Randy war nach seinem Freispruch einfach nur glücklich.
Noch nie zuvor hatte er sein Leben so bewusst gelebt. Er genoss jeden Augenblick und freute sich plötzlich an alltäglichen Dingen, die er früher als ganz selbstverständlich betrachtet oder gar nicht wahrgenommen hatte. Die wiedergewonnene Freiheit schien ihn zu einem völlig neuen Menschen zu machen. Er hatte schuldlos tief hinab in den Abgrund schauen müssen und dabei fast den Boden unter den Füßen verloren, und nur durch die Hilfe seiner Freunde hatte sich buchstäblich in letzter Sekunde alles zum Guten gewendet. Er würde Matt, Danielle und Stefano nie vergessen, was sie für ihn getan hatten, niemals!
Seit seinem Freispruch verbrachte er jede freie Minute mit Kim und Scout. Oftmals machten sie lange Strandspaziergänge und Randy hielt dabei gern Kims Hand.
Anfangs war er noch viel zu sehr mit seinem eigenen traumatischen Erlebnis beschäftigt, dass er zunächst gar nicht bemerkte, wie Kim sich veränderte. Erst nach und nach fiel ihm auf, dass sie ungewöhnlich still und in sich gekehrt schien. Oft lief sie wortlos neben ihm her und ihre Gedanken schienen meilenweit weg zu sein. Nicht einmal Scout, der voller Freude um die beiden herumsprang, fand ihre Beachtung.
Auf seine Frage, ob etwas nicht in Ordnung sei, schüttelte sie nur abwesend den Kopf. Randy vermutete, dass ihr die Sache mit ihrem Stiefvater trotz allem noch immer zu schaffen machte.
Irgendwann beschloss er, der Sache auf den Grund zu gehen. Während eines Strandspazierganges zog er Kim kurzentschlossen mit sich auf eine der leerstehenden Bänke am Ende der Strandpromenade.
„Bitte erzähl mir, was dir Sorgen macht. Ist es wegen deinem Stiefvater?“, fragte er vorsichtig.
Kim starrte aufs Meer hinaus und schwieg. Erst nach einer ganzen Weile erwiderte sie nachdenklich:
„Ich bin froh, dass er tot ist. Er war ein schlechter Mensch, brutal und grausam. Er musste irgendwann so enden.“
„Aber was ist es dann?“, bohrte Randy weiter. „Komm schon, ich spüre doch, dass dich irgendetwas bedrückt.“
Kim senkte den Kopf und schwieg beharrlich. Irgendwann holte sie ein zerknittertes Blatt Papier aus ihrer Hosentasche, entfaltete es und reichte es Randy.
„Hier... lies das. Sie hat mir geschrieben.“
„Wer?“, fragte Randy und sah verständnislos auf den mit zierlicher Handschrift beschriebene Briefbogen.
„Meine Mutter“, erwiderte Kim leise. „Sie möchte, dass ich nach Hause komme.“
„Deine Mutter?“, rief Randy mehr als überrascht. „Ja aber, du hast doch gesagt, sie war nie für dich da, als du sie gebraucht hast, und jetzt...“
Kim schien die Sache sehr wichtig zu sein.
„Lies den Brief“, unterbrach sie ihn mit überraschend fester Stimme. „Vielleicht verstehst du dann.“
Randy las und schüttelte verständnislos den Kopf.
„So viele Jahre musstest du unter den Launen deines Stiefvaters und unter der Trinkerei deiner Mutter leiden. Die beiden haben dir einen Teil deiner Kindheit zerstört und dir das Leben zur Hölle gemacht. Du warst deiner Mutter egal. Und jetzt meint diese Frau allen Ernstes, man könnte so etwas mit ein paar rührseligen Zeilen einfach ungeschehen machen?“
Kim sah ihn an.
„Randy, sie ist meine Mutter. Trotz allem, was geschehen ist. Sie konnte doch gar nicht anders, Roger hat es nicht zugelassen. Sie hat getrunken, um das Leben mit ihm zu ertragen.“ Plötzlich zog ein verklärtes Lächeln über ihr Gesicht. „Aber jetzt ist er weg und kann uns nicht mehr wehtun. Wir haben eine neue Chance, sie und ich. Das habe ich mir immer gewünscht... Kannst du das nicht verstehen?“
„Nein“, antwortete er überzeugt. „Das kann ich nicht verstehen. Ich kann mich an meine Mutter gar nicht mehr erinnern, sie hat mich im Alter von zwei Jahren einfach in ein Heim gesteckt, weil ich ihr zu viel war. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn Matt mir nicht geholfen hätte, damals, als ich hierherkam.“ Er straffte die Schultern. „Und wenn meine Mutter jetzt vor der Tür stehen würde, dann könnte sie gleich wieder gehen! Für mich existiert sie nicht mehr.“
„Du urteilst ziemlich hart.“ In Kims Augen schimmerten Tränen. „Ich glaube, dass jeder eine zweite Chance verdient, das müsstest du doch am besten wissen, nach dem, was beinahe mit dir geschehen wäre!“
„Das ist etwas anderes“, knurrte Randy und starrte verbittert vor sich hin. Kurze Zeit später jedoch besann er sich und legte versöhnlich seinen Arm um Kims Schultern.
„Okay, tu einfach, was du tun musst, wenn es dich glücklich macht“, sagte er leise. Sie sah ihn an und lächelte, dankbar für sein Verständnis.
„Wirst du zurückkommen?“, fragte er nach einer Weile.
„Vielleicht.“ Kim hob unschlüssig die Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Aber ich habe eine Bitte. Ich möchte, dass du Scout bei dir behältst. Er verdient auch eine Chance. Er ist so glücklich hier.“
Randy bückte sich und nahm den kleinen Vierbeiner auf seine Knie. Die treuen braunen Hundeaugen sahen ihn erwartungsvoll an, und Randy wurde das Gefühl nicht los, als würde Scout genau verstehen, was hier vor sich ging.
