Die Müdigkeit übermannt mich langsam und ich hoffe ich kann einen klaren Kopf bewahren, wenn ich zu Claudia gehe und verrate mich nicht durch irgendetwas. Ich will nicht, dass sie mich sogleich erkennt. Ich rücke meine Kleidung zurecht und gehe dann zu dem Häuserblock, in dem Claudia wohnt. Die Wände selbigen, sind in einem blassen Blau gestrichen und seine Fensterläden in einem etwas dunklerem Blau. Ich gehe zur Tür und drücke nach einigem Zögern die Klingel meiner einstigen Liebsten. Ich weiss es ist noch früh, aber ich möchte sie noch vor ihrem Gang zur Arbeit abfangen. Sie steht sowieso immer beizeiten auf. Es dauert dann auch nicht lange und der summende Ton der Türentriegelung erklingt und ich kann die Tür aufstossen. Als ich ins Treppenhaus trete, klopft mein Herz auf einmal bis zum Hals. Ich spüre meinen Puls, bis in den Schläfen und plötzlich ist mir irgendwie schlecht. Ist es vernünftig, in dieser Aufmachung vor Claudia zu treten? Aber als Milena kann ich es nicht, wie sollte ich ihr auch erklären wie ich zu Amirs Handy gekommen bin. Vor allem er, darf auf keinen Fall erfahren, dass ich Milena bin, deshalb werde ich es auch vor Claudia verbergen, um sie zu schützen.
Ich nehme den Aufzug und ziehe kurz vor der Endstation meine Maske wieder an. Ich hoffe niemand begegnet mir im Flur.
Umeine Ecke, gehe ich zur Wohnungstür von Claudia. Hinter der Tür höre ich ein Geräusch, vermutlich schaut meine einstige Liebste gerade durch den Türspion, um herauszufinden, wer sie zu so früher Stunde stört. Ich halte ihr Handy hoch und ziemlich schnell öffnet Claudia die Tür. Mein Herz klopft noch heftiger, als ich vor mir die junge Frau sehe, die ich einst so geliebt habe und ich merke, dass ich sie noch immer liebe. Sie sieht Monica sehr ähnlich. Ihr wunderschönes halblanges, Kupfern schimmerndes Haar, glänzt im Morgenlicht, dass durch die Fenster fällt. Sie ist etwas kleiner als Monica, mit wunderschönen, grünblauen Augen und einer schlanken Figur.
«Mein Handy! Du meine Güte! Woher haben sie das?» Statt einer Antwort zu geben, spreche ich: «Ich bin eine Freundin von Milena. Weiteres erkläre ich ihnen lieber drinnen!» Sie nickt und mustert mich erstaunt. Mit einer Handbewegung bittet sie mich herein und fordert mich auf, Platz zu nehmen, während sie mich immer noch mustert. «Wer sind sie bloss, warum tragen sie eine Maske?» fragt sie. Ich erwidere: «Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist eher, dass ich dieses Handy gerade Amir abgenommen habe!» «Amir!?» Claudias Augen weiten sich vor Schreck. «Aber was sollte denn der mit meinem Handy wollen?» Es scheint so, als hätte er herausgefunden, dass sie und Milena zweimal Kontakt hatten.» «Aber… sie hat mir auch nicht verraten wo sie ist. Sie hat es niemandem gesagt.» «Ja und dennoch hat Amir durch ihr Handy einige Kontaktdaten herausgefunden und Milena bedroht. Er sagte, sie müsse zurückkommen, sonst tue er ihnen etwas an. Milena war so verzweifelt, dass sie mich anrief. Ich habe einige Fähigkeiten. Ich suchte Amir auf, verpasste ihm eine Abreibung und sagte ihm, er solle Milena und auch sie, in Ruhe lassen. Das Handy hat er mir dann wieder zurückgegeben und ich wollte es ihnen so schnell wie möglich wiederbringen. Ich dachte, sie müssen vielleicht bald zur Arbeit und ich kann nicht mehr so lange bleiben.» Claudia erwidert: «Ich habe heute zwar Spätschicht, doch ich war bereits wach. Jetzt da sie mir all diese Geschichten erzählt haben, da bin ich sehr froh, dass sie mir mein Handy wiedergebracht haben. Wissen sie also, wo Milena ist? Ich mache mir grosse Sorgen um sie.» «Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Doch ich kann ihnen leider nicht verraten, wo sie sich gerade aufhält.» «Aber ich mache mir wirklich grosse Sorgen! Wenigstens mir hätte sie anvertrauen können, wohin sie geht! Ich meine… wir standen uns mal sehr nahe.» «Ich weiss…» mein Herz wird auf einmal schwer und schlägt hart gegen meinen Brustkorb. «Aber, sie haben ja jetzt gesehen, wie gefährlich das Wissen um ihren Verbleib sein kann. Amir hat sie bereits bedroht, obwohl sie gar nicht wussten, wo Milena ist. Amir ist gefährlich!» «Ja, er ist ein gemeines Schwein, ich weiss. Er hat Milena so vieles angetan. Es ist gut, dass sie endlich von ihm weg ist. Denn sie war ihm lange genug hörig. Sie und ich waren ja mal ein Paar, doch dann ging sie doch wieder zu ihm zurück, ob einfach aus Angst, oder weil sie ihn noch immer liebte… ich weiss es nicht.» Mein Hals wird ganz rau und ich spreche mit heiserer Stimme: «Ich glaube, sie wollte sie vor allem schützen Claudia. Amir ist zu Unglaublichem fähig und dabei ist er nur ein mieser, kleiner Feigling! Als ich ihm die Abreibung verpasste, hat er sich beinahe in die Hosen gemacht vor Angst. Er gehört hinter Gitter!» «Ja, der Meinung bin ich auch, aber wenn Milena ihn nicht anzeigt, wird das nie etwas.» «Wir müssen klug vorgehen, wenn wir ihn überführen wollen. Doch jetzt muss ich leider wieder gehen. Ich werde sie auf jeden Fall auf dem Laufenden halten!» «Dafür bin ich sehr dankbar! Aber bleiben sie doch noch einen Moment und plaudern sie mit mir! Erzählen sie mir, wie es Milena so ergeht.» Ich zögere einen Moment, denn ich weiss nicht, ob das wirklich so klug ist. Je länger ich bleibe, desto schwerer fällt es mir, mich zu verstellen und vor allem, wieder zu gehen, denn ich fühle mich noch immer enorm zu Claudia hingezogen. Ich bin auch sehr berührt, wie sie sich immer noch um mich sorgt. Eigentlich ist es nicht fair, sie so im Ungewissen zu lassen. Aber es ist einfach noch zu gefährlich, bevor wir Amir nicht überführt haben.
