In Gedanken versunken ging Mason den Weg zurück zum Highway, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Sein Besuch in Sunset City sollte eigentlich nur eine kurze Stippvisite von ein paar Tagen sein, denn er hatte den Verdacht, dass sich Marina nach ihrem plötzlichen Verschwinden hierher zurückgezogen hatte.
Er verzog verächtlich das Gesicht.
Natürlich war sie hier, in ihrer alten Heimatstadt, wo auch sonst. Matts brave kleine Ehefrau war einfach nicht clever genug, ihm zu entkommen...
Nicht, dass er sie zurückhaben wollte, oh nein, im Grunde war er froh, sie endlich los zu sein, denn mit ihren ewigen Eifersuchtsszenen und Nörgeleien war sie ihm gehörig auf die Nerven gefallen.
Aber die Sache hatte dennoch einen Haken:
Sie hatte ihn verlassen, und genau das gefiel ihm nicht. Keine Frau verließ Mason Shelton einfach so, es sei denn, er machte den ersten Schritt und trennte sich von ihr, keinesfalls umgekehrt, das ließ sein Ego nicht zu.
Nun gut, er würde sie aufsuchen und ihr gehörig auf den Zahn fühlen, um herauszubekommen, ob sie sich wirklich wieder Chancen auf seinen Bruder ausmalte.
Aber wie er Matt kannte, wollte der sie nicht zurück, nicht nach allem, was geschehen war. Außerdem hatte er ja inzwischen eine neue Freundin.
Und was für eine!
Das erste Mal hatte er die beiden Turteltäubchen zusammen am Lagerfeuer am Strand gesehen. Nun war ihm Matts neue Liebe soeben direkt in die Arme gelaufen, nicht ahnend, dass sie den falschen Zwilling erwischt hatte.
Mason grinste verheißungsvoll in Erinnerung an die unvorhergesehene Szene vorhin am Strand. Immerhin hatte er es geschafft, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen, die Kleine hatte nichts gemerkt. Sie war wirklich süß, und sie hatte etwas an sich, das ihn irgendwie berührte. Wenn er nur daran dachte, wie sie ihn angesehen hatte, mit diesen einzigartigen, glänzenden Augen! Dazu ihr weiches Haar und ihre heißen Lippen auf seinen…
Oh ja, die konnte ihm gefährlich werden! Und sie gehörte zu Matt... Das gab der Sache erst die richtige Würze!
Ein Grund mehr für ihn, noch eine Weile in der Stadt zu bleiben.
„Zeit für ein neues Abenteuer, alter Junge“, sagte er gut gelaunt, stieg in seinen Wagen und machte sich auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft.
*
„Misses Hamilton!“
Beunruhigt rang Rosita die Hände. „Was soll ich denn Mister Hamilton sagen, wenn er nach Hause kommt und fragt, wo Sie sind?“
Sophia, die mit einem kleinen Koffer in der Hand die Treppe herunterkam, blieb kurz stehen.
„Keine Angst, Rosi“, erwiderte sie lächelnd. „Ich werde nicht lange weg sein. Vielleicht ein paar Tage. Ich besuche nur eine alte Freundin. Oben in meinem Zimmer liegt ein Brief für Mister Hamilton. Machen Sie sich bitte keine Sorgen, er wird es verstehen.“
„Ja aber...“ Die Haushälterin wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie konnte Sophia schließlich nicht zwingen, hier zu bleiben, aber sie fürchtete die Wut des Hausherrn, wenn er später vom Büro kommen und erfahren würde, dass seine Frau mit unbekanntem Ziel verreist war.
„Auf Wiedersehen.“ Sophia kümmerte sich nicht weiter um die Sorgen ihrer Angestellten, sondern verschwand mit einem kurzen Nicken nach draußen, wo bereits ein Taxi auf sie wartete.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, eilte Rosita zum Telefon und wählte eilig die Nummer der Firma.
„Hallo Elisabeth“, rief sie aufgeregt in den Hörer. „Ich muss unbedingt Mister Hamilton sprechen. Es ist sehr wichtig!“
In geschäftsmäßigem Ton teilte Elisabeth ihr mit, dass ihr Arbeitgeber das Büro vor einiger Zeit verlassen hatte, um zur Baustelle hinauszufahren.
„Wir erwarten ihn erst am späten Nachmittag zurück. Soll ich etwas ausrichten?“
„Nein danke, schon gut“, erwiderte Rosita resigniert und wählte anschließend Edwards Nummer auf dem Handy. Die ausdruckslose Computerstimme der Mailbox teilte ihr kurz darauf mit, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar sei. Seufzend legte sie auf.
Nun ja... Das war einfach Schicksal, da konnte sie nichts weiter tun, als zu warten.
*
Sophia lehnte sich zufrieden in die weichen Polster des Taxis, das Sunset City soeben verließ und auf den Highway Richtung Los Angeles abbog.
Sie freute sich auf das Wiedersehen mit ihrer alten Freundin Kelly, die sie bereits seit Monaten nicht mehr gesehen hatte.
Kelly lebte in L.A. und besaß eine Modefirma mit dem klangvollen Namen MORANO FASHIONS, ein Familienunternehmen, dass sie bisher mit eiserner Hand durch alle Höhen und Tiefen der Modebranche manövriert hatte. Sie war eine starke Persönlichkeit, und Sophia hoffte, von ihr ein paar gute Ratschläge unter Freundinnen zu erhalten, wie sie nach den Schicksalsschlägen der vergangenen Zeit ihr Leben einigermaßen wieder in den Griff bekommen konnte.
Seit der Fehlgeburt fühlte sie sich nur noch leer und ausgebrannt, missverstanden und zutiefst verletzt durch ihren eigenen Ehemann. Ihre Ehe mit Edward hatte schon lange tiefe Risse in dem Mauerwerk, dass nach außen hin so stark und unzerstörbar schien, aber ihr fehlte einfach der Mut, ihn zu verlassen, denn im Grunde ihres Herzens liebte sie ihn immer noch. Und ihr war nur allzu bewusst, dass sich daran sicher auch nie etwas ändern würde.
„Kelly wusste schon immer, was richtig und was falsch ist“, versuchte sie sich selbst Mut zu machen. „Bestimmt hat sie auch diesmal eine Idee, wie ich mit der Situation am besten fertig werde.“
*
Mason hatte sein Motelzimmer verlassen und sich stattdessen ein kleines Strandhaus etwas außerhalb der Stadt gemietet. Zufrieden holte er seine Koffer aus dem Wagen und richtete sich binnen kurzer Zeit häuslich ein. Der letzte Gewinn im Casino von Miami Beach hatte sich gelohnt, und die beträchtliche Summe gestattete ihm, seinen gewohnten, großzügigen Lebenswandel noch einige Zeit weiterzuführen. Dass er das Geld nicht ganz legal gewonnen hatte, störte ihn wenig. Wer sich betrügen ließ, war schließlich selber schuld...
Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, stand er vor der Tür des Hauses und schaute zufrieden aufs Meer hinaus. Ein leichter Wind, der würzig nach Sommer, Salz und wilden Wellen duftete, wehte herüber und spielte mit den Strähnen seines dunklen Haares, die ihm lässig in die Stirn fielen.
Er trug sein Haar genau wie Matt, und überhaupt schien er das absolute Ebenbild seines Bruders zu sein, zumindest äußerlich waren die beiden noch nie zu unterscheiden gewesen. Nur wer die Zwillingsbrüder ganz genau kannte, konnte um Masons Mundwinkel zuweilen ein zynisches, fast bösartiges Lächeln entdecken, das tief aus dem Dunkel seines Herzens zu kommen schien. Dazu trat gelegentlich ein äußerst gefährliches Funkeln in seine nachtblauen Augen, welches zumeist nichts Gutes verhieß.
Das Leben war ein Spiel für ihn, eine Art persönliches Abenteuer, und wenn es darum ging, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, kannte er keine Skrupel und war gefährlich wie ein Raubtier auf Beutezug.
Er blickte auf die Uhr. Es war bereits Nachmittag.
Zeit, etwas zu unternehmen.
Zuerst galt es, den Namen dieser jungen Frau herauszufinden. Schließlich hatte er ihr versprochen, sie anzurufen.
Was hatte sie gesagt? Sie sei im OCEANS und später zu Hause. Wo zum Teufel war sie zu Hause?
Nun, das würde er schnell in Erfahrung bringen. Wozu gab es Beckys Café-Shop?
Mit der Besitzerin konnte man bekanntlich über alles reden, wenn man sich geschickt anstellte.
Und gleich danach würde er Marina noch einen kleinen Überraschungs-Besuch in ihrer neuen Wohnung am Ocean Drive abstatten.
Es war fast zu einfach...
*
Anni, diesmal in hautenger Bluejeans und Bluse, kam etwas verspätet auf der Baustelle an, was ihr sofort einen wütenden Blick Edwards einbrachte.
„Wie schön, dass du es vor dem Dunkelwerden doch noch geschafft hast“, knurrte er ungehalten und wandte sich an die drei Archäologen, die sich inzwischen interessiert umsahen. „Hier entlang bitte.“
Während ihm alle zu den nahe gelegenen Felsen folgten, gesellte sich Alex wie zufällig an Annis Seite.
„Sexy Outfit“, bemerkte er trocken und wies grinsend auf ihre Jeans. „Und so passend für unsere Arbeit.“
„Unsere Arbeit?“, wiederholte Anni scheinbar erstaunt und legte dabei ihre ganze Betonung in das erste Wort. „Hören Sie, Mister...“
„Franklyn“, half er amüsiert aus. „Alex für Sie, Annabel!“
„Wenn Sie allen Ernstes glauben, ich arbeite mit Ihnen und laufe vielleicht auch noch mit der Schaufel hinter Ihnen her, das können sie getrost vergessen“, wetterte Anni unbeirrt weiter.
„Interessante Vorstellung“, lachte Alex.
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, ließ ihn einfach stehen und eilte zielstrebig hinter Edward und dem Ehepaar Cortez her. Leider achtete sie dabei nicht auf das unwegsame Gelände, stolperte über eine Wurzel und knickte so unglücklich mit dem Fuß um, dass sie strauchelte und mit Sicherheit gestürzt wäre, hätte Alex, der ihr glücklicherweise gefolgt war, sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen.
„Hoppla“, sagte er locker und hielt sie fester, als ihr lieb war. Sein Gesicht war ihrem plötzlich ganz nahe, als er leise fragte: „Haben Sie sich wehgetan?“
„Natürlich nicht“, antwortete sie ungehalten, denn dieser Mann verursachte ihr Herzklopfen, und das war nicht gut. So schnell wie möglich befreite sie sich aus seinen Armen, doch bereits der erste Schritt entlockte ihr einen kläglichen Schmerzensschrei.
„Au, verdammt!“
Sofort war Alex erneut zur Stelle und stützte sie.
Die anderen drehten sich erstaunt um.
„Anni, was ist denn jetzt wieder los?“, rief Edward ungeduldig.
„Sie ist gestolpert“, informierte ihn der Chef-Archäologe. „Ich vermute, der Knöchel ist verstaucht.“
„Quatsch“, entgegnete Anni wenig damenhaft. „Nur einen Moment, dann geht es besser.“
Während Edward entnervt mit den Augen rollte und seine Begleiter entschuldigend ansah, hatte Alex sich hingekniet und befühlte fachmännisch Annis Fußgelenk, was ein weiteres schmerzhaftes Aufstöhnen ihrerseits zur Folge hatte.
„Hören Sie auf, Sie Volltrottel, das tut höllisch weh!“
„Tja, das sieht nicht gut aus, Leute“, stellte Alex ungerührt fest, stand auf und fasste Anni, die hilflos auf einem Bein dastand, um die Taille. „Der Knöchel beginnt bereits anzuschwellen und sollte dringend geröntgt werden! Ich glaube, es ist besser, ich bringe Ihre Mitarbeiterin umgehend in die Klinik.“
„Auf gar keinen Fall“, protestierte Anni.
Edward nickte zerknirscht.
„Sehr freundlich von Ihnen, Alex. Sie können den Firmenjeep benutzen, der drüben auf der Baustelle steht.“
Er reichte ihm den Schlüssel und fuhr dann mit einem Blick zur Uhr fort: „In Anbetracht dieses… ungeahnten Zwischenfalles schlage ich vor, die Besichtigung der Höhlen auf morgen früh zu verschieben. Dann können Sie in aller Ruhe Ihr Gepäck ins Hotel bringen und sich vielleicht noch ein wenig in der Stadt umsehen. Für heute Abend möchte ich Sie dann zu einem gemeinsamen Abendessen in den YACHT CLUB einladen. Ich hoffe, bis dahin wird mein Geschäftspartner zurück sein, so dass Sie ihn ebenfalls kennenlernen.“
Claudia und Manuel Cortez nickten dankend, während Alex Anni einfach auf seine Arme nahm, als wäre sie leicht wie eine Feder und sie trotz ihres lautstarken Protestes hinüber zum Jeep trug.
„Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, sich hier so aufzuspielen!“, fauchte sie und hämmerte wütend gegen seine Schulter. „Was wissen Sie denn, was mit meinem Knöchel los ist! Schließlich sind Sie kein Arzt, sondern nur ein... ein...“
„Ja?“, fragte Alex belustigt.
