Caroline verzog geringschätzig das Gesicht. Manche Männer waren doch wirklich sooo berechenbar!
Ihr Gefühl in Bezug auf Brendon hatte sie nicht betrogen. Soeben hatte der Herr vom Sicherheitsdienst angerufen, ein Mister Finley sei unten und wünsche sie dringend zu sprechen.
„Schicken Sie ihn bitte herauf, Tyler.“
Die Gelegenheit erwies sich als günstig. Ihr Vater war geschäftlich unterwegs, und ihre Mutter weilte auf einer dieser langweiligen Wohltätigkeitsveranstaltungen, die sie selbst total ätzend fand. Sie nahm sich vor, später auf keinen Fall zu solchen Partys zu gehen. Lieber würde sie ihr Geld anderweitig spenden, als einen kostbaren Abend ihres Lebens mit diesen aufgetakelten alten Ladys zu verbringen und sich deren Klatsch und Tratsch anzuhören.
Eilig überprüfte sie im Spiegel ihr Makeup, zupfte ihr Haar zurecht und öffnete noch schnell einen der oberen Knöpfe ihrer Bluse, während sie auch schon das Signal des ankommenden Aufzuges hörte und die Tür sich automatisch öffnete.
Sie setzte ihr strahlendes Lächeln auf, als ihr Besucher mit einem großen Strauß roter Rosen aus dem Lift trat.
„Brendon!“
Sie ging einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn, als sei alles in bester Ordnung. „Meine Güte, wo hast du denn die ganze Zeit über gesteckt! Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht.“
Brendon, höchst erfreut über den netten Empfang, lächelte siegessicher.
„Tut mir leid, Cary, aber ich bekam die Nachricht, dass es meiner Mutter gesundheitlich nicht gut ging, und da bin ich natürlich so schnell wie möglich nach Oklahoma geflogen“, log er, ohne mit der Wimper zu zucken. „Zu Hause habe ich dann über der Sorge um Mom völlig vergessen, dich anzurufen.“ Er übergab ihr die Blumen. „Die sind für dich, sozusagen als kleine Entschuldigung.“
Caroline nahm die Blumen entgegen und wies auf die Couch.
„Setz dich doch bitte. Ich hoffe, deiner Mom geht es inzwischen wieder etwas besser.“
Er nickte hastig.
„Doch doch, es geht so.“
Sie bemerkte, dass er sich etwas zögernd umblickte und lächelte.
„Keine Sorge, meine Eltern sind nicht da, und Rosita hat ihren freien Tag. Wir sind ungestört.“
Während sie hinausging um eine Vase für die Blumen zu holen, verengten sich ihre Augen wütend.
Für wie dumm hielt dieser Kerl sie eigentlich? Glaubte er allen Ernstes, sie würde ihm diese rührselige Geschichte von seiner Mutter abkaufen? Wie konnte man vergessen, den Menschen, den man angeblich liebte, wenigstens ein einziges Mal anzurufen!
Nein, sie konnte wetten, dass Brendon aus einem ganz anderen Grund von hier verschwunden war. Und genau das würde sie jetzt herausfinden.
Sie wusste auch schon, wie..
„Möchtest du etwas trinken, Brendon?“, fragte Caroline, als sie wieder ins Zimmer trat. Er hatte sich auf der Couch niedergelassen und lächelte ihr entgegen.
„Nicht nötig, danke. Ich möchte nur in deiner Nähe sein. Darauf habe ich mich die ganze Zeit gefreut.“
Sie stellte die Rosen auf den Tisch und ließ sich neben ihm in die weichen Polster fallen.
„Ich bin froh, dass du wieder da bist.“ Abwartend sah sie ihn an. „Bekomme ich eigentlich gar keinen Begrüßungskuss?“
Er stutzte, doch dann legte er seinen Arm um ihre Schultern.
„Ich… ich war nicht sicher, ob du noch böse auf mich bist. Immerhin war unser letztes Treffen im Motel etwas...“ Er suchte krampfhaft nach dem richtigen Wort.
„Merkwürdig“, ergänzte Caroline und nickte. „Ja, das war es wirklich. Aber jetzt kann ich deine Unruhe verstehen.“ Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Sehr gut sogar.“
Sie küsste ihn wieder und immer wieder, während sie sich an den Knöpfen seines Hemdes zu schaffen machte. Er seufzte wohlig und fühlte sich am Ziel seiner Träume. Sofort zog er Caroline dicht zu sich heran und suchte hungrig nach ihren Lippen. Seine Hände begannen, ihren Körper zu streicheln.
„Jetzt ist alles gut“, flüsterte er atemlos.