«Wollen sie einen Kaffee?» fragt Claudia schnell, bevor ich es mir anders überlegen kann und holt eine Tasse aus dem Schrank. Diese stellt sie unter eine kleine Kaffeemaschine und drückt den Knopf, als ich ergeben bejahe.
Ich schaue ihr zu, während sie in der kleinen, offenen Küche hantiert. Ihre Bewegungen sind anmutig und flink. Ab und zu fährt sie sich durch ihr glänzendes Haar. Ich kann den Blick kaum von ihr wenden. Sie fehlt mir so sehr, das merke ich erst jetzt und mir wird klar, dass ich in Monica eigentlich Claudia gesehen habe. Es war immer Claudia. Claudia war es, die meine Träume belebte, Claudia war es, die ich einfach nicht vergessen konnte. Monica hat wohl nie romantischen Gefühle für mich gehegt, ich bin für sie einfach nur eine wichtige Freundin, mehr jedoch nicht. Monica fühlt sich zu Männern hingezogen, nur zu Männern. Ich hoffe nur, sie findet mal einen Besseren, als diesen Erik…
Claudia bringt mir nun den Kaffee und dazu noch ein paar Pralinen. «Wie möchten sie ihren Kaffee, mit Sahne und Zucker, oder ohne?» «Gerne mit Zucker und Sahne!» Auch wenn ich weiss, dass schwarzer, ungesüsster Kaffee wohl gesünder wäre, habe ich es bisher nie geschafft, die Sahne oder den Zucker weg zu lassen. Claudia nickt und reichte mir das Gewünschte, dann öffnete sie die Pralinenschachtel. Sie hat schon früher immer eine davon zu Hause aufbewahrt, es sind ihre Lieblingspralinen. Auch ich mochte sie immer sehr. Ohne zu überlegen nehme ich eine meiner Lieblingssorte. Claudia mustert mich eingehend, sagt jedoch nichts weiter. Sie will nun alles über Milena wissen, was sie so macht, was alles so passiert ist. Ich gebe ihr Auskunft, ohne jedoch meinen neuen Wohnort zu verraten. Und dann stellt sie mir die befürchtete Frage: «Wie haben Milena und sie sich eigentlich kennengelernt?» «Das ist eine lange Geschichte…» weiche ich aus. «Ich kann gut zuhören.» «Sie brauchte Hilfe, ich habe ihr geholfen und damit hat sich’s!» gebe ich etwas unwirsch zurück. Claudia ist ziemlich enttäuscht. «Sie sind irgendwie seltsam,» sagt sie zu mir. «Wie kommt jemand dazu mit einer Maske herum zu laufen? Da ist es doch verständlich, wenn man wissen will, welcher Mensch sich unter der Maske verbirgt.»
«Ich trage die Maske, weil ich den Menschen öfters auf etwas unorthodoxe Weise helfe, und ich darum nicht erkannt werden will.» «Sie helfen Menschen?» «Ja, besonders Frauen, ich achte darauf, dass man ihnen nicht allzu weh tut. Leider kann ich nicht allen helfen, aber Milena konnte ich zumindest etwas helfen und… ihnen jetzt auch.» Mein Herz klopft erneut heftig, als mich meine einstige Liebste mit ihrem nachdenklichen, sanften Blick mustert und ich muss aufpassen, dass ich nicht ihre Hand nehme und ihr alles offenbare. Doch die Vernunft hält mich einmal mehr davon ab, denn es ist besser, wenn sie nicht alles weiss und wie hätte ich ihr auch meine plötzlichen Kräfte glaubhaft schildern können, die ich kurz vor meinem Weggang erhalten habe? Wie sollte ich ihr erklären, dass es mir möglich war, mich in einen Tiger zu verwandeln und dass ich durch Portale in andere, weit entfernte Länder, zu reisen vermochte? Wie konnte ich ihr jemals sagen, zu welcher Gewalt ich seither fähig war? Ich, die einst so sanftmütige, aber hilflose Milena? Nein! Es war nicht möglich! Abrupt erhebe ich mich und spreche: «Ich muss jetzt wirklich gehen! Danke für den Kaffee und die Pralinen!» Beinahe fluchtartig, laufe ich zur Tür. Claudia rennt mir nach und hält mich an meiner Hand fest! «Nein! Bitte geh nicht! Ich weiss, du bist es Milena. Ich habe dich erkannt!»