„Maulwurf!“, zischte sie.
Er lachte schallend und setzte sie vor dem Jeep ab, während er den Wagen aufschloss.
„Glauben Sie mir, Annabel, ich hab schon so viele Knochen ausgegraben und untersucht, ich weiß, wann etwas kaputt ist und wann nicht.“
„Das können sie doch gar nicht vergleichen“, protestierte sie ärgerlich, doch er winkte nur lachend ab, während er ihr die Tür aufhielt.
„Na kommen sie, Schätzchen, was soll an einem Knöchel von einem Urmenschen oder einem Minisaurier anders sein als an Ihrem?“
Anni holte empört Luft, um ihm die passende Antwort zu geben, aber er bugsierte sie unbeirrt auf den Beifahrersitz und schloss den Wagen.
„Dann mal los“, meinte er grinsend, als er kurz darauf auf dem Fahrersitz Platz nahm und den Motor anließ. „Wo, bitteschön, geht es zur städtischen Notaufnahme?“
*
Becky hatte sich nach den Ereignissen von heute Mittag noch nicht wieder richtig erholt. Sie machte sich Sorgen um Kim, denn nachdem dieser brutale, widerliche Kerl, der behauptete, ihr Stiefvater zu sein, endlich verschwunden war, hatte das junge Mädchen ihr unter Tränen berichtet, was sie jahrelang zu Hause hatte erdulden müssen, dann war sie schluchzend zusammengebrochen und erklärte, sie würde lieber sterben, als dahin zurückzugehen.
Die Café-Shop-Wirtin hatte schweigend zugehört und ihr versprochen, sie auf keinen Fall im Stich zu lassen, aber seit der Auseinandersetzung mit Roger war Kim nicht wieder unten aufgetaucht. Sie hatte sich eingeschlossen und wollte nicht einmal Randy sehen, der vor einer Stunde hier gewesen war, um sich nach ihr zu erkundigen, nachdem sie nicht, wie vereinbart, am Strand aufgetaucht war. Verstört hatte er Becky gefragt, was denn los sei, aber sie hatte ihn gebeten, mit Kim selbst darüber zu sprechen, sobald diese dazu bereit sei.
Becky konnte sich kaum auf ihre Arbeit konzentrieren und grübelte ständig vor sich hin, was sie tun könne, um dem Mädchen zu helfen.
Sie schrak aus ihren Gedanken, als jemand sie am Tresen ansprach.
„Hallo Becky, wie geht es denn so?“
„Oh… Matt... Entschuldige, ich habe dich gar nicht bemerkt“, antwortete sie etwas zerstreut. „Hast du dir heute freigenommen?“
Mason duplizierte ein perfektes Matt- Shelton- Lächeln.
„Wir haben später ein wichtiges Meeting, und bis dahin brauche ich unbedingt einen richtig guten Kaffee. Einen, wie nur du ihn kochen kannst.“
Becky lachte geschmeichelt und füllte sogleich eine Tasse mit dem frischen duftenden Gebräu.
„Heiß und schwarz, genau wie du ihn magst.“
Er nahm einen Schluck und unterdrückte nur mit Mühe ein Stöhnen.
Schwarzer Kaffee... Typisch Matt! Er selbst liebte es, seinen Kaffee mit Milch und Zucker zu trinken. Und nun sollte es auch noch so aussehen, als genieße er dieses widerliche Zeug!
„Köstlich, Becky. Genau das, was ich jetzt brauche, um den Kopf wieder frei zu bekommen.“
Die Wirtin lächelte.
„Und was gibt es Neues in der Firma? Geht es voran mit euren Plänen?“
`Oh oh… falsche Frage, Becky, falsche Frage…`
Mason schluckte schwer, denn von den Plänen der H&S ENTERPRISES hatte er derzeit so gar keine Ahnung. Aber nicht umsonst schien er um keine Ausrede verlegen. Also rang er sich rasch ein verbindliches Lächeln ab.
„Tja weißt du, genau deshalb habe ich mir jetzt eine kurze Auszeit genehmigt, damit es mit den Plänen wieder vorangeht. Mir schwirrt heute alles Mögliche im Kopf herum, nur nichts, was die Firma betrifft.“
„Verstehe.“ Sie zwinkerte ihm vertraulich zu. „Wo wir gerade beim Thema sind: Wie geht es denn einer gewissen jungen Dame, die dein Herz anscheinend im Sturm erobert hat?“
Mason lachte und zwinkerte zurück.
„Ich werde sie später treffen, und da hoffe ich doch, dass es ihr ausgezeichnet geht.“
„Dann grüß sie bitte von mir. Ihr seid ein schönes Paar, ihr beide“, schwärmte Becky. „Hat sie sich denn inzwischen gut in Mitchs Strandhaus eingelebt?“
`Mitchs Strandhaus? Hervorragend, damit kommen wir der Sache schon ein entscheidendes Stück näher!`
Mason erinnerte sich noch gut an die Zeit, als er seinem Zwillingsbruder die Frau ausspannte. Damals hatte ein gewisser Mitch Capwell gerade ein Haus am Strand gekauft, und Matt half seinem Freund bei der Renovierung, nichtsahnend, dass sich zu Hause hinter seinem Rücken gerade ein Ehedrama anbahnte…
„Oh, ja, natürlich, es gefällt ihr gut dort“, erwiderte er rasch.
Becky lächelte.
„Du hast echt Glück, Matt. Sie ist wirklich sehr nett.“
„Ja, das ist sie.“
`Warum, verdammt noch mal, nannte sie das Objekt seiner Begierde nicht endlich beim Namen?`, dachte er genervt, während er mit Todesverachtung seinen Kaffee trank.
Aber Becky plauderte zwar mit ihm noch über dies und jenes, tat ihm jedoch nicht den Gefallen, den Namen von Matts neuer Eroberung zu erwähnen.
Mit einem mehr oder weniger gezwungenen Lächeln auf den Lippen und der Erkenntnis, dass nur ein Teil seines Planes funktioniert hatte, verließ Mason etwas später den Café-Shop.
Zumindest wusste er jetzt, wo Matts kleine Freundin zu finden war. Ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, und wenn er es schlau genug anstellte, hätte er vielleicht bereits heute Abend ein Date mit seiner neuen Traumfrau und würde sicherlich bis dahin auch ihren Namen erfahren.
Zuerst aber wollte er noch einer alten Freundin einen Besuch abstatten...
Sichtlich gut gelaunt machte er sich auf den Weg in Richtung Ocean Drive.
*
Marina war eben erst aus dem OCEANS zurückgekehrt und hatte ihre Farben und ihre Staffelei sorgsam in der kleinen Abstellkammer neben der Küche verstaut.
