Matt erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen. Irritiert blinzelnd sah er sich um. Helle, zartgeblümte Vorhänge, weiße Tapeten, ein fremdes Bett...
Träumte er noch?
Sein Kopf fühlte sich an wie nach einer durchfeierten Nacht.
Er versuchte sich aufzurichten und schob vorsichtig den Arm weg, der über seinem nackten Oberkörper lag. Diese Berührung machte ihm schlagartig klar, dass er nicht allein war.
Er blickte hoch – und erstarrte...
Neben ihm im Bett lag friedlich schlafend… Marina!
Als hätte sie seinen Blick gespürt, öffnete sie die Augen. Sie lächelte verträumt, richtete sich auf und küsste seine Wange.
„Guten Morgen, mein Schatz“, sagte sie zärtlich. „Hast du gut geschlafen?“
Verwirrt starrte er sie an.
„Was… was ist passiert?“
Sie hob bedeutungsvoll die Augenbrauen und strich mit ihren Fingerspitzen spielerisch über seine nackte Brust.
„Was passiert ist? Nun, was eben so passiert, wenn zwei Menschen entdecken, dass sie immer noch mehr als nur Freundschaft füreinander empfinden.“
„Soll das heißen, wir…“ Aufstöhnend fuhr er sich mit der Hand durch sein Haar. „Marina, sag mir die Wahrheit, haben wir miteinander geschlafen?“
„Willst du etwa damit sagen, du wüsstest nicht mehr, was zwischen uns geschehen ist?“ Sie zog einen Schmollmund. „Jetzt enttäuschst du mich aber, Matt Shelton! Letzte Nacht hatte ich nicht den Eindruck, als wäre dir das unangenehm.“
Matt presste seine Finger an die schmerzenden Schläfen.
„Ich kann mich an gar nichts erinnern. Mein Kopf ist wie Watte!“
„Das kommt sicher davon, dass du die ganze Zeit versucht hast, deine Gefühle für mich mit aller Macht zu verdrängen, Liebling.“ Sie sah ihn mit ihren blauen Augen liebevoll an. „Aber nun musst du dir nichts mehr vormachen, denn du hast mir letzte Nacht mehr als deutlich gezeigt, dass du mich noch immer liebst. Jetzt bin ich sicher, dass zwischen uns alles wieder so werden kann, wie es einmal war.“
Er schüttelte fassungslos den Kopf.
„Warum weiß ich nichts mehr von gestern Abend? Was war denn los?“
Mit einem unschuldigen Augenaufschlag hob sie die Schultern.
„Keine Ahnung, was plötzlich in dich gefahren ist. Wir haben Champagner getrunken und zu Abend gegessen, danach haben wir über die Zukunft gesprochen, dann hast du mich plötzlich so merkwürdig angesehen, und als ich dich fragte, ob etwas nicht in Ordnung sei, hast du mich plötzlich in die Arme genommen und geküsst. Danach ging irgendwie alles ganz schnell…“
„Hör auf, verdammt! Das glaube ich einfach nicht!“ Matt sprang aus dem Bett und griff nach seinen Sachen.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Marina mit zitternder Stimme.
„Ich muss hier raus… nach Hause! Wie spät ist es eigentlich? Müsste ich nicht längst im Büro sein?“ Verwirrt sah er sie an, und es gelang ihr tatsächlich, genau in diesem Augenblick eine Träne über ihre Wange laufen zu lassen.
Er hielt kurz inne und versuchte sich mit einem tiefen Atemzug einigermaßen zu beruhigen.
„Marina, hör mir zu…“
Er setzte sich zurück auf den Bettrand, umfasste ihre nackten Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. „Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Ich weiß im Augenblick nur, dass es nicht richtig war. Es tut mir leid, bitte glaub mir.“
„Nicht richtig?“ Sie schniefte aufgelöst. „Aber ich liebe dich doch, und ich dachte…“
„Nein!“, sagte er mit fester Stimme. „Nein, hör sofort auf damit! Das hätte nicht passieren dürfen. Ich wollte keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft in dir wecken, denn die wird es für uns nicht geben. Bitte, vergiss diese Nacht!“
„Vergessen?“, rief sie fassungslos. „Weißt du, was du da von mir verlangst? Wie kannst du nur so gefühllos sein!“ Hemmungslos schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht und erreichte damit, dass Matt sich noch schlechter fühlte, als er es ohnehin schon tat.
Er hob seinen Arm, der sich schwer wie Blei anfühlte und strich ihr mit einer irgendwie hilflos wirkenden Geste übers Haar.
