Nach der Trauung saßen Aidan und Gordana noch mit Ronald zusammen. Gordana hatte sogar ein kleines Festessen zubereitet, das sie nun gemeinsam genossen. Ronald hatte viel zu erzählen. Das frisch getraute Ehepaar hörte interessiert zu. Obwohl sie erst vor Kurzem von zu Hause ausgerissen waren, hatte sich in den wenigen Tagen doch schon viel in ihrer Heimat getan. So erfuhren sie, wie aufgebracht Gordanas Vater über ihre Flucht war und er intensiv nach ihr suchte, bisher aber noch keinerlei Hinweise über den Verbleib seiner Tochter bekommen hatte. Die beiden Ausreißer beschlossen, irgendwann zurück ins Dorf zu gehen und mit Gordanas Vater Frieden zu schließen.
10 Jahre später
Aidan und Gordana lebten inzwischen in Edinburgh in einem kleinen Haus. Die Zeit im Wald hatte sie zusammengeschweißt. Gordana hatte im Februar des nächsten Jahres ein kleines Mädchen zur Welt gebracht, das sie nach Gordanas verstorbener Mutter Catriona nannten. Zu Catrionas Geburt lebten die beiden schon in der Stadt. Zwei Jahre darauf wurde Catrionas Bruder Jamie geboren. Danach wurde Gordana noch einmal schwanger. Doch das Kind wurde tot geboren. Weitere Nachkommen gab es danach nicht mehr.
Gordana hatte sich in Edinburgh schnell eingelebt. Obwohl ihr die Stadt gefiel, hatte sie oft Heimweh nach Willshire. Immer wieder saß sie am Fenster und dachte über eine Rückkehr in ihr Heimatdorf nach. Aidan jedoch war anderer Meinung. Solange ihr Vater jedweden Kontakt zu seiner Tochter und deren Ehemann verweigerte, hatte es keinen Zweck, zurückzukehren.
Ronald Clynsbury besuchte sie dann und wann und berichtete über die Neuigkeiten im Dorf. So erfuhren die beiden auch, dass Matthew MacDonald Isobel Lynn, ein Mädchen aus dem Nachbardorf geheiratet hatte. Die zwei waren inzwischen mehrfache Eltern. Auch, dass er Gordana längst verziehen hatte, weil sie kurz vor der Hochzeit einfach verschwunden war.
Aidans Eltern lebten inzwischen in einem anderen Dorf in der Nähe von Willshire. Gordanas Vater gab den zwei alten Leuten unverhohlen die Schuld am Verschwinden seiner Tochter und machte ihnen das Leben zur Hölle. Das tat er so lange, bis diese sich schweren Herzens entschlossen, ihr Glück woanders zu suchen. Sie verstanden den Frust von Angus, doch konnten sie ihn nicht dazu bewegen, sich endlich mit dem Entschluss seiner Tochter abzufinden und Frieden mit ihr zu schließen.
Angus selbst verbrachte seinen Lebensabend einsam in seiner Hütte in Willshire. Den Posten als Clanoberhaupt hatte er Matthew MacDonald übertragen, sozusagen als Wiedergutmachung der geplatzten Vereinigung beider Familien. Angus war alt geworden und benötigte bei vielen Dingen des täglichen Lebens Hilfe. Obwohl er seiner Tochter immer noch nicht verziehen hatte, dachte er oft an sie und wie schön es wäre, wenn sie sich jetzt um ihn kümmern könnte.
Eines Tages mitten im Sommer des Jahres 1429 war wieder einmal Ronald Clynsbury zu Besuch in Edinburgh, um Gordana und Aidan über die neuesten Vorkommnisse in Willshire zu berichten. So erfuhr Gordana, dass es ihrem Vater immer schlechter ging und er wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben habe.
Bedrückt saß Gordana am Tisch und hörte Ronalds Erzählungen zu.
„Ach, Aidan, wenn wir doch nur nach Willshire zurückkehren könnten. Vater braucht mich“, seufzte Gordana, nachdem Ronald seinen Bericht beendet hatte.
„Wenn du meinst, dann sollten wir uns auf den Weg machen“, ließ sich Aidan endlich umstimmen.
Aufgeregt sprang Gordana auf.
„Wirklich!“, rief sie in den Raum und fiel ihrem Mann um den Hals. „Ich freue mich so sehr.“
Am liebsten wäre Gordana sofort aufgebrochen, doch Aidan hielt sie zurück. Es wären noch einige Vorbereitungen zu treffen, ehe sie sich auf den Weg machen konnten.