„Jetzt eine kühle Limonade und dann werde ich noch eine Weile zum Strand hinuntergehen“, nahm sie sich vor, als es plötzlich an der Tür klopfte.
Misstrauisch lugte sie durch den Spion, doch als sie sah, wer draußen stand, schlug ihr Herz sofort höher.
Er war da!
Genau, wie sie es sich gewünscht hatte. Er liebte sie also doch noch!
„Matt“, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln und trat beiseite, um ihn einzulassen. „Wie schön, dass du da bist.“
„Ach wirklich?“, entgegnete er sarkastisch, und während sie die Tür hinter ihm schloss, veränderte sich sein gespielt freundlicher Gesichtsausdruck schlagartig. „Ich hätte nicht erwartet, dass du dich freuen würdest, mich zu sehen.“
Sie starrte ihn einen Moment lang erstaunt an, dann jedoch begriff sie, und ihre Augen weiteten sich entsetzt.
„Mason...“, stieß sie hervor und trat instinktiv einen Schritt zurück. „Was willst du hier?“
Er lachte höhnisch.
„Ich will sehen, wie es dir geht, meine Liebe. Schließlich bist du auf und davon, ohne dich zu verabschieden. Und glaub mir...“ Er trat dicht an sie heran und legte einen Finger unter ihr Kinn, während er jedes einzelne Wort betonte: „So etwas mag ich gar nicht!“
Marina hatte sich inzwischen einigermaßen gefasst. Wütend presste sie die Lippen zusammen und stieß ihn von sich weg.
„Verschwinde, Mason! Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, schließlich sind wir nicht miteinander verheiratet! Außerdem wundert es mich, dass du überhaupt bemerkt hast, dass ich nicht mehr da war.“
„Ich mochte dich schon immer besonders, wenn du wütend auf mich warst. Willst du mir gar keinen Drink anbieten?“, grinste er, ohne auf ihre Vorwürfe einzugehen, und maß sie mit amüsiertem Blick. Da sie keine Anstalten machte, sich zu bewegen, begann er sich selbst umzuschauen und öffnete ungeniert eine der Türen.
„Die gute Stube, sieh mal einer an, wie bei Muttern“, lästerte er. „Da hat sich aber jemand sehr schnell häuslich eingerichtet. Warum wohnst du eigentlich nicht wieder bei Matt?“
Er sah, wie sie empört Luft holte, um etwas zu erwidern, doch er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
„Oh sorry, ich vergaß: Der gute Matt nimmt ja nichts Gebrauchtes zurück.“
„Du elender, gemeiner...“, fauchte Marina und erhob wütend die Hand, doch er hielt sie sich mit einer lässigen Armbewegung vom Leib.
„Na na, immer schön cool bleiben, Schätzchen.“
Ungerührt ging er ein paar Schritte weiter und öffnete die nächste Tür.
„Ah, das Schlafzimmer. Interessant.“
„Mason, verschwinde endlich! Du hast kein Recht, hier einfach so hereinzuplatzen!“
Er lehnte sich an den Türrahmen, vergrub die Hände in den Hosentaschen seiner Jeans und sah sie herausfordernd an.
„Wie war das eigentlich letzte Nacht? Hast du versucht den armen Matt mit deinem Charme so richtig einzuwickeln? Oder hat er dich noch rechtzeitig durchschaut?“
Marina starrte ihn fassungslos an.
Wie war das möglich? Woher wusste Mason von ihrer Nacht mit Matt? Niemand konnte davon wissen... Oder doch?
„Was willst du damit sagen?“, fragte sie unsicher.
Mason lachte laut, ein Lachen, das böse und arrogant klang und das sie aus tiefstem Herzen hasste.
„Komm schon, Schätzchen“, meinte er grinsend. „Du und ich, wir beide wissen genau, was du vorhast. Du bist damals aus dem goldenen Käfig ausgebrochen und nun möchtest du zu gerne wieder dahin zurück. Nur hat dir Matt leider die Tür verschlossen.“
„Du weißt doch gar nicht, wovon du redest“, fuhr ihn Marina erbost an.
„Oh doch, das weiß ich nur zu gut, meine Liebe“, meinte er mit einem tiefgründigen Lächeln. „Aber keine Angst, ich werde dir bei deinen Plänen nicht im Wege stehen.“
Er machte eine bedeutungsvolle Pause und trat erneut dicht an sie heran.
„Jedenfalls nicht, solange sich die Sache zu meinem Vorteil entwickelt.“
„Heißt das... du hast vor, in der Stadt zu bleiben?“, fragte Marina mit zitternder Stimme.
„Sunset City ist nach wie vor ein interessantes Plätzchen...“, grinste er träge. „Ja, ich denke, ich werde eine Weile bleiben.“
Als Mason endlich gegangen war, stand Marina lange Zeit am Fenster und starrte aufs Meer hinaus. Ihre Hand strich gedankenverloren über ihren Bauch.
„Du hast soeben deinen Vater kennengelernt, mein Kleines“, sagte sie leise. „Aber das wird unser Geheimnis bleiben. Ich werde dafür sorgen, dass du einen besseren als ihn bekommst, einen viel besseren!"
*
Zufrieden wählte Mason die Telefonnummer, die ihm die Auskunft soeben übermittelt hatte.
Bereits nach dem zweiten Rufzeichen meldete sich eine Männerstimme.
„Ja bitte?“
„Mitch?“, fragte Mason vorsichtig.
„Ja... Wer spricht denn dort?“
„Ich bin es, Matt.“
„Matt, sorry, ich habe deine Stimme gar nicht gleich erkannt. Was gibt’s?“
„Ich habe schlimme Sehnsucht nach der Frau meines Herzens. Ist sie da? Auf dem Handy kann ich sie leider nicht erreichen.“
Mitch lachte.
„Die Frau deines Herzens“, wiederholte er, „Das hört sich gut an. Ich werde gleich mal sehen, ob ich da was für dich tun kann. Einen Augenblick...“
Mason lauschte gespannt, und Sekunden später hörte er endlich die Worte, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte.
„Dani... Telefon!“
Er grinste zufrieden.
„Na also, wer sagt`s denn“, dachte er, als auch schon ihre Stimme am anderen Ende der Leitung erklang.
„Matt?“
„Hallo Dani, mein Schatz, schön, dass du da bist. Ich würde dich gern nachher sehen. Wie wäre es, wenn wir uns am Strand treffen? Am Aussichtsturm der Rettungsschwimmer bei Sonnenuntergang?“
„Am Strand?“ Sie schien überrascht.
„Na ja, wir können uns natürlich auch irgendwo anders treffen, wenn du möchtest“, lenkte Mason schnell ein.