„Es tut mir leid…“
Sie warf sich schluchzend herum und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.
„Geh nach Hause, Matt! Los, nun verschwinde endlich! Mach nicht alles noch schlimmer, als es ohnehin schon ist!“
Er starrte sie sekundenlang an, dann drehte er sich wortlos um und ging leise hinaus.
Als sie hörte, wie die Tür kurz darauf hinter ihm ins Schloss fiel, hob sie den Kopf.
Der Tränenstrom war versiegt. Stattdessen umspielte ein zufriedenes Lächeln ihre Lippen.
„Ihr Beruhigungsmittel war in der Tat sehr wirkungsvoll, Mister Miller, vielen Dank“, murmelte sie. „Ich glaube, ab heute Nacht werde ich auch ohne Tabletten wieder ruhig schlafen können.“
*
An diesem Morgen verließ Anni schon ziemlich früh das Haus. Matt hatte ihr nahegelegt, möglichst vor dem Eintreffen der Archäologen in der Firma zu sein, um die Gäste anschließend in ihr Hotel zu begleiten. Und da niemand genau wusste, um welche Zeit das Team aus San Francisco eintreffen würde, hatte sie sich notgedrungener Weise einen Wecker stellen müssen. Ganz munter war sie noch nicht, als sie gegen neun Uhr morgens mürrisch über den Ozean Drive in Richtung H&S Enterprises marschierte.
„Einen blöderen Auftrag konnte er wirklich nicht für mich finden“, knurrte sie mürrisch vor sich hin. „Ich bin doch keine Fremdenführerin für Höhlenforscher! Am Ende erwarten diese Maulwürfe noch, dass ich mir eine Schaufel nehme und sie begleite! Aber das kommt überhaupt nicht in Frage, keine zehn Pferde bringen mich in solch eine unterirdische, dunkle, stinkende Felsengrotte! Nicht einmal Matt zuliebe... Oh nein, das geht zu weit, ich werde auf gar keinen Fall zwischen diesen verdammten Felsen... Na, was haben wir denn da Interessantes?“
Abrupt blieb sie stehen und starrte verwundert auf das schwarze Mercedes- Cabriolet, das am Straßenrand vor einem der Mehrfamilienhäuser geparkt war.
„California MS 113 SC – Das ist eindeutig Matts Wagen!“ Neugierig trat sie näher. Die Müdigkeit war schlagartig verflogen. „Sieh mal einer an, was macht der denn so früh am Morgen hier in dieser Straße?“
Sie legte prüfend eine Hand auf die Motorhaube. Kalt... Er musste also schon länger hier sein.
Anni knirschte mit den Zähnen. Verdammt! Bestimmt war diese Flugbegleiterin in eines der Appartements gezogen, und Matt hatte nichts Besseres zu tun, als ihr Gesellschaft zu leisten! Und so, wie es aussah, sogar über Nacht?
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Natürlich! Deshalb hatte er gestern behauptet, er habe noch etwas Wichtiges vor. Er wollte zu dieser albernen Flattergans aus dem Flugzeug und konnte kaum erwarten, mit ihr allein zu sein!
Wütend starrte Anni auf den schnittigen Sportwagen.
`Das wirst du mir büßen, Matt…`
Verstohlen blickte sie sich um. Die Straße war menschenleer. Schnell bückte sie sich und machte sich mühevoll und mit aller Kraft am Ventil des rechten Vorderreifens zu schaffen.
„Au verflucht“, schimpfte sie, als sie sich einen ihrer langen rot lackierten Fingernägel abbrach. Voller Selbstmitleid betrachtete sie den geschändeten Nagel, Sinnbild ihrer eigenen Misere rund um den unerreichbaren Mann ihrer Träume.
„Warum tust du mir das an, Matthew Shelton“, jammerte sie tief frustriert vor sich hin. „Ich bin die, die dich liebt, nicht irgend so ein kleines, dahergelaufenes Früchtchen von irgendwoher, die überhaupt keine Klasse hat! Warum geht das nicht in deinen verdammten Dickschädel? Aber ich gebe nicht auf, irgendwann wirst du begreifen, was du an mir hast, und bis es soweit ist, nimm das hier als Gruß von mir!“
Endlich gab das Ventil nach. Zischend entwich die Luft aus dem Reifen.
Anni stand auf, wischte sich verstohlen die Hände an ihrem eleganten hellen Kostümrock ab und marschierte schnellen Schrittes davon.
