Kapitel 20 Geheime Kommandosache
Endlich war es so weit. Der Tag unseres Einsatzes war gekommen. Zwölf Frauen hatte ich für die Mission ausgewählt. Jene, die im Ausbildungs- und Trainingsprogramm mit Bestleistungen überzeugt hatten. Geschickte und gestählte Kriegerinnen, die zu allem entschlossen waren und weder Tod noch Teufel fürchteten. Wir hatten Steves Anwesen ausgekundschaftet so gut wir konnten. Es würde eine Herausforderung sein, sich in dem riesige Gebäudekomplex zurechtzufinden. Doch nach eingehendem Studium von Plänen und Fotos glaubten wir zu wissen, wo Anne ist. In einem Bereich tief im Inneren der verschachtelten Häuserkomplexe, der zudem gut bewacht wurde. Es würde schwierig werden, bis dorthin vorzudringen, vor allem, wenn es als Nach-und-Nebelaktion über die Bühne gehen sollte.
Wir befanden uns in einem Truppentransporter, etwa zwei Kilometer von dem umzäunten Anwesen entfernt: meine zwölf Mädels in schwarzen Kampfanzügen, die langen Haare jeweils in einem Pferdeschwanz zurückgebunden oder hochgesteckt, die zarten Gesichter mit dunkler Tarnfarbe bestrichen. Auch ich selbst war gekleidet in taktischem Schwarz, meine Haarpracht streng nach hinten zusammengebunden. Unsere Hüften waren mit Waffengürtel versehen, in denen verschiedene Pistolen und Wurfmesser, sowie Granaten und Rauchbomben steckten. Einige trugen zusätzlich straffe Holster um die Oberschenkel, in denen weitere Handfeuerwaffen wie Maschinenpistolen steckten. Die eine oder andere trug außerdem ihre spezielle Lieblingswaffe bei sich, so wie Jinjin, eine Chinesin und Kampfkünstlerin, die wir auf dem letzten Sklavenmarkt ersteigert hatten. In einer Rückenhalterung trug sie ein elegantes Zweihand-Katana, mit dem sie außerordentlich geschickt umgehen konnte. Oder die kleine Französin Isabell mit gerade einmal 1,52 m. Sie führte eine Eisenpeitsche mit sich, bei deren schierem Anblick man schon eine Gänsehaut bekam. Die massiven eisernen Glieder der Peitsche waren mit einem speziellen Gift getränkt, einem Wahrheitsserum, das über die Haut absorbiert wurde. Isabell hatte mal erzählt, dass sie immer begeistert war von der Comicfigur Wonderwoman, die mit ihrem magischen Lasso andere zwingen konnte, die Wahrheit zu sagen. So ein magisches Lasso wollte sie auch besitzen und entwickelte daraufhin ihre Peitsche. Sie hatte etliche Jahre in einem Chemielabor gearbeitet und mit verschiedensten Substanzen experimentiert, bis sie die optimale Formel für die Wahrheitsdroge gefunden hatte. Isabells Expertise als Pharmazeutin war es auch geschuldet, dass wir kleine Ampullen mit Nervengift dabei hatten. Eine einzige Ampulle war imstande, einen ganzen Raum voller Männer in wenigen Sekunden in einen mehrstündigen, traumlosen Schlaf zu versetzen. Daneben hatte sie Rauchbomben hergestellt mit einer höheren Dosis Nervengift, mit denen man die Einwohner eines ganzen Häuserblocks neutralisieren konnte. Wir hatten auch kleine Kapseln mit Gegengift dabei, um uns selbst vor der toxischen Wirkung zu schützen und für den Fall, das wir auf Sklavinnen oder andere unschuldige Menschen trafen, die in Steves Anwesen gefangen gehalten wurden.
Baltic und ein paar seiner Sicherheitsleute kümmerten sich um letzte technische Details. Wir Frauen wurden verkabelt und mit einem Headset versehen, sodass ich problemlos mit allen über eine verschlüsselte Funkverbindung kommunizieren konnte. Baltic verweilte mit vier seiner Männer im Hintergrund, stets bereit einzugreifen, wenn etwas schieflaufen sollte. Auch Say und Nora blieben am Transporter und hielten sich bereit, Verletzte aufzunehmen und eventuelle Schusswunden zu versorgen. Nora war Ärztin und Say hatte in Indien viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet.
Die anderen zehn Frauen hatte ich in fünf Zweierteams eingeteilt. Jedes Team war auf einen der verschiedenen Zufahrtswege und Eingänge angesetzt. Wir wollten von allen Seiten in das Anwesen eindringen, um Anne so schnell wie möglich zu finden und gegebenenfalls noch weitere Sklavinnen zu befreien. Die Frauen hatten Anweisung, leise und schnell vorzugehen, daher waren sämtliche Schusswaffen mit Schalldämpfern versehen. Ich selbst trug keine Pistolen, sondern hatte lediglich meine Lieblingswaffe bei mir: ein Fünferset Say, die in ledernen Holstern auf meinem Rücken und an den Beinen steckten.