„Nein, kein Problem“, erwiderte Danielle. „Ich werde da sein. Was hast du denn vor?“
Ein diabolisches Lächeln zog über Masons Gesicht, ein Lächeln, das sie zum Glück nicht sehen konnte, als er mit samtweicher Stimme antwortete:
„Nichts Besonderes, ich möchte nur ein wenig mit dir allein sein. Darauf freue ich mich schon den ganzen Tag.“
„Ich freue mich auch darauf, dich zu sehen, Matt“, antwortete sie. „Bis nachher also.“
Nachdenklich legte Danielle auf.
`Wieso kommt er nicht her, um mich abzuholen, sondern will sich mit mir am Strand treffen?`, grübelte sie nachdenklich. `Und wieso nennt er mich Dani? Das hat er noch nie getan!`
„Alles in Ordnung?“, fragte Randy, der gerade aus der Küche kam.
„Ja...“, nickte sie etwas zerstreut. „Alles okay. Ich treffe mich nachher bei Sonnenuntergang mit Matt am Strand.“
Randy lachte.
„Wie romantisch!“
„Ja… sicher“, nickte sie und verdrängte rasch alle Zweifel. „Und wo willst du so eilig hin?“
„Zu Kim“, erwiderte Randy. „Irgendetwas scheint heute im Café-Shop vorgefallen zu sein, worüber sie bisher nicht reden wollte. Ich hoffe, sie hat sich inzwischen etwas beruhigt und erzählt mir, was los war.“
„Na dann bis später“, meinte Danielle und klopfte ihm im Vorbeigehen freundschaftlich auf die Schulter. „Grüß sie und Becky von mir.“
Während sie die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer ging, beschlich sie erneut dieses eigenartige, unterschwellige Gefühl, das sie nicht zu deuten wusste. Lag es an Matt? Oder reagierte sie nur einfach über?
Was auch immer es war, es würde sicher vorübergehen. Spätestens dann, wenn Matt sie nachher in seine Arme nahm und alle negativen Gedanken und Gefühle einfach wegküsste…
*
Matt hatte sich nach seiner Rückkehr aus den Bergen zunächst ins Büro zurückgezogen. Es war eine Menge Arbeit liegengeblieben, und er versuchte ein wenig Ordnung in die zahlreichen Papiere auf seinem Schreibtisch zu bringen. Insgeheim gestand er sich jedoch ein, dass dies nur ein Vorwand vor sich selbst war, um die dringend notwendige Aussprache mit Danielle noch etwas hinauszuschieben, da er nicht voraussehen konnte, wie sie darauf reagieren würde, wenn sie erfuhr, in wessen Bett er heute Morgen erwacht war. Aber er wollte unbedingt ehrlich zu ihr sein, denn diese sich zwischen ihnen anbahnende verheißungsvolle Beziehung sollte keinesfalls mit einer Lüge beginnen.
Ganz in Gedanken versunken starrte er auf seine geschäftlichen Notizen, als sich draußen die Türen zum Lift öffneten. Edward betrat eilig die Lobby und bemerkte die Anwesenheit seines Geschäftspartners durch die offene Bürotür.
„Oh, gut, dass du da bist! Wir haben heute Abend noch einen dringenden Termin wahrzunehmen.“
Erstaunt blickte Matt auf.
„So? Was gibt es denn?“
„Ich habe unser Archäologen-Team zum Abendessen in den YACHT CLUB eingeladen, auf Geschäftskosten, versteht sich“, erklärte Edward mit wichtiger Miene. „Es kann nicht schaden, wenn wir diese Leute ein wenig bei Laune halten, damit sie eventuell hier und da bei ihren Messungen und Gutachten ein Auge zu unseren Gunsten zudrücken.“
„Und was hat dein kleines Bestechungsmanöver mit mir zu tun?“, fragte Matt nicht gerade begeistert.
Edward räusperte sich pikiert.
„Immerhin bist du mein Geschäftspartner. Da solltest du bei einem offiziellen Essen schon dabei sein. Im Übrigen kennst du einen der Herren bereits. Es ist Manuel Cortez, dein ehemaliger Schwager.“
Matt lehnte sich erstaunt zurück.
„Marinas Bruder gehört zu dem Archäologen-Team?“
Edward beobachtete ihn abschätzend.
„Ist das ein Problem für dich?“
„Nein, wieso sollte es? Ich habe kein Problem mit Manuel, weil er der Bruder meiner Ex-Frau ist. Im Gegenteil, er ist hier aufgewachsen und kennt die Gegend um die Strandhöhlen bereits seit frühester Kindheit, was sicherlich nicht von Nachteil ist.“
Edward verzog skeptisch das Gesicht, erwiderte jedoch nichts.
Während er draußen in der Lobby nach einigen Unterlagen griff und diese sorgfältig in seinem Aktenkoffer verstaute, meinte er beiläufig:
„Natürlich kannst du zu dem Essen eine Begleiterin mitbringen, nur verschone mich heute mit Anni.“
„Wieso?“, fragte Matt belustigt. „Hat sie dich wieder geärgert?“
Edward winkte genervt ab, kehrte nach kurzem Zögern zurück in Matts Büro und setzte sich missmutig auf die Schreibtischkante.
„Die Frau ist eine Zumutung. Zuerst knurrte sie unsere Gäste unflätig an, kaum dass diese einen Fuß durch die Tür gesetzt hatten, anschließend glänzte sie wie gewöhnlich durch völlige Inkompetenz. Sobald sie ihren Mund aufmachte, gab sie nur völlig schwachsinnige Bemerkungen von sich. Als Krönung war sie auch noch absolut unpassend gekleidet und musste sich vor der geplanten Besichtigung der Strandhöhlen erst umziehen gehen.“
„Unpassend gekleidet?“, hakte Matt erstaunt nach, und Edward nickte bestätigend.
„Ihr Kostüm war völlig beschmutzt.“
„Moment“ Matt zog ungläubig die Stirn in Falten. „Knurren und Inkompetenz nehme ich dir ja noch ab, aber Anni und ein beschmutztes Kostüm? Ist sie gegen die Kaimauer gelaufen?“
„Wohl eher umgekehrt, jemand scheint gegen sie gelaufen zu sein. Sie hatte deutlich sichtbar zwei schmutzige Handabdrücke auf ihrer Kehrseite.“
„Oh...“ Diese bildhafte Vorstellung brachte Matt zum Lachen.
Edward grinste ebenfalls und lockerte seine Krawatte.
