Während Gordana und Aidan sich verliebt in die Augen sahen und zum ersten Mal in einem richtigen Bett der Liebeslust frönten, war im Dorf Willshire die Hölle los.
Gordanas Vater rief am Morgen nach seiner Tochter. Jedoch erhielt er keine Antwort. Er polterte gegen die Tür ihres Zimmers, drohte sogar mit Prügel. Da er immer noch keine Antwort bekam, trat er ein. Doch der Raum war leer und das Mädchen verschwunden.
Hm, dachte er sich, vielleicht ist sie schon draußen und versorgt die Kühe. Doch das Vieh stand ungemolken in seinem Pferch, muhend und wiederkäuend schauten sie Angus entgegen.
Angus rief wieder nach seiner Tochter, doch sie meldete sich nicht. Auch seine Suche in der Umgebung fruchtete nicht. Als er die Hütte umrundete, bemerkte er, dass Gordanas Fensterläden lediglich angelehnt waren. Die Lade ließ sich einfach öffnen.
Von draußen schaute er in den Raum. Dabei bemerkte er, dass einige von Gordanas Kleidern fehlten. Da ging ihm endlich ein Licht auf. Gordana war weg! Lauthals fluchte er über seine Dummheit, die Nägel entfernt zu haben. Und dass er auf den Schmus seiner verdammten Göre hereingefallen war.
Angus überlegte angestrengt, was am gestrigen Abend gewesen ist, bevor er zu Bett ging. Er erinnerte sich daran, dass Matthew kurz hier war und ihn bat, mit Gordana einen Spaziergang machen zu dürfen. Allerdings hatte Matthew Wort gehalten und seine Tochter wieder zurückgebracht. Danach war er ebenfalls nach Hause gegangen. Aber vielleicht, wer weiß, was sie da abgesprochen hatten …? Aber warum ist sie die ganze Nacht weggeblieben?, fragte sich Angus.
So beschloss er, die MacDonalds aufzusuchen und nach Gordana zu fragen.
„Gordana war nicht hier“, bekam er von Kyle MacDonald gesagt, der eben mit seinem Sohn und seiner Frau am Frühstückstisch saß.
„Ihr wart doch gestern Abend noch auf einem Spaziergang“, sagte Angus zu Matthew, „ist dir da etwas aufgefallen?“
Matthew überlegte.
„Nein“, antwortete er dann. „Gordana war wie immer. Sie war sogar recht zugänglich und höflich zu mir. Sie sagte mir, sie würde sich schon auf unsere Hochzeit freuen. Dass ich sie wieder zurück nach Hause begleitet habe, das habt ihr ja gesehen.“
„Ja, das weiß ich. Gordana war recht aufgekratzt gestern Abend. Irgendwas muss doch passiert sein, als ihr unterwegs wart!“, sinnierte Angus aufgeregt weiter. „Du wirst sie doch wohl nicht etwa angerührt haben!“, schrie er unkontrolliert den jungen Mann an.
„Aber nein, natürlich nicht. Noch ist sie nicht meine Frau. Da steht es mir noch nicht zu, sie zu berühren“, verteidigte sich Matthew, dabei knallrot werdend. An so etwas hatte er nie gedacht, Gordana zu … nein, völlig undenkbar.“
„Ich verstehe es einfach nicht.“ Angus lief wie ein eingesperrtes Tier im Zimmer auf und ab. Dabei kratzte er sich am Kinn und runzelte die Stirn. Plötzlich blieb er stehen. Eine Idee schoss in seinen Kopf.
„Vielleicht ist sie zu den McLeods gegangen. Mit denen war sie ja immer recht dick beisammen“, sinnierte Angus weiter.
„Denkst du?“, fragte Kyle.
„Letztens war Aidan noch bei mir und hat um Gordanas Hand angehalten“, erzählte Angus, „und das, nachdem ihr schon um sie gefreit hattet und ich meine Zustimmung gegeben hatte. Mir kam das damals schon so eigenartig vor, als Gordana sich so plötzlich gegen ihn stellte.“
„Wie hat sie denn auf Aidans Antrag reagiert?“, wollte nun Matthew wissen.
Nun begann Angus zu erzählen, was an diesem Vormittag geschehen war. Interessiert hörten Kyle und Matthew zu.
„Irgendwie habe ich auf einmal das Gefühl, dass hier etwas mächtig faul ist“, sagte Kyle nach einiger Überlegung zu Angus. „Aidan hat nie so einfach aufgegeben und nun auf einmal doch. Das verstehe ich nicht.“
„Wie?“, fragte Angus überrascht. „Denkst du, er hat Gordana entführt?“
„Das könnte doch möglich sein, oder auch nicht. Erinnere dich, die beiden waren immer ein Herz und eine Seele. Plötzlich angeblich nicht mehr. Da steckt was dahinter“, entgegnete Kyle. Er blickte zu seinem Sohn, der dem Vater aufmerksam zugehört hatte.
„Ich habe Gordana öfter zu den MacLeods gehen sehen“, sagte Kyles Frau Raelyn auf einmal. „Was wollte sie dort, wenn sie nichts mehr mit Aidan zu tun haben wollte?“
„Du hast recht. Mir fällt ein, dass Gordana öfter erst spät aus dem Wald zurückkam und auf meine Fragen nur trotzig reagierte“, antwortete Angus. „Du sagst, du hättest sie bei den MacLeods gesehen.“
Raelyn nickte aufgeregt mit dem Kopf.
„Wir sollten mal die MacLeods besuchen“, meinte Angus daraufhin. „Die müssen bestimmt etwas wissen.“
Kyle und Matthew standen auf. Sie wollten Angus begleiten.
