Es war fast Mitternacht in Willshire. Das Dorf lag in völliger Finsternis. Vor den Mond, der fast voll war, hatten sich düstere Wolken gezogen und verhinderten, dass er sein Licht zu den Menschen ins Dorf brachte. Nur aus wenigen Hütten flackerte ein fahler Lichtschein, die meisten lagen schon in völliger Dunkelheit. Die Menschen gingen zeitig zu Bett. Nicht nur, weil sie am frühen Morgen schon zu neuem Tagwerk aufbrechen mussten, sondern auch um Kerzen zu sparen, die sie im langen schottischen Winter mehr brauchten als jetzt mitten im Sommer.
Die Dunkelheit, die das Dorf einhüllte, hatte sich auch in Matthews Herz geschlichen. Sehnsüchtig dachte er an Gordana, die ihm sein Herz gestohlen hatte und nun einfach verschwunden war, zwei Tage vor der geplanten Hochzeit. So machte er sich auf den Weg zum Haus der MacLeods, um vielleicht zu erfahren, was mit Gordana geschehen war. Für ihn war Aidan der Schuldige, er hatte ihm die Frau weggenommen, die er begehrte. Vorsichtig schlich sich Matthew in die Nähe der Hütte der MacLeods. Alles war still, kein Laut war zu hören. Doch aus den Ritzen der Fensterläden drang ein schwacher Lichtschein heraus.
Das gibt es doch nicht, die MacLeods sind nicht alleine, dachte er sich, als er näher kam. Vor der Hütte war ein fremdes Pferd angebunden. Sie schienen wirklich Besuch zu haben. Das Pferd schnaubte ihm entgegen. Der leise schleichende Mann schien ihm nicht geheuer zu sein. So huschte Matthew schnell weiter, ehe das Pferd seine Anwesenheit verraten konnte und der Hausherr nachschauen würde, wer sich da herumtreibt.
Matthew schlich sich um die Hütte herum, er wollte unbedingt wissen, wer da zu Besuch war. Um diese nächtliche Zeit war es äußerst seltsam, dass die beiden alten Leute noch nicht zu Bett gegangen waren und auch noch einen Gast im Haus hatten.
Einer der Fensterladen am Giebel war nur leicht angelehnt. Vorsichtig versuchte er, den weiter zu öffnen, um vielleicht einen Blick in die Hütte werfen zu können. Er hörte leises Gemurmel, konnte allerdings nicht genau verstehen, was gesprochen wurde. So versuchte er, die Lade noch weiter zu öffnen, um besser lauschen zu können. Plötzlich quietschte sie in den Angeln. Erschrocken hielt Matthew inne. Von drinnen hörte er, wie ein Stuhl gerückt wurde und sich Schritte dem Fenster näherten. Schnell duckte sich Matthew, um mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Gerade noch rechtzeitig konnte er in Deckung gehen, als die Lade ganz geöffnet wurde und Ians Kopf auf Armeslänge über ihm in die Finsternis starrte.
„Ich frag mich, wer das wieder war. Hoffentlich sind das keine Diebe, die auf Beutefang sind“, hörte Matthew den alten Mann grummeln. „Immer mehr von diesem Gesindel treibt sich herum, um nachts auf Raubzug durch die Dörfer zu ziehen.“
Danach wurde die Lade wieder verschlossen und von innen verriegelt. So sehr sich Matthew auch bemühte, er konnte nicht verstehen, was drinnen gesprochen wurde. Unverrichteter Dinge musste er wieder gehen. Auf die Idee, zu warten, bis der Besuch das Haus verließ, kam er nicht.
***
Inzwischen saßen im Haus der MacLeods Aidans Eltern und der nächtliche Besucher am Tisch und berieten, wie es weitergehen sollte.
„Ich glaube, Angus wird nicht Ruhe geben, bis er Gordana gefunden und mit Matthew verheiratet hat“, warf Ian ein und sah Ronald Clynsbury, den nächtlichen Besucher an.
„Dann sollten wir ihm zuvorkommen“, erwiderte Ronald. „Wofür bin ich Geistlicher? Ich kann die beiden schnell trauen. Wenn sie einmal verheiratet sind, kann Angus gar nichts mehr machen. Höchstens er …, aber an diese Möglichkeit mag ich gar nicht denken, geschweige denn sie aussprechen.“
„Das würdest du für uns tun …?“, fragte Ian erstaunt den Geistlichen, ergriff dabei die Hand seiner Frau und drückte sie.
