Emerard sah seine Chance in der zu Boden gefallenen Waffe und wollte gerade danach greifen, als er einen gellenden Schrei ausstieß.
»Das willst du doch nicht wirklich tun, oder, Cornelius? Nachdem der Junge gerade deinen armseligen Arsch verschont hat?« Dionysos hatte die Hand erhoben und der Arm des Gentleman stand in einem unnatürlichen Winkel ab, er war definitiv gebrochen und Emerard keuchte.
»Wirklich, diese Edelleute heutzutage haben keinen Funken Ehre mehr im Leib. Komm’, Ian. Wir haben noch ein Waisenhaus von ein paar Ratten zu säubern, bevor der Morgen anbricht.«
Der Junge, geschlagen und zu keiner Regung mehr fähig, ließ sich von dem Mann auf die Beine ziehen. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte er auf die Kinder, die nur noch leere Hüllen waren und die Person, die dafür die Verantwortung trug.
»Schick’ ihn zurück in die Hölle. Lass’ ihn leiden, aber ... mach’ es leichter für sie, okay?«
Dionysos nickte und sah Ian nach, der mit hängenden Schultern zu der massiven Tür zurückkehrte und draußen im Korridor an der Wand nach unten rutschte. Seine Wut war verraucht, er war ausgebrannt.
Der Mann hingegen wandte sich zu Emerard um, der sich den Arm hielt und heulte, als würde man ihm irgendetwas Unrechtes antun.
»Warum tust du das? Ich kenne dich nicht mal!«
»Oh, aber ich kenne Leute wie dich. Und ich hasse sie. Du denkst, dein Stand schützt dich und erlaubt dir, so etwas hier mit anderen Menschen zu machen«, Dionysos deutete auf die Kinder, »ohne, dass es jemals Konsequenzen hat. Aber ich sage dir etwas: Das Karma bumst uns alle und dich ganz besonders. Für jeden Kinderficker in der Hölle gibt es drei, die das Gleiche mit dir machen, du wirst also keine Langeweile haben, wenn es erst mal so weit ist. Bis du allerdings da bist, tja ... das könnte eine Weile dauern.« Mit einem hasserfüllten Blick wandte er sich ab und kümmerte sich zuerst um die bedauernswerten kleinen Kreaturen, die er sanft der Ruhe überführte. Etwas, das zu tun er verabscheute und das den Hass in seiner Brust nur noch anfachte. Zittrig erhob Dionysos sich wieder, als das letzte Kind die Augen schloss, ballte die Hände zu Fäusten und schoss auf Emerard zu, dem er mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Die Nase des Mannes brach und durch den Aufprall wurde er nach hinten an eine der steinernen Barrieren geschleudert, die den Altar von den Bänken trennten.
»Nie wieder, hörst du«, spuckte Dionysos, »nie wieder! Ich hatte mir geschworen, niemals wieder in meinem Leben ein Kind zu töten und du ... du hast ...«
Emerard schrie auf, als eine unsichtbare Macht ihn wie an Schnüren in die Luft zog. Die Augen des anderen Mannes waren glühend rot und er konnte die Hitze fast auf seiner Haut spüren, der Hass schien ihn zu verbrennen.
»Teufel!«, keuchte der Gentleman und wand sich zuckend.
»Nein, etwas sehr viel Realeres, Scheißkerl«, fauchte Dionysos und entblößte seine Fänge, bevor er ihm mit einer Bewegung seiner Hand tiefe Wunden auf der Brust zufügte. Blut klatschte auf den hellen Steinboden und ein gurgelndes Geräusch drang aus Emerards Kehle. Die Verletzungen würden ihn nicht töten, doch sie würden ihm weh tun, solange bis er sein wertloses Leben ausgehaucht haben würde. Die geisterhaften Schnüre, die ihn hielten, verschwanden plötzlich und dumpf schlug der Mann auf dem Boden auf, wo er verdreht liegen blieb. Das linderte seine Schmerzen nicht gerade und er wimmerte, bettelte geradezu, doch stieß bei dem, der sich als Vampir zu erkennen gegeben hatte, auf kein Mitleid.
»Süße Musik in meinen Ohren, mein Freund«, säuselte Dionysos und begann umgehend, energisch und unter viel Krach, die hölzernen Bänke in dem Altarraum in Trümmer zu schlagen, um alles auf der freien Fläche in der Mitte des Raumes zu verteilen. Emerard betrachtete dieses Spiel mit wachsender Panik.
»Was ... was hast du vor?«, keuchte er und wieder begann sein käsig wirkender Körper zu beben wie eine Qualle.