„Du bleibst hier“, befahl Kyle seiner Frau, die ihnen folgen wollte.
Schweigend liefen die drei Männer durch das Dorf zur Hütte der MacLeods. Ian, der eben zur Schmiede gehen wollte, sah ihnen erstaunt entgegen.
Als die Drei auf ihn zukamen, fragte er nach deren Begehr.
„Gordana, wo ist sie?“, fuhr Angus den Nachbarn an.
„Gordana? Woher soll ich das wissen? Ist sie meine oder deine Tochter? Das müsstest du doch selber am besten wissen“, entgegnete Ian MacLeod. „Wieso fragst du eigentlich?“
„Weil sie weg ist“, schnaufte Angus erregt.
„Wie weg? Sie kann doch nicht einfach so weg sein“, erwiderte Ian.
„Ja, weg. Genauso wie dein Sohn Aidan vor einiger Zeit plötzlich verschwunden ist, ist Gordana nun auch weg“, regte sich Angus weiter auf. „Dabei soll morgen die Hochzeit mit Matthew sein“, er drehte sich um und zeigte auf seinen zukünftigen Schwiegersohn.
„Ich habe Aidan schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Seit er fortgezogen ist, habe ich auch nichts wieder von ihm gehört“, sagte Ian wahrheitsgemäß. Er wusste, sein Sohn war vor ein paar Monaten einfach fortgegangen, ohne ihm zu sagen, wohin. Warum er das tat, sagte er nicht. Ian überlegte.
„Aidan war vor zwei Wochen hier im Dorf und hat Gordana einen Heiratsantrag gemacht. Du willst mir doch nicht weismachen, du wüsstest das nicht?“, fuhr Angus seinen Nachbarn an.
„Das wusste ich nicht. Woher auch, wo ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte. Aber vielleicht weiß Mairi etwas“, meinte Ian, wandte sich um und ging zur Hütte, um seine Frau zu holen.
„Was wollen die?“, fragte Mairi, als Ian in die Hütte trat.
„Die suchen Gordana“, antwortete Ian. „Weißt du was von ihr?“
„Nein, ich weiß nur, das Aidan etwas mit ihr im Schilde führte“, erwiderte Mairi. „Aber genaueres verriet er mir nicht.“
„Komm mit raus und sage Angus und seinen Begleitern, was du weißt. Aber nicht das Letzte, das dürfen sie nicht wissen“, flüsterte Ian seiner Frau zu.
Die beiden gingen nach draußen zu den drei Besuchern.
„Ich hörte, du suchst deine Tochter“, wandte sich Mairi an Angus.
„Ja, sie ist verschwunden“, antwortete Angus. „Weißt du etwas von ihr?“
„Woher sollte ich?“, antwortete Mairi und zuckte mit ihren Schultern.
„Wann war dein Sohn das letzte Mal hier?“, fragte Angus weiter.
„Vor etwa zwei Wochen“, erwiderte Mairi.
„Was wollte er?“, wurde weiter gefragt.
„Er wollte nach mir und Ian schauen, ob es uns gut geht“, sagte Mairi wahrheitsgemäß.
„Wie ich hörte, verließ euch Aidan vor einiger Zeit. Wohin ging er?“, wollte nun Angus wissen.
„Das wissen wir nicht. Er sagte uns nur, er sucht woanders sein Glück. Und nachdem ihn Gordana vor zwei Wochen endgültig abwies, da sie Matthew heiraten soll und auch wollte, war er am Boden zerstört. Seither hörten wir nichts mehr von ihm. Er verschwand einfach, ohne ein Wort zu sagen“, erzählte die Frau weiter, in der Hoffnung, die Männer würden ihr Glauben schenken.
„Ich glaube dir“, sagte Angus plötzlich, worauf ihn Mairi ganz erstaunt ansah.
„Ich weiß wirklich nichts“, beteuerte die alte Frau nochmals.
„Ist schon gut“, erwiderte Angus. Zu seinen Begleitern gewandt, sagte er noch: „Kommt, wir gehen. Hier bekommen wir nichts heraus.“
Als die drei weg waren, atmeten Ian und Mairi erleichtert auf.
„Was sollen wir nun tun? Die geben bestimmt nicht so einfach auf“, sinnierte Mairi.
„Das glaube ich auch. Wir müssen uns was einfallen lassen, wie wir Aidan Nachricht geben können, dass er und Gordana in Gefahr sind“, antwortete Ian. Nach einiger Überlegung sagte er: „Ich werde mich am Abend auf die Suche nach Aidan machen. Da bin ich im Morgengrauen zurück.“
„Gut, aber sei vorsichtig“, warnte Mairi.
Dass bereits eine Lösung in Sicht war, ahnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
***
Die drei Besucher gingen währenddessen zum Haus von Angus. Dort setzten sie sich an den Tisch und überlegten.
„Ich weiß nicht, ich traue der Sache nicht. Ich glaube nicht, dass die MacLeods nichts wissen“, sagte Matthew auf einmal.
Sein Vater und Angus schauten ihn erstaunt an.
„Wieso das?“, fragte Kyle.
„Die MacLeods wissen angeblich nicht, wo ihr Sohn ist. Das ist eigenartig. Wir sollten sie beobachten.“
„Das ist eine gute Idee“, rief Angus und klopfte seinen zukünftigen Schwiegersohn auf die Schulter. „Am besten tun wir so, als würden wir ganz normal unserem Tagwerk nachgehen. Da erfahren wir bestimmt mehr als uns recht ist.“
So wurde beschlossen, Aidans Eltern zu beobachten, um mehr über den Verbleib des plötzlich Verschwundenen und Gordana zu erfahren.