Seit diesem Abend waren beinahe anderthalb Wochen vergangen. Harry hatte mit dem Slytherin nicht über den Kuss gesprochen. Es bewies sich ohnehin als schwierig, da dieser kaum in seiner Einzimmerwohnung war. Meist war Harry alleine dort und versuchte die Zeit irgendwie rumzubekommen. Es wirkte wirklich, als würde er nur kommen, wenn ihm alles zu Kopf stieg und er Abstand brauchte.
Harry fühlte sich jeden Tag schlechter. Er wollte ihm unbedingt helfen und für ihn da sein. Aber was sollte er groß machen? Würde Harry jetzt das Gespräch suchen und Draco reizen, müsste er wahrscheinlich zu den Weasleys zurück und sich seinen beiden besten Freunden erklären. Das wollte er partout nicht. Schließlich wusste er genau, dass Ron einen riesen Aufstand machen würde und Hermine ihm Vorwürfe machen würde, da er sich ja in Gefahr gebracht hatte.
Die letzte Zeit hatte ihn ziemlich heruntergezogen, da Harry jedes Mal an den Kuss denken musste, wenn er Draco sah. Ihm fehlte das Gefühl der weichen Lippen auf seinen und die sanfte Berührung des Slytherins. Auch wenn er wusste, dass es eigentlich nicht sein durfte, musste er sich jedes Mal zurückhalten, um ihn nicht zu berühren. Wenn Draco weg war, dann fehlte er Harry. Jede Nacht lag Harry im Bett und wünschte sich, dass der Slytherin hier wäre. Inzwischen war er schon ein wenig ratlos geworden.
Vor zwei Tagen saß er in einem kleinen Café und eine Kellnerin hatte versucht mit ihm zu flirten, aber Harry konnte nur an Draco denken. An diesem Abend wurde er von Dumbledore abgeholt, da dieser seine Hilfe benötigte. Zusammen hatten sie einen Professor Slughorn nach Hogwarts zurückgeholt. Als Harry an diesem Tag nach Hause kam, war es mitten in der Nacht, wie immer war er alleine.
Die Zeit verging im Fluge, aber es änderte sich nichts. Er fühlte weiterhin einsam bis am letzten Tag vor Schulbeginn. Eine letzte Nacht, bis er und Draco wieder die Feinde spielen mussten. Seufzend ließ er sich auf der Couch nieder und betrachtete schweigend die Wand mit den Bücherregalen.
Bis plötzlich ein leises Ploppen ertönte, welches ihn herumfahren ließ. „Malfoy ..."
„Klappe, Potter! Ich werde bis morgen hierbleiben und mir ist es egal, was du dazu sagst. Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen", zischte Draco und sah ihn dabei nicht einmal an.
Seufzend wandte Harry sich ab und musterte erneut die vielen Bücher im Regal. Er hatte keine Lust, sich jetzt mit Draco auseinanderzusetzen, das würde sowieso nur im Streit enden. Streit war das Letzte, was der Gryffindor jetzt wollte, daher hielt er es für schlau einfach zu schweigen. Er versuchte Draco nicht weiter zu beachten, konnte aber dennoch spüren, dass Draco mit Harrys Abwehrhaltung ein wenig überfordert war. Schließlich verzog Draco sich in die Küche. Harry nahm die Geräusche nur am Rande wahr, viel mehr drehten sich seine Gedanken wieder um Draco.
Kurz darauf ging Harry ebenfalls in die Küche und ließ sich neben Draco sinken, der eine Hähnchenkeule aß. Harry beachtete er gar nicht.
„Du könntest ruhig ein wenig mehr Dankbarkeit zeigen, immerhin durftest du hier zwei Wochen leben, Potter!"
Harry stieß ein wütendes Schnauben aus und wandte sich dem Slytherin zu. „Ich bin dankbar", zischte er und funkelte ihn an. „Das, was mich wütend macht, ist etwas anderes und du weißt genau, was ich meine!"
„Ich habe dir gesagt, dass ich öfter weg sein werde, da meine Eltern, der dunkle Lord und die anderen Todesser ansonsten Verdacht schöpfen würden."
„Hör doch auf, mich für blöd zu verkaufen, Malfoy!"
„Ich?!"
„Siehst du hier noch jemanden?", fragte Harry sarkastisch. „Wenn von deiner Seite aus wirklich alles in Ordnung wäre, dann würdest du mir freundlicher gegenübertreten und nicht wie früher. Die Tatsache, dass du so kühl und gehässig bist, zeigt mir, dass du genau weißt, was ich meine, und mich anlügst!"