Als die Uhren punkt 23:00 Uhr zeigten, lief die Mission wie geplant an. Wir teilten uns auf. Jedes Zweierteam näherte sich der äußeren Umzäunung aus verschiedener Richtung. Auf leisen Sohlen schlichen wir im Schutz der Dunkelheit Meter für Meter vorsichtig voran, stets darauf bedacht die natürliche Umgebung als Deckung zu nutzen, um nicht von Steves Wachposten entdeckt zu werden. Die Mädels waren nicht nervös, auch wenn ihnen eine konzentrierte Anspannung anzumerken war.
Jinjin und ich bildeten ein Team. Wir huschten gebückt voran und näherten uns dem Südtor. Hinter einem Strauch hielten wir an und sahen zwei Wachen, die am Tor scheinbar gelangweilt hin und her patrouillierten. Das größere Problem waren allerdings die zwei Wachposten in den beiden Wachtürmen, die hoch über das Anwesen ragten. Von dort oben konnten sie die Umgebung gut überblicken und sie würden auch uns entdecken, wenn wir aus unserer Deckung heraus weiter voran in Richtung Tor vorrückten.
Über Funk erkundigte ich mich bei den anderen vier Teams, wo sie gerade waren. Nach einigen Minuten meldeten alle vier zurück: „Sind in Position“. Jinjin und ich nickten einander zu. Ich flüsterte in mein Headset: „Baltic, wir sind in Position. Aktiviere die Scharfschützin!“
Es war die große Stunde von Valentina, einer dreißigjährigen Soldatin, die eine Spezialausbildung als Scharfschützin durchlaufen hatte und seit vier Jahren in Baltics Diensten stand. Baltic hatte sie als seine persönliche Leibwächterin engagiert und sie hatte in den vergangen vier Jahren einen verdammt guten Job gemacht. Valentina war vielleicht nicht gerade ein „Mädchen für alles“, so aber doch „mein Mädchen für besondere Aufgaben“, wie Baltic zu sagen pflegte. Man erzählte sich, dass schon Valentinas Großmutter Katharina Scharfschützin gewesen sei, die im „Großen Vaterländischen Krieg“ gekämpft habe.
Valentina lag auf einem Flachdach, rund einen Kilometer entfernt und blickte durch das Zielfernrohr. Der lange schwarze Lauf ihres Spezialgewehrs mit aufgesetztem Schalldämpfer war auf einen der Wachtürme gerichtet. In ihrem Headset erklang Baltics Stimme: „Valentina, die Teams sind in Position und bereit. Knipse die Wachen aus!“
Sie hatte schon anspruchsvollere Aufträge erfüllt. Das hier war eine eher leichte Übung für eine so außerordentlich talentierte Schützin. Ihr Finger zog den Abzug durch. Der Schalldämpfer reduzierte den Knall zu einem kaum vernehmbaren Puffen. Das Projektil surrte durch den Nachthimmel, durchschlug die Plexiglasscheibe der Turmkanzel und danach die Stirn des dort befindlichen Wachmanns. Zwei Sekunden später ein zweiter Schuss und auch der zweite Posten im südlichen Turm war erledigt.
„Wachen neutralisiert“, meldete Valentina in fast sachlichem Tonfall an Baltic zurück. Dieser funkte sofort an alle vier Teams: „Mädels, die Wachtürme sind jetzt außer Betrieb. Ihr könnt los! Und Kätzchen, pass auf dich auf!“
Die Teams kamen lautlos aus ihrer Deckung und griffen die an den Toren patrouillierenden Wachen an. Der lange Riemen einer Lederpeitsche durchzuckte die Luft und wickelte sich mehrfach um den Hals eines Wachmanns. Dann ein kräftiger Ruck, ein erstickter Laut und ein unschönes Geräusch wie das brechender Knochen. Die ahnungslosen Wachposten gingen einer nach dem anderen in sekundenschnelle zu Boden. Jinjin und ich griffen am Südtor an. Die Chinesin zog ihr Katana und streckte einen Wachmann mit einem mächtigen Hieb auf sein Haupt nieder. Zeitgleich sprang ich mit gezogener Sai auf den anderen Posten zu und bohrte ihm die messerscharfe Klinge mit einem kraftvollen Stoß durch die Kehle. Er ging mit einem Gurgeln zu Boden. Wir zogen die Toten sogleich vom Tor weg in ein Gebüsch, sodass man die Leichen nicht aus den oberen Stockwerken sehen konnte.