»Ich gebe dir das, was du diesen Kindern hier gegeben hast - eine Ewigkeit im Fegefeuer. Nun, in deinem Fall wörtlich zu verstehen.« Dionysos grinste verschlagen und riss die samtenen Vorhänge von den Wänden.
»Bitte, das kannst du doch nicht tun ... ich ... ich habe Geld. Ich gebe dir, was du willst ... bitte ...«
Der Vampir starrte ihn hasserfüllt nieder. »Dein Geld, du Parasit, werde ich mir so oder so nehmen, worauf du einen lassen kannst! Du wirst den restlichen Kindern, die dir entkommen sind, damit ein gutes Leben ermöglichen und du wirst dafür keinen Ruhm einstreichen. Du, Cornelius, wirst sterben! Wie es sich für Ungeziefer gehört.«
»Aber ... das ist ...«
»Was? Gegen das Gesetz? Unmoralisch? Teuflisch? Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.« Dionysos warf die schweren Stoffe über das Holz und beinahe sah es wie das Bühnenbild einer apokalyptischen Inszenierung aus. Diabolisch grinsend malte der Mann mit Lampenöl ein Pentagramm auf den Boden, bevor er mit einer Bewegung seiner Hand den verletzten Emerard in die Mitte der Zeichnung zog.
»Ja, das gefällt mir. Würde es dir bestimmt auch, wenn du nicht dieses Mal das Opfer wärst. Aber wie ich sagte, Karma fickt uns alle eines Tages.«
»Oh Gott, bitte. Tu’ das nicht.«
»Der falsche Gott, Freundchen. Nach deinen Entgleisungen wird der dir sicher nicht helfen.«
Der Vampir wandte sich ab und bewegte sich wieder den Gang nach oben zu der Tür, die in den dunklen Korridor führte. Ian hockte noch immer dort und hatte sich inzwischen von seinem heftigen Gefühlsausbruch wieder etwas erholt.
»Bereit für die Show?«, fragte Dionysos den Jungen, der bleich war, schluckte und schließlich nickte. Er hatte es nicht selbst tun können, er hatte den Mörder seiner Maisie nicht selbst umbringen können, doch ertragen, dass dieser Mann weiterleben sollte, konnte er nicht. Es wäre einfach nicht gerecht.
Emerard lag inmitten des Raumes, umgeben von Holzsplittern und dem schweren, leicht brennbaren Samtstoff, als Dionysos die Hände hob und das Lampenöl, was sich in der Rinne befand und damit das Feuer am Leben hielt, das das Gewölbe erleuchtete, ansteigen ließ. Es schwappte über den Rand und floss unermüdlich die leichte Steigung hinab und ebenso taten es die Flammen, die schließlich die Vorhänge erreichten. Gellend schrie der verletzte Mann auf, doch weder Dionysos noch Ian taten etwas. Der Junge wischte sich nur über das Gesicht, bevor er sich abwandte und der Vampir ihm schließlich folgte.
.
Das Herrenhaus von Cornelius Emerard brannte bis auf die Grundmauern nieder. Um keine weiteren unschuldigen Opfer beklagen zu müssen, hatte Dionysos der jungen Dienstmagd im Haus das Gedächtnis verändert und sie fortgeschickt, bevor das Feuer von den Katakomben auf die oberen Stockwerke hatte übergreifen können. Ebenso hatte er rasch und kundig alle Papiere zusammengesucht, die erforderlich waren, um das nicht kleine Vermögen des Gentleman direkt auf das Waisenhaus übertragen lassen zu können, das den Brand unbeschadet überstanden hatte.
Die bärbeißigen Wachmänner, die Emerard angeschleppt hatte, um seine lebenden Opfergaben zu bewachen, hatten schnell das Weite gesucht, als die gesamte Nachbarschaft von den lodernden Flammen aufgescheucht worden war.
»Was machen wir denn jetzt?« Überfordert hatte Ian auf dem Tritt des Waisenhauses gesessen, während ein Einsatzwagen der Feuerwehr versucht hatte, das Inferno zu bekämpfen.
»Mach’ dir keinen Kopf. Du bist jetzt reich.«
»Ach?«
»Ja, ich kümmere mich darum. Euch wird es hier an nichts mehr fehlen. Dieser Scheißkerl hatte mehr als genug Geld für zwei Leben und ich sorge dafür, dass alles an euch geht. Vielleicht erneuerst du als Erstes das Dach und schickst die Kranken zu einem Arzt.«
»Du bist nicht wirklich der Teufel und ich habe gerade meine Seele an dich verkauft, oder?« Unsicher hatte der Junge aufgelacht. Nach dieser Nacht dachte er anders über all diese Dinge.
»Nein. Aber ich hatte dir ein Versprechen gegeben und ich halte mein Wort. Immer.«
Und so war es auch dieses Mal.
ENDE