„Alex Franklyn fand das mindestens so amüsant wie du“, bemerkte er. „Er ist übrigens gerade mit Anni auf dem Weg in die Notaufnahme, nachdem sie sich auf dem Pfad zu den Höhlen auch noch den Knöchel verletzt hat und nicht mehr auftreten konnte.“
„Scheint ja ein interessanter Tag gewesen zu sein“, stellte Matt sichtlich erstaunt fest.
„Ja, das kann man sagen“, bestätigte Edward und musterte ihn interessiert. „Darf ich fragen, wo du die ganze Zeit warst?“
„Ich musste dringend etwas erledigen“, wich Matt der Frage aus und wechselte schnell das Thema. „Wann findet das Abendessen im YACHT CLUB statt?“
Edward erhob sich.
„Wir treffen uns um 19.00 Uhr. Bitte sei pünktlich. Und denk bitte daran...“
„Ja, ich bringe eine Begleitung mit, und nein, es wird ganz bestimmt nicht Anni sein“, fiel ihm sein jüngerer Geschäftspartner geduldig lächelnd ins Wort.
„Gut.“ Zufrieden nahm Edward seinen Aktenkoffer.
„Wird Sophia dich begleiten?“, erkundigte sich Matt.
„Davon gehe ich aus.“
„Wie geht es ihr?“
„Danke der Nachfrage. Sie hat sich bereits gut erholt.“
„Das freut mich.“
Matt sah auf die Uhr, während Edward das Büro verließ. Wenn er Danielle noch rechtzeitig zu dem Abendessen abholen wollte, dann musste er sich beeilen. Schnell packte er seine Sachen zusammen und verließ das Büro.
*
Los Angeles
„Sophia, meine Liebe!“
Kelly Morano breitete die Arme aus und kam mit einer trotz ihrer äußerst fülligen Gestalt erstaunlichen Wendigkeit auf die Jugendfreundin zugeeilt. Voller Freude drückte sie Sophia an ihren mächtigen Busen. „Endlich bist du da! Du ahnst ja nicht, wie ich mich freue, dich wiederzusehen! Komm herein, Schätzchen, fühl dich wie zu Hause.“
Sophia trat in Kellys geräumige und großzügig eingerichtete Penthouse-Suite, während ein Page mit ihrem Koffer dienstbeflissen vorauseilte.
„Stellen Sie das Gepäck drüben ab, Bob. Danke.“ Die Hausherrin reichte ihm ein Trinkgeld, worauf der junge Mann sich mit einer knappen Verbeugung verabschiedete und nach draußen verschwand.
„Komm, setz dich doch, Sophia.“ Kelly wies auf das helle, gemütlich aussehende Ledersofa. „Möchtest du einen Drink?“
Sophia nahm Platz und lehnte dankend ab.
„Ich nehme noch Medikamente und darf nichts Alkoholisches trinken.“
„Medikamente?“, fragte Kelly aufmerksam. „Bist du etwa krank?“
„Nein“, erwiderte Sophia zögernd. „Ich hatte kürzlich... eine Fehlgeburt, und da...“
„Oh...“ Kelly setzte sich neben Sophia und fasste erschrocken nach deren Hand. „Das tut mir so leid für dich, Schätzchen! Wie ist es denn dazu gekommen?“
„Ich bin... die Treppe hinuntergefallen.“
„Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, was du durchgemacht hast!“
Voller Mitleid in den Augen sah Kelly ihre Freundin an. Dann verfinsterte sich ihre Miene.
„Und was sagt Edward dazu?“
Sophia zwang sich zu einem Lächeln.
„Nun ja, er war natürlich auch sehr betroffen...“
Kelly warf den Kopf zurück und lachte geringschätzig.
„Oh ja, natürlich! Betroffen... Entschuldige, meine Liebe, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Edward Hamilton wirklich treffen könnte, außer, es schnappt ihm jemand ein lukratives Geschäft vor der Nase weg und das Geld wird knapp“, meinte sie wütend.
Sophia verdrehte die Augen.
„Kelly, bitte!“
„Na ja, du weißt doch, ich kann ihn nicht ausstehen, diesen hinterhältigen, geldgierigen Immobilienhai! Glaub mir, du hast etwas Besseres verdient, Sophia. So fantastisch, wie du aussiehst, hättest du sie alle haben können! Aber nein, du verliebst dich ausgerechnet in diesen arroganten, herrschsüchtigen Tyrannen.“ Kelly schüttelte ihre dunkle Lockenmähne, die ihr ungebändigt bis auf die Schultern fiel und ihr ohnehin schon rundes Gesicht noch breiter wirken ließ.
Sie hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie Sophias Ehemann nicht leiden mochte, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruhte, denn er war ebenfalls kein Fan von der Jugendfreundin seiner Frau. Was ihn ganz offensichtlich störte, war Kellys vorlautes Mundwerk und ihre provozierende Art, gelegentlich auch unangenehme Dinge laut auszusprechen.
Kelly wunderte sich insgeheim, dass Edward Sophia einfach so hatte wegfahren lassen.
Es sei denn... Er wusste gar nicht, dass seine Frau hier war!
„Was hält denn Edward von deiner kleinen Reise nach L.A.? Lässt er mich gar nicht grüßen?“, forschte sie mit einem breiten Grinsen um die rot geschminkten Lippen.
Die Antwort überraschte sie kein bisschen.
„Ich habe ihm nicht gesagt, wohin ich fahre.“
„So so.“ Kelly lehnte sich amüsiert zurück. „Also Ärger im Paradies?“
„Nein... Ja...“ Sophia kämpfte mit sich. Nervös strich sie sich über die Stirn. „Ich glaube, ich brauche jetzt doch einen Drink“, brachte sie schließlich hervor. „Und ich brauche dringend deinen Rat, Kelly. Als Frau und als gute Freundin!“
*
„Und Sie haben keine Ahnung, wo sie hingefahren sein könnte, Rosi?“, fragte Caroline genau in dem Augenblick, als Edward vom Büro nach Hause kam und die Tür öffnete.
Erstaunt sah er in die besorgten Gesichter der beiden Frauen.
„Was gibt es denn?“, fragte er neugierig. „Wo könnte wer hingefahren sein?“
Caroline biss sich auf die Lippen, während Rosita nervös die Hände rang.
„Ich hatte versucht, Sie anzurufen, Mister Hamilton, aber Sie waren nicht im Büro, und Ihre Sekretärin sagte mir...“, begann die Haushälterin mit zitternder Stimme, doch Caroline legte ihr sogleich beruhigend die Hand auf den Arm.
„Schon gut, Rosi, Sie können nichts dafür.“
Edward zog die Augenbrauen zusammen. Ein ungutes Gefühl breitete sich sofort in seiner Magengegend aus.
„Wofür kann sie nichts?“, fragte er in barschem Tonfall. „Caroline, was ist hier los?“
„Mom ist weg“, erklärte diese unumwunden und musterte ihren Vater gespannt.