Wenige Tage später war es soweit. Aidan hatte das einzige Pferd, das sie besaßen vor den kleinen Karren gespannt und den mit ihren wichtigsten Besitztümern beladen. Aidan saß vorne neben Gordana und hielt die Zügel in den Händen. Die Kinder saßen hinten zwischen Kisten und Säcken.
Der Weg nach Willshire schlängelte sich durch die dichten Wälder und die weiten grünen Ebenen Schottlands. Es war zwar Sommer, trotzdem regnete es fast pausenlos. Die Reisenden ließen sich die Freude jedoch nicht verderben und sangen fröhliche Lieder.
Je näher sie dem Dorf kamen, desto aufgeregter wurde Gordana. Was würde geschehen, wenn sie ihrem Vater nach diesen langen Jahren das erste Mal gegenübertreten würde? Sie mochte gar nicht daran denken, dass er sie noch immer verstoßen könnte.
„Aufgeregt?“, fragte Aidan seine Frau, als er deren Unruhe bemerkte.
„Ja, sehr“, antwortete diese, „was Vater wohl machen wird, wenn wir ihn besuchen?“
„Das wird schon“, versuchte Aidan sie zu beruhigen.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, erwiderte Gordana verzagt lächelnd.
Den beiden Kindern hinten wurde es von Tag zu Tag langweiliger. Auch wenn sie durch ihnen unbekannte Gegenden fuhren, wurde ihnen die Fahrt zur Qual. Sie langweilten sich ungemein. Sie wünschten sich, endlich anzukommen, damit sie sich austoben konnten. In ihrer unbequemen Lage auf dem alten Karren zu sitzen war weitaus nicht so interessant, als durch Edinburgh zu streifen und mit ihren Freunden herumzutollen.
„Wann sind wir endlich da?“, quengelte Jamie. Nur Catriona war ruhig und beobachtete besorgt ihre Mutter.
„Sei doch still“, fuhr Catriona ihren Bruder an, „du wirst schon sehen, wann wir da sind. Mutter sagte uns doch, die Reise wird mehrere Tage dauern.“
„Alte Meckerziege“, knurrte Jamie zurück und wollte weiter quengeln. Doch da hatte er seine Rechnung ohne den Vater gemacht, der ihn in die Schranken wies und zur Ruhe mahnte.
Die Reisenden näherten sich dem Wald, in den Aidan vor Jahren mit Gordana geflüchtet war. Erinnerungen an schöne Stunden in der Höhle kamen den beiden hoch. Sogar an die erste Liebesstunde erinnerten sie sich. Gordana wurde rot, als sie daran dachte.
Aidan bemerkte die hektische Röte im Gesicht seiner Gattin.
„Was ist los?“, fragte er interessiert.
„Ach, nichts weiter. Mir kommen nur bestimmte schöne Stunden am Anfang unserer Flucht in Erinnerung“, antwortete Gordana.
„Du meinst unsere Liebesstunden“, flüsterte Aidan Gordana ins Ohr, worauf sie noch mehr errötete.
„Also doch“, meinte Aidan schmunzelnd und zog seine Frau zärtlich an sich, um sie zu küssen.
„Nicht vor den Kindern“, empörte sich Gordana gekünstelt, konnte sich allerdings das Lachen über den Übermut ihres Mannes nicht verkneifen. Sie boxte ihn in die Rippen, um ihn endlich zur Ruhe zu bringen.
Nach etlichen weiteren Stunden erreichten die Vier die Grenze zu Willshire, Gordanas und Aidans Heimatdorf. Gordana erklärte den Kindern, dass sie ihr Ziel nun fast erreicht hätten. Daraufhin schauten sie sich interessiert um und nahmen jedes noch so kleine Detail der ihr unbekannten Landschaft auf.
Doch zuerst wollten sie Aidans Eltern im Nachbardorf besuchen. Die beiden alten Leute wussten nichts davon, dass sich ihr lang vermisster Sohn mit seiner Familie dem Dorf näherte. Aidan wurde von den Dorfbewohnern bestaunt. Ein Raunen ging durch die Reihen der neugierigen Schaulustigen, als der Karren mit den vier Reisenden über die Dorfstraße rumpelte, immer dem Haus der MacLeods entgegen.