„Ja, wir brauchen uns keine Sorgen mehr zu machen“, erwiderte Caroline zwischen ihren Küssen leise. „Bobby Hughes kann dir nicht mehr schaden.“
„Nein“, erwiderte Brendon, noch ganz im Taumel der Gefühle, als ihm plötzlich klar wurde, was sie eben gesagt hatte. Er hielt inne und sah sie verunsichert an.
„Was hast du eben gesagt? Wie... wie kommst du auf Bobby Hughes?“
Abrupt befreite sich Caroline aus seiner Umarmung und richtete sich kerzengerade auf.
„Lass den Unsinn, Brendon“, sagte sie mit schneidender Stimme. „Du brauchst mich nicht länger für dumm zu verkaufen. Ich weiß Bescheid!“
Brendon biss sich nervös auf die Lippen.
Wieso wusste Caroline von Hughes?
Verdammt, war während seiner Abwesenheit am Ende der ganze Schwindel aufgeflogen? Dann würden ihn einige Leute zu Hackfleisch verarbeiten, allen voran Carolines Vater!
Der bloße Gedanke daran ließ ihn erschauern, und er sah seine Felle davonschwimmen. Verzweifelt versuchte er zu retten, was noch zu retten war.
„Ähm.. Cary... Schatz, du scheinst da etwas missverstanden zu haben!.“
„Was gibt’s denn da falsch zu verstehen?“, fragte Caroline und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. „Bobby Hughes hat dich auf übelste Weise erpresst! Und nur, weil...“
„...weil seine beiden Handlanger am Pier den Falschen erwischt hatten!“, fiel er ihr beunruhigt ins Wort. „Wer konnte denn ahnen, dass sie den Kerl gleich umbringen!“
„Waaas?“ Caroline starrte ihn entgeistert an, doch er merkte in seiner Rage nicht, dass sie eigentlich gar nichts von dem wusste, was er jetzt in seiner Panik preisgab.
„Glaub mir, sie sollten diesem Angeber, diesem Mitch Capwell, nur eine kleine Abreibung verpassen! Dafür haben wir sie bezahlt, nicht mehr und nicht weniger! Doch diese Idioten haben alles vermasselt!“
„Mitch? Die haben Mitch aufgelauert? In eurem Auftrag?“
Caroline konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. Brendon und Bobby waren Komplizen gewesen? Also deswegen hatte Bobby ihn am Telefon mit „Partner“ angesprochen!
So langsam wurde ihr einiges klar.
„Und diese beiden Typen, die wir am Strand belauscht haben, die hatten von dir und von Bobby den Auftrag“, sprach sie ihre Vermutungen aus. „Und als du dann gegen sie aussagen solltest, hat Bobby dich erpresst, damit du den Mund hältst.“
Brendon nickte hastig.
„Ja, genauso war es. Aber“ Er musterte Caroline skeptisch. „Ich dachte, das wusstest du schon alles?“
Caroline sprang auf.
„Nein, ich wusste bisher nur, dass Hughes dich mit irgendetwas erpresst hat. Ich erhielt damals im Hotel einen Anruf, der für dich bestimmt war, und in dem er dir auf übelste Weise drohte. Ich konnte mir die Zusammenhänge nicht erklären. Bis jetzt.“ Sie musterte ihn mit unverhohlener Verachtung. „Du bist ein Mistkerl, Brendon Finley! Wegen deinen kindischen Rachegelüsten wurde ein Mensch getötet! Wegen dir ist unser Haus abgebrannt! Meine Familie war in höchster Gefahr, und ich selbst hatte Todesangst! Und du hast das alles zugelassen! Schlimmer noch, du warst einer der Auftraggeber für diesen Mord!“
„Moment mal, Cary“, versuchte Brendon sich zu verteidigen und sprang auf.
Sofort ging Caroline ein paar Schritte rückwärts.
„Komm bloß nicht näher“, rief sie, zitternd vor Wut. „Sag mir nur eines: Was hat Mitch euch getan, dass ihr Feiglinge gleich zwei Schläger auf ihn hetzt?“
„Er hat mir eine verpasst“, knurrte Brendon.
Caroline lachte verächtlich.
„Ach ja? Warum hast du dich nicht gewehrt wie ein Mann? Erbärmlicher Feigling!“
„Caroline... Cary! Das war doch alles nur wegen...“
„Wegen was?“
Brendon holte tief Luft. Nun war sowieso schon alles egal.
„Ich bin hierhergekommen, um meine Ex-Verlobte zurück nach Hause zu holen. Sie hat sich darüber furchtbar aufgeregt, und da hat Mitch mich angegriffen und niedergeschlagen.“
„Deine Ex-Verlobte?“ Caroline starrte ihn an und schüttelte fassungslos den Kopf. „Langsam wundert mich bei dir gar nichts mehr! Du gibst vor, mich zu mögen und bist in Wahrheit wegen einer anderen hier? Oh Gott, du bist doch wirklich das Letzte!“
„Komm schon, Cary, so schlimm war das doch gar nicht. Lass uns in Ruhe über alles reden“, unternahm Brendon einen letzten Versuch, sie zu beschwichtigen, doch Caroline hob abwehrend die Hände.