„Klar kann er bleiben“, sagte er heiser, und ihm war, als stecke ein dicker Kloß in seiner Kehle. „Ich werde gut auf ihn aufpassen, bis du irgendwann zurückkommst.“
Als Randy Kim am nächsten Tag zum Flughafen brachte, ahnte er, dass es ein Abschied für sehr lange Zeit, wenn nicht sogar für immer sein würde.
Er stand auf der Aussichtsplattform und sah dem Flugzeug nach, wie es immer schneller werdend die Startbahn entlangrollte. Kurz darauf erhob es sich, einem riesigen Vogel gleich, dem man die Freiheit geschenkt hatte, in die Lüfte und verschwand schließlich zwischen den Wolken am fernen Horizont.
„Tja, alter Freund“, sagte er leise zu Scout, den er schon die ganze Zeit im Arm hielt „Nun müssen wir beide wohl irgendwie ohne sie klarkommen.“
Traurig drehte er sich um und wollte gehen, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte…
*
Edward saß an seinem Schreibtisch und klopfte unablässig mit dem Stift auf die Tischplatte, ein Zeichen dafür, dass er angestrengt über irgendetwas nachdachte.
Aus der Sache mit der vorzeitigen Sprengung der ersten Höhle war er zum Glück unbehelligt herausgekommen. Er hatte dem Sprengmeister anstatt der heimlich versprochenen Terminprämie ein angemessenes Schweigegeld gezahlt, damit dieser den Mund darüber hielt, dass er von ihm mit einem Zeitlimit unter Druck gesetzt worden war.
Fast wäre noch ein Schmerzensgeld für den armen Kerl fällig gewesen, nachdem Anni Parker Alex Franklyns Unfall zufällig beobachtet hatte und danach völlig ausgerastet war. Wie wild war sie auf den Sprengmeister losgegangen und hatte begonnen, ihn mit ihrem Gipsfuß zu attackieren. Drei Arbeiter waren nötig gewesen, um sie zurückzuhalten, nachdem diese einfältige Kratzbürste doch wirklich geglaubt hatte, Alex wäre tot. Erst Cloe gelang es schließlich, ihre verrückte Nichte einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.
Alex Franklyn, der Chef des Archäologen- Teams, der die riskante Sprengung in letzter Sekunde noch hatte verhindern wollen, war durch herumfliegende Gesteinsbrocken am Kopf verletzt worden und hatte obendrein noch diverse Prellungen davongetragen, so dass er einige Tage im Sunset City Memorial behandelt werden musste. Edward hatte ihm mit einem reichlich gefüllten Präsentkorb die besten Genesungswünsche übermitteln lassen und darauf bestanden, dass die HSE sämtliche anfallende Krankenhauskosten übernahm. So konnte im Nachhinein wenigstens keiner mehr irgendwelche Ansprüche stellen, und Edward war aus dem Schneider, falls es von polizeilicher Seite doch noch Untersuchungen wegen der Sache geben sollte.
Was ihn momentan jedoch viel mehr interessierte, war die Meldung über den jungen Mann, der sich zur Zeit der Sprengung im Kellerraum einer Tanzbar namens OCEANS befand, die, wie sich nun herausstellte, auf irgendeine wundersame Weise unterirdisch mit der Höhle verbunden war.
Der Betreffende, angeblich der Besitzer der Bar, wurde ebenfalls durch mehrere Steinschläge verletzt und hatte eine Gehirnerschütterung sowie zahlreiche Prellungen erlitten.
Die Sprengung der Höhle und die damit verbundene Freilegung eines alten Geheimganges, der die Bar durch die Felsen unmittelbar mit dem Strand verband, eröffnete allerdings ungeahnte Möglichkeiten.
Edward hatte schon immer ein sicheres Gespür für große Geschäfte gehabt, und dieses Lokal, perfekt ausgebaut mit einem direkten Zugang vom Meer durch jahrhundertealtes Gestein in eine exotisch angelegte Nobelbar, das wäre eine echte Touristenattraktion, die ihresgleichen nirgends fand!
Ein schneller Umbau, eine zielgerichtet angelegte Werbekampagne, und er konnte förmlich das Geld riechen, das daraufhin die Kassen füllen würde.
In seinem Kopf formte sich ein Plan, und sein Gesicht überzog ein verschlagenes Grinsen, während er den Knopf der Wechselsprechanlage betätigte und seine Sekretärin herein beorderte.
Mit ihrem Schreibblock bewaffnet kam Elisabeth herbeigeeilt.
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Hamilton?“
„Finden Sie heraus, wer die derzeitigen Besitzer des OCEANS sind“, ordnete Edward an. „Ich habe gehört, ein junges Paar hätte die Bar aufgekauft und renoviert. Suchen Sie die beiden unverzüglich auf und machen Sie einen Vertrag mit den Leuten. Ich übernehme das Lokal zum nächsten Ersten.“
„Ja aber... Mr. Hamilton...“, stotterte Elisabeth leicht überfordert. „Wäre es nicht ratsamer, wenn Sie bei Geschäften dieser Größenordnung persönlich mit den Eigentümern verhandeln?“
„Verhandeln? Wer will denn hier verhandeln?“ Edward lachte verächtlich. „Sie bieten diesen Deppen zwei- oder von mir aus auch dreitausend Dollar, und die werden Ihnen dafür sehr wahrscheinlich die Füße küssen!“
Elisabeth schluckte und wollte etwas erwidern, doch jemand kam ihr zuvor.
