zog er seine Knarre und richtete sie auf mich. Ich ließ mich blitzschnell fallen, um dem Schuss auszuweichen, doch das Projektil streifte meinen Oberarm. Bevor er einen weiteren Schuss abgeben konnte, stieß ich die Say durch das Schuhwerk hindurch in seinen Fuß. Der Typ schrie auf, während ich einen Dolch aus der Hochsteckfrisur zog und in seine Leistengegend rammte, was ihn noch lauter schreien ließ. Mit einem weiteren Haardolch durchtrennte ich seine Halsschlagader und erledigte den Mistkerl. Ich kam wieder auf die Beine mit ramponiertem Kleid und blutendem Oberarm. Fürs Erste musste ich den Schmerz ignorieren, denn es waren noch zu viele im Saal, die nicht das Recht hatten, am Leben zu bleiben. Als ich mich umdrehte, um nach Baltic Ausschau zu halten, stand plötzlich Steve vor mir. „Hallo Liebes!“, sagte Steve mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht. „Ich habe dir doch versprochen, dass du mir gehören wirst. Mein Versprechen wird sich heute erfüllen. Und Baltic wird dir nun nicht mehr helfen können!“ Ich wich einen Schritt zurück. Instinktiv griff ich zum Schenkelholster, doch im gleichen Moment wusste ich, dass dort keine Schusswaffe zu greifen war. Steve besaß allerdings sehr wohl eine großkalibrige Pistole, die er nun auf mich richtete. Ich umfasste den Griff der Say noch fester. In der anderen Hand hielt ich noch immer den blutigen Dolch, mit dem ich den Wachmann niedergestreckt hatte. Ich bewegte mich vorsichtig um Steve herum, doch er drehte sich mit und hielt den Pistolenlauf weiter auf mich gerichtet. Eine innere Stimme sagte mir, dass er nicht schießen würde, denn er wollte mich lebend. Ich nahm mir ein Herz und versuchte mit einem gezielten Wurf der Say seinen Hals zu treffen. Doch die Say verfehlte ihr Ziel, traf stattdessen Steves Schulter und blieb stecken. Steve schrie vor Schmerz auf, als die Say ihn traf. Das teuflische Grinsen war abrupt aus seinem Gesicht verschwunden. Dann stürmten drei seiner Bodyguards herbei, die mich umzingelten, während ein vierter sich um Steve kümmerte. Ich duckte mich unter dem ersten Angreifer weg und rammte ihm mit voller Wucht den Haardolch ins Genick, zog ihn blitzschnell wieder heraus, um damit einem weiteren Typen die Kehle aufzuschlitzen. Sein Blut spritzte mir aufs Kleid, während er mit einem hässlichen Gurgeln zu Boden ging. Dann war plötzlich Anne an meiner Seite und erschoss den dritten Bodyguard, als dieser gerade im Begriff war, mir eine Machete in den Rücken zu stechen. Ich holte zu einem erneuten Wurf aus und traf mit dem Haardolch direkt ins Auge des vierten Leibwächters, der sich schützend vor Steve aufgebaut hatte. Der Mann kippte vornüber und stürzte zu Boden. Doch im Nu war Steve von einem ganzen Pulk von Wachleuten und Soldaten umgeben, die entschlossen waren, Anne und mir endgültig den Garaus zu machen. Das höhnische Grinsen in Steves Gesicht kehrte zurück und er sagte: „Anne, meine Liebste! Wie ich sehe, siehst du heute wieder fabelhaft aus. Deine Sehnsucht nach mir ist offenbar genauso stark, wie meine zu dir. Schon bald werde ich mich köstlich vergnügen mit Lenora und dir in meinem Bett! Muhahahaha!” Steves schallendes Gelächter war durch das Getöse und den Kampflärm hindurch im ganzen Saal zu vernehmen. „Nur in deinen Träumen, Steve! Heute werde ich dich töten!“, erwiderte Anne. Ihre Stimme war ein eiskaltes Flüstern. Anne und ich nahmen es jetzt mit dem Pulk von Kerlen auf, die zu Steves Unterstützung herbeigeeilt waren. Schnell war Annes Pistole leergeschossen, doch sie zog ein weiteres Magazin aus der Rocktasche und schob es ein. Ich ging mit den Dolchen und Messern aus meiner längst nicht mehr vorhandenen Haarpracht zum Angriff über und metzelte die Schurken einen nach dem anderen nieder. Dabei bekam ich selbst einen Messerstich in den Rücken ab, der zum Glück nicht sehr tief ging und mehr ein Schnitt als ein Stich war. Als wir gefühlt zehn Kerle erledigt hatten, entstand eine kurze Kampfpause. Die Banditen wichen zurück, sichtlich beeindruckt von unseren Kampfkünsten, um sich neu zu formieren. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass drei Tänzerinnen am Boden lagen, ob nur schwerverletzt oder tot, war schwer zu sagen. Die anderen kämpften weiterhin tapfer, trotz sichtbarer Verletzungsspuren am Körper. Ich nutzte die entstandene Kampfpause, um mich nach dem Außenteam zu erkundigen. „Einheit eins, wie ist die Lage bei euch draußen?”, fragte ich über mein Headset. Jinjins Stimme war völlig außer Atem, als sie zurückmeldete: „Lenora, bei uns läuft es so weit gut. Wir haben das Frauenlager unter Kontrolle und kümmern uns bereits um die Gefangenen. Die Kämpfe in und um den Palast herum dauern noch an.“ „Gut gemacht, Jinjin!“, rief ich ins Headset. „Haltet durch! Wir haben es fast geschafft!“ Anne und ich nahmen erneut Fahrt auf und wir gingen zum Angriff über. Nachdem mein letzter Haardolch aufgebraucht war, schlitzte ich einem Gegner mit einem schwungvollen Drehkick durch einen meiner Stilettoabsätze den kompletten Brustbereich auf. Dabei riss auch die andere Seite meines Kleids, sodass es nun nicht mehr einfach, sondern doppelt geschlitzt war. Die hinzugewonnene Beinfreiheit wusste ich zu nutzen mit noch höheren Kicks und Tritten. Der andere Stiletto traf einen heranstürmenden Wachsoldaten mit voller Wucht ins Gesicht, sodass die messerscharfe Spitze in seiner Stirn steckenblieb. Die Zahl der Gefallenen unter den Palastwachen und Steves Männern mehrte sich, bis wir uns durch die Reihen zu ihm selbst vorgearbeitet hatten. Doch ich spürte meine Kräfte schwinden, da ich in den Kämpfen selbst mehrere Wunden davongetragen hatte. Der Blutverlust musste erheblich sein, denn mir wurde schwindelig und ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Anne erging es ähnlich. Ihr blaues Kleid war blutüberströmt, sowohl vom Blut der niedergestreckten Gegner als auch von ihrem eigenen. Steve hatte die Sayklinge aus seiner Schulter herausgezogen und fluchte, als er die zahllosen, am Boden liegenden Männer sah, die den Fehler gemacht hatten, es mit Anne und mir aufzunehmen. „Ihr verfluchten Mistkerle!“, schrie er unüberhörbar seinen letzten, versiegenden Reserven zu. „Ihr Nichtsnutze haltet euch für harte Gangstertypen und lasst euch von zwei Weibern fertigmachen!“ Doch es half nichts. Im Gegenteil, einige seiner weniger Getreuen ergriffen die Flucht und desertierten. Ihnen war ihr eigenes Leben sichtlich wertvoller als das ihres arroganten Chefs. Und mit der Schmach, gegen zahlenmäßig unterlegene Frauen den Kürzeren gezogen zu haben, könnten sie sich später beschäftigen. Das dachten sie zumindest. Doch sie würden ohnehin nicht weit kommen. Draußen wartete Jinjins Team auf sie, wenn sie nicht zuvor von einer Scharfschützin aus Katharinas Team erwischt wurden. Anne kämpfte sich tapfer bis zu Steve vor und war gerade im Begriff, ihm einen Faustschlag zu verpassen. Steve wehrte ihren Angriff ab, doch dabei fiel die Say zu Boden, die er sich zuvor aus der Schulter gezogen hatte. Mit einem Frontalüberschlag überbrückte ich die Distanz und bekam die Say zu fassen. In der Aufwärtsbewegung stieß ich in Richtung von Steves Rücken, doch er wich im letzten Moment aus. Um ein Haar wäre die Say in Annes Busen gelandet, doch sie drehte sich im letzten Moment weg, sodass die Klinge nur ihr Kleid aufschlitzte, welches ohnehin durch die Kämpfe so stark gelitten hatte, dass es nur noch in Fetzen an ihr herunterhing. Steve nutzte das misslungene Manöver zu einem Ellenbogenstoß gegen meinen waffenführenden Arm. Die Say flog in hohem Bogen zu Boden und ich war im wahrsten Sinne des Wortes „entwaffnet“. Jetzt galt es, mit bloßen Händen weiterzukämpfen! Ich schnellte vor und drückte mit dem Daumen in Steves blutende Schulterwunde. Plötzlich blickte ich in den Lauf einer Pistole. Steve zielte mir direkt zwischen die Augen. Ich war mir sicher, im nächsten Moment würde er abdrücken, ohne zu zögern.