Draco seufzte und stellte den Teller vor sich auf dem Tisch ab, ehe er zu dem Gryffindor blickte.
„Die Aufgaben fressen mich innerlich auf! Ich habe keine beschissene Ahnung, wie ich da rangehen soll und Bellatrix hat uns jeden Tag besucht. Wir hatten jeden Tag eine Sitzung mit dem dunklen Lord und diese hat immer bei uns stattgefunden. Ich lüge dich nicht an, Potter, ich bin einfach nur fertig mit den Nerven!"
Harry hielt inne und musterte den Größeren neben sich. Seine Haare standen strubbelig in alle Richtungen. Er sah nicht wirklich gesund aus. Eher wirkte er, als hätte er tagelang nicht geschlafen. „Dann bleib heute Nacht hier. Das ist die letzte Nacht. Die letzte Nacht in der wir uns normal verhalten können. Morgen müssen wir wieder die Feinde spielen."
„Wie wollen wir das schaffen?", flüsterte Draco und blickte in Harrys grüne Augen.
„Wir verhalten uns wie in den letzten Jahren. Wenn du mich schlagen musst, dann tust du es. Und wenn ich dich schlagen muss, dann- So wie immer einfach ..."
„Aber wir müssen uns treffen."
„Im Raum der Wünsche, Malfoy ...", murmelte Harry gelangweilt. „Wie ich es dir bereits vor ein paar Wochen gesagt hatte."
Draco schüttelte seinen Kopf. „Hast du nicht."
„Doch, ich bin mir sicher, dass ich es gesagt habe", widersprach Harry, ließ es dann aber darauf beruhen. Er wollte jetzt nicht mit Draco streiten. „Hast du dein Gepäck mitgebracht?"
„Steht da hinten ..."
Dann brach ein unangenehmes Schweigen ein. Harry wollte mit Draco in einer Unterhaltung versinken wie sonst auch, aber ihm fiel nichts ein. Langsam glitt sein Blick wieder hinüber zu den Büchern. Jetzt gerade wirkten diese um einiges interessanter. Harry stand, angezogen von dem Bücherregal, auf und ging dort rüber. Langsam zog er ein dickes, in Leder eingebundenes Buch aus dem Regal. Es war von einer dicken Staubschicht überzogen, sodass Harry einmal kräftig pusten musste.
Er spürte Draco‘s Blick auf sich, aber versuchte, zu ignorieren.
Seufzend stand der Slytherin auf und verzog sich mit seinem Essen in die Küche. Währenddessen schlug Harry das Buch auf und überflog dir ersten vergilbten Seiten. Aber schon nach einer Weile stellte er es wieder sorgsam in das Regal zurück und wandte sich ab.
„Ich geh raus, warte nicht auf mi-"
„Potter, es ist verdammt neblig da draußen, du verläufst dich nur! Ich komme mi-"
„Ich kann auf mich alleine aufpassen, Malfoy", zischte Harry und sah ihn wütend an.
Er konnte es nicht nachvollziehen, dass Draco sich nach dem Kuss so distanziert gezeigt hatte und erst jetzt, nach zwei Wochen, ankam. Schließlich ging er von Draco aus und Harry hatte ihn sogar erwidert.
„Ich werde trotzdem mitkommen! Du musst ja nicht mit mir reden."
Beinahe klang er schon ein wenig trotzig, was Harry innerlich zum Lächeln brachte. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken. Er widersprach nicht und ging ihm einfach hinterher. Vielleicht konnte er Draco draußen in ein Gespräch verwickeln.
Er war beinahe an der Eingangstür, als Draco ihn eingeholt hatte und ihm eine lange Jacke entgegenstreckte. Harry verharrte und starrte die grüne Jacke angewidert an.
„Jetzt zieh schon an, Potter! Es ist kalt draußen."
„Das ist Slytheringrün!"
„Stell dich nicht so an, du schläfst bei einem Slytherin! D-Du hast mit einem Slytherin geknutscht und teilst dir mit einem Bett!"
Also konnte er sich noch genau dran erinnern. Wütend entriss Harry ihm die Jacke und öffnete schwungvoll die Tür. Während Harry sauer in die Dunkelheit stapfte, musste Draco ihn im Laufen einholen.
„Warte doch mal!"
Harry wartete nicht, aber er gab den Slytherin auch keine Antwort. Plötzlich griff dieser nach Harrys Hand und zog ihn zu dem Ufer eines Sees. Verwirrt blinzelte der Gryffindor und blickte auf das Wasser und anschließend auf den Sand unter seinen Schuhen. Draco ließ seine Hand los und setzte sich schweigend hin. Sein Blick war auf den Sand gerichtet. Gedankenverloren griff er in den weichen, kühlen Sand und ließ diesen durch seine Finger rieseln.