Selbst auch neugierig geworden von dem Tumult draußen, schauten die Bewohner des Hauses MacLeod hinaus, um zu erfahren, wer da diesen Aufruhr verursachte. Als sie ihren Sohn mit seiner Familie erkannte, schrie Mairi MacLeod erfreut auf und rannte ihnen entgegen. Es folgte eine große Begrüßungszeremonie, bei allen Beteiligten flossen Freudentränen.
Die junge Familie MacLeod verbrachte eine Nacht bei Aidans Eltern, ehe sie sich zu Gordanas Vater auf den Weg machte. Gerne versprach Gordana ihren Schwiegereltern, sie bald wieder einmal zu besuchen. Sie fühlte sich in alte Zeiten versetzt, als Aidans Eltern in Willshire ihre Nachbarn waren, denen sie jederzeit willkommen war.
Unruhig sah Gordana dem Kommenden entgegen. Immer noch nagten kleine Zweifel an ihr. Doch sie freute sich trotzdem, endlich ihren Vater wiedersehen zu können, egal wie dieser auf ihr Auftauchen reagieren würde.
In Willshire sahen ihnen, genau wie im Dorf von Aidans Eltern, viele Schaulustige entgegen. Sogar Matthew mit seiner Frau Isobel war dabei. Er lächelte den Ankömmlingen entgegen und hieß sie willkommen. Die Kunde, dass Gordana zurück sei, hatte sich in Windeseile in der Gegend verbreitet.
„Gut, dass ihr kommt“, sagte er nach der Begrüßung zu Gordana.
„Du bist mir nicht mehr böse, habe ich gehört“, erwiderte sie.
„Nein, schon lange nicht mehr. Ich hab dich gerne gehabt, doch es hätte niemals gut gehen können, wir wären niemals gemeinsam glücklich geworden. Noch dazu wäre ich deinem Vater für alle Zeiten zu Dankbarkeit verpflichtet gewesen, er hätte mich praktisch zu seinem Untertanen gemacht“, gab Matthew zu. „Du liebtest Aidan zu sehr. Und außerdem“, Matthew drehte sich um, nahm die Hand einer Frau, die hinter ihm stand und zog sie zu sich heran, „habe ich eine Frau gefunden, die ich sehr liebe und sie mich genauso. Eigentlich habe ich dir das zu verdanken.“
Nach einer kurzen Verlegenheitspause fuhr Matthew fort:
„Gordana, deinem Vater geht es nicht gut. Er baute in den letzten Monaten immer mehr ab. Ich fürchte, er wird den Sommer nicht überleben.“
Gordana wurde bleich. Sie schwankte leicht. Aidan musste sie festhalten, damit sie nicht zusammenbrach.
„Jetzt aber los, gehen wir zu meinem Vater“, drängte Gordana nun plötzlich und machte sich von Aidan frei, der Matthews letzte Worte noch gehört hatte.
Sie ließ sich nicht mehr aufhalten, eilig strebte sie, ihre Kinder im Schlepptau, ihrer heimatlichen Hütte zu. Ihr Herz raste. Als sie näher kam, bemerkte sie den Zerfall des kleinen Häuschens, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte. Auch der Garten sah verkommen aus, Unkraut überwucherte die sonst so gepflegten Gemüse- und Kräuterbeete, der Zaun war halb eingefallen, im Dach der Hütte waren Löcher zu sehen und die Fensterläden hingen schief in den Angeln.
„Aidan“, seufzte Gordana entsetzt, „sieh dir das an“. Dieser nahm sie stützend in den Arm und führte sie zur Eingangstür.
Noch einmal holte Gordana tief Luft. In wenigen Momenten würde sie ihrem Vater gegenüberstehen. Sie klopfte zaghaft an und wartete auf ein Zeichen von drinnen. Noch einmal klopfte sie, diesmal etwas lauter.
Endlich hörte sie die knarrende Stimme ihres Vaters.
„Wer da?“, rief er nach draußen.
Doch anstatt zu antworten, riss Gordana die Tür auf und stürmte in die Hütte. Ihr Vater lag auf seiner alten Liegestatt, die er schon hatte, als sie noch zu Hause lebte. Ein alter, zerknitterter Mann schaute ihr mit trüben Augen entgegen.
„Vater“, rief Gordana dem alten Mann zu, der sich aufrichtete und irritiert seine Besucherin musterte.
