Angus erwachte von leisem Pferdegetrappel, das sich seiner Hütte näherte. Dann hörte er erst einmal nichts mehr. Gleich darauf waren jedoch leise Stimmen zu vernehmen. Er stand auf, um nachzusehen, wer da mitten in der Nacht etwas von ihm wollte. Als Angus durch die Ritzen des Fensterladens spähte, sah er, wie sich seine Tochter eben von einem jungen Mann verabschiedete und sich dann gebückt der Hütte näherte.
Das gibt es doch nicht, war Angus nahe daran laut loszupoltern. Doch dann besann er sich. Lieber wollte er seine Tochter auf frischer Tat dabei ertappen, wenn sie in ihr Zimmer zurückschlüpfte. So schlich er sich schnell vor ihre Tür und wartete.
Da war sie auch schon. Ganz langsam öffnete Gordana die in der Stille der Nacht überlaut knarrenden Fensterläden. Nicht weiter, als unbedingt nötig! Nur einen spaltbreit mussten die Klappen auseinander, gerade so viel, dass die junge Frau dazwischen hindurch schlüpfen konnte. Sie wähnte sich sicher, dass ihr Vater nichts von ihrem kleinen Ausflug mit Aidan bemerkt hatte.
„Ach, da ist sie ja, die heimliche Ausflüglerin“, dröhnte plötzlich die Stimme ihres Vaters von der Tür her, als sich Gordana eben in ihr Bett zur Nacht hinlegen wollte. Erschrocken fuhr sie hoch. Ihr Vater stand nun direkt vor ihr und hob schon seine Hand zum Schlag. Gordana versuchte noch, auszuweichen, aber da traf sie bereits der erste Hieb mitten ins Gesicht. Die junge Frau kippte nach hinten und versuchte verzweifelt, die weiteren Schläge, die sie nun trafen, abzuwehren. Ihr Vater allerdings war nicht zu bremsen. Wie von Sinnen prügelte er immer weiter auf seine Tochter ein. Dabei brüllte er sie an.
„Hure, Schlampe“, schrie er außer sich. „Treibt sich mitten in der Nacht mit irgendwelchen Männern rum. Wer weiß, was ihr noch weiter getan habt. Schäm dich. Und so etwas ist meine Tochter.“
„Vater, bitte“, flehte Gordana.
„Halt dein unverschämtes Maul, meine Tochter ist eine Hure“, schrie er weiter. „Du bringst Schande über unseren Namen!“
„Vater, das war nicht irgendein Mann, ich war mit Aidan McLeod unterwegs“, gab Gordana weinend zu, mit wem sie unterwegs gewesen war.
„Ach, ausgerechnet mit diesem Aidan, diesem Haderlump! Du weißt, du bist schon längst versprochen. Matthew MacDonald wartet nur noch darauf, dass ich den Hochzeitstermin bekannt gebe“, meinte Angus mit einem grimmigen Grinsen im Gesicht. Er wusste, wie sehr sich seine Tochter gegen diese Ehe sträubte und lieber mit Aidan gehen wollte als mit Matthew, der viel angesehener war und ihr eine sichere Zukunft geben konnte.
„Ich will Matthew aber nicht heiraten. Er ist ein ungehobelter Klotz, dümmer als ein Esel und ich liebe ihn auch nicht. Aidan, ja, den liebe ich, aber nicht Matthew!“, erwiderte Gordana trotzig. Ihr Gesicht glühte von den Schlägen ihres Vaters. Doch die Schmerzen, die sie verspürte, berührten Gordana nicht körperlich. Ihr Vater hatte sie bisher noch nie geschlagen, doch jetzt hatte sie sich ihm zum ersten Mal widersetzt.
„Du kannst dich sträuben, wie du willst, du wirst die Frau von Matthew. Es ist bereits alles abgesprochen“, antwortete Angus. „Ich dulde keinen Widerspruch! Bis es soweit ist, wirst du das Haus nicht mehr verlassen!“
„Vater, bitte“, versuchte Gordana einzulenken.
„Nichts Vater, das ist mein letztes Wort“, ließ Angus nur noch vernehmen, ehe er das Zimmer seiner Tochter verließ und dabei die Tür laut hinter sich zuschlug. Gordana hörte noch, wie von außen der Riegel vorgeschoben wurde. Wenig später hörte sie, wie ihr Vater das Haus verließ und die Klappen vor Gordanas Fenster auch noch verriegelte, damit sie nicht erneut entwischen konnte.
„Oh mein Gott“, stöhnte Gordana auf, als sie endlich wieder bei Sinnen war. So war ihr Vater noch nie ausgerastet. Er hatte sie zwar schon öfters angeschrien, wenn ihm mal wieder etwas nicht passte. Aber als Hure und Schlampe hatte er sie noch nie beschimpft. Dass sie nun nicht mal mehr den Hof verlassen durfte, bis sie Matthews Frau sein würde, war für sie die größte Katastrophe. Krampfhaft überlegte sie, wie sie Aidan eine Nachricht zukommen lassen könnte. Doch für diese Nacht waren ihre Gedanken zu wirr, um sie ordnen zu können. So legte sie sich erst einmal nieder, um zur Ruhe zu kommen.