„Ich will nichts mehr hören! Was du getan hast, das ist unverzeihlich. Ich rufe jetzt den Sicherheitsdienst!“ Entschlossen ging sie hinüber zum Telefon.
„Nein, Cary, tu das nicht! Bitte nicht...“
Mit drei Schritten war er bei ihr und versuchte ihr das Telefon zu entreißen.
Sekundenlang rangen sie verbissen miteinander, dann riss Caroline sich los. Durch den Ruck verlor sie jedoch das Gleichgewicht und stolperte rückwärts. Sie stürzte und schlug mit dem Hinterkopf hart am Kaminsims auf, wonach sie regungslos liegenblieb.
*
Evitas Abendmahl war hervorragend gewesen.
Während die Haushälterin in einer Geschwindigkeit, die man ihr auf Grund ihrer körperlichen Fülle gar nicht zugetraut hätte, den Tisch abräumte, brachte Vincent Holz herein und legte einige Scheite im Kamin nach.
„Das Essen war absolut fantastisch“, lobte Danielle und Matt nickte zustimmend.
„Ja, Mama Evita kocht sensationell. Ich kann von Glück sagen, dass ich nicht allzu oft hier bin, sonst würde ich bei dieser Kost bald aussehen wie ein Fass“, lachte er und hielt sich den Bauch.
„Ach was, ihr könnt beide ein wenig Speck auf die Rippen vertragen“, erwiderte Evita und zwinkerte ihnen fröhlich zu. „Wenn Sie uns dann nicht mehr brauchen, verschwinden wir jetzt und lassen euch Turteltäubchen allein.“ Sie sah sich ungeduldig nach ihrem Mann um, der noch immer im Kamin herumstocherte. „Nun komm schon, oder willst du den ganzen Abend hier hocken?“
Vincent erhob sich seufzend.
„Wer kann ihr schon widerstehen“, grinste er und nickte den beiden jungen Leuten freundlich zu.
„Gute Nacht, Señorita. Gute Nacht, Señor Matt, einen schönen Abend noch!“
Als die Tür hinter dem Hausmeisterehepaar ins Schloss fiel, atmete Matt tief durch und stand auf. Er reichte Danielle seine Hand und zog sie dicht zu sich heran.
„Endlich allein“, flüsterte er und sah ihr in die Augen. „Ich hoffe, du fühlst dich wohl hier.“ Wohlig seufzend legte sie ihre Arme um seinen Hals. „Küss mich, Matt, damit ich weiß, dass das alles kein Traum ist!“
Eine Aufforderung, der er nur zu gern nachkam…
Nach einem langen zärtlichen Kuss löste sich Danielle sanft aus seinen Armen und zog ihn mit sich hinaus auf die Veranda.
„Eine herrliche Nacht“, schwärmte sie und blickte aufs Meer, das im Mondlicht silbern schimmerte. Noch immer wehte ein leichter Wind und kühlte ihre heißen Wangen. In der Ferne konnte man nun ganz deutlich die Lichter der südkalifornischen Küste sehen.
Matt reichte ihr ein Glas Champagner.
„Auf uns beide, Danielle“, sagte er liebevoll. „Und auf diesen Abend. Mögen noch viele davon folgen.“
Schweigend standen beide Arm in Arm und ließen das einzigartige Flair dieses Ortes auf sich wirken, glücklich darüber, die Nähe des geliebten Menschen zu spüren.
„Wann hast du dich eigentlich dazu entschlossen, diese Insel zu kaufen?“, fragte Danielle nach einer Weile.
„Vor ungefähr vier Wochen.“ erwiderte Matt.
„Da lag ich noch in der Klinik!“
„Stimmt. Das, was dir passiert ist, war der Anlass dafür, dass ich das Grundstück in den Bergen sofort verkauft habe.“
„Du hast es verkauft?“ Danielle sah ihn mit großen Augen an.
Er nickte und warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
„Ich wäre ohnehin nie wieder mit dir hingefahren. Also habe ich nach etwas gesucht, dass dir genauso gut gefallen würde wie mir. Der Vorbesitzer ist ein Geschäftsfreund von mir. Und da ich wusste, dass er erwog, die Insel zu verkaufen, habe ich zugegriffen.“
„Du warst also schon vorher hier?“, fragte Danielle gespannt.