*
Irgendwann am späten Vormittag erschien Matt abgehetzt und müde in der Firma. Er bat Ronda um einen starken Kaffee und verschwand in seinem Büro.
Was für eine Misere!
Aufgewacht in einem fremden Bett, nach einer Nacht, an die er sich mit keiner Silbe erinnern konnte, neben seiner Ex-Frau, mit der ihn eigentlich nichts mehr verbinden sollte, als die gemeinsame Vergangenheit!
Er hatte fast fluchtartig Marinas Wohnung verlassen, um dann unten vor dem Haus zu allem Übel auch noch feststellen zu müssen, dass sein Wagen einen platten Reifen hatte.
Tief durchatmend und sich vergebens um innere Ruhe bemühend nahm er hinter seinem Schreibtisch Platz und wählte die Nummer seiner Werkstatt.
„Gary? Matt Shelton hier“, meldete er sich. „Mein Wagen hat eine kleine Panne. Würden Sie ihn bitte am Ozean Drive abholen und den rechten Vorderreifen wechseln?... Ja, der Schlüssel steckt im Zündschloss... Okay, Sie haben Recht, ich bin leichtsinnig, aber ich hatte es eilig und musste zu einem dringenden Termin... Natürlich, ich rufe Sie später an und wir verabreden einen Termin. Danke Gary, bis dann.“
Matt legte auf und nickte Ronda dankbar zu, die ihm eine Tasse frisch gebrühten Kaffee auf den Schreibtisch stellte. Er wartete, bis sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, lehnte sich zurück und schloss für ein paar Sekunden die Augen, während er mit einem tiefen Atemzug den frischen Kaffeeduft einsog.
Er war vorhin vom Ozean Drive bis zu seinem Strandhaus gejoggt, um den Kopf frei zu bekommen, anschließend hatte er eiskalt geduscht und sich hastig umgezogen. Trotzdem konnte er noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Unentwegt dachte er an Danielle und sein schlechtes Gewissen brachte ihn fast um den Verstand.
Als er schließlich versuchte, sie anzurufen, musste er feststellen, dass ihr Handy ausgeschalten war. Also rief er auf dem Festanschluss im Haus an, wo er von Mitch erfuhr, dass Danielle bereits mit den anderen zusammen ins OCEANS gegangen war.
Mitchs Vorschlag, sie dort anzurufen, lehnte Matt eilig ab.
„Tut mir leid, dafür ist die Zeit zu knapp. Ich muss zum Flughafen, denn ich habe soeben erfahren, dass man mich in einer dringenden Angelegenheit in Santa Barbara erwartet. Leider weiß ich noch nicht, wann ich zurück sein werde. Bitte grüß sie von mir und sag ihr, dass ich mich später bei ihr melde.“
Er legte schnell auf und ballte innerlich fluchend die Fäuste. Wie er diese Lügen hasste! Aber es musste sein, er brauchte jetzt dringend eine kleine Auszeit.
Während er den heißen Kaffee in kleinen Schlucken trank, starrte er gedankenverloren vor sich hin.
Danielle und Marina – Marina und Danielle…
Zwei wunderbare Frauen, wie sie unterschiedlich nicht sein konnten.
Marina hatte er geliebt, mit jeder Faser seines Herzens, doch sie hatte diese Liebe verraten und ihn damit fast umgebracht.
Und Danielle? Durch sie hatte er zaghaft wieder angefangen das Leben zu genießen, doch war er wirklich schon frei für sie? Bis gestern Abend hatte er das geglaubt, doch nach der letzten Nacht war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Was war nur geschehen? Warum konnte er sich an die vermeintlichen Stunden mit Marina nicht erinnern? Waren es, wie Marina behauptete, seine verdrängten Gefühle, sein gestörtes Unterbewusstsein, das seinen Verstand ausschaltete und ihn Dinge tun ließ, an die er sich nicht mehr erinnerte?
Am Alkohol konnte es nicht gelegen haben, dass der gestrige Abend in seinem Gedächtnis wie in einer Nebelbank verschwunden war. Er hatte doch nur ein halbes Glas Champagner getrunken… Zumindest war ihm etwas anderes nicht mehr bewusst.
Aufseufzend strich er sich über die Stirn. Alles Grübeln half nichts, er kam zu keinem Resultat. Um den Kopf wirklich frei zu bekommen, gab es nur eine Möglichkeit…
Entschlossen stand er auf und nahm seine Jacke, als die Tür schwungvoll geöffnet wurde und Anni hereinstürmte.
