Prompt: Nesthäkchen
„Nein! Ich will nicht, dass du bei meiner Geburtstagsfeier dabei bist!“ Meine Schwester war mehr als aufgebracht. Was ist denn so schlimm daran, wenn ich bei ihrer Feier dabei bin?
„Wieso willst du das nicht? Ich will aber unbedingt dabei sein!“
„Meine ganzen Freunde kommen. Mädels, als auch Jungs, die alle in meinem Alter sind und nicht in deinem. Das sind meine Freunde. Das ist meine Feier. Du warst die ganzen letzten Jahre immer dabei, weil Mama darauf bestand, aber heuer will ich einmal mit meinen Freunden und ohne dich feiern.“ Meine Schwester war nun wirklich zornig.
„Ja okay. Verstehe. Dann beschäftige ich mich halt selbst.“
Niedergeschlagen schlurfte ich in mein Zimmer, schloss die Türe hinter mir und begann zu heulen. Ich wusste, dass ich ihre kleine Schwester bin. Ich wusste, dass ich oft nervig sein kann und auch bin. Aber, dass sie mich bei ihrer Geburtstagsfeier nicht dabeihaben will, verstand ich nicht. Es verletzte mich und ich konnte den ganzen restlichen Tag und Abend an nichts anderes denken, als an ihre Worte heuer will ich einmal mit meinen Freunden und ohne dich feiern. Ich heulte mir wahrlich die Augen aus dem Kopf. Die Traurigkeit wurde noch schlimmer, als einer nach dem anderen eintraf und ich bei keinem Spiel und bei keinem Film dabei sein durfte. Das war einer der Momente, den ich zwar nie vergessen, aber später auf jeden Fall besser nachvollziehen konnte.
Rückblickend stimmt mich dieser Moment immer noch traurig. Es war wie ein Schlag in die Magengrube von meiner Schwester zu hören, dass sie mich bei ihrer Geburtstagsfeier nicht dabeihaben möchte. Dennoch habe ich inzwischen Verständnis dafür. Warum? Lasst es mich euch erklären.
Ich war von klein auf natürlich die kleine Schwester. Das sogenannte Nesthäkchen der Familie. Zwar nicht verwöhnter und privilegierter als meine große Schwester, aber dennoch wirklich nervig. Meine Schwester und ich sind insgesamt dreieinhalb Jahre auseinander. Sie wurde im November 1993 und ich im April 1997 geboren. Seit ich denken kann, wollte ich immer genau das machen, was meine Schwester macht. Meine Schwester zeichnete und malte? Ich wollte auch zeichnen und malen. Also zeichnete ich ihr alle Motive nach. Trotzdem waren ihre Werke immer viel schöner als meine, was mich wieder traurig stimmte. Meine Schwester konnte richtig coole Legotürme und -raumschiffe bauen. Ich wollte das auch und baute ebenfalls Legotürme und -raumschiffe. Meine Schwester schaute und mochte diesen Film, diese Serie, dieses Genre, diesen Artisten? Ich mochte das alles auch. Also ihr merkt. Ich war keine einfache kleine Schwester. Aber es war von mir nie böse gemeint und oft genug dachte ich mir früher, als ich jünger war, dass ich irgendwann die große Schwester sein würde. Mein naives Ich dachte, dass meine Schwester nicht altern würde. Ganz schön dämlich.
Zum Zeitpunkt ihres Geburtstags damals, wurde sie gerade 14 oder 15 Jahre alt. Ich war zu dieser Zeit gerade mal 10 oder 11 und irgendwie verstehe ich es heute, dass sie mich damals nicht dabeihaben wollte. Abgesehen davon war sie in der Pubertät, wo man kleine Geschwister und Eltern sowieso nicht ertragen kann. Ich kannte dieses Gefühl halt nicht, weil ich selbst keine kleinere Schwester mehr hatte. Es gab nur sie und mich und ich wollte von ihr anerkannt werden. Ich merkte damals nicht, dass sie mich nicht durch die Dinge, die ich ihr nachmachte, sondern durch die, die uns unterschieden anerkannte.
Erst jetzt nach fast weiteren sechs bis sieben Jahren, konnte ich zwischen den Zeilen lesen und wusste, dass ich immer schon in ihrem Herzen einen ganz besonderen Platz einnahm. Egal ob wir uns stritten, schlugen oder gegenseitig mit Sachen beworfen, wir liebten uns als Geschwister und hätten ohne den anderen nicht sein wollen.
Und jetzt, 12 Jahre später, gehören wir zusammen wie Pech und Schwefel. Auch wenn wir über 300 km voneinander entfernt wohnen, schreiben und telefonieren wir miteinander. Wir freuen uns wie kleine Kinder, wenn wir uns wieder einmal sehen und gehen gemeinsam auf Konzerte oder was trinken. Wir haben über die Jahre sehr unterschiedliche Geschmäcker in Kleidung, Beruf, Musik, Bücher, Filme, Serien, etc. entwickelt und stehen uns trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, so nahe wie noch nie zuvor. In vielen Dingen vertreten wir dieselbe Meinung, weshalb wir uns trotz unseres Altersunterschiedes auf der gleichen Wellenlänge befinden.
Also ja, was bleibt mir als Nesthäkchen am Ende nun noch groß zu sagen, als dass ich, selbst wenn ich an diese prekäre Jugendphase unserer Geschwisterliebe zurückblicke, definitiv nichts anders machen würde. Jeder Schritt und jede Handlung, auch wenn sie noch so unglücklich und nervig waren, haben meine Schwester und mich auf eine unbeschreibliche Art und Weise zusammengeschweißt. Ich liebe sie über alles und auch wenn ich ihre kleine Schwester bin, weiß sie, dass sie mit allen Problemen und Thematiken immer zu mir kommen kann und ich für sie da bin. Das ist das, was unsere Geschwisterliebe ausmacht und was ich in meinem ganzen Leben nicht mehr missen will.