„Diese Deppen, wie du sie so abfällig zu nennen beliebst, sind zufällig sehr gute Freunde von mir!“, donnerte Matts aufgebrachte Stimme von der Tür her durch den Raum. „Was zum Teufel hast du mit ihnen vor, Edward?“
*
LA International Airport
„Hallo Randy!“
Er fuhr herum und sah in Danielles bernsteinbraune Augen.
„Was tust du denn hier?“, fragte er verwirrt, während Scout neugierig unter seiner Jacke hervor lugte, als er die ihm vertraute Stimme hörte.
„Meine Mum und meine Schwester fliegen heute zurück nach Hause. Wir hatten noch etwas Zeit und haben von hier draußen aus beobachtet, wie die Flugzeuge starten und landen.“
„Und wo sind die beiden?“
„Da kommen sie gerade.“
Während sie einander begrüßten, hatte Randy zum ersten Mal Gelegenheit, Danielles jüngere Schwester genauer zu betrachten. Natürlich waren sie einander während ihres Aufenthaltes in Sunset City hin und wieder begegnet, aber damals war er derart mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass er ihre Gegenwart gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Jetzt erst bemerkte er, dass Robyn dieselben schönen Augen wie Danielle hatte... und genau diese Augen vergaß man nicht so schnell wieder.
Aber momentan wirkte sie traurig, und er ahnte, warum.
„Sehr schade, dass Ihr Aufenthalt bei uns schon beendet ist.“ wandte er sich an Mrs. Collins.
Die nickte lächelnd.
„Ja, es war wirklich schön hier, und wir wären gern länger geblieben, aber die Pflicht ruft. Wir haben bei uns in Oklahoma eine kleine Farm und mein Mann braucht dringend jede helfende Hand. Außerdem gehen Robyns Semesterferien in Kürze zu Ende.“
„Aber in den nächsten Ferien komme ich auf jeden Fall wieder her“, fiel ihr Robyn ins Wort und streckte energisch das Kinn vor. „Am liebsten würde ich für immer hier in Kalifornien bleiben. Das blöde Studium interessiert mich sowieso nicht wirklich!“
„Robyn!“, mahnte Joan entrüstet, erntete jedoch nur ein gleichgültiges Achselzucken ihrer jüngsten Tochter.
„Ist doch so. Agrarwissenschaft… Nur weil ihr meint, das hätte Zukunft! Glaub mir, Randy, das ist total langweilig!“ Sie entdeckte Scout in seiner Jacke. „Oh, ist der süß. Gehört der dir?“
Randy lächelte etwas wehmütig.
„Ja, ab heute sind Scout und ich ein Team.“ An Danielle gewandt erklärte er: „Ich habe Kim eben zum Flughafen gebracht. Sie will in Zukunft bei ihrer Mutter leben.“
Danielle sah den gequälten Ausdruck in Randys Augen und legte mitfühlend ihre Hand auf seinen Arm.
„Das tut mir leid für dich. Ich weiß, du hast sie sehr gern.“
„Ist Kim deine Freundin?“, fragte Robyn neugierig.
Randy lächelte über ihre offene, direkte Art.
„Wenn du damit eine echte Freundschaft meinst... ja, dann könnte man das so sagen.“
In diesem Moment ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher:
„Die Passagiere von Flug 314 von Los Angeles nach Oklahoma werden gebeten, sich unverzüglich auf Gate C einzufinden. Ich wiederhole...“
Danielle seufzte.
„Ich glaube, es ist soweit. Ich bringe euch noch bis zum Ausgang.“
„Ich komme mit“, entschied sich Randy spontan. „Dann werde ich nachher mit Danielle zusammen zurückfahren.“
„Darf ich den kleinen Hund einen Moment halten?“, fragte Robyn, während sie sich auf den Weg machten. Vorsichtig setzte Randy seinen vierbeinigen Begleiter in ihren Arm.
„Er heißt Scout.“
„Hallo Scout!.“ Zärtlich graulte Robyn den Hund zwischen den spitzen Ohren. „Du hast es gut, du darfst hierbleiben.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihr nun doch eine Träne übers Gesicht rollte.
„Du wirst zurückkommen“, meinte Randy, der die Wehmut in ihrer Stimme hörte. „Wie gesagt, spätestens in den nächsten Semesterferien.“
Robyn sah ihn an und lächelte dankbar, und es schien ihm, als würde dieses Lächeln ein klein wenig von dem Grauschleier nehmen, der für ihn heute über diesem Tag lag.
Er nahm ihr Scout wieder ab und reichte ihr die Hand
„Nicht traurig sein, Robyn, es fliegen täglich Flugzeuge nach Kalifornien.“
Sie schluckte und nickte.
„Ich werde es mir merken. Bis irgendwann, Randy!“
*
Edward fuhr herum und starrte erschrocken auf seinen Geschäftspartner, dessen dunkle Augen voller verhaltener Wut gefährlich funkelten. Doch bereits nach ein paar Sekunden hatte er seine alte Selbstsicherheit zurückgewonnen.
„Kannst du nicht anklopfen, Matt? In meinem Alter kann so ein Schreck ungeahnte Folgen haben!“, knurrte er gereizt und bedeutete Elisabeth mit einer unwirschen Handbewegung, sie beide allein zu lassen.
Erleichtert zog sich die Sekretärin zurück und schloss die Tür hinter sich.
„Manchmal ist es weitaus informativer, unangemeldet bei dir hereinzuplatzen, Partner“, erwiderte Matt sarkastisch und trat näher. „Was auch immer du hinter meinem Rücken für unlautere Geschäfte abwickelst, ich warne dich: Nicht mit meinen Freunden!“
„Wie kommst du bloß auf solche Gedanken, Matt? Ich will doch niemanden betrügen, ich will lediglich das OCEANS kaufen. Ganz legal.“
Matt maß seinen Geschäftspartner mit einem Blick, als zweifle er an dessen Verstand.