„Matt, kannst du mir vielleicht sagen, wann diese dämlichen Maulwürfe endlich auftauchen? Ich hab schließlich nicht den ganzen Tag Zeit hier herumzusitzen und zu warten!“
„Du musst ja nicht herumsitzen, vielleicht machst du dich zur Abwechslung mal ein bisschen nützlich“, entgegnete er leicht gereizt und wollte schon an ihr vorbei, als sie ihn am Ärmel festhielt.
„Warum bist du denn so unfreundlich? Eine unruhige Nacht gehabt?“, fragte sie anzüglich.
Matt musterte sie irritiert.
„Was soll das, Anni? Lass deine Sticheleien, ich bin in Eile.“
„Ja aber, du kannst doch jetzt nicht einfach weggehen! Ich hätte da noch einige Fragen wegen der Leute aus San Francisco...“, erboste sie sich, doch er war schon halb draußen.
„Frag Edward“, rief er ihr noch zu und gab seiner persönlichen Assistentin kurz ein paar Anweisungen, bevor er das Büro eiligen Schrittes verließ.
Zu Hause angekommen, holte er seine silberglänzende Honda CBR 1100 aus der Garage. Das sportliche Bike war schon immer sein Hobby gewesen, aber in letzter Zeit war er kaum dazu gekommen, damit zu fahren. Er zog Jeans und Lederjacke an, warf ein paar persönliche Sachen in seine Tasche, setzte den glänzenden Helm auf und schwang sich auf den Sitz.
Mit aufheulendem Motor jagte er davon in Richtung des Highways, der in die Berge führte.
*
Anni versuchte Edward soeben auf ihre unverwechselbar charmante Art klar zu machen, dass sie nicht gewillt war, noch länger hier herumzuhocken und auf ein Team von Schaufel schwingenden Maulwürfen zu warten, als sich die Fahrstuhltür öffnete und zwei Männer und eine Frau ins Büro traten.
Ungehalten über die Störung fuhr Anni herum.
„Tut mir Leid, wir kaufen nichts! Versuchen Sie es woanders“, herrschte sie die Neuankömmlinge an. Die zierliche junge Frau im eleganten dunklen Kostüm tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit ihren beiden Begleitern, bevor sie zögernd näher trat.
„Verzeihung, sind wir hier richtig, im Büro der Geschäftsleitung von H&S Enterprises?“, fragte sie freundlich und sah Edward, der gerade im Begriff war, sich wieder in sein Büro zurückzuziehen, fragend an. „Mister Hamilton?“
Er stutzte, doch bevor er etwas sagen konnte, war Ronda aufgesprungen und eilte auf die Neuankömmlinge zu.
„Aber natürlich sind Sie hier richtig“, rief sie erfreut und wandte sich an die junge Frau und einen ihrer beiden Begleiter. „Mister und Misses Cortez, nehme ich an?“
Die beiden nickten sichtlich erleichtert.
Ronda lächelte.
„Dann sind Sie sicher Mister Franklyn...“, sagte sie zu dem großen, breitschultrigen Herrn, der sich etwas im Hintergrund hielt.
Er erwiderte ihr Lächeln.
„Ganz richtig“, bestätigte er. „Aber bitte nennen Sie mich Alex.“
Ronda nickte ihm freundlich zu, sichtlich angetan von seiner charmanten Art.
„Willkommen bei H&S Enterprises, meine Herrschaften! Wir haben Sie schon erwartet. Ich bin Ronda, Mister Sheltons persönliche Assistentin. Er lässt sich entschuldigen, da er zu einem dringenden Termin gerufen wurde, aber diese nette Dame hier...“ Voller innerer Genugtuung und mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen wies sie auf Anni „... ist von ihm beauftragt worden, sich um Sie zu kümmern. Miss Parker wird Sie mit allen Einzelheiten ihre Arbeit in Sunset City betreffend vertraut machen.“
„Schon gut, Ronda, kommen Sie wieder von Ihrem hohen Ross herunter“, knurrte Anni und verbarg auf diese Art geschickt ihre Verlegenheit, während sie sich an die Neuankömmlinge wandte. „Also Sie sind das Team aus San Francisco, das uns bei unserem Projekt, der Arbeit an den Höhlen, behilflich sein wird.“
Edward verzog schmerzlich das Gesicht.
Unser Projekt... Arbeit an den Höhlen...
Inkompetenz war etwas, was er zutiefst verabscheute. Er wollte schon Einspruch erheben, aber Alex Franklyn kam ihm zuvor. Er trat einen Schritt auf Anni zu, die immer noch an Elisabeths Schreibtisch lehnte und betrachtete sie neugierig.
