Du bist Allyster der Sehende.
„Wir sollten den Sturm abwarten“, bestätigst du. „Immerhin kann uns niemand folgen, oder?“
Kapitän Ekana sieht genau wie du nach hinten. Dort sind die Segel eurer Verfolger immer kleiner geworden. Vermutlich haben auch sie den aufziehenden Sturm bemerkt und sind geflohen. Du hältst es für das Beste, dich an ihr Beispiel zu halten und die Sicherheit des Landes zu suchen.
Ekana dreht am Steuerrad. „Klarmachen zum Ankern!“, brüllt er über Deck. „Holt die Segel ein!“
Die Klippe, die ihr als Deckung nehmen könnt, kommt bald in Sicht. Es ist beeindruckend, wie sich Siwa Ekana zurechtgefunden hat, ohne euer Ziel überhaupt zu sehen. Er wusste genau, wohin er segeln musste!
Es ist eine spitze, aber hohe Klippe, die ein wenig wie ein urzeitlicher, von Salz und Wind zerfressener Zahn aussieht. Sie hat mehrere Spitzen, wo der Stein scheinbar auseinandergeklafft ist, sowohl über als auch unter Wasser. Obwohl der Wellengang stärker wird und euer Schiff wild umhergeworfen wird, bringt Ekana den Segler sicher an das Land, ohne gegen eine der Klippen zu stoßen.
Der Anker wird in die schwarze Tiefe ausgeworfen, wo die Klippen steil abfallen. Eure Insel ist nichts als ein Dorn im Ozean – die Ankerkette rollt und rollt rasselnd über die Winde, bis der Anker endlich festen Widerstand findet, irgendwo in der unermesslichen Tiefe unter euch.
Kapitän Ekana eilt bereits über Deck und hilft bei den letzten Vorbereitungen. Die Segel werden eingerollt, die Ladung mit langen Tauen befestigt. Inzwischen prasselt dichter Regen auf die Holzplanken. Ihr seid bis auf die Knochen durchnässt, trotzdem versucht ihr, zu helfen. Eine Laterne, die in ihrer Halterung schwankt, wird vom Wind mitgerissen, bevor du sie sichern kannst. Der Regen wird so dicht, dass zunächst der Bug, dann sogar die andere Seite des Schiffes nicht mehr zu sehen ist.
Du wünscht dir das Pikun zurück. So eine Atemmaske würdest du bei dem Guss gut brauchen können. Stattdessen kämpfst du dich über das schwankende Schiff zu der Treppe, die nach unten in den Bauch führt. Von dem Gewackel wird dir schlecht. Als du siehst, wie es unter Deck bestellt ist, bessert sich deine Laune auch nicht.
Regen fließt in Strömen über die steilen Holzstufen. Drinnen arbeiten die Seeleute unermüdlich daran, Wasser in Eimern aus den tieferen Ebenen zu schöpfen. Gleich zwei Ketten reichen die Eimer nach oben, eine dritte die leeren zurück. Trotzdem kommt die Mannschaft kaum hinterher, wie dir die über dem Sturm kaum vernehmlichen Rufe verraten. So viel dazu, hier unten trocknen zu können! Es ist fast so nass wie draußen im Regen.
Du entdeckst Arthrax in der Eimerreihe und Aji hinter ihm. Der Junge wirkt unglücklich, dass er nichts tun kann, doch die großen Eimer der Seeleute sind zu schwer für ein Kind. Du passt eine Lücke ab und quetscht dich dann durch die Reihe zu deinem Schüler.
„Alles in Ordnung?“
Aji sieht unglücklich zu dir auf. „Ich habe Angst.“
Du nickst. Sobald es nichts mehr zu tun gibt, als abzuwarten, dringt die Gewalt des Sturmes auch auf dich ein. Du nimmst das Heulen wahr, das weniger wie Wind und mehr wie das Brüllen eines Untiers klingt. Wie schlimm das Schiff schlingert und stampft, konntest du vorher gut ausblenden, jetzt lässt es deinen Magen rebellieren.
Du bist langsam zu alt für diese Abenteuer.
„Wollen wir nach draußen gehen und sehen, ob wir dort noch etwas tun können?“, schlägst du dem Jungen vor. Dir klappern zwar die Zähne allein bei dem Gedanken, doch Aji nickt mit flehendem Blick. Das ist so ziemlich das einzige, was ihr tun könnt.
„Einen Moment.“ Du schnappst dir noch ein Tau und bindest es Aji und dir um die Hüften. So ist der Junge dort draußen immerhin etwas gesichert. Dann taumelt ihr zurück zur vorderen Treppe, wobei ihr euch bei jedem Schritt an der Wand abstützen müsst.
An Deck ist es finster wie in der tiefsten Nacht. Nur ab und zu erleuchten zuckende Blitze die Wassermassen und den beinahe waagerecht gepeitschten Regen. Es ist ein Anblick, der demütig macht. Diesen Naturgewalten hat ein Mensch nichts entgegenzusetzen.
Du suchst nach Siwa Ekana, um ihn zu fragen, was noch getan werden muss. Als du den Kapitän erblickst, starrt er wie gebannt in den Himmel. Du folgst seinem Blick, als Aji sich an deinen Ärmel klammert und ängstlich aufschreit.
Dann siehst auch du es, im Schein eines weiteren Blitzes. Eine Welle türmt sich vor euch auf. Die wie tollwütig schäumende Krone ist hoch genug, um die Wolken zu berühren. Ihr Fuß kommt tosend auf euch zu. Schon wird das Schiff auf die Woge gehoben, während die Welle bricht und auf euch hinabstürzt. Dein Herz setzt für einen Schlag aus.
Du verspürst keine Furcht, eher eine tiefe Bewunderung. Vielleicht ist das jene Ehrfurcht, von der die Priester im Sonnentempel sprachen. Wie ironisch, dass du die Götter ausgerechnet in den Jenseitslanden, in diesem finsteren Sturm zu erkennen glaubst!
Die Ankerkette zieht euch hinab. Holz splittert, als das Eisen die Reling durchschlägt. Die Welle stößt wie die Faust eines Riesens auf euch und presst euch hinab in die See, bevor ihr irgendetwas tun könnt. Der Schlag betäubt dich so sehr, dass du selbst die eisige Kälte nicht wahrnimmst, oder das Tau, das in dein Fleisch schneidet, als Aji von dir gerissen wird.
Einer solchen Macht hat ein Mensch nichts entgegenzusetzen. Alles, was ihr tun könnt, ist, zu sterben.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hier keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Allysters Teil der Geschichte zu erreichen, musst du durch den Sturm segeln.
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!