Langsam ließ Harry sich neben ihn sinken.
„Was soll das?"
„Was soll was?", hackte Draco offenbar verwirrt nach.
„Was wohl?! Du lässt mich nicht alleine raus gehen, bist beinahe anderthalb Wochen nicht hier und wenn du mal da bist, dann redest du nur abwertend oder gar nicht mit mir. Ich dachte, wir wären weiter ..."
Draco blickte zu dem Grünäugigen herüber. „Ich ... -"
„Lass es, Malfoy! Kannst du mir nicht ernsthaft sagen, warum du das tust? Wir haben uns geküsst, verdammt! Ich möchte jetzt die Wahrheit."
Draco blinzelte irritiert. „Aber du hast mich doch eben gefragt, dann lass mich auch antworten!“
Harry nickte. Er war überrascht, dass der Slytherin nicht gereizt reagierte.
„Du willst die Wahrheit nicht hören, glaub mir Potter! Dafür würdest du mich eigenhändig töten!"
Harry schüttelte seinen Kopf und griff auf einmal nach Draco‘s Hand. „Muss ich dich daran erinnern, wie sich dieser Kuss angefühlt hat?"
„I-ich...- es war ein Fehler. Ich hätte dich niemals küssen dürfen. Es hat sich damals so richtig angefühlt. In meinem Leben hatte ich so ein Gefühl noch nie, als würde man schweben. Die Worte von meinem Vater kamen wieder hoch und ich hatte Angst, dass du es bereust."
Ein schelmisches Grinsen huschte über Harry‘s Gesicht. „Draco Malfoy hatte Angst, dass ich das noch erleben darf."
„Halt die Klappe, Potter", zischte Draco und zog seine Augenbrauen ärgerlich zusammen. „Ich rede nie über meine Gefühle und ausgerechnet mit dir-"
„Ich glaube, Malfoy, dass du inzwischen mitbekommen hast, dass ich den Kuss nicht bereue. Warum sonst sollte ich sauer auf dich sein?"
„N-Nicht?"
Harry drehte seinen ganzen Körper zu ihm herum und lächelte ihn an. „Ich bereue es nicht. Ehrlich gesagt, vermisse ich es und ...- so unausstehlich bist du jetzt gar nicht. Nur manchmal bist du unausstehlich", erklärte Harry und versuchte, seine Gefühle in Worte zu bringen, zum Ende hin schlich sich ein breites Grinsen auf die Lippen.
Draco schien sich damit zufrieden zu geben und rutschte ein wenig näher an den Gryffindor heran. Harry allerdings berührte den Slytherin sanft an seinem Arm. „Was hat dein Vater denn immer gesagt?"
Der Slytherin blickte besorgt in Harry‘s grüne Augen, während er nach seiner Hand griff. Er wirkte erst ein wenig überrascht über die Reaktion des Slytherins.
„Ich will jetzt nicht darüber reden, Potter." Er würgte die Worte beinahe hervor. Harry zeigte sich einfühlsam.
„Aber wenn du drüber reden willst, bin ich da, Malfoy."
Bestätigend drückte er Draco‘s Hand sanft und lächelte. Diesmal beugte Harry sich ein wenig vor und schaute abwechselnd auf Draco‘s Lippen und in seine grauen Augen. Als dieser ihm ebenfalls näher kam, legte Harry seine Lippen auf die des Slytherins. Einen kurzen Augenblick lang wirkte Draco schockiert, zog den Gryffindor aber schon kurz darauf an seinem Shirt näher zu sich heran. Willig begann er den Kuss zu vertiefen. Er fuhr mit seiner Hand in Harry’s schwarze Haare und lächelte leicht, als Harry wohlig in den Kuss seufzte. Gerade wollte Draco mit seiner Zunge um Einlass bitten, als Harry sich ein wenig löste. Ein Grinsen schlich über sein Gesicht, als er Draco mit der Zunge dort sah.
„Ich warne dich, Potter-"
„Warum hast du nicht schon eher das Gespräch mit mir gesucht? Dann hätten wir wesentlich mehr Zeit gehabt. Morgen müssen wir bereits wieder Feinde spielen."
Draco tat dies mit einem Schulterzucken ab. „Du hättest auch das Gespräch suchen können!"
„Wann? Die paar Stunden, die du bei mir warst? Da warst du total genervt. Du hättest nie im Leben die Wahrheit gesagt."