„Nun, mitarbeiten wollten wir eigentlich nicht an Ihrem Projekt, Miss... Wie war doch gleich noch mal Ihr Name?“
Er sah viel zu gut aus mit seinem sonnengebräunten Teint und dem modisch geschnittenen und trotzdem etwas struppig wirkenden dunkelblonden Haar, musste sich Anni insgeheim eingestehen. In seinen Designerjeans, dem weißen Shirt und dem dunklen Blazer darüber entsprach er so gar nicht ihren Vorstellungen von einem Kerl, der den ganzen Tag in der Erde herumbuddelte, und sein charmant- spöttisches Lächeln wirkte wie pure Herausforderung auf sie. Er reichte ihr die Hand, die er dann länger festhielt, als ihr momentan lieb war. Seine graublauen Augen musterten sie eingehend.
„Parker“, antwortete sie und versuchte ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. „Annabel Claire Parker.“ Mit einem Ruck entzog sie ihm ihre Hand, eine Geste, die ihm ein überlegenes Schmunzeln entlockte. Nur mit Mühe unterdrückte Anni einen Fluch.
Was bildete sich dieser arrogante Kerl eigentlich ein?
„Natürlich weiß ich, dass Sie nicht an unserem Projekt mitarbeiten werden“, meinte sie und streckte trotzig das Kinn vor.
„Gut“, erwiderte er und quittierte ihren schnippischen Kommentar mit einem scheinbar unbefangenen Lächeln. „Dann hätten wir das ja geklärt. Aber wer weiß, vielleicht finden wir ja ein anderes Projekt, an dem wir beide zusammenarbeiten können.“
Edward räusperte sich schnell, um weitere Peinlichkeiten von Annis Seite zu vermeiden und reichte den drei Archäologen die Hand.
„Edward Hamilton, Geschäftsführer der H&S Enterprises“, stellte er sich mit verbindlichem Lächeln vor. „Bitte nennen Sie mich Edward.“
„Manuel Cortez“, antwortete der schlanke, dunkelhaarige Mann, der bisher geschwiegen hatte und deutete dann auf seine hübsche Begleiterin, die ihr langes schwarzes Haar mit einer anmutigen Bewegung nach hinten über die Schultern warf. „Meine Frau und Teamkollegin Claudia.“
„Cortez?“, unterbrach Anni und starrte den jungen Mann ungläubig an. „Der Manuel Cortez?“
Er nickte und grinste spitzbübisch.
„Tja Anni, ich fürchtete schon, dass du mich gar nicht mehr wieder erkennen würdest. Dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, dass wir als Teenager diese Gegend unsicher gemacht haben.“
„Du kanntest Miss Parker als Teenager?“, ließ sich Alex Franklyn vernehmen. „Eine äußerst interessante Vorstellung! Davon musst du mir bei Gelegenheit mehr erzählen.“
Anni warf ihm einen vernichtenden Blick zu und merkte zu allem Übel, das sie tatsächlich rot wurde. Sie wollte etwas Giftiges erwidern, doch glücklicherweise kam ihr Edward zuvor.
„Meine Güte, wer hätte das gedacht! Dolores Cortez` jüngster Sohn! Willkommen zurück in der Heimat.“
„Danke Mister Hamilton“, erwiderte Manuel freundlich. „Ich bin froh, nach so langer Zeit wieder einmal hier in meiner Heimatstadt zu sein.“
„Meinen Namen haben Sie ja inzwischen schon gehört.“ Alex schüttelte Edward kräftig die Hand. „Tja, was soll ich sagen, wir sind also hier, um quasi die Vorarbeit für Ihr Projekt zu übernehmen und die Höhlen vor den notwendigen Sprengungen zu untersuchen.“
Seine Augen wanderten wieder zu Anni zurück und blitzten schelmisch. „Wobei ich persönlich gewiss nichts dagegen hätte, an Ihrem Projekt mitzuarbeiten, was auch immer das sein mag.“
Ronda und Elisabeth kicherten verhalten. Das geschah dieser Zicke recht! Sollte er sie nur ordentlich auf die Schippe nehmen!
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte Ronda freundlich, während Edward die Gäste in sein Büro bat. Dankend nahmen sie an.
Anni drehte sich um und raffte eilig ihre achtlos hingeworfenen Unterlagen, die ihr Matt zum Selbststudium überlassen hatte, von Elisabeths Schreibtisch, als sie bemerkte, das Alex immer noch dastand und sie grinsend beobachtete. Worauf er so interessiert schaute, war nur zu offensichtlich...
