Nur drei Wochen später ist es soweit: am nächsten Tag werde ich aufbrechen, vier mit Wein beladene Lastesel und mein Pferd, das mich und die Satteltaschen mit meiner persönlichen Habe tragen wird, mit mir nach Andergast führend.
Vor Aufregung kann ich kaum noch schlafen und bin auch sonst unruhig und rastlos. Wie kann ich Phexens Willen erkennen? Ich muss jemanden diesbezüglich fragen ...
Ich erkläre meinem Vater, im hiesigen Phextempel um Beistand für gute Geschäfte beten zu wollen. Die Geweihten dort sind zwar offiziell alle nur Händler, aber müssten sie nicht um die weiteren Aspekte des Gottes der Händler - der Händler und der Diebe, verbessere ich mich im Stillen - wissen? Und selbst wenn nicht ... wenn ich einen Geweihten um ein vertrauliches Gespräch bitte, müsste ich doch zumindest bis zur Abreise sicher sein!
Mein Vater nickt knapp, und mir fällt auf, dass ich ihn seit einigen Tagen nicht mehr um Erlaubnis bitte, etwas zu tun, sondern ihn nur noch informiere. Das scheint auch er bemerkt zu haben, und ich glaube nicht, dass es ihm gefällt. Ich schmunzle in mich hinein und mache mich auf den Weg zum Tempel.
"Ich würde gern unter vier Augen mit einem der Geweihten sprechen", erkläre ich und stelle mich vor. "Ich werde morgen mit dem Handelszug nach Andergast reisen."
Einer der beiden Geweihten, die mich im Tempel empfangen haben, will mich schon in einen Raum bitten, doch die andere fällt ihm in den Arm: "Ich hole Gujadal", erklärt sie und wirft ihm einen vielsagenden Blick zu. Das macht mich ein wenig misstrauisch, doch ich warte geduldig in dem mir zugewiesenen Raum.
Der Geweihte, der kurz darauf zu mir stößt und die Tür hinter sich schließt, ist ungefähr so groß wie ich und sicherlich sechs bis acht Jahre älter. Sein Körperbau zeugt von beeindruckender Gewandtheit und eleganter Kraft, wie mein über ihn schweifender Blick erkennt.
Sofort lenke ich meine Aufmerksamkeit auf mein Vorhaben und stelle mich erneut vor, berichte vom Handelszug und dass ich Phexens Segen erbitten möchte, um gute Geschäfte zu tätigen. Nur kurz mache ich eine unsichere Pause, bevor ich hinzufüge, dass ich auch unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit ihm über eine andere Angelegenheit sprechen möchte.
Er nickt wissend: "Ich hatte mich schon gefragt, wann du endlich hier auftauchst."
Etwas in seiner Stimme sowie die vertrauliche Ansprache lässt mich aufhorchen - das klingt verdammt nach ...
"Du kannst so nicht aufbrechen", unterbricht er meine Gedanken.
Aufgebracht will ich ihm widersprechen, doch er hebt gebieterisch eine Hand und bedeutet mir, ihn ausreden zu lassen. Das Vorrecht der Geweihten, denke ich bei mir, und halte respektvoll inne.
"Novizen gehen nicht alleine auf Wanderschaft, Füchschen!"
Alles, was ich sagen wollte, bleibt mir in der Kehle stecken, und ich starre einen Augenblick in seine braunen Augen, in denen es schelmisch funkelt. Als ich meine Stimme wiederfinde, sprudeln meine Gedanken einfach so aus mir heraus, genau wie damals: "Ihr wart das damals in meinem Schlafzimmer!"
Er nickt und fährt fort: "Du hast die dir gestellten Aufgaben gemeistert und wurdest aufgenommen. Die letzten beiden Jahre jedoch konnten wir dich nur beobachten, nicht kontaktieren. Hast du den Glauben an den Listigen verloren?"
"Nein!", widerspreche ich aus vollem Herzen, und berichte von den vergangenen Jahren, dem Gebet und dem Handelszug.
Gujadal nickt ab und zu, als bestätigten meine Worte seine gewonnenen Erkenntnisse, während er mir aufmerksam zuhört. "Du hast Geduld bewiesen. Ein Fuchs muss geduldig sein können, oft wartet man lange auf die richtige Gelegenheit. Aber ein Novize kann wirklich nicht alleine auf Wanderschaft gehen."
Ich schlucke schwer und schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln. Natürlich muss ich, ein Novize, einem Geweihten unseres Gottes gehorchen, aber zu sehen, wie all meine Hoffnungen der letzten Wochen mit einem Mal zunichtegemacht werden, versetzt mir einen schweren Schlag. Ich versuche dennoch, mir möglichst wenig anmerken zu lassen. "Wie Ihr es sagt, will ich es tun", höre ich meine leicht raue Stimme sagen.
Er lächelt. "Oh, das hast du nicht ganz richtig verstanden, Füchschen. Es ist Zeit, dass du zum Akoluthen wirst!"