„Was soll denn unsere Firma mit einer Tanzbar?“
„Nun, ich fände es recht gut, wenn die HSE über eine eigene Bar verfügt, in der man, wenn sie zweckmäßig umgebaut wird, auch diverse Geschäftstreffen abwickeln kann. Das OCEANS ist wie geschaffen dafür!“
Matt zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen.
„Das sind ja ganz neue Töne! Bisher war dir der YACHT CLUB Treffen dieser Art gut genug.“
Edward winkte geringschätzig ab.
„Dieses Lokal ist zwar nobel, aber einfallslos und langweilig. Spätestens, wenn die Ferienanlage steht, müssen wir unseren Geschäftsfreunden schon etwas mehr bieten. Ich hätte da eine Idee, diese Bar betreffend...“
„Entschuldige, Edward, aber egal, wie diese Idee aussehen mag, das OCEANS zu kaufen halte ich persönlich für eine völlig unnötige Ausgabe. Wir haben momentan keinerlei Kapital, um solch ein unplanmäßiges Projekt zu finanzieren, das weißt du so gut wie ich“, unterbrach ihn Matt ungehalten. „Es gibt derzeit weitaus wichtigere finanzielle Dinge zu regeln. Vielleicht solltest du anstatt zusätzlicher Immobilienkäufe genauer darüber nachdenken, wie wir die veralteten Sicherheitsbestimmungen innerhalb unserer Firma verbessern könnten, damit solche Pannen wie die mit der vorzeitigen Sprengung der Höhle nicht noch einmal vorkommen. Sei froh, dass alles damit noch relativ glimpflich abgegangen ist.“ Er machte eine kurze Pause und beobachtete Edward, doch dessen Gesicht zeigte bislang keine erkennbare Reaktion. „Wie wäre es beispielsweise mit der Modernisierung unseres Sicherheitssystems? Das wäre wirklich nötig und eine finanzielle Investition wert.“
„Schwachsinn“, brummte Edward verärgert. „Die Sache mit der vorzeitigen Sprengung war ein Versehen, daran hätte auch kein noch so modernes Sicherheitssystem etwas geändert.“
Matt zwang sich zur Ruhe und hob gespielt gleichgültig die Schultern.
„Wie dem auch sei, aber für solche Extratouren wie den Kauf des OCEANS bekommst du von mir jedenfalls keine Zustimmung.“
Er ging zur Tür und drehte sich dann noch einmal um. „Wenn dir wirklich so viel an diesem Lokal liegt, warum versuchst du es nicht privat zu kaufen? Allerdings dürfte es inzwischen in seinem Wert erheblich gestiegen sein. Immerhin ist es erst kürzlich neu renoviert worden, und ich setze voraus, dass du den Besitzern im Falle eines Verkaufes einen angemessenen Preis dafür zahlen wirst. Schließlich bist du ja Geschäftsmann und kein Betrüger.“ Er nickte Edward bedeutungsvoll lächelnd zu. „Bis später!“
„Verdammt!“, fluchte Edward und hieb mit der Faust auf den Tisch, nachdem Matt die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sein Partner ging ihm inzwischen gehörig auf die Nerven.
Er sprang auf, ging zur Bar und schenkte sich einen Drink ein.
„Du hast viel von mir gelernt, mein Freund. Etwas zu viel, wie mir scheint“, murmelte er, während er die goldgelbe Flüssigkeit im Glas nachdenklich betrachtete. „Ich verspreche dir, Matt, das ist das letzte Mal, dass du mir ungestraft ein Geschäft vermasselst!“
Er nahm den Drink in einem Zug und atmete tief durch, während ein selbstgefälliges Grinsen über sein Gesicht zog.
Ja, irgendwann würde die Sache mit dem Ferienprojekt vom Tisch sein, und dann wurde es allmählich Zeit, sich ganz diskret von Matthew Shelton zu trennen!
*
Alex lag schon eine Weile wach und dachte nach.
So viel war in den vergangenen Wochen passiert, seitdem er mit seiner Crew im Auftrag der H&S-ENTERPRISES hierhergekommen war, um einige Strandhöhlen auf ihre Statik und Beschaffenheit zu untersuchen. Die Höhlen sollten gesprengt werden, um Platz zu schaffen für den Bau einer gigantischen neuen Ferienanlage.
Jeder einzelne Auftrag, den das Archäologen-Team bekam, stellte eine neue Herausforderung dar, und Alex hatte sich gefreut, mit Manuel und Claudia Cortez hier in Manuels Heimatstadt zusammenzuarbeiten. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass sich ausgerechnet der als absolut zuverlässig geltende Manuel, seitdem er wieder hier war, in geheimnisvoller, ja fast schon beängstigender Weise veränderte.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er selbst bei dem Versuch, die Sprengung der ersten Höhle zu verhindern, fast ums Leben gekommen wäre.
Und noch viel weniger hatte er damit gerechnet, dass er sich hier in Sunset City verlieben würde...
Aber er war sich noch immer nicht sicher, ob Annabel Parker für ihn das Gleiche empfand. Immerhin schien sie voll und ganz auf diesen Matthew Shelton fixiert zu sein. Er gab zwar nichts auf das Gerede der Leute, doch er hatte Matt und Anni mehrmals heimlich beobachtet und war sich daraufhin sicher gewesen, dass die beiden eine Affäre miteinander hatten. Also hatte er versucht, sich von Anni zu distanzieren, doch es war ihm nicht so recht gelungen. Dann war ihr Vater auf sehr mysteriöse Weise ums Leben gekommen, und Alex hatte nicht so recht gewusst, wie er damit umgehen sollte.
Sie trösten? Dazu kannte er sie wohl noch nicht gut genug.
Ihren schmerzlichen Verlust ignorieren? Dazu kannte er sie wiederum zu gut!