„Was starren Sie so unverschämt auf mein Hinterteil?“
„Ich schaue ja wenigstens nur, aber irgendwer scheint heute schon mehr als nur hingeguckt zu haben“, entgegnete er und unterdrückte ein Lachen.
„Was soll das heißen?“
„Nun... vielleicht sollten Sie einen Blick in den Spiegel werfen, oder ist das, was sie da auf ihrer Hinterfront tragen, das neuste Design von DIOR?“
Anni verrenkte sich beinahe den Hals, doch als sie merkte, dass dies eine total vergebliche Aktion war, die diesen unverschämten Kerl nur noch mehr zu belustigen schien, warf sie ihm einen letzten vernichtenden Blick zu und rauschte in Richtung Waschraum hinaus. Dort angekommen, gewahrte sie im Spiegel zwei deutlich sichtbare schmutzige Abdrücke ihrer eigenen Hände, gut platziert links und rechts auf dem hellen Stoff, der sich straff über ihren Po spannte. Das Resultat ihres heimtückischen Anschlages auf Matts Sportwagen.
„Verdammt, Anni“, schalt sie sich selbst wütend. „Das ist heute echt nicht dein Tag!“
*
„Was ist denn los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so schweigsam“, stellte Chelsea mit einem besorgten Seitenblick auf ihre Freundin fest. Die beiden waren im OCEANS seit gut zwei Stunden damit beschäftigt, sämtlichen Schmuck und Tapetenreste rund um den Tresen zu entfernen, damit Luke und Mitch am Nachmittag damit beginnen konnten, alles neu anzustreichen, aber Danielle hatte bisher noch keine drei Worte gesagt.
„Ist es wegen Matt?“, bohrte Chelsea weiter. „Hat er sich immer noch nicht gemeldet?“
Danielle schüttelte den Kopf.
„Ich kenn ihn noch zu wenig, um mit Sicherheit sagen zu können, ob das normal ist, dass er einfach wegbleibt und dann irgendwann wieder auftaucht. Er hat auf meinen gestrigen Anruf nicht reagiert, und als ich heute Vormittag versucht habe, ihn noch einmal anzurufen, war sein Handy ausgeschaltet.“
„Versuch es doch einfach in der Firma“, riet ihr Chelsea.
„Nein, das möchte ich nicht“, wehrte Danielle ab. „Er soll nicht das Gefühl haben, dass ich ihm hinterherlaufe. Wenn er mich sehen will, weiß er ja, wo er mich findet.“
Chelsea hob ratlos die Schultern und seufzte.
„Das ist auch wieder wahr. Wie es aussieht, werden wir heute noch sehr lange hier zu finden sein. Also weiter!“
Kurz darauf tauchte Dean mit zwei großen Einkaufstüten auf.
„Ich habe frische Croissants mitgebracht“, rief er. „Wer kocht Kaffee?“
„Du“, antworteten ihm mehrere Stimmen aus allen Ecken der Bar.
„Na toll“, maulte er und stellte die Tüten ab. „Ich warne euch, mein Kaffee wird lausig schmecken.“
„Schlimmer als dein Tequila Sunset von gestern Abend kann er fast nicht sein“, lästerte seine neue Geschäftspartnerin von irgendwoher aus dem Untergrund. „Davon ist mir heute noch übel!“
„Hey, pass auf, was du sagst“, warnte Dean scherzhaft. „Sonst erkläre ich den Tequila Sunset zum Getränk des Monats.“
„Iiih...“ Chelsea kam unter dem Bar-Tresen hervorgekrochen. Ihr Jeanshemd war inzwischen nicht mehr ganz sauber, ebenso wie ihr Gesicht, und auf dem Schlapphut, unter den sie ihr langes blondes Haar gestopft hatte, hingen Staubfusseln. „Hier unten gibt es jede Menge Spinnen...“ Sie schüttelte sich. „Würdest du die bitte entfernen, Dean, das ist so widerlich!“
Er lachte.
„Ich dachte, Chelsea Hobbs hat vor nichts Angst“, meinte er, trat dicht an sie heran und wischte vorsichtig eine Spinnwebe von ihrem Hut.
Chelsea musterte ihn mit großen Augen.
„Ich habe keine Angst vor Spinnen“, erklärte sie leise, ohne ihren Blick abzuwenden. „Sie sind mir lediglich unangenehm.“
Dean stupste sie scherzhaft auf die Nasenspitze und nahm ihr den Lappen aus der Hand. „In Ausreden bist du jedenfalls nicht verlegen“, meinte er grinsend und verschwand unter der Bar. „Vielleicht könntest du ja in der Zeit das Kaffeekochen übernehmen, während ich hier für dich auf Großwildjagd gehe.“
Seufzend machte Chelsea sich an die Arbeit.
