„Autsch“ Himmel, warum nur tut mein Kopf so weh? Den letzten Cocktail hätte ich mir wohl verkneifen sollen. Aber mir war einfach danach. Nach der ganzen Scheiße, die Mum gestern abgezogen hat. Kaum bin ich wach muss ich wieder daran denken. Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen. Und ich hoffe so sehr, dass Jamie etwas bei Jess erreicht. Auf meine Nachricht hat sie nicht geantwortet. Ich hab echt schiss. Es sind nicht einmal 48 Stunden vergangen seit ich sie nach über 15 Jahren wieder gesehen habe und doch habe ich schon Angst sie wieder zu verlieren.
Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich gut in der Zeit liege. Der Termin beginnt um 11 Uhr. Bis ins Schloss brauch ich eine halbe Stunde. Also, noch ausreichend Zeit für Frühstück und eine Runde Laufen.
Ich will mich gerade umdrehen, da spüre ich einen Widerstand.<Oh nein, das darf nicht wahr sein. Ich muss ein völliger Idiot sein.>
Keine Ahnung was in mich gefahren ist. Wie zum Teufel konnte das passieren? Claire liegt neben mir im Bett und ich könnte mich ohrfeigen. Wir waren in diesem Restaurant. Dann sind wir ins Casino. Da waren diese blöden Paparazzi. Dann sind wir in die Bar. Sie wollte Cocktails und ich hab auch welche für mich bestellt. Und wohl nicht nur einen zuviel.
Ich schlag mir die Hand auf den Kopf. Wir hatten Sex. Langweiligen Sex. Das darf doch echt nicht wahr sein. Im Moment mag ich mich selbst nicht. Ich muss hier raus!
Ich zieh mir meine Sportsachen an, die Laufschuhe und verlasse das Hotel. Kreuz und quer laufe ich durch die Stadt. An der Oos entlang, immer und immer wieder. Wie konnte das passieren? An welchem Punkt habe ich aufgegeben mich gegen Claires Annäherungsversuche zu wehren?
Wenn ich Glück habe, dann ist Claire hoffentlich wieder verschwunden wenn ich zurück komme und ich kann mich auf die Aufgaben konzentrieren die Jamie mir übertragen hat. Ob er schon mit Jess gesprochen hat? Und Mum wieder auf dem Heimweg ist? Warum nur liegt ihr soviel daran, dass ich nicht mit Jess drehe? Irgendwas verbirgt sie vor mir.
Als ich ins Hotel zurückkomme, geht die Sonne gerade auf. Die Hoffnung, dass Claire nicht mehr da sein könnte zerschlägt sich sofort nachdem ich die Türe aufgeschlossen habe.
„Hey, warum bist Du schon auf?“ Ihre Stimme ist belegt und klingt alles andere als erotisch.
„Ich musste hier raus.“ gebe ich zu.
„Oh. Gestern Nacht hat es Dir doch gefallen?“ meint sie und kommt nackt auf mich zu, versucht mich zu umarmen. Aber nicht mit mir. Ich werde das jetzt hier beenden.
„Nicht so sehr, wie Du es vielleicht denkst. Verschwinde Claire. Das mit uns ist und bleibt nichts Ernstes. Und tu mir einen Gefallen, lass mich in Zukunft in Ruhe.“ Sie erstarrt. So direkt habe ich ihr das noch nie gesagt. Wie meistens habe ich mir auch bei ihr ein Hintertürchen offen gelassen. Man weiß ja nie und außerdem bin ich gerne nett.
„Du bist so ein Arsch Harper.“ Sie hat es erfasst.
„Das wusstest Du schon.“ sage ich mit einem fiesen Grinsen im Gesicht.
„Ich hab echt gedacht, dass mit uns wäre anders.“ Die Enttäuschung ist ihr anzusehen. Und einige Tränchen haben sich schon in die Augen geschlichen. Ich hasse es, wenn Frauen heulen. Und noch mehr hasse ich es, wenn ich daran schuld bin. Aber wie soll ich das hier anders lösen, als dass ich den Arsch raushängen lasse?
„Anders als was?“ frage ich mit scharfer Stimme. Langsam werde ich ungeduldig.
„Als mit Deinen anderen Tussen.“ Wie kommt sie auf diesen schmalen Grad? Muss ich noch deutlicher sein?
„Hab ich Dir diesbezüglich irgendwelche Hoffnungen gemacht?“ Kann das sein?
„Nein, aber ich dachte…“ Jetzt reich es. Soll sie doch glauben, was sie will. Ich mache mich endgültig los von ihr und gehe ins Bad und schließe die Türe hinter mir ab. Nicht das sie noch auf falsche Ideen kommt.