Als er dann bei der Sprengung der Höhle verletzt worden war, hatte sie sich plötzlich rührend um ihn gekümmert und war nicht von seiner Seite gewichen, bis es ihm wieder besser ging.
Von da an konnten beide diese starken Gefühle füreinander nicht mehr länger ignorieren, und irgendwann in den letzten Tagen hatte dann eins zum anderen geführt...
Er spürte eine Bewegung neben sich und richtete sich vorsichtig auf.
Nachdenklich betrachtete er Annis schlafendes Gesicht. Ihre vollen, sinnlichen Lippen waren leicht geöffnet, und ihre Gesichtszüge wirkten weich und entspannt. Nichts an ihr erinnerte momentan an die impulsive, aufsässige Kratzbürste, die sie meist zur Schau stellte. Alex hatte in den letzten Tagen und Nächten eine ganz andere Anni kennengelernt, und er ahnte, dass vieles von ihrem provozierenden und aufmüpfigen Auftreten nur ein Schutzschild war, aus Angst, von irgendwem verletzt zu werden. Das, was sie nach außen zeigte, und das, was sie wirklich fühlte, waren grundverschiedene Dinge, aber wahrscheinlich war es bisher selten einem Menschen gelungen, hinter diese sorgsam aufgebaute Fassade zu blicken. Außer ihre flippigen Tante Cloe vielleicht, in der Anni anscheinend so eine Art Mutterersatz sah.
Inwieweit Matt Shelton diese andere Anni kannte, wusste Alex nicht zu beurteilen. Wer außer ihr selbst konnte das schon wissen? Aber dieser Gedanke gefiel ihm nicht…
Er strich ihr übers Haar und wickelte gedankenverloren eine der prächtigen tizianroten Strähnen um seinen Finger.
„Wie spät ist es?“, murmelte sie und blinzelte verschlafen.
„Zeit zum Frühstücken, Langschläferin“, erwiderte Alex und beugte sich herunter. „Möchtest du Kaffee oder...“
„Oder was?“
Er grinste und begann, spielerisch an ihrem Ohrläppchen zu knabbern und ihren Nacken zu küssen.
„Ich für meinen Teil würde ein Frühstück im Bett vorziehen“, flüsterte er zwischen seinen Liebkosungen, und nach einem ersten, halbherzigen Knurren gab Anni sehr schnell jeglichen Widerstand auf. Als sich ihre Lippen kurz darauf fanden, erwiderte sie seinen Kuss mit zunehmender Leidenschaft, während sie die Arme um seinen Hals schlang und ihn verzückt zu sich heranzog.
„So bin ich noch nie geweckt worden“, gestand sie atemlos.
„Dann gewöhn dich schon mal dran. Dieses Frühstück ist meine Spezialität!“ raunte er zurück und zog das Laken über sie beide.
*
„Und, wie fühlst du dich?“, fragte Randy auf der Rückfahrt von Los Angeles. Er saß auf dem Beifahrersitz des schwarzen Mercedes- Cabrios, das Matt Danielle in der Zeit seiner Abwesenheit wie selbstverständlich überlassen hatte, damit sie ihre Familie zum Flughafen bringen konnte.
„Könnte nicht besser sein“, lachte Danielle. „Matt ist gestern Nacht von seiner Geschäftsreise zurückgekommen. Nachher treffen wir uns. Er hat gesagt, er hätte eine Überraschung für mich.“
Randy lächelte.
„Du bist ganz schön verknallt, wie?“
Danielle nickte strahlend.
„Er war jetzt eine Woche geschäftlich verreist und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ja Randy, ich glaube, ich liebe diesen Typen.“
„Das ist schön für dich“, sagte Randy aufrichtig und blickte dann schweigend geradeaus auf die Straße.
Danielle dachte an seinen Abschied von Kim. Sie ahnte, wie weh ihm das tat.
„Tut mir leid, dass sie fort ist“, meinte sie mitfühlend. „Aber ich denke, sie konnte sich gar nicht anders entscheiden. Sie und ihre Mutter hatten in der Vergangenheit nie wirklich eine Chance. Jetzt ist die Gelegenheit da, und vielleicht ist es noch nicht zu spät sich zu versöhnen und neu anzufangen.“
„Und was ist mit mir?“, fragte Randy bitter. „Ich habe sie doch auch gerne, sehr sogar. Aber mir gibt sie keine Chance!“
„Ich glaube, Kim ist einfach noch etwas zu jung. Durch das Chaos in ihrer Familie wusste sie nie, wohin sie gehört. Gib ihr etwas Zeit. Vielleicht kommt sie irgendwann zurück.“
„Nein, das glaube ich nicht“, erwiderte Randy. „Mein Gefühl sagt mir, dass ich sie nicht wiedersehen werde. Na ja, wie dem auch sei...“ Er atmete tief durch und strich Scout, der zusammengerollt auf seinem Schoß schlief, übers Fell. „Wir beide müssen eben sehen, wie wir allein zurechtkommen.“
Danielle lächelte.
„Du bist nicht allein, Randy. Du hast eine ganze wilde Wohngemeinschaft am Hals!“
Er blickte sie verdutzt an und lachte dann.
„Tja, da hast du wohl recht. Langweilig ist es bei uns jedenfalls nicht. Übrigens, deine Schwester schien derselben Meinung zu sein. Sie wäre ohne zu zögern hiergeblieben, hatte ich den Eindruck. Liegt das an Sunset City oder hatte das noch einen anderen Grund?“
Danielle verzog nachdenklich das Gesicht.
„Na ja, weißt du, Robyn ist ein sehr spontaner Typ. Sie entscheidet meist aus dem Bauch heraus und schaltet dabei den Verstand völlig aus. Zumindest sieht das meine Mutter so.“
Randy grinste.