In diesem Augenblick kam Mitch mit zwei großen Farbeimern herein. Er setzte sie ab und wischte sich stöhnend mit dem Handrücken über die Stirn.
„Leute, ist das heiß draußen!“ Dann fiel sein Blick auf Danielle, die eines der Regale hinter dem Tresen säuberte. „He Dani, draußen steht jemand, der hat nach dir gefragt“, rief er und deutete mit dem Daumen zur Tür hinauf. „Ziemlich ungeduldig, der junge Mann!“
Danielle dachte sofort an Matt und ihre Augen leuchteten freudig auf. „Ich bin gleich zurück!“
„Lass dir Zeit“, rief Chelsea und sah ihr schmunzelnd nach.
Danielle eilte die fünf Stufen hoch und riss voller Erwartung die schwere Eingangstür auf.
Vor ihr stand Brendon.
*
Nach einer knappen Stunde Fahrt gelangte Matt zu einer kleinen, versteckt liegenden Blockhütte in den Bergen. Er stellte das Motorrad ab und kramte den Schlüssel hervor. Die Tür klemmte etwas und quietschte in den Angeln, als er sie öffnete. Drinnen roch es muffig, als sei schon ewig nicht mehr gelüftet worden.
`Ich werde einiges auf Vordermann bringen müssen, nachdem ich fast zwei Jahr nicht hier oben war!`, nahm er sich vor, während er den Lichtschalter betätigte und danach die Läden und Fenster weit öffnete. `Na wenigstens funktioniert die Elektrik noch.`
Er sah sich um.
Alles war noch genauso wie damals, als er es verlassen hatte, um ein neues Leben zu beginnen. Damals, als er zwei einsame Wochen hier oben verbracht hatte, um über seine Trennung von Marina wegzukommen. Er hatte sich regelrecht versteckt, davongelaufen vor sich selbst, der ganzen Welt und seinen Problemen...
`Genauso wie jetzt!`, dachte er bitter.
Die Blockhütte gehörte zu einem Ferienresort mit mehreren privaten Holzhäusern in einem riesigen Waldgebiet. Als er die kleine Hütte damals gekauft hatte, sollte das eigentlich ein heimliches Liebesnest für ihn und seine Frau sein. Ein Ort, um ungestört das gemeinsame Glück genießen zu können. Aber dann war dieser Platz plötzlich zu einer Zufluchtsstätte geworden, um die verwundete Seele zu heilen und zu vergessen.
Er seufzte und wünschte sich sehnlichst, Danielle wäre jetzt bei ihm.
Nachdem er als erstes die weißen Staubüberwürfe von den Möbeln gezogen hatte, wanderte sein Blick von den selbst gezimmerten rustikalen Holzschränken an der einen Seite der mit hellen Eichenholzbrettern vertäfelten Wand über den runden Tisch inmitten der gemütlichen Sitzecke bis hin zu den niedlichen Gewürzregalen über der Spüle, die Marina damals so gefielen, und die sie eigenhändig bemalt hatte.
Daneben die Tür zum Schlafraum...
Zögernd ging er hinüber und öffnete sie vorsichtig, so als fürchtete er, die Erinnerungen dahinter könnten über ihn herfallen wie wilde Tiere und ihn wieder quälen. Er trat ein und blickte auf das bequeme, breite Bett. Nachdem er auch hier den Staubschutz entfernt hatte, schien es ihm plötzlich so, als hätte er erst gestern hier gestanden. Er sah wie durch einen Nebel die in hellen Pastellfarben gehaltene Tagesdecke und die dazu passenden Vorhänge an den Fenstern. Das Gemälde dort an der Wand stammte ebenfalls von Marina, eine Landschaft im Sonnenuntergang, paradiesisch und schön, voller Melancholie, und inmitten der Blumen und des gleißenden Sonnenlichtes zwei Gestalten, die sich verliebt in den Armen hielten.
Gedankenversunken stand er da und starrte das Bild an. Nach einer Weile trat er entschieden darauf zu, nahm es ab und schob es hinter den Kleiderschrank.
„Schluss damit! Ich muss hier unbedingt renovieren“, knurrte er, machte kehrt und warf die Tür hinter sich zu. „Und nicht nur diese verdammte Hütte, mein ganzes Leben sollte renoviert werden!“
Draußen blieb er stehen und atmete tief die klare Waldluft ein.