„Gordana“, krächzte er mühsam, „endlich! Mein Kind ist wieder da.“
Wie erstarrt stand Aidan in der Tür und beobachtete die Szenerie. Er konnte es kaum glauben, was er da sah. Schon lagen sich seine Frau und der alte Mann in den Armen. Sie weinten und lachten, lachten und weinten. Die Kinder wurden hereingerufen und dem Großvater vorgestellt. Mit glänzenden Augen und sichtlichem Stolz begutachtete er seine strammen Enkel. Zögernd trat auch Aidan hinzu und wurde zu seiner Überraschung mit einem kräftigen Händedruck willkommen geheißen. Die fünf Personen plauderten aufgeregt durcheinander. Die Kinder waren kaum zu bremsen. Schnell wurden sie nach draußen geschickt, damit sich die Erwachsenen ungestört unterhalten konnten.
„Du bist mir nicht mehr böse?“, fragte Gordana ihren Vater zum wiederholten Male.
„Nein, mein Kind. Ich bin froh, dass du wieder da bist. Du bist willkommen in meinem Hause, genau so Aidan als dein Ehemann und deine Kinder“, erwiderte der alte Mann.
An diesem Abend sprachen sie noch lange über die Vergangenheit und die Zeit, die sie weg von Zuhause waren. Trotz seines Stolzes hatte Angus schon längst einsehen müssen, dass es Unsinn war, seine Tochter zu einer Ehe mit einem Mann zwingen zu wollen, den sie nicht liebt. Er sah, wie glücklich sie mit Aidan geworden war, und freute sich darüber. So wagte er zu fragen, ob sie im Haus bleiben und für ganz zurückkommen wollten.
Freudig sprang Gordana auf und umarmte ihren Vater.
„Wenn Aidan es auch möchte, bleiben wir gerne mit den Kindern hier. Dann bist du nicht mehr allein“, sagte sie. „Aidan, was hältst du davon?“, fragte Gordana nun ihren Ehemann.
„Nur, wenn meine Eltern auch hierher zurückkommen dürfen. Sie sind alt und wohnen zu weit weg von hier, um den Weg zu ihnen täglich zu gehen“, warf er ein. Noch konnte er den Wandel seines Schwiegervaters kaum glauben.
„Natürlich dürfen sie das“, warf Angus ein, über Aidans Zusage erfreut. „Wir bauen hier ein größeres Haus, da können wir alle zusammenleben“, schlug er noch vor.
„Wovon sollen wir das bezahlen?“, fragte Gordana.
„Lass das mal meine Sorge sein“, erwiderte Angus lächelnd.
So wurde beschlossen, dass Gordana mit ihrer Familie aus Edinburgh wegzieht und Aidans Eltern zurück nach Willshire kommen. Sie redeten noch lange miteinander und ließen die alten, sie trennenden Barrieren hinter sich. Die Kinder wirbelten durch das Haus und erfreuten den neu dazugekommenen Großvater.
Aidan reiste noch einmal nach Edinburgh zurück, verkaufte das Haus und holte den Rest ihres Hab und Gutes. In Willshire wurde inzwischen bereits mit dem Bau eines neuen, größeren Hauses begonnen, in dem sie alle gemeinsam leben würden.
Schon während der Bauzeit zogen Aidans Eltern zurück nach Willshire. Alle lebten nun auf engstem Raum in Angus kleiner Hütte und halfen nach Kräften mit, ihr neues Heim fertigzustellen.
Danach zogen sie um und erfreuten sich der Zeit, die sie nun zusammen verbringen konnten. Angus lebte wieder auf und fühlte sich wie ein junger Bursche. Er liebte seine Enkelkinder, genauso wie diese ihn über alles vergötterten. Aidans Eltern genossen die große Familie, die sie nun hatten.
Was machten Aidan und Gordana? Sie waren ebenso glücklich über ihre Familie und blieben bis an ihr Lebensende in Willshire, dessen Clanoberhaupt weiterhin Matthew MacGregor war. Matthew und seine Frau waren im Laufe der Zeit ebenfalls zu guten Freunden geworden. Ronald Clynsbury war genau wie Matthew ein häufiger Gast im Haus. Er galt als derjenige, der dem Glück von Aidan und Gordana den Weg geebnet hatte und ihnen über die schwierigen Jahre der Trennung von ihren Eltern hinweghalf, ihnen immer wieder Mut machte.
Und nun kommt das böse Wort Ende