„Das ist doch gut.“
„Sag das mal meiner Mom.“
„Deine Mutter sorgt sich eben um ihre Familie.“
„Oh ja, bei ihr muss alles stimmen, sonst kann sie nicht ruhig einschlafen. In dieser Hinsicht sind sie und Robyn wie Feuer und Wasser. Robyn hatte sich ein wenig in Mitch verguckt, ohne zu ahnen, dass er bereits vergeben ist. Und sie platzte ausgerechnet herein, als er Suki einen Heiratsantrag gemacht hat. Danach war sie drei Tage nicht mehr ansprechbar. Dann erkannte sie wohl, dass es hier außer Mitch noch andere gutaussehende Männer gibt, und von da an war Crawford nur noch ein langweiliges Nest, aus dem sie unbedingt so schnell wie möglich heraus möchte. Allerdings wird sie da bei Dad auf genauso viel Unverständnis stoßen wie bei Mom, und ich bin heilfroh, dass ich bei den Diskussionen, die nun zu Hause folgen werden, nicht dabei bin.“
„Na toll“, lachte Randy. „Und was hält deine Mom von Matt?“
„Zuerst war sie sehr zurückhaltend, was ich ihr nicht verdenken kann, nach der Sache mit Mason. Aber mittlerweile findet sie ihn fantastisch. Genauso wie ich.“
„Matt ist ein toller Typ“, bestätigte Randy voller Überzeugung. „Halt ihn fest, Danielle, ihr beide gehört ganz einfach zusammen.“
*
Anni lag wohlig eingekuschelt in Alex` Arm und strich gedankenverloren mit den Fingerspitzen über seine Brust.
„Woran denkst du?“, fragte er leise.
„Heute werde ich meinen Gips los. Endlich!“, erwiderte Anni und stöhnte befreit auf. „Dann kann ich mich endlich wieder richtig bewegen, und wir können…“ Den Rest flüsterte sie ihm ins Ohr. Er grinste und schüttelte gespielt empört den Kopf.
„Annabel Parker, ich bin entsetzt!“
„Bist du nicht.“
„Nein, bei dir wundert mich fast gar nichts“, lachte er. „Allerdings hast du dann nichts mehr, womit du deinen Mitmenschen kräftig auf die Zehen treten kannst, wenn sie dir nicht in den Kram passen.“
„Ach was“, erwiderte Anni und fuhr spielerisch mit dem kleinen Finger über seine Lippen. „Ich kann mich auch anders wehren. Das konnte ich immer.“
„Oh ja, ich weiß. Und gewisse andere Leute wissen das auch, befürchte ich.“
„Meinst du jemand Bestimmtes?“.
Alex nickte grinsend.
„Na zum Beispiel diese junge Frau, mit der du dich zur Eröffnung des OCEANS so heftig gestritten hast. Marina Cortez, wenn ich mich richtig erinnere, Matt Sheltons Exfrau.“
„Heftig gestritten?“ Anni blinzelte belustigt. „Mein Lieber, wenn ich mich heftig streite, sieht das etwas anders aus.“
„Etwa so, wie deine Wutattacke auf den armen Sprengmeister, von der man mir berichtet hat?“
Anni winkte nur ab.
„Das war doch gar nichts. Nein, wenn ich richtig in Rage gerate, dann fliegen die Fetzen, es gibt blaue Flecke und eine Menge Zeug, das zu Bruch geht. Und wenn ein Whirlpool in der Nähe ist, kann ich dir genau sagen, wo der Streit endet.“
Alex lachte.
„Nun, solche Attacken solltest du dir zumindest bei Mrs. Cortez-Shelton in der nächsten Zeit verkneifen. Die Dame ist nämlich schwanger.“
„Waaas?“
Anni richtete sich kerzengerade auf und starrte ihn an, als hätte er eben verkündet, dass die Welt unmittelbar vor dem Untergang stünde. „Was hast du da eben gesagt?“
„Autsch“, brummte Alex und grinste etwas verlegen. „Eigentlich dürfte ich dir das gar nicht sagen. Bitte versprich mir, dass du es für dich behältst!“
„Ja ja, schon gut“, erwiderte sie hastig. „Also... woher weißt du, dass Marina schwanger ist?“
„Weil ich, als ich in der Klinik lag, gehört habe, wie sich zwei Krankenschwestern miteinander unterhalten haben. Es ging, wenn ich richtig verstanden habe, um einen Ultraschalltermin für das Baby.“
Anni schüttelte den Kopf.
„Das kann gar nicht sein...“
„Was kann nicht sein?“, fragte Alex belustigt. „Traust du ihr keine Schwangerschaft zu?“
„Der traue ich alles zu“, fauchte Anni. „Sie war schon immer ein intrigantes Miststück! Allerdings...“ Sie fuhr sich nachdenklich mit der Hand über ihre Stirn „Von wem sollte sie ein Kind erwarten? Soviel ich weiß, lebt sie zurzeit allein.“
„Na, das ist ja nun kein Hindernis, oder?“ Alex lachte. „Du lebst doch auch allein, und ich bin jetzt bei dir.“
„Das ist doch gar nicht zu vergleichen!“
„Und ob“, widersprach er sichtlich belustigt. „Was meinst du, was die Leute denken, wenn ich nachher am helllichten Vormittag dein Haus verlasse?“
Anni wollte etwas erwidern, doch mit Alex` letzten Worten veränderte sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig. In Gedanken sah sie sich, wie sie damals auf dem Weg in die H&S-ENTERPRISES den Ocean Drive hinuntergegangen war.
Vor Marinas Haus hatte Matts Auto gestanden...
„Oh nein!“ Allein der Gedanke ließ ihre schlimmsten Albträume wahr werden. „Bloß das nicht!“
„Was ist denn los?“, fragte Alex leicht beunruhigt.
