Kapitel 23
„Kätzchen, was hat das zu bedeuten?”, fragte Baltic etwas irritiert zurück. Ich hätte es fast überhört, so sehr war ich abgelenkt durch den Schock, den Steves Anblick mir versetzte. Da stand er, wie er leibt und lebt: groß, schlank, Sonnenbrille, Designeranzug, die Hände siegessicher in die Hüften gestemmt, triumphierend, hinter sich eine halbe Hundertschaft seiner Söldner und Wachleute mit ihren Gewehren im Anschlag. Die Mädels bildeten noch immer zwei konzentrische Kreise um mich und Anne herum, ihre Maschinenpistolen ebenfalls im Anschlag und noch immer im Modus der 360°-Verteidigung. Ihre Mienen zeigten nicht den Anflug von Angst oder Unsicherheit, vielmehr spiegelten sich Entschlossenheit und Todesmut in ihren Gesichtern. Nur meine eigene Maske fing an zu bröckeln, als Steve in seiner unnachahmlich arroganten Art zu reden begann: „Guten Abend, Lenora, meine Schöne! Wie schön, dass du mich besuchen kommst. Wusste ich doch, dass du nicht ohne mich leben kannst! Und du hast erfreulicherweise einen ganzen Zug Gefährtinnen im Schlepptau. Hallo, meine Damen! Baltic hat euch mir weggekauft auf dem Sklavenmarkt, doch in Wahrheit gehört ihr mir. Ihr alle, und niemandem sonst!“ Steves Tonlage, die ich von früher nur zur Genüge kannte, verhieß nichts Gutes. Mit seiner tiefen, sanft wirkenden Stimme konnte er wahrlich Süßholz raspeln, obwohl es um Leben und Tod ging. Wir saßen in der Falle. Ich sah nicht die geringste Chance, irgendetwas gegen Steve und all die bewaffneten Männer hinter ihm auszurichten. Zumal ich noch Anne auf dem Rücken trug, die mir mittlerweile so schwer geworden war, dass ich das Gefühl hatte unter der Last zusammenzubrechen. Ich trat einen Schritt zur Seite und flüsterte eines der Mädels an: „Lisa, bitte übernimm Anne für mich. Schütze sie mit deinem Leben, egal was passiert. Du musst sie zu Nora bringen. Lauf los, wenn ich dir ein Zeichen gebe! Wir geben dir Deckung bis zum Haupteingang. Team vier geht draußen in Stellung und wird euch in Empfang nehmen. Hast du mich verstanden?“ Lisa nickte kurz. Ohne auch nur zu fragen, begann sie mit flinken Fingern die Stoffstreifen zu lösen, mit denen Anne auf meinem Rücken gesichert war und band sie los. Isabell packte mit an und half, Anne auf Lisas Rücken zu sichern. Nachdem Anne sicher übergeben war, nahm ich demonstrativ eine Angriffsstellung ein, zog meine beiden Say aus den Schutzhüllen und richtete sie mit eisiger Miene gegen Steve. Mir war bewusst, dass Steve seinen Männern nur den Feuerbefehl geben musste, und das Spiel wäre aus, für uns alle. Doch so wie ich Steve kannte, würde er noch etwas mit mir und den Mädels spielen wollen. So wie er mit Anne gespielt und sie tagelang hatte leiden lassen. Ich bewegte mich vorsichtig zur Seite, einen Schritt nach dem anderen, in Richtung Haupteingang, die beiden Say permanent auf Steve gerichtet, der einfach nur dastand und breit grinste, so als ob er die Vorstellung genoss, die ich ihm mit meinem theatralischen Gehabe zu bieten schien. Noch ein paar Schritte weiter in Richtung Ausgang. Es mochten jetzt nicht einmal mehr zehn Meter sein. „Lenora, lass die Theatervorstellung! Oder willst du ernsthaft herausfinden, ob du mit deinen Say auch Gewehrkugeln abfangen kannst? Legt eure Waffen nieder, Ladies! Ihr habt gut gekämpft, doch jetzt ist es an der Zeit, euch eurem Schicksal zu ergeben...“ Plötzlich bewegte sich die große Karusselltür am Haupteingang. Noch mitten im Wort drehte Steve den Kopf nach links und mit ihm seine fünfzig Männer, als gehorchten sie einem militärischen Kommando. Aus der Karusselltür hervor kam Baltic und lief ruhigen Schritts durch das Foyer, bis er Steve direkt gegenüberstand. Die Gewehrläufe der Wachen folgten ihm. „Jetzt mal ganz ruhig, Partner!