Die Einwohner von Belletristica hatten sich nie weiter über das Dämonenland Gedanken gemacht. Die Feinde sammelten sich das ganze Jahr über dort, um im November das schöne kreative Feenland zu überfallen.
Die ersten ernsthaften Sorgen kamen, als die Invasion Jahr für Jahr größer wurde. Nachdem schließlich eines Jahres der Überfall nur noch gerade so abgewehrt worden war und man ernsthaft begann, über geeignete Maßnahmen nachzudenken, erschien der schwarze Lord wie aus dem Nichts und machte sein spezielles Angebot.
50 Jahre war das nun schon her. 50 Jahre, das hieß 100 Einwohner aus Belletristica dafür, dass die Feindeshorden weiterhin überschaubar blieben und das Land nicht überrannten.
Und damit hatten sich beide Seiten arrangiert. Der Herr bekam zwei Mal seinen Tribut, und die Menschen atmeten auf, wenn es keinen der ihren traf.
Die Auswahl der „Opfer“ schien keinem wirklichen Schema zu folgen. Es traf Männer und Frauen jeden Alters.
Allerdings gingen die Soldaten zielgerecht vor – sie schienen genau im Voraus zu wissen, wen sie abzuholen mussten und wo er zu finden war. Von den Angehörigen abgesehen, stellte sich auch keiner den bewaffneten Männern in den Weg – bedeutete es doch, den Bestand von Belletristica zu sichern. Und was waren da schon 2 Menschen im Jahr, wenn man dafür überleben konnte?
Was mit den „Auserwählten“ geschah, wusste keiner. Die einzige sichere Erkenntnis war, dass sie wohl zum dunklen Lord ins Dämonenland gebracht wurden. Wohin sich allerdings bisher kein Belletristican verirrt hatte. Selbst die Seefahrer mieden dieses Land und fuhren höchstens den offiziellen Hafen an, der von Darks Militär bewacht und verteidigt wurde. Aber auch hier waren die Kapitäne sehr zurückhaltend und ein Schiffsverkehr geschweige denn Handel bestand nicht wirklich.
Aus den genannten Gründen war auch noch keiner zu Darks Festung, geschweige denn überhaupt ins Landesinnere des Dämonenlands gereist. Es ging jedoch das Gerücht um, dass ein befestigter Weg zu seinem Sitz führte.
Mehr war über diesen Wohnsitz nicht bekannt. Und so genau wollte das auch kein Einwohner des Bücherlandes wissen.
Dabei hätten Darks Truppen einiges berichten können. Naturgemäß waren sie jedoch nicht sonderlich beliebt und daher mieden beide Seite einen näheren Kontakt. Die Soldaten verließen zwar immer wieder mal das Dämonenland, auch außerhalb der Tributzeit, verbrachten den einen oder anderen Abend in eines der örtlichen Wirtshäuser und übernachteten auch bisweilen dort. Aber sie blieben meist unter sich und erzählten auch nichts über den Sinn und Zweck ihres Aufenthalts. Am nächsten Tag reisten sie bereits wieder weiter, um nach einiger Zeit wieder von der Landkarte zu verschwinden und zu ihrem Herrn zurückzukehren.
Zurückzukehren in die Heimat der Dämonen, die besiedelt worden war, wenn auch nicht im großen Stil. Denn Darks Befestigung war nicht das einzige Gebäude im Dämonenland geblieben.
Kleine Dörfer waren entstanden, durch die geheimnisvolle Magie vor Kälte und unberechenbaren Schneestürmen geschützt. Dazu hatten sich Fürsten dazu gesellt, um die Städte zu verwalteten und dafür sorgten, dass Recht und Ordnung herrschten. Auch sie hatten ihren Herrschaftssitz; wenn auch bei weitem nicht so prunkvoll und groß wie die des Herrschers.
Es gab also durchaus eine Art Hofstaat sowie Steuern und all das, was so dazugehörte. Ebenso alles, was ein Heer so brauchte – Schmiden, Ärzte, Reiterhöfe und Stallmeister beispielsweise.
Der Herrscher selbst ließ sich selten in den umliegenden Dörfern blicken – weiter gelegene Siedlungen hatten ihn sogar noch nie zu Gesicht bekommen. Viel lieber hielt er sich in seinem Gebäude auf oder bekämpfte die Dämonen. Offensichtlich konnte er weder mit den mitgereisten Fürsten noch mit den entstandenen Verwaltungen etwas anfangen.
Nicht nur den Bewohnern von Belle, sondern auch seinen eigenen Landsleuten war er suspekt und auch sie fürchteten ihn.
Zwei Tage war es nun schon her, dass sein Berater und im Anschluss seine Späher ihm von den seltsamen Geschehnissen rund um Belletristica erzählt hatten. Sie hatten ungehörige Dinge erzählt, die er sich selbst nicht erklären konnte und die weitere Nachforschungen nötig machten.
Höchste Zeit also, sich mal wieder bei einem kleinen Dämonenkampf abzulenken.
„Symar, hol Rangar her!”, befahl er deshalb, während er sich von seinem bequemen Sessel erhob.
Er hatte bereits gestern beschlossen, an diesem Tage zu kämpfen und daher seinen Bediensteten angewiesen, kurzfristig alle Termine abzusagen. Dark war für seine Launenhaftigkeit bekannt und es war nicht ungewöhnlich, dass er kurzfristig beschloss, mal wieder „Monsterjagen“ zu gehen und die Planungen aller über den Haufen warf.
So war der dunkle Lord nun mal. Und die Meinung der anderen scherte ihn dabei recht wenig. Wer beim schwarzen Herrscher vorsprechen wollte, brauchte Geduld gepaart mit Flexibilität. Denn er entschied, wen er wann und wo empfangen würde. So gab es Gesandten, die sofort zu ihm vorgeladen wurden, während andere sich in Geduld üben mussten.
Fast schien es, als wollte Dark bewusst unberechenbar wirken und provozieren. Vielleicht hatte er Spaß daran - möglicherweise wollte er aber auch die Reaktionen und Loyalität der anderen testen. Oder das alles hatte gar nichts zu bedeuten und war einfach im Charakter dieses Mannes begründet.
Und wer ihn kannte wusste, dass es klüger war, ihn nicht zu erzürnen. Daher machte sich Symar sofort auf den Weg, nachdem er die Anweisung erhalten hatte. Der Herrscher legte in diesen Fällen Wert darauf, dass sein persönlicher Ratgeber Rangar selbst aufsuchte und herbeibrachte. Da ja alle Termine schon abgesagt worden waren, kam Darks Eröffnung nicht ganz unerwartet.
Eilig eilte Symar aus dem Saal und lief zielsicher die Gänge entlang. Draußen, vor Darks Festung hatten die Soldaten ihr Lager aufgeschlagen und der oberste Heeresführer befand sich gerade im Kommandozelt, wo er mit einigen seiner Kameraden Karten spielte, als der kleine Mann hastig die Zeltplane zurückschlug.