Am nächsten Morgen erwachte Gordana später als gewohnt. Sie hörte ihren Vater in seinem Zimmer rumoren.
„Gordana, aufwachen“, rief er auf einmal und entriegelte die Tür. „Ich will mein Frühstück, die Kühe müssen auch noch gemolken werden. Danach muss ich dir etwas verkünden.“
„Ich komme sofort, Vater“, antwortete die junge Frau und stand auf. Schnell richtete sie ihr Haar ein wenig, um dann in die Küche zu gehen. Beim Eintreten wurde ihr ein wenig schwindlig, die neuerdings alltägliche Morgenübelkeit kam erneut auf. Schnell hielt sie sich am Tisch fest, um nicht umzufallen.
„Was ist mit dir?“, fragte Angus barsch, als er sah, wie Gordana strauchelte.
„Nichts, Vater. Das vergeht gleich wieder“, versuchte sie ihn abzulenken.
„Hoffentlich, die Arbeiten müssen erledigt werden, du darfst nicht ausfallen“, murrte ihr Vater grob. Wie es seiner Tochter ging, interessierte ihn nicht, Hauptsache, sie funktionierte.
„Wo bleibt mein Frühstück?“, fuhr er sie gleich darauf an.
„Sofort Vater“, erwiderte Gordana und richtete ihm das Essen. Sie selbst wollte nichts. Lieber wollte sie ihm so schnell wie möglich aus dem Weg gehen. „Ich gehe gleich zu den Kühen“, sagte sie, als ihr Vater am Tisch saß und genüsslich ins Brot biss.
„Trau dich nur nicht, wegzulaufen! Matthew wird nachher mit seinem Vater hier eintreffen“, rief Angus ihr hinterher, als sie die Küche verließ.
Diese Worte trafen Gordana weit schmerzhafter, als die Prügel, die sie am gestrigen Abend von ihrem Vater hinnehmen musste. Auch das noch, dachte sie. Wie kann ich nur Aidan eine Nachricht zukommen lassen? Hektisch schaute sie sich um und überlegte.
Genau in diesem Moment entdeckte sie Ian, Aidans Vater, der auf dem Arbeitsweg zu seiner Schmiede war. Schnell eilte Gordana zum Zaun. Laut zu rufen, wagte sie sich nicht.
„Mr. McLeod“, rief sie ihm zu, als sie nah genug war.
„Gordana“, freute sich der alte Mann, als er die geliebte Freundin seines Sohnes sah. „Du siehst heute schlecht aus. Geht es dir nicht gut?“, fragte er.
„Mr. McLeod, Matthew MacDonald und sein Vater werden uns gleich aufsuchen. Heute will mein Vater meinen Heiratstermin mit Matthew aushandeln. Bitte, gebt Aidan darüber Nachricht. Wir müssen uns schnell etwas einfallen lassen. Mein Vater sperrt mich ein, lässt mich bis zur Hochzeit nicht mehr aus dem Haus. Ich weiß mir keinen Rat mehr“, erklärte sie mit wenigen Worten ihre Misere.
„Immer ruhig, Mädchen“, erwiderte Ian McLeod. „Wir werden eine Lösung finden.“
Gordana war den Tränen nahe.
„Keine Angst, es wird alles gut“, sagte Aidans Vater noch einmal. „Aidan und ich werden dich hier rausholen, und wenn es das Letzte ist, was wir tun.“
„Danke, Mr. McLeod“, weinte Gordana.
„Nicht weinen, geh lieber, ehe dein Vater etwas bemerkt“, schickte Ian das Mädchen nun wieder weg, um selber auf dem schnellsten Weg zurück nach Hause zu gehen.
Gordana huschte schnell zu den Kühen zurück, die immer noch darauf warteten, endlich gemolken zu werden. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Herde, als ihr Vater aus dem Haus heraustrat.
„Melke die Kühe fertig, dann richte den Tisch für Matthew und seinen Vater“, befahl er ihr.
„Ja, Vater“, sagte Gordana darauf nur und senkte demütig ihren Kopf. Sie wollte ihren Vater nicht schon wieder erzürnen, sie erinnerte sich nur zu gut an den gestrigen Abend. Beim geringsten Widerwort würde er sie deshalb ohne Hemmungen nochmals züchtigen, so wie er es letzte Nacht getan hatte. Allerdings in ihre Gedanken konnte er nicht sehen. Ein Glück für Gordana.
Kurz nachdem sie den Tisch für die Gäste vorbereitet hatte, hörte Gordana auf dem Hof Hufgetrappel mehrerer Pferde. Sie schaute hinaus, Matthew und sein Vater kamen eben an. Sie stiegen ab und banden ihre Reittiere am Stall an.
„Ah, Gordana“, rief ihr Matthew zu, als er seiner versprochenen Braut ansichtig wurde. „Wo ist dein Vater, wir müssen ihn sprechen.“
„Sofort, ich hole ihn“, antwortete die junge Frau und lief ums Haus, wo ihr Vater auf einem Beet arbeitete.
„Vater, die Gäste sind da“, meldete sie die Ankunft der Brautwerber.