„Dann lass uns jetzt nicht weiter diskutieren", murmelte Draco und schloss seine Arme bestimmend um den Gryffindor. Dieser wich allerdings zurück und schüttelte seinen Kopf. Augenblicklich verhärteten sich Draco‘s Gesichtszüge und er wirkte gar nicht mehr so freundlich.
„Bevor du sauer wirst-"
„Zu spät, Potter!"
„Lass uns das auf drinnen verlagern. Wenn uns hier draußen jemand sieht, sind wir beide dran."
Harry blickte zu Draco auf und blickte in seine grauen Augen, die ihn wütend anblickten. Entschlossen griff der Gryffindor nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger miteinander. „Du kannst gerne den Wütenden spielen, aber ich werde meinen letzten Ferientag heute genießen. Vor allem, weil es die ersten Ferien waren, die mir wirklich Spaß gemacht haben."
Mit diesen Worten löste Harry seine Hand und ging zielstrebig den Weg zu Draco‘s Einzimmerwohnung zurück. Er wollte Draco nicht zwingen, daher ließ er die Wahl offen. Erst in der Wohnung sah er einmal nach hinten. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, als er den Slytherin erblickte, welcher zielstrebig in seine Richtung kam. Als Harry die Einzimmerwohnung erreichte, öffnete er diese und ließ die Tür für Draco angelehnt. Eilig ging er zu dem großen Bett, legte sich dort mitsamt seiner Klamotten hinein.
Der Weißblonde schlüpfte aus seinen Schuhen und ließ sich neben dem Gryffindor fallen.
„Man schläft nicht in Klamotten, Potter", flüsterte er, als er sich in Harrys Richtung wandte.
„Man schläft aber auch nicht nackt, Malfoy!"
„Für deine Verhältnisse war das ein recht guter Kontra."
Harry drehte sich auf die Seite und blickte in diese grauen Augen, die ihn amüsiert musterten.
„Wir sollten unsere Schlafklamotten anziehen und schlafen. Es ist schon spät und außerdem müssen wir morgen um elf am Bahnhof sein."
„So müde, Pot-"
Draco hielt inne, als er Harry dabei beobachtete, wie er sich sein Shirt auszog und seine Jeanshose von den Beinen strampelte. Harry drehte sich um und lächelte in seine Richtung, eher er Draco bestimmend an seinem Shirt packte und ihn an sich zog. „Du solltest dir dein Shirt ausziehen, Malfoy", hauchte er beinahe heiser, dabei wurde sein Lächeln noch breiter, als es eh schon war. Zufrieden sah Harry, wie der Slytherin keine passende Antwort wusste und sich schweigend sein Shirt über den Kopf streifte.
Er ließ sich zurück ins Bett fallen und sah auffordernd zu dem Slytherin hinauf. Dieser ließ sich jedoch noch ein paar Minuten Zeit und verbrachte diese damit Harry eingehend zu mustern. Erst als der Gryffindor nach seiner Hand griff und ihn einfach in das Bett zog, hörte Draco auf. Stattdessen zog er den Gryffindor nah an seine Brust.
„Du hast schon recht", nuschelte er. „Für deine Verhältnisse ist es morgen sehr früh."
„Und das hier ist unsere letzte Nacht! In Hogwarts müssen wir wieder die alten Feinde sein", seufzte Harry. Er drehte sich in Draco‘s Umklammerung und schmiegte seinen Kopf zufrieden an die blasse Brust. „Wir könnten uns heimlich treffen", schlug Draco flüsternd fort.
„Das werden wir sowieso, du Idiot. Schon vergessen, weshalb es hierzu gekommen ist?", schmunzelte Harry und sah in die grauen Augen. Ein leises Brummen verließ dessen Kehle.
„Ehrlich gesagt wollte ich das einmal vergessen ... danke, Potter."
„Gleich wirst du es wieder vergessen haben", hauchte er und kam ihm näher, bis seine Lippen langsam Draco‘s streiften. Der Slytherin legte seine Hand bestimmend in Harrys Nacken und zog ihn so noch ein wenig näher, während er den Kuss ein wenig vertiefte. „Dra-", begann Harry, wurde jedoch von dem drängenden Kuss unterbrochen. Er zuckte mit seinem Kopf zurück und blickte auf in seine grauen Augen. „Wir sollten wirklich schlafen... ansonsten bin ich morgen für nichts zu gebrauchen."
Ein zaghaftes Nicken ging von dem Slytherin aus, er strich Harry beruhigend durch seine Haare. „Schlaf gut, Potter."
Ein leichtes Lächeln legte sich auf Harry‘s Lippen, während er an Draco gekuschelt langsam den Schlaf fand.