„Danielle würde dieser Platz sicher gefallen“, sagte er sich leise und nachdenklich. „Aber wird sie mir verzeihen, was letzte Nacht geschehen ist? Schließlich hat sie bereits eine herbe Enttäuschung hinter sich...“
Er setzte sich auf einen der beiden Baumstümpfe vor der Hütte und kaute selbstvergessen auf einem Grashalm, während seine Gedanken zurückwanderten zu letzter Nacht.
Warum zum Teufel konnte er sich an überhaupt nichts mehr erinnern? Was war passiert mit ihm, dass er sich dazu hinreißen ließ, mit seiner Exfrau zu schlafen? Hatte er seine Gefühle für sie wirklich nur verdrängt?
Nein!
Dazu kannte er sich zu gut. Er hatte sich ernsthaft in Danielle verliebt. Diese sanfte, wundervolle junge Frau aus Oklahoma tat ihm gut, und er wusste genau, dass daraus eine ernsthafte Beziehung werden würde, wenn er es nur zuließ. Und er wollte es zulassen, mehr als alles andere...
Entschlossen sprang er auf, verschloss die Hütte und holte sein Motorrad.
Es war dumm gewesen, einfach davonzulaufen!
Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte.
*
Gut gelaunt, irgendeine Melodie vor sich hin trällernd, räumte Kim in der Küche des Coffee - Shops Teller und Tassen aus dem Geschirrspüler in die großen Schränke. Seit zwei Tagen war Beckys Küchenhilfe krank, und Kim hatte von sich aus diesen Teil der Arbeit mit übernommen. Es machte sie stolz, zu wissen, dass sie gebraucht wurde und heimlich die dankbaren Blicke ihrer Vermieterin zu sehen.
Die beiden Frauen verstanden sich vom ersten Moment an wirklich gut. Es war fast so, als würden sie einander schon eine Ewigkeit kennen. Kims Befürchtungen, Becky könnte sich vielleicht zu sehr in ihr Privatleben einmischen oder gar versuchen sie zu bevormunden, hatten sich als völlig unbegründet erwiesen. Im Gegenteil, immer öfter verspürte Kim das Bedürfnis, der Älteren etwas über die Schatten ihrer Vergangenheit, die sie noch immer bis in ihre Träume verfolgten und quälten, anzuvertrauen. Sie hatte bisher all diese schlimmen Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend tief in ihrer Erinnerung vergraben wollen, aber vielleicht war es gut, endlich mit jemandem darüber zu reden, jemand wie Becky, liebenswürdig, verständnisvoll und stark zugleich.
`Ich wünschte, sie wäre meine Mutter, dann hätte ich bestimmt eine wundervolle Kindheit gehabt. So wie Rayne, ihre Tochter.`, überlegte sie, als sie nach der Arbeit die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg und die Tür aufschloss. Sie warf einen Blick auf Scout, der sich friedlich schlafend in seinem neuen Hundekörbchen zusammengerollt hatte. Der kleine Hund blickte nur kurz auf, als sie hereinkam, legte dann zufrieden sein Köpfchen auf die Pfoten zurück und schlief weiter.
„Langschläfer“, lachte Kim. „Du hast es gut!“
Sie streifte ihre Schuhe von den Füßen, streckte sich auf dem Bett aus und sah auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann begann Randys Mittagspause. Sie hatten sich beide am Strand verabredet, wie immer in den letzten Tagen. Kim liebte es, wenn sie mit ihm zusammen barfuß am Wasser entlang bummelte, während Scout ihnen freudig bellend um die Füße tollte. Gestern hatte Randy irgendwann einfach ihre Hand genommen, und sie fand es schön, dass alle dachten, sie beide wären ein Liebespaar. Zum Abschied hatte er ihr dann sogar einen Kuss auf die Wange gegeben und sie musste sich eingestehen, dass sie kaum erwarten konnte, ihn heute wiederzusehen.
Sie schloss die Augen und wäre fast eingeschlafen, als jemand laut und heftig anklopfte. Erschrocken fuhr sie hoch. Scout stand mit gesträubtem Fell vor seinem Korb und knurrte.
„Ganz ruhig, Kleiner“, meinte Kim und stand auf. „Randy, bist du das?“, fragte sie erwartungsvoll, öffnete die Tür und erstarrte.
Vor ihr stand mit einem diabolischen Grinsen auf dem Gesicht der Grund ihrer immer wiederkehrenden schlimmen Alpträume - ihr Stiefvater.