Schon zwei Jahre unter den Argusaugen meines Vaters und seiner Getreuen. Nicht einmal alleine schlafen darf ich noch, einer der Junker teilt stets mein Zimmer mit mir, wie in einer Kaserne. Es ist regelmäßig ein anderer - offensichtlich will mein Vater das Risiko, dass mein Charme einen der Männer zu meinem Freund macht, nicht eingehen. Ihre beständige Nähe zehrt an meinen Nerven. Phex sei Dank habe ich wenigstens tagsüber gelegentlich noch die Möglichkeit, mich für kurze Zeit frei zu bewegen und Atem zu schöpfen.
Mein Weg ist nun noch klarer vorgezeichnet als je zuvor. Die Übungen, die ich täglich zu absolvieren habe, machen einen recht guten Fechtmeister, passablen Reiter und vollendeten Adligen aus mir. Dass mein Vater einen Traviabund mit einer Dame der Rescendientes geschlossen hat und ich nun über eine nur wenige Monate alte Halbschwester verfüge, zeigt mir deutlich, dass er sich lieber absichert, bevor ich seine Pläne für die Familia wieder zunichtemachen kann.
Und dennoch haben sich die Besuche bei einer bestimmten Familia der sozial sehr hoch gestellten Rescendientes in letzter Zeit auffallend gehäuft. Ich bin mir sicher, der Grund ist ihre Tochter, nur zwei Jahre jünger als ich. Ich habe sie sogar kurz kennengelernt: eine herrische, kalte Person, für die ich keinerlei Sympathien hege. Fast hätte ich die Etikette verletzt, als ich ihre Hand nicht ergriff und küsste, sondern nur die Verbeugung vollführte, die ich mir angewöhnt habe, doch sie schien es als harmlose Eigenart meiner Person zu akzeptieren und jagte uns nicht gleich wieder aus dem Haus. Ich weiß, dass ich im aktuellen Handel meines Vaters wieder die Ware bin. Es scheint für mich keinen Weg zu geben, dieser Verbindung zu entgehen.
Fast wollte ich mich in mein Schicksal fügen, als ich mich gestern Nacht spontan entschlossen habe, alles auf eine Karte zu setzen. Als der aktuelle Junker, Rodrigo oder so ähnlich, ein Kerl mit beeindruckend attraktiver Rückenmuskulatur, aber völlig ohne Verstand, durch sein Schnarchen bewies, dass er eindeutig eingeschlafen war, schlich ich mich zum Fenster und badete im Sternenlicht, bevor ich im Stillen Phex einen Handel anbot. Wenn er mich hier herausbringt, will ich ihm ganz und gar dienen und all meine Fähigkeiten zu seiner Verfügung halten!
Es erscheint mir heute, als sei das gestern Nacht nur ein Traum gewesen, doch etwas in meinem Innern hatte mir das Gefühl gegeben, als habe das Angebot akzeptiert ... Ich hoffe, es ist nicht nur meine Verzweiflung, die mir diese Hoffnung vorgaukelt.
Mit erhobenem Haupt gehe ich hinter meinem Vater über den Markt, um die täglichen Geschäfte zu erledigen. Das übliche Treiben ist sogar noch turbulenter als sonst, denn mitten auf dem Marktplatz steht ein Ausrufer und verkündet die Neuigkeiten aus dem Kaiserreich, die die hiesigen Händler betreffen könnten.
Noch nie habe ich solch einen Ausrufer hier gesehen - wie ungewöhnlich. Auch mein Vater scheint erstaunt und verlangsamt seinen Schritt, um dem Mann zuzuhören: "... auf drei Unzen Silber festgelegt. Wer mehr verlangt, macht sich des Wuchers schuldig und muss mit der Strafe im Namen ihrer Majestät, der Kaiserin Rohaja von Gareth, rechnen." Er macht eine kurze Pause und nimmt eine neue Schriftrolle zur Hand. "Der Wein dieser Gegend ist im ganzen Mittelreich bekannt und begehrt. Ihre Majestät wünscht, dass die Handelsbeziehungen zu anderen Völkern weiter ausgebaut werden, und will einen Handelszug ins ferne Andergast entsenden. Die Reise wird gefährlich und beschwerlich, doch sicherlich lohnend. Ruhm und Ehre winken den Häusern, die sich daran beteiligen! Wer tritt vor?"
Unvermittelt durchflutet mich Phexens Klarheit: Das ist sie, die Chance, die er mir bietet! Wie könnte mein Vater sich weigern, der Kaiserin höchstpersönlich zu gehorchen?
Ich atme einmal kurz durch, recke mich und trete einen entschlossenen Schritt nach vorne und verkünde mit fester Stimme: "Ich werde mitkommen. Ich bin Talfan Desidero von Vascagni, und es wird unserer Familia eine Ehre sein, dem Ruf der Kaiserin zu folgen!"
Mein Vater presst die Kiefer aufeinander, nickt aber bestätigend: "Für die Kaiserin werden wir Ruhm und Ehre erlangen und die Handelsbeziehungen verbessern!"
Das war es - ich habe meine Chance ergriffen! Ich kann es kaum glauben, als ich meinem äußerlich ruhigen, innerlich aber vor Zorn kochenden Vater nach Hause folge - die Tagesgeschäfte sind vergessen, es gilt nun, Waren für den Handelszug auszuwählen und zusammenzustellen.
Die Tracht Prügel dafür, dass ich mich zu Wort gemeldet habe, ohne sein Einverständnis einzuholen, lasse ich stoisch über mich ergehen, nehme den Schmerz, um meine Entschlossenheit zu stärken. Mit meinen sechzehn Jahren überrage ich meinen Vater inzwischen um einige Fingerbreit, und das tägliche Training hat meine Muskeln gestählt.
Ich frage mich, ob es ihm bewusst ist, dass er Glück hat, dass ich mich nicht wehre. Vermutlich nicht. Gegen die Regeln zu verstoßen käme ihm nie in den Sinn. Die Freiheit, die Phex mir diesbezüglich geschenkt hat, lässt mich trotz der heftigen Schmerzen auf meinem malträtierten Rücken grimmig lächeln.