Wieder flüsterte ich in mein Headset: „Meine Damen, Statusbericht!“ Die Teams vom Ost-, West- und Nordtor funkten zurück: „Wachen ausgeschaltet, Zugänge frei!“
„Na also, Ladies! Gut gemacht! Alles läuft nach Plan. Dann mal hereinspaziert!“
Wir schlichen leise weiter und drangen aus allen vier Himmelsrichtungen in den Gebäudekomplex ein. Im Gebäude selbst gab es scheinbar weniger Wachen, als wir vermutet hatten. Jinjin und ich huschten durch endlose Gänge und Treppenhäuser. Um diese Zeit war nicht mehr viel los. Seit Beginn der Operation waren erst zehn Minuten vergangen. Es war jetzt 23:10 Uhr und die meisten Angestellten und Sklavinnen waren bereits in ihren Schlafgemächern.
Wir versteckten uns in Ecken und Nischen, hinter großen Vitrinen und unter Bürotischen, warteten, bis die Personen vorbei waren und die Luft wieder rein war. Wachpersonal war hier nicht zu sehen und so konnten wir Stück für Stück weiter vorrücken. Wir waren im zweiten Stock angekommen. Laut Lageplan befanden sich hier mehrere Sklavenräume. Wir vermuteten, dass Anne in einem eigenen Raum im dritten Stock festgehalten wird. Steve hatte eines seiner Wohnquartiere im vierten Stock und ich fragte mich, ob Anne ihm wohl als Gespielin herhalten musste.
„Team zwei im zweiten Stock angekommen!”, flüsterte eine Frauenstimme in meinem Kopfhörer. Jinjin und ich huschten weiter die Treppen hoch in Richtung drittes Stockwerk.
„Team drei im zweiten Stock angekommen!”, hörte ich auf dem Headset. Sehr gut! Die Mädels sind alle da bis auf Team vier, das im Erdgeschoss Wache hält und den anderen den Fluchtweg frei hält.
„Team eins rückt vor in den dritten Stock. Zugriff und Befreiung des zweiten Stockes auf meinen Befehl!”, gab ich durch.
Noch im Treppenaufgang kam uns ein Wachmann von oben entgegen. Ich reagierte blitzschnell, packte den bulligen Kerl an seiner Schutzweste und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Der Mann wusste nicht, wie ihm geschah und schrie vor Schmerz auf, als er mit dem Gesicht voran auf den Treppenstufen aufschlug. Ich zog eine Sai aus dem Schenkelholster und zielte auf seinen Stiernacken, doch der Stoß ging ins Leere. Er hatte sich im letzten Moment weggerollt und gleichzeitig versucht, mir die Saiklinge aus der Hand zu schlagen. Ich wich in Sekundenschnelle aus, doch ein weiterer Hieb traf mich an der linken Augenbraue und verpasste mir eine hässliche Platzwunde.
Jinjin schaute mit interessiertem Blick zu, wie ich mit diesem Bullen von Mann kämpfte. Er war stark, doch längst nicht so beweglich und schnell wie ich. Ich schwang meinen langen, schlanken Körper an seinem empor wie an einer Tanzstange, meine Hüfte beschrieb eine halbkreisförmige Aufwärtsbewegung um seinen Oberkörper herum, die Sai-führende rechte Hand stieß kräftig nach vorn und rammte ihm die Klinge von vorn in den Hals. Ein Schwall warmen Blutes spritzte mir ins Gesicht, während sein Körper wie ein schwerer Sack auf mich fiel und meinen schwarzen Kampfanzug über und über mit Blut besudelte. Mit einer Tischdecke wischte ich mir das Gesicht ab, während Jinjin den toten Wachmann inspizierte und sämtliche Schlüssel und Codekarten an sich nahm, die er bei sich trug.
Wir gingen die restlichen Treppenstufen hinauf in den dritten Stock. In der Mitte des Ganges war eine Art Aufenthaltsraum, in der sich mehrere Wachleute aufhielten. Durch die Fensterscheibe konnte ich vier Männer ausmachen, doch ich konnte von hier aus nicht erkennen, wie groß der Raum tatsächlich war und ob sich noch weiteres Wachpersonal dort aufhielt. Hinter einer der vielen Türen entlang des Ganges musste Anne sein, da war ich mir sicher. Und so wie ich Steve kannte, wird er ihr einen persönlichen Aufpasser zugeteilt haben, der sie rund um die Uhr im Auge behielt.
Ich schaute Jinjin an. Wir hatten die Schlüssel und Codekarten, um in die einzelnen Räume zu kommen. Doch wie sollte es nun weitergehen? In meinem Headset ertönten kurz hintereinander die Meldungen von Team zwei und drei: „Zur Erstürmung des zweiten Stocks bereit! Erwarten weitere Befehle!“