„Ach nichts“, erwiderte sie hastig und sprang aus dem Bett, so schnell es ihr Gipsfuß derzeit erlaubte. „Zieh dich an, Alex. Ich muss dringend noch etwas erledigen.“
*
„Ist mit dem Baby wirklich alles in Ordnung, Dr. Yamada?“, fragte Marina während der Ultraschalluntersuchung unsicher und ließ keinen Blick von dem kleinen Monitor.
„Aber ja“, beruhigte Suki ihre Patientin. „Ich werde Ihnen gleich anschließend noch ein Bild ausdrucken, das können Sie dann mit nach Hause nehmen und es in ein paar Jahren Ihrem Kind zeigen. Möchten Sie wissen, was es wird?“
„Kann man denn das schon erkennen?“
„Nun, ab der dreizehnten Woche sollte das eigentlich möglich sein.“
„Dreizehnte Woche?“ Marina richtete sich scheinbar erschrocken auf. „Aber... Ich bin doch höchstens erst in der neunten Woche!“
Suki stutzte. Sie schaltete das Gerät ab, langte nach dem Ultraschallbild, das sich eben aus dem Drucker schob und betrachtete es genau.
„Sie müssen sich irren, Marina, das Baby wäre für den von Ihnen angegebenen Termin ungewöhnlich weit entwickelt. Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht verrechnet haben?“
„Ganz sicher“, erwiderte Marina und erhob sich von der Liege, während sie mit hastigen Bewegungen ihre Bluse zuknöpfte. „Es kommt nur ein einziger Termin in Frage, Doktor, und der war vor neun Wochen.“
Suki betrachtete skeptisch das Bild, doch sie beschloss, erst noch einmal mit ihrem Kollegen Rücksprache zu halten. Immerhin hatte Arthur Mendes Marinas Schwangerschaft festgestellt, und sie wollte die Patientin nicht unnötig beunruhigen. Aber sie war ziemlich sicher, dass Marinas Schwangerschaft bereits um einiges weiter fortgeschritten war, als die junge Frau anscheinend wahrhaben wollte.
„Ich habe Ihnen noch ein paar Vitamine aufgeschrieben“, sagte Suki wenig später und reichte Marina zum Abschied die Hand. „Kommen Sie bitte in zwei Wochen noch einmal in die Sprechstunde, dann werden wir die Ultraschall- Untersuchung wiederholen. Und dann erfahren sie auch, ob Sie sich auf einen Sohn oder eine Tochter freuen können. Natürlich nur, falls Sie das vor der Geburt wissen möchten.“
Marina nickte zerstreut und verließ eilig die Praxis.
Sie musste etwas unternehmen, denn niemand durfte Verdacht schöpfen, dass sie ihren Schwangerschaftstermin manipuliert hatte. Wenn es soweit war, würde sie eine Frühgeburt haben. Ein kräftiges Achtmonats- Baby.
So etwas sollte ja zuweilen vorkommen...
Sie war so in Gedanken, dass sie zutiefst erschrocken aufblickte, als sich ihr auf dem Klinikflur plötzlich jemand in den Weg stellte.
„Entschuldigung“, murmelte sie und wollte sich an der Person, die sie beinahe umgerannt hatte, vorbeischieben, als sie unsanft am Arm gepackt wurde.
„Nicht so schnell, meine Liebe!“
Erstaunt blickte sie auf und sah direkt in Annis herausfordernd funkelnde Augen. Sofort verfinsterte sich ihre Miene um ein Vielfaches.
„Was willst du?“, fragte sie abweisend und wand sich mit einem energischen Ruck aus Annis Griff.
„Mit dir reden“, erwiderte Anni giftig und betrachtete Marina von oben bis unten. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast ein wenig zugelegt!“
Marina atmete tief durch und zwang sich mühsam zur Ruhe.
„Du kannst dir deine Gemeinheiten sparen, denn ich habe es eilig. Und außerdem wüsste ich nicht, was dich meine Figur angeht.“
„Figur nennst du das?“ Anni lachte boshaft. „Du hast doch nie eine gehabt, Schätzchen!“
Marina schüttelte missbilligend den Kopf.
„Du kannst es einfach nicht lassen.“ Sie drehte sich um und wollte gehen, doch Anni packte sie abermals am Arm.
„Ich bin noch nicht mit dir fertig!“
Erstaunt bemerkte Marina die Wut in den Augen ihrer Rivalin.
„Was soll denn das“, zischte sie empört und versuchte, ihre Stimme etwas zu dämpfen, um in der Klinik kein Aufsehen zu erregen. „Lass mich sofort los!“
Anni humpelte mit ihrem Gipsfuß ganz dicht an Marina heran.
„Das hast du ja sauber hingekriegt, du intrigantes Miststück!“
Marina war zwar einiges von Anni gewohnt, aber so viel Unverfrorenheit machte sie sprachlos.
„Waaas? Wie hast du mich eben genannt?“, brachte sie schließlich heraus.
Anni lachte verächtlich.
„Du hast schon richtig verstanden. Spiel keine Spielchen mit mir, ich weiß alles.“ Sie blickte Marina herausfordernd an und genoss förmlich deren bange Erwartung dessen, was nun kommen würde, bevor sie fortfuhr: „Du bist schwanger! Ich weiß zwar noch nicht genau, auf welche hinterhältige Art du es geschafft hast, Matt in dein Bett zu locken, aber das eine kann ich dir versprechen: auch wenn du ihm jetzt ein Balg anhängst, du bekommst ihn dennoch nicht zurück! Und wenn ich mich dafür mit dem Teufel persönlich verbünden muss! Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du Matts Leben ein zweites Mal zerstörst! Ich werde aller Welt erzählen, dass du ihn hereingelegt hast!“
Marina brauchte einen Augenblick, um den Schock zu überwinden. Woher wusste Anni, dass sie schwanger war? Und wie kam sie dabei auf Matt?