Der schüttelte verständnislos den Kopf.
„Weg? Was heißt das, sie ist weg?“
Caroline hob die Schultern.
„Keine Ahnung, eben weg, verreist.“
„Wohin?“ Edwards Blicke schienen sie zu durchbohren und wanderten weiter zu Rosita. „Weshalb haben Sie meine Frau nicht aufgehalten?“, herrschte er die Haushälterin an.
„Daddy“, rief Caroline vorwurfsvoll. „Was kann Rosita dafür, wenn Mom einfach das Haus verlässt! Was hätte sie denn tun sollen?“
„Mich anrufen zum Beispiel!“
„Aber das habe ich doch getan, Mister Hamilton“, versuchte sich Rosita erneut zu verteidigen, doch Edward winkte nur wütend ab.
„Ich bin immer zu erreichen, wenn etwas wirklich wichtig ist“, knurrte er und funkelte seine Angestellte böse an. Diese schlug schuldbewusst die Augen nieder.
„Misses Hamilton sagte, sie wolle eine alte Freundin besuchen, und sie sei vielleicht nur ein paar Tage weg“, antwortete sie leise. „Und sie sagte auch noch, dass sie oben einen Brief für Sie hingelegt hat, Mister Hamilton.“
Ohne zu antworten stürmte Edward die Treppe hinauf, riss die Tür zum Schlafzimmer auf und sah sofort den weißen Umschlag auf seinem Bett liegen. Mit fliegenden Fingern öffnete er ihn und entfaltete das darin liegende Blatt Papier, das nur wenige Zeilen in der ihm wohlbekannten zierlichen Handschrift enthielt.
„Edward! Ich werde ein paar Tage verreisen, zu einer Freundin. Ich brauche diese Zeit, um in Ruhe über alles nachzudenken und mir über unsere Ehe und die Gefühle, die uns beide noch verbinden, klar zu werden. Ich bin nicht mehr dazu bereit, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben, zu viel ist geschehen. Bitte suche nicht nach mir. Bis bald, Sophia“
Mit einem Aufstöhnen zerknüllte er den Brief in seiner Faust.
„Verdammt Sophia, wieso tust du mir das an!“, stieß er wütend hervor. Dann ging er zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Sam?... Ich möchte, dass Sie alles stehen und liegen lassen und etwas für mich erledigen.“ Er holte tief Luft und straffte die Schultern.
„Finden Sie meine Frau, und zwar schnell!“
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„Lassen Sie mich runter, ich kann alleine laufen!“, wetterte Anni, doch Alex ließ sich nicht beirren und trug sie in die Notaufnahme, wo er sie vorsichtig vor dem Empfangstresen absetzte.
„Nanu, Miss Parker, Sie haben aber wirklich Glück”, meinte Tilly, die zuständige Schwester am Empfang mit amüsiertem Grinsen. „Endlich ein Kavalier, der Sie auf Händen trägt!“
„Sparen Sie sich gefälligst die blöden Scherze“, giftete Anni zurück und stützte sich am Tresen ab. „Holen Sie den diensthabenden Arzt!“
„Wollen Sie den auch nur beschimpfen, oder haben Sie einen überzeugenden Grund für Ihren Besuch?“, fragte Tilly, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließ.
„Zum Kaffeeklatsch bin ich jedenfalls nicht hier.“ Anni sah Alex hilfesuchend an. „Na los, sagen Sie doch gefälligst auch mal was!“
Alex bedachte die strenge Schwester mit einem liebenswürdigen Lächeln.
„Sie hat heute einen schlechten Tag“, raunte er vertraulich mit einer bedeutungsvollen Kopfbewegung zu seiner missgestimmten Begleiterin hinüber.
Tilly nickte versöhnlich.
„Das merkt man.“
„Auf jeden Fall sollte sich dringend ein Arzt den linken Knöchel von Miss Parker ansehen. Sie ist umgeknickt und hat Schmerzen.“
„Einen Moment.“ Die Schwester betätigte die Sprechanlage. „Dr. Yamada bitte in die Empfangshalle, ein Notfall. Dr. Yamada bitte!“ Dann wies sie auf die Stühle gegenüber. „Nehmen Sie doch so lange dort drüben Platz, die Frau Doktor wird gleich nach Ihnen sehen.“
„Vielen Dank“, erwiderte Alex charmant und bot Anni den Arm. „Darf ich bitten?“
Notgedrungener Weise musste sie das Angebot annehmen, allein konnte sie keinen Schritt mehr tun. Missmutig humpelte sie mit seiner Hilfe zu den Sitzgelegenheiten.
Eine paar Sekunden später erschien Suki am Empfang. Mit einem bedeutsamen Blick wies Tilly auf die Wartenden. Die junge Ärztin drehte sich um, eilte zu ihnen herüber und stellte sich vor.
„Darf ich mir den Knöchel ansehen?“, fragte sie höflich und löste vorsichtig den Schuh von Annis Fuß.
„Au verdammt, passen Sie doch auf“, knurrte diese mit zusammengebissenen Zähnen. Unbeirrt befühlte Suki das bereits deutlich angeschwollene Fußgelenk und nickte dann bestätigend.
„Das muss geröntgt werden.“ Sie drehte sich zu Tilly um. „Einen Rollstuhl für Miss Parker. Bringen Sie die Patientin bitte zum Röntgen in Raum 2.“
„Soll ich hier auf Sie warten, Annabel?“, fragte Alex.
„Nein... Ja… Wenn Sie unbedingt wollen!“ Es passte ihr zwar überhaupt nicht, dass sie momentan auf seine Hilfe angewiesen war, aber was sollte sie tun? Auf einem Fuß konnte sie schlecht nach Hause humpeln, da war es schon besser, ihn noch eine Weile zu ertragen.
Wenn er nur nicht so überheblich grinsen würde!
„Sie können ja in der Zwischenzeit das Personal mit Ihrem unwiderstehlichen Charme bezaubern, bis ich zurück bin“, knurrte sie unwillig, während eine junge Lernschwester ihr in den Rollstuhl half.
„Eine gute Idee, Annabel“, gab Alex schlagfertig zurück und wandte sich betont freundlich an die Schwester, die sein Lächeln prompt erwiderte. „Geben Sie gut auf die Dame Acht, sie ist zuweilen etwas ungeschickt.“
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Mit klopfendem Herzen stand Matt eine Stunde später vor Mitchs Haus. Sein schlechtes Gewissen verursachte ihm immer noch ein ungutes Gefühl, aber andererseits freute er sich unbändig darauf, Danielle endlich wiederzusehen. Er würde sie zum Essen ausführen und danach in Ruhe mit ihr über alles reden. Es sollte keine Geheimnisse zwischen ihnen geben.