„Geh bitte Claire.“ rufe ich ihr noch zu.
Als ich 20 Minuten später das Bad verlasse ist von Claire nichts mehr zu sehen. Ich atme durch. Die bin ich hoffentlich los.
Am Abend sitze ich in der Bar des Hotels und lasse bei einem Drink den Tag nochmal Revue passieren. Gott sein Dank ist Claire weg. Aber leider wird unser Treffen wohl noch Folgen haben. Die ersten Bilder sind schon online. Und die Spekulationen übertreffen sich. Ich könnte meiner Mutter den Kopf abreißen. Ich war doch deutlich. KEINE LOVESTORY. Aber das scheint sie völlig zu ignorieren.
Die Location die ich mir angesehen habe, liegt etwa 14km oberhalb von Baden-Baden. Es ist ein Schloss, dass zu Beginn des 20. Jahrhundert gebaut wurde. Es war nie die Residenz eines Adligen, sondern von vorne herein als ein Offiziers-Genesungsheim geplant. Die Erbauerin war eine reiche jüdische Erbin. Der Mann, der mich durch das Haus geführt hat, ist ein ehemaliger Mitarbeiter aus Zeiten, als das Haus noch ein Hotel war. Wohl eines der besten in ganz Deutschland.
Seit Jahren ist es nun schon mehr oder minder vereinsamt. Der Hotelbetrieb ist eingestellt und der neue Besitzer scheint kein Interesse daran zu haben, hier irgendwas neues auf die Beine zu stellen. Er vermietet wohl gerne an Filmcrews. Schon einiges wurde wohl hier gedreht. Was ich verstehen kann.
Für unsere Zwecke stellt es sich als wirklich perfekt dar. Wir haben Räume, die perfekt ins Drehbuch passen und genügend Platz für die gesamte Crew. Zudem einen Spa Bereich, in dem sich Maske und Kostüm unterbringen lassen. Ein Fitnessbereich für die Freizeitgestaltung. Ein wunderschöner Pool und die Konditionen…das muss wohl Jamie entscheiden. Wir zahlen einen Tagessatz und die Energiekosten. Das Catering hat Zugriff auf drei verschiedene Küchen. Porzellan und Besteck sind vorhanden und man hat uns in Aussicht gestellt, einen Mercedes 500 aus den 50er Jahren bereit zu stellen. Der gehört wohl hier zum Inventar.
Bei der Besichtigung mit von der Partie war ein Securityberater. Er hat schon früher, als das Haus noch als Hotel genutzt wurde, hier gearbeitet. Seine Tipps waren Gold wert und er verfügt über exzellente Verbindungen. Seine Kunden sind die Promis in diesem Land und somit wird es wohl auch kein Problem sein, Statisten und kleine Rollen zu besetzen. Außerdem kennt er sich mit Paparazzi aus und wird sie uns vom Hals halten. Diese Location hat den Vorteil, dass es ein Privatgelände ist mit einem Tor am Eingang. Dort können alle unliebsamen Gäste abgefangen werden.
Das alles klingt viel zu Gut um wahr zu sein.
Während ich dort oben war, konnte ich mich gut ablenken. Habe mich auf meine Aufgabe fokussiert, aber nun kommt die Sorge um mein Verhältnis zu Jess zurück. Jamie hat sich noch nicht gemeldet. Langsam werde ich nervös. Ich will einfach nicht, dass sie mir böse ist. Wir haben uns gerade erst wieder gefunden.
Ich nehme einen Schluck von meinem Drink und schließe die Augen. Ich sehe eine Szene aus meiner Kindheit. Ich war so 12 und Jess 5. Sie tollt im Pool herum im Garten unserer Häuser in Montecito. Plötzlich bekomme ich einen Ball ab. „De, komm doch. Ich will nicht alleine spielen.“
„Jess, die Hausaufgaben sind wichtig. Bitte noch eine halbe Stunde.“ versuchte ich sie zu vertrösten.“
Ich sehe, wie sie vor mir steht und einen Flunch zieht. Und ihre Augen. Diese Augen sind so durchdringend. Sie flehen mich an. Ihrem Blau kann ich nicht widerstehen.
Wie oft hat sie mich mit diesen Augen dazu gebracht Dinge zu tun, die ich nicht machen wollte. Sie liebte es zu reiten. Ich hatte einen höllischen Respekt vor den großen Tieren. Immer wieder hat sie gefleht, bis ich mitgegangen bin zu ihren Reitstunden. Und tatsächlich saß ich zwei Stunden später auf dem Rücken einer zahmen Stute. Danach war das Reiten unser gemeinsames Hobby. Stunden konnten wir auf der Ranch verbringen. Sie war immer so glücklich dort.