Plötzlich jedoch wurde ihr schlagartig klar, dass dies völlig nebensächlich war, und dass Annabel Parker ihr eben, ohne es zu ahnen, einen riesigen Gefallen getan hatte. Ein diabolisches Lächeln zog über ihr Gesicht.
„Tu das, Anni“, erwiderte sie zuckersüß. „Erzähl allen, dass ich ein Kind von Matt erwarte! Alle Welt soll es wissen, denn ich freue mich auf mein Baby. Und was dich betrifft, liebste Freundin...“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und ergötzte sich nun ihrerseits an Annis erstauntem Gesicht. „Du brauchst dich meinetwegen mit niemandem zu verbünden, denn ich bin sicher, du schaffst es ganz alleine, dich schwarz zu ärgern!“
Schwungvoll drehte sie sich um und verließ hoch erhobenen Hauptes das Krankenhaus, ihre fassungslose Kontrahentin hinter sich zurücklassend.
*
Für den Nachmittag hatte Edward eine Vorstandssitzung einberufen. Matt sollte von den Ergebnissen seiner jüngsten Geschäftsreise berichten. Er hatte gute Nachrichten. Investoren aus Stockholm und London und ein bislang noch anonymer Interessent aus Südamerika hatten vor, sich finanziell an dem Ferienprojekt zu beteiligen, wodurch sich für die HSE zusätzliche ungeahnte Möglichkeiten boten.
Edwards Laune verbesserte sich zusehends, und nicht einmal die Tatsache, dass Annabel Parker als Firmenteilhaberin während dieser wichtigen Sitzung wieder einmal durch ihre Abwesenheit glänzte, konnte ihn aus der Ruhe bringen.
„Keine Ahnung, sie wird es wohl verpasst haben. Ist ja nichts Neues bei ihr! Aber mir soll es recht sein, denn sie hätte uns mit ihren lästigen und unqualifizierten Fragen sowieso nur alles durcheinandergebracht“, quittierte er ihr Fehlen mit einem geringschätzigen Kopfschütteln, als Matt ihn nach der Sitzung diesbezüglich ansprach. „Sich über Anni aufzuregen, ist vergeudete Zeit. Anstatt dessen sollten wir lieber noch einmal die Liste der Bewerber durchgehen, die Geschäfte und Ausstellungen im Ferienprojekt planen. Ich hatte noch keine Zeit, sie mir anzusehen, aber Elisabeth meinte, es seien interessante Leute aus allen möglichen Branchen dabei.“
Matt sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, Edward, aber ich bin mitten in der Nacht erst vom Flughafen zurückgekommen. Ich werde jetzt nach Hause gehen und duschen, denn ich will mich später noch mit Danielle treffen.“
„Natürlich, mein Lieber.“ Edward klopfte seinem Partner wohlwollend auf die Schulter. „Schließlich habt ihr euch ja ein paar Tage nicht gesehen. Bestell ihr schöne Grüße. Ach ja...“ Er zog bedenklich die Stirn in Falten. „Allerdings wirst du morgen die Anträge allein durchgehen müssen, ich bin die nächsten zwei Tage geschäftlich in Monte Ray.“
„Kein Problem“, erwiderte Matt. „Ich werde ein paar interessante Leute heraussuchen und entsprechende Einladungen zu Gesprächen herausschicken. Am besten, wir treffen uns mit den Bewerbern, wenn unsere Innenarchitekten mit der Anlage fast fertig sind, dann können sich die Interessenten gleich vor Ort ein Bild von ihrem künftigen Wirkungskreis machen.“
„Perfekt, Matt“ nickte Edward zufrieden. „Du wirst das schon machen, ich verlasse mich ganz auf dich. Und nun raus mit dir, lass Danielle nicht so lange warten!“
Eilig verließ Matt die Firma und wollte den Weg zu Fuß nach Hause einschlagen, als plötzlich ein schwarzes Cabrio dicht neben ihm hielt. Darin saß die atemberaubendste Frau, die er je gesehen hatte. Lange, dunkle Locken, die vom Fahrtwind zerzaust waren, verheißungsvoll lächelnde, rote Lippen und wundervolle, bernsteinfarbene Augen - der perfekte Gegensatz zu dem nachtblauen Kleid, das sie trug.
Dieses Kleid! Er erinnerte sich nur zu gut daran. Sie hatte es zu ihrem ersten gemeinsamen Date getragen, als sie mit der kleinen Yacht in den Sonnenuntergang gefahren waren.
Sie stellte den Motor des Wagens ab und lehnte sich aufreizend zurück.
„Wohin des Weges, Fremder?“, fragte sie mit einem Augenaufschlag, der ihn fast um den Verstand brachte.
Ohne seinen Blick von ihr abzuwenden, warf er seinen Aktenkoffer auf den Rücksitz, öffnete ihr die Wagentür und beobachtete atemlos, wie sie langsam ausstieg und sich ihm zuwandte.
Sekundenlang standen sie sich beide gegenüber und sahen einander an, dann war es um seine Selbstbeherrschung geschehen. Stürmisch zog er sie an sich und nahm voller Leidenschaft von ihren Lippen Besitz. Wohlig aufseufzend schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss, als hätten sie sich seit Wochen nicht gesehen.
Edward, der kurz nach Matt das Gebäude verließ, sah die beiden dort stehen.
„Muss Liebe schön sein“, murmelte er und grinste verschlagen. „Bring Matt ruhig auf andere Gedanken, meine liebe Danielle. Das lenkt ihn ein wenig von diversen Geschäften ab. Und genau das kommt mir momentan wirklich sehr gelegen!“