Danielle öffnete die Tür und sah ihn mit erstaunten Augen an.
„Matt? Ich dachte, wir... Hast du es dir anders überlegt?“
„Anders überlegt?“ Irritiert sah er sie an, doch sie winkte lachend ab und nahm seine Hand.
„Ist doch egal, Hauptsache, du bist da. Komm herein!“
„Eigentlich hatte ich mir den Abend mit dir etwas anders vorgestellt“, meinte er entschuldigend, während er sie zärtlich in die Arme nahm. „Aber Edward hat kurzfristig ein Geschäftsessen im YACHT CLUB geplant, an dem ich unbedingt teilnehmen muss. Würdest du mich dorthin begleiten?“
„Wieviel Zeit hab ich denn noch, um mich entsprechend zurechtzumachen?“, fragte sie schelmisch.
„Genügend“, erwiderte Matt. „Und für einen Kuss ist auch noch Zeit.“
Danielle lachte.
„Den gibt es, wenn ich fertig bin. Warte hier!“ Sie war schon am Treppenabsatz, als ihr noch etwas einfiel. „Muss ich bei dem Geschäftsessen Anni Parkers Gesellschaft ertragen? Ich frage nur wegen der Wahl meiner Kleidung. Abendgarderobe oder Kampfanzug?“
Matt lachte.
„Lass den Kampfanzug im Schrank, sie wird nicht da sein. Und mach dir nicht so viel Mühe, du siehst ohnehin bezaubernd aus.“
Sie zwinkerte ihm lächelnd zu und verschwand nach oben.
Matt blätterte in einem Magazin, das auf dem Tisch lag. Anscheinend war niemand weiter da, oder die anderen hielten sich derzeit oben in ihren Zimmern auf, denn im Haus herrschte momentan absolute Ruhe. Trotzdem war er derart in seine eigenen Gedanken vertieft, dass er gar nicht wahrnahm, wie Danielle kurze Zeit später die Treppe wieder herunterkam.
Erst als sie vor ihm stand, blickte er erstaunt auf.
„Wow… du siehst umwerfend aus“, stellte er begeistert fest und sprang auf.
Sie strahlte ihn an. Sie hatte ihr Haar locker aufgesteckt und trug einen eleganten dunklen Hosenanzug aus fließendem Stoff, darunter ein türkisfarbenes Seidentop.
„Können wir gehen?“ fragte sie lächelnd. Matt schüttelte den Kopf und zog sie dicht zu sich heran.
„Nicht, bevor ich den versprochenen Kuss bekommen habe Der letzte ist schon viel zu lange her.“
„So lange nun auch wieder nicht“, widersprach Danielle und dachte dabei an ihre Begegnung heute am Strand, doch Matt schien ihre Worte gar nicht zu hören. Als sie Sekunden später seine Lippen auf den ihren spürte, glaubte sie zu schweben. Alle trüben Gedanken verflogen. Nur dieser einzigartige, kostbare Moment zählte, in dem er ihr wieder so unendlich nah war. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und erwiderte sehnsuchtsvoll seinen Kuss. Vergessen war das eigenartige, unerklärliche Gefühl, dass sie bei der Begegnung mit ihm heute Mittag beschlichen hatte. Sie küssten sich voller Leidenschaft und konnten gar nicht genug voneinander bekommen, als sich plötzlich ein Schlüssel im Schloss drehte, und kurz darauf Mitch das Haus betrat.
„Lasst euch nicht stören“, grinste er und verschwand in der Küche.
Danielle löste sich sanft aus Matts Umarmung und sah ihn mit einem immer noch verklärten Lächeln an.
„Wir… sollten jetzt gehen“, raunte sie leise und räusperte sich, da ihre Stimme ihr noch nicht so recht gehorchen wollte.
Matt nickte zwar, ließ sie jedoch nur widerstrebend aus seinen Armen.
„Ja… das sollten wir“ meinte er bedauernd. „Aber ich verspreche dir, wir bleiben nicht sehr lange, und dann gehört der Rest des Abends nur uns beiden.“
Verliebt und eng umschlungen verließen sie das Haus.
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Mitch öffnete weit das Küchenfenster und atmete tief die würzige Seeluft ein, die vom Strand hereinströmte.
Seit dem Abend im Keller des OCEAN war ihm Suki permanent aus dem Weg gegangen.
Was war nur los mit ihr?
Im ersten Moment hatte er befürchtet, dass sie davongelaufen war, weil sie sich überfordert fühlte. War er mit seinem Kuss zu weit gegangen? Dabei war er sich doch ganz sicher gewesen, dass sie seine Zärtlichkeiten erwidert hatte! Sobald er die Augen schloss, vermeinte er noch immer ihren zarten Körper zu spüren, der sich leidenschaftlich an seinen drängte, ihre Finger, die haltsuchend den Kragen seines Shirts umklammerten und ihre Lippen, die sich unter seinem Kuss bebend geöffnet hatten. Und der sinnliche Glanz in ihren dunklen Mandelaugen war ihm ebenfalls nicht entgangen.
Wieso zum Geier zog sie sich dann immer wieder zurück, sobald sie beide sich etwas näher kamen?
Genau das würde er herausfinden, und zwar sofort!
Entschlossen griff er nach seinem Handy und wählte die Nummer der Klinik.
„Medical Center Sunset City, Notaufnahme“, meldete sich eine resolute Frauenstimme.
„Hallo Tilly, hier ist Mitch. Könnte ich wohl Suki kurz sprechen?“
„Hi Mitch, es tut mir leid, aber sie ist gerade mit einem Notfall beschäftigt. Das wird einen Moment dauern, fürchte ich“, antwortete Tilly bedauernd. „Soll ich ihr etwas ausrichten?“
„Ja, bitte sag ihr, ich hole sie nach der Spätschicht in der Klinik ab. Und nur für den Fall, dass wir uns verpassen, ich nehme den Weg am Strand entlang.“
„Okay, schon notiert“, rief die Schwester fröhlich. „Ich sage es ihr, sobald sie herauskommt.“
„Danke Tilly, du bist ein Schatz!“
Mitch legte auf und lachte.
„Der Abend gehört uns, Shugar“, meinte er und klatschte zuversichtlich in die Hände, während er die Küche verließ.
Sekunden später erschien Bobby Hudghes` Gesicht vor dem offenen Fenster. Offensichtlich hatte er draußen gelauscht und heimlich alles mitgehört.
„Wenn du dich da mal nur nicht irrst, mein Freund“, knurrte er mit heimtückischem Grinsen und verschwand so lautlos, wie er erschienen war.