Ich muss schlucken. Jahrelang habe ich mir verboten an diese Zeit in meinem Leben zu denken. Sie war wirklich schön. Wir beide, unsere beiden Väter und Maggie. Unsere Kindheit war wunderbar. Wochenlange Reisen im Sommer. Welches Kind kann schon von sich behaupten schon einmal in der Arktis gewesen zu sein. Immer haben die drei sich was besonderes einfallen lassen. Wobei mir gerade auffällt, dass mein Dad nie dabei war. Urlaub haben wir meist zu viert gemacht. Keine Ahnung warum.
Dann bin ich plötzlich wieder zurück bei Jess und unseren Reitstunden. Nachdem ich die Flynns verlassen habe, bin ich ein paar Jahre nicht mehr auf ein Pferd gestiegen. Dann musste ich für einen Dreh. Jetzt versuche ich Reitstunden immer wieder in meine Freizeitgestaltung einzuplanen.
Mein Handy holt mich aus meinen Gedanken. Wieder eine unbekannte amerikanische Nummer. Wieder die Frage: wer? Ich stehe auf und gehe vor die Türe. Hier würde ich nur die anderen Gäste stören.
„Ja bitte.“ Melde ich mich. Diesen Gruß habe ich mir angewöhnt. Manchmal schaffen es irgendwelche Fans oder Journalisten an meine private Nummer zu kommen und da ist es besser, wenn ich mich so unverbindlich melde. Dann kann ich mich noch entscheiden, ob ich mich als Dean Harper oute oder nicht.
„Dean, hier ist Maggie.“ Ich setze mich auf. Ihre Stimme habe ich 15 Jahre nicht mehr gehört und ihrem Ton nach ist sie genau so unsicher wie ich.
„Maggie. Wie…kann ich Dir helfen.“ Irgendwie habe ich Angst, was sie sagen wird. Vielleicht wird sie mir nun sagen, dass Jess und ich uns den gemeinsamen Dreh abschminken können. Sie hat noch immer nichts gesagt.
„Bis vor drei Minuten wollte ich Dich noch zur Sau machen. Das Jess wegen Dir Tränen vergießt ist lange her und ich hoffte, sie würde es nie wieder tun.“ Was? Sie hat geweint. Wegen mir? Wegen dieser blöden Sache? Ich mache Mutter rund. Das ist wirklich das letzte.
„Aber Jess hat gerade angerufen. Wir…wir müssen reden. Deine Mum hat das Fass zum überlaufen gebracht. Jess so weh zu tun, das ist die Höhe. Das werde ich ihr nicht durchgehen lassen.“ Sie ist wütend. Diese Stimme kenne ich. Es ist lange her, aber ich erinnere mich genau. Meist war es mein Dad, der sie so wütend gemacht hat.
Ich muss tief Luft holen. „Ich auch nicht. Maggie. Das kannst Du mir glauben. Wie geht es Jess?“
„Jamie hat sie beruhigen können. Aber Deine Mum hat es geschafft, dass sie heute nicht eine Szene drehen konnte. Sie hat sich ziemlich aufgeregt und konnte sich nicht konzentrieren.“
„Das tut mir leid.“ So eine Scheiße. Aber warum läßt sich so leicht verunsichern? Das verstehe ich nicht ganz.
„Könntest Du Dir vorstellen, Dich nochmal mit ihr zu treffen? Ich glaub das braucht sie. Sie muss spüren, dass Gloria nicht zwischen Euch steht.“ Gott, auf keinen Fall. Niemand.
„Das mach ich. Sonntag flieg ich zwar nach LA, aber ich werde zu ihr fahren. Das verspreche ich Dir.“ Wie könnte ich das nicht tun? „Darf ich Dich was fragen?“
„Sicher.“ höre ich sie sagen.
„Wenn ich in LA bin, können wir uns dann mal treffen? Ich habe ein paar Fragen.“
„Ruf an. Peter und ich freuen uns.“ Sie scheint überrascht. Mit dieser Bitte hat sie wohl nicht gerechnet.
Irgendwie war dieses Gespräch seltsam. Maggie war jahrelang wie eine Mutter für mich. Genau genommen 15 Jahre lang. Gerade von ihr war ich mehr als enttäuscht damals. Ich habe nie verstanden, warum sie mich hat abgeben können. Ich dachte eigentlich, ich würde mehr auf Kontra gehen, wenn ich sie jemals wiedersehe. Aber gerade hatte ich nichts von diesem Gefühl in mir. Wahrscheinlich ist die Sorge um Jess so dominant, dass es alles andere überdeckt. Aber es stimmt: ich würde mich gerne mal mit ihr und Peter treffen.