„Natürlich, gerne. Wenn es darum geht, Angus zuvorzukommen und ihm eins auszuwischen, immer. Dafür, dass er seine Frau ständig gequält und misshandelt hat, geschieht es ihm recht, dass sich sein eigenes Kind von ihm abwendet. Wenn Aidan mit Gordana glücklich werden möchte, stehe ich einem Bund der Ehe nicht entgegen.“
„Wir sollten das den beiden mitteilen“, warf Mairi ein. „Nur, wie sollen wir sie erreichen, wenn wir nicht wissen, wo sie sich aufhalten?“ Traurig schaute Mairi ihren Mann an. Die Sehnsucht nach ihrem Sohn fraß sie beinahe auf. Ronald währenddessen lächelte schelmisch vor sich hin, sagte aber noch nichts.
„Was grinst du da so?“, herrschte ihn Mairi an, als sie Ronalds für sie völlig unverständliche Reaktion bemerkte.
„Ich möchte nicht zu viel verraten“, sagte Ronald nur leicht lächelnd.
„Sag ja nicht, du …“, Mairi sprang aufgeregt auf und lief um den Tisch herum, um den Geistlichen am Kragen zu packen und zu schütteln.
„Lass mich los, holde Mairi“, lachte Ronald auf. „Aidans und Gordanas Hochzeit ist schon längst beschlossene Sache. Macht euch keine Sorgen, die beiden sind in Sicherheit. Ich weiß, wo sie sich aufhalten. Es ist schon alles vorbereitet, morgen werde ich sie aufsuchen und die von Angus angesetzte, aber von ihm ganz anders geplante Trauung vornehmen. Mehr darf ich leider nicht sagen, zu eurer Sicherheit.“
So sehr sich Mairi auch bemühte, sie bekam nichts weiter aus Ronald heraus. Er beharrte weiterhin darauf, ihnen nichts zu verraten, um sie zu schützen. Wenig später verabschiedete er sich von den MacLeods.
Froh gelaunt machte sich Ronald auf den Weg. Er ritt jedoch nicht nach Hause, sein Weg führte ihn tief in den nächtlichen Wald hinein. Er hatte am Nachmittag einige Stunden geruht. Er war sich wohl bewusst, dass die Zeit drängte. Die Gefahr würde vorerst gebannt sein, wenn er morgen seinen Segen über das glückliche Paar gesprochen hatte. Vorher würde er keine Ruhe finden können.
***
„Ronald ist schon ein Schelm“, sagte Mairi zu ihrem Mann, als sie nebeneinander auf dem Strohsack lagen, der ihnen als Schlafstatt diente. „Ob er auch weiß, dass Gordana bereits guter Hoffnung ist?“
„Er ist ein schlauer Mann“, meinte Ian lächelnd und drehte sich zu seiner Frau. „Bestimmt weiß er mehr als wir. Es wird alles gut werden mit den Kindern“, versuchte Ian Mairi auf andere Gedanken zu bringen. Doch Mairi konnte nicht anders, sie musste an ihren Sohn denken, der sich in der Ferne vor seinem wütenden, aber nichts ahnenden Schwiegervater verstecken musste.
***
Matthew, der inzwischen zu Hause in seinem Bett lag, ging der geheimnisvolle Besucher der MacLeods nicht aus dem Kopf. Nachdenklich hatte er sich zur Nachtruhe begeben, ohne nochmals mit seinem Vater zu sprechen.
Wie nahe er der Lösung des Rätsels war, ahnte er jedoch nicht. Wenn er nun Ronald erkannt hätte, den Geistlichen, der ihn morgen trauen sollte? Bestimmt wäre sogar ihm ein Licht aufgegangen und er hätte seinen Vater aufgeweckt. Dieser wäre sofort zu Angus geeilt, damit hätten die MacLeods einen sehr unliebsamen Besuch erhalten.
Alles hatte an einem seidenen Faden gehangen. So aber ahnte er nicht, dass er Gordana nie zur Frau haben sollte, sondern ein anderer sie glücklich machen würde. Trotzdem schlief er unruhig und wurde am Morgen von seiner Mutter geweckt. Mürrisch fuhr er sie an, seine Laune war nicht die Beste. Heute wäre sein Hochzeitstag gewesen. Doch diesen musste er nun auf unbestimmte Zeit verschieben, bis die von Angus angeheuerten Späher Gordana gefunden haben würden.