Angus McGregor wischte sich seine schmutzigen Hände an der Hose ab und ging zu den Ankömmlingen.
„Ich habe euch schon erwartet“, grüßte er höflich, wie es sich gehörte. Für die Beiden war er der Bittsteller, wenn auch die Mitgift, die er bot, für den Bräutigam mehr war, als er je in seinem Leben erwarten konnte. Clanoberhaupt zu werden als Mitgift, war etwas, das nicht jeder Brautvater bieten konnte. Doch Angus hatte keinen männlichen Erben. So blieb ihm nichts weiter übrig, als seinen Titel an seinen Schwiegersohn zu vererben.
„Kommt herein“, bat Angus die Gäste ins Haus und an den von Gordana großzügig mit Tellern und Krügen bereitgestellten Tisch. Es gab knuspriges, frisches Brot, Stücke vom besten Schinken lagen daneben, auch kühles, selbstgebrautes Bier zum Erfrischen war da.
Die Männer setzten sich. Vorerst sagte niemand ein Wort. Gordana, um die es eigentlich ging, wurde hinausgeschickt. Im Hof musste sie sich weiterhin um die Kühe kümmern.
„Nun“, begann Angus. „Was führt euch zu mir.“ Zu Matthew gewandt, sagte er noch: „Wie ich hörte, möchtest du um die Hand meiner Tochter bitten?“
„Ja, Mr. McGregor, das möchte ich“, bekannte Matthew, errötend wie ein kleiner Junge, der bei einem Spaß ertappt wurde.
„Kyle, was sagst du dazu?“, wandte sich Angus fragend an Matthews Vater, der bisher still neben seinem Sohn gesessen hatte.
„Ich stehe der Verbindung nicht im Wege, wenn du nichts dagegen hast“, erwiderte Kyle MacDonalds.
„Was bietet ihr für meine Tochter?“, begann nun Angus zu handeln, als wäre seine Tochter eine Kuh, die verkauft werden sollte. „Was ich biete, das wisst ihr bereits. Matthew wird meinen Titel als Chief des Clans erben, wenn ich das Zeitliche segne.“
„Wir hätten noch drei Pferde, zwei Zugochsen, acht Kühe im besten Alter, die sehr gute Milch geben und zwanzig Schafe“, zählte Kyle seinen Gegenwert auf. Die Männer handelten wie auf einem orientalischen Basar.
„Nun, es ist nicht viel, aber besser als gar nichts. Ich weiß, ihr habt nicht sehr viel. Ich denke aber, Matthew ist eine gute Partie für meine Gordana, die natürlich gesund und munter ist, wie ein Fisch im Wasser.“
Während die Männer im Haus über Gordanas Schicksal verhandelten, hielt diese es nicht mehr aus. Sie musste sich anschleichen und horchen. Gerade noch hörte sie, wie ihr Vater sie anpries und verschachern wollte, wie ein Stück Vieh. Als sie erfuhr, dass er dem ohnehin nicht mit Reichtum gesegneten Kyle MacDonald noch einen Großteil seiner Herde für seine Zustimmung zur Heirat abverlangte, fuhr sie entsetzt zusammen.
„Wann gedenkt ihr, die Hochzeit stattfinden zu lassen?“, hörte sie Matthew ihren Vater fragen.
„So schnell wie möglich, Gordana ist kaum mehr zu bändigen“, meinte ihr Vater darauf. „Am besten zum Ende dieses Monats, am Vollmondtag. Bis dahin können wir noch einiges vorbereiten.“
„Damit sind wir einverstanden“, bestimmte Kyle McDonald einfach über den Kopf seines Sohnes hinweg. „Matthew, richte dich ein, dass du da nicht gerade auf der Jagd bist.“
„Ja, Vater“, leierte der völlig verschüchterte junge Mann seinen Spruch herunter.
„Psst, psst“, hörte Gordana plötzlich hinter sich. Sie drehte sich um und sah Aidan am Zaun stehen und ihr zuwinken. Erfreut eilte sie schnellstmöglich zu ihm hin.
„Gut, dass du da bist“, freute sich Gordana. „Mein Vater hat eben bestimmt, wann die Hochzeit mit Matthew stattfinden soll. Am Vollmondtag soll es bereits soweit sein“, berichtete sie mit kurzen Worten.
„Warte heute Abend auf mein Zeichen“, sagte Aidan nur. „Vertrau mir, wir finden einen Weg.“ Schnell küsste er seine geliebte Freundin und verschwand wieder zwischen den Büschen.
Gordana konnte gerade noch so tun, als würde sie im Beet Unkraut jäten, als ihr Vater aus der Hütte trat und nach ihr rief.
„Ich komme, Vater“, rief Gordana aufgeregt und eilte zu ihrem Vater.
„Komm rein, wir haben dir etwas zu sagen. Und keinen Widerspruch, damit dein zukünftiger Gatte keinen schlechten Eindruck von dir bekommt“, befahl Angus ihr nur, ehe er vor ihr zurück in die Hütte ging. Gordana folgte ihm ohne ein Wort, doch mit einem Fünkchen Hoffnung im Herzen.