Plötzlich werde ich von hinten angetippt. Ich erschrecke leicht und drehe mich um und schaue in Jamies Gesicht. Wir sind beide ähnlich groß und schauen uns Auge in Auge an.
„Lust auf Essen?“ fragt er und regt sich kein bisschen.
„Wir müssen ja den gestrigen Abend noch nachholen.“ antworte ich ihm.
Eine halbe Stunden später sitzen wir im Hotelrestaurant. Auf dem Weg hat Jamie sich bei mir für heute morgen bedankt. Morgen wird er den Vertrag für die Miete des Schlosses unterschreiben. Nachdem wir unser Essen bestellt haben, stelle ich die Frage, die mir die ganze Zeit auf der Seele liegt.
„Hast Du meine Mum getroffen?“ Er schweigt einen Moment, als müsse er nach den Worten suchen.
„Allerdings. Sie war ziemlich überrascht zu erfahren dass wir beide zusammen unterwegs waren. Hast Du ihr nichts davon erzählt?“
„Nein hab ich nicht. Ich hab ihr nur gesagt, dass ich nach München fliege. Warum hab ich bewusst weg gelassen. Wie sie es dann heraus gefunden hat weiß ich nicht.“
„Daran bin ich wohl schuld. Ich hab ihr Deinen Vertrag und die Besetzungsliste geschickt.“
„Und dann fliegt sie sofort nach Deutschland und geht auf Jess los?“
„Mir scheint es, als habe sie Angst davor, dass Du Kontakt zur Familie Flynn hast. All die Jahre hat sie es erfolgreich geschafft, dass Du keinen der Drei triffst.“
„Aber warum?“
„Das kann wahrscheinlich nur sie Dir beantworten.“
Aus ihren Erzählungen weiß ich, dass nach Dad‘s Tod keine zwei Tage vergangen sind, bis Maggie sich bei ihr gemeldet hat und darauf gedrungen hat, dass sie mich bei ihnen abholt. Davor die Jahre hatte ich nur sporadischen Kontakt zu ihr. Dad hatte das alleinige Sorgerecht. Als ich geboren wurde, da war Gloria mal gerade 16 Jahre. Nicht gerade die beste Entscheidung meines Vaters sich mit ihr einzulassen. Aber er übernahm die Verantwortung und so konnte Mum zum College gehen. Er zahlte dafür und bekam das Sorgerecht. Faktisch wuchs ich mit zwei Vätern, einer Mutter und später einer Schwester auf. Maggie wurde von Dad und Peter engagiert als mein Kindermädchen. Ohne sie wären die beiden verloren gewesen. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, das Dad und Peter eine Beziehung hatten. Mir scheint das unwahrscheinlich. Sonst gäbe es mich ja nicht und Jess auch nicht. Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Ihr Spielplatz waren die Studios von Warner Brothers in LA. Meine Großeltern und die Eltern von Peter haben alle vier in den Studios gearbeitet. Die beiden waren beste Freunde. Und sollte das stimmen, was so getuschelt wird, dann waren sie halt Bi. Wer bin ich, darüber zu urteilen?
Wenn das so alles korrekt ist, und daran hab ich bisher nie gezweifelt: Warum dann versucht sie alles, damit ich weder Maggie noch Peter treffe? Warum bekomme ich keinen Brief, den Jess mir geschrieben hat und…warum ihr Auftritt von gestern?
„Hat Maggie Dich angerufen?“ holt Jamie mich zurück.
„Ja, vorhin. Kurz bevor Du gekommen bist.“ berichte ich ihm.
„Jess war heute nicht am Set. Nach dem Auftritt Deiner Mutter gestern hat sie sich krank gemeldet. Ich hab sie in ihrer Wohnung besucht. Deine angebliche Ablehnung hat sie ziemlich aus der Bahn geworfen. Deine Nachricht hat sie gar nicht gesehen, bis ich sie ihr gezeigt habe.“
„Maggie meint, ich solle bei ihr nochmal vorbei fahren.“
„Das denke ich auch. Ohne Dich zu fragen, hab ich ihr gesagt, dass Du am Samstag vorbei kommst. Du kannst eine Nacht bei ihr wohnen. Dein Flug geht ja Sonntag.“
„Danke Jamie.“ was soll ich mehr sagen.