“, sagte Baltic mit betont gelassener Stimme. „Die hübschen Damen hier sind alle mein Eigentum. Ich habe sie alle rechtmäßig auf dem Sklavenmarkt erworben und ein kleines Vermögen für jede einzelne bezahlt. Wir können gerne über diese oder jene ins Geschäft kommen. Aber nicht heute! Ich schlage vor, du lässt Lenora und die Mädels jetzt gehen. Für Anne zahle ich den doppelten Marktpreis.“ Baltic zog ein dickes Geldbündel aus seinem Jackett und wedelte damit vor Steves Nase. „Ach Baltic. Du unverbesserlicher Romantiker!“, sagte Steve mit verächtlichem Unterton. „Hast du wirklich geglaubt, dass ich euch ziehen lasse, nur weil du hier wie Graf Großkotz hereinspazierst und mit einem Geldbündel wedelst?“ „Nein, Steve. Mir war klar, dass du dich davon nicht wirst beeindrucken lassen. Aber vielleicht beeindrucken dich ja die beiden roten Punkte auf deiner Brust und Stirn?“ Steve sah an sich herunter und bemerkte den roten Punkt eines Laservisiers am Oberkörper, direkt über der Herzgegend. Team vier hatte das Gebäude umstellt und kontrollierte den gesamten Eingangsbereich. Katharina, die Scharfschützin, lag auf dem Flachdach eines Gebäudes direkt gegenüber und hatte Steve im Visier. Rundum verteilt lagen weitere Scharfschützinnen, die ihre Zielfernrohe sorgfältig ausgerichtet hatten. Es bedurfte nur eines einzigen Codewortes aus Baltics Mund und die Schützinnen würden ohne Zögern das Feuer eröffnen. Steve brauchte einen Moment, um sich von der unerwarteten Wendung der Ereignisse zu erholen. Er schluckte, holte tief Luft, und sagte: „Ok, Partner. Wir scheinen einen Deal zu haben.“ Steve griff beherzt nach dem Geldbündel, das Baltic ihm hinstreckte. Dann gab er seinen Männern ein Handzeichen, ihre Waffen zu senken. Die Kerle taten gut daran, denn etliche von ihnen waren inzwischen ebenfalls mit roten Lasermarkierungen an Kopf und Oberkörper versehen. Ohne sich von Steve abzuwenden, gab Baltic hinter seinem Rücken ein Zeichen an mich und die Mädels, schnellstmöglich das Feld zu räumen, bevor es sich jemand anders überlegte. Wir legten die letzten paar Meter unter den wachsamen Augen der Wachmänner bis zur Drehtür zurück und verschwanden eine nach der anderen aus dem Blickfeld. Baltic wollte schon mit nach draußen gehen doch drehte sich noch einmal um und Schlug Steve ins Gesicht so das es ein lautes Knacken zu hören war, die Nase war gebrochen. Mit dem zweiten Faust hieb schlug er ihn Bewusstlos, und nahm sich sein Geld wieder. “Du Drecksack bist es nicht wert mein Geld zu haben!” gab er von sich und folgte uns aus der Tür. Draußen kam uns schon Nora entgegen und wandte ihre Aufmerksamkeit sofort der noch immer bewusstlosen Anne zu. Lisa band sie sogleich von sich los und lud sie von ihrem Rücken herunter. „Schnell!“, sagte die Ärztin zum Assistenzteam. „Wir müssen ihr eine Infusion anlegen!“ Sobald Anne versorgt war, kümmerte sich Nora um die verletzten Frauen, desinfizierte Schusswunden, legte Druckverbände an und verteilte schmerzstillende Medikamente. Schließlich saßen wir alle in den Transportern auf dem Weg nach Hause. Ich blieb die ganze Zeit über dicht bei Anne, die jetzt auf meinem Schoß lag und einen friedlich-entspannten Gesichtsausdruck hatte. Ich war dermaßen erschöpft, dass mir noch während der Fahrt die Augen zufielen. Baltic kam hinzu und legte den Arm um mich. Das Letzte, was ich hörte, bevor die Erschöpfung mich vollends übermannte, waren Baltics sanfte Worte: „Sie ist nun in Sicherheit, Kätzchen. Du hast sie gerettet!“