„Hin und wieder.“ Matt stutzte einen Moment, doch dann schüttelte er schmunzelnd den Kopf. „Wenn du jetzt wissen willst, ob ich mit Marina hier war, dann lautet die Antwort NEIN! Sie war niemals auf dieser Insel. Ich war ausschließlich geschäftlich hier. Aber bei diesen Gelegenheiten lernte ich auch Vincent und Mama Evita kennen. Die beiden leben schon seit einer Ewigkeit als Hausangestellte hier. Sie haben ihr kleines Häuschen am Fuße der Villa selbst gebaut. Diese Insel ist ihre Heimat. Sie halten hier alles in Ordnung, ich kann mich, genau wie mein Vorgänger, voll auf die beiden verlassen, auch wenn ich nicht da bin.“
„Willst du ab jetzt hier wohnen?“, fragte Danielle.
„Nein, es wäre zu umständlich, jeden Tag mit dem Boot hinüber aufs Festland ins Büro zu fahren. Aber ab und zu könnten wir die Wochenenden und ein paar freie Tage hier verbringen. Wir laden uns Freunde ein und genießen einfach ein paar schöne Stunden.“
„Du bist unglaublich!“ Danielle umarmte ihn spontan und schüttelte dann lachend den Kopf. „Ich fasse es nicht, er kauft einfach eine Insel!“
Matt grinste und zog sie liebevoll zu sich heran.
„Lass uns hineingehen, sonst erkältest du dich noch“, raunte er leise und zwinkerte ihr zu. „Außerdem hast du die Zimmer in der oberen Etage noch gar nicht gesehen.“
*
Sophia hatte die langweilige Wohltätigkeitsveranstaltung unter dem Vorwand starker Kopfschmerzen schon frühzeitig verlassen und war auf dem Weg zurück ins Hotel. Sie stoppte den Wagen hinter einem Einsatzfahrzeug der Ambulanz, das direkt vor dem Eingang stand. Davor parkten ein Notarzt- und zwei Streifenwagen, deren Signalleuchten noch eingeschaltet waren.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie erstaunt den Pagen, der geeilt kam, um ihr Auto in die Tiefgarage zu fahren. Bevor der junge Mann ihr eine Antwort geben konnte, verließen zwei Polizisten das PACIFIC INN und kamen direkt auf sie zu.
„Mrs. Hamilton?“ fragte der eine.
„Ja, die bin ich“, erwiderte sie erschrocken. „Ist etwas passiert, Officer?“
„Würden Sie uns bitte folgen?“, forderte der andere sie auf und wies ihr den Weg.
Gemeinsam betraten sie das Hotel, als ihr Stefano Cortez mit einem weiteren Polizisten in der Lobby entgegenkam. In ihrer Mitte führten sie einen jungen Mann in Handschellen.
Sophia starrte ihnen entgegen und zog unsicher die Augenbrauen zusammen.
War das nicht dieser neue Freund von ihrer Tochter? Brendon?
Plötzlich krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen.
„Caroline!“, rief sie voller Sorge und hielt Stefano am Ärmel fest. „Was ist hier los? Wo ist meine Tochter?“
Stefano nickte seinen Kollegen zu und übergab ihnen Brendon, der sich mit gesenktem Kopf widerspruchslos abführen ließ. Die Polizisten setzten ihn draußen in den Streifenwagen und verschlossen die Türen.
Stefano räusperte sich und wies auf die Tür zum Lift.
„Mrs. Hamilton, würden Sie mich bitte nach oben begleiten?“
Sie nickte geistesabwesend und folgte ihm.
„Sagen Sie endlich“, murmelte sie außer sich vor Sorge. „Ist meiner Tochter etwas geschehen? Hat dieser Kerl…“ Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Streifenwagens „Hat er ihr irgendetwas angetan?“
„Caroline wird gerade untersucht. Der Arzt ist bei ihr. Sie hat eine Kopfverletzung und…“
„Oh mein Gott!“, entfuhr es Sophia. „War das dieser junge Mann dort draußen?“
Stefano sah sie eindringlich an.
„Mrs. Hamilton, in welchem Verhältnis steht Ihre Tochter zu Mr. Finley?“
„In welche Verhältnis? Na ja, sie ist mit ihm befreundet, die beiden kennen sich ja noch gar nicht lange, und...“ Sophia fuhr sich nervös mit der Hand über die Stirn. „Ehrlich gesagt, ich wusste gar nicht, dass er wieder hier ist.“
Interessiert horchte Stefano auf.
„Wie meinen Sie das?“
Sie hob hilflos die Schultern.
„Na ja, er war eine Weile verschwunden, Detektiv. Caroline wusste nicht, wo er sich aufhielt.“
Sie brach ab, als die Türen des Aufzuges sich öffneten.
Als sie beide das Wohnzimmer der Penthouse-Suite betraten, wurde Caroline soeben von den Sanitätern behutsam auf eine Trage gelegt.
Der Notarzt, ein junger Mediziner aus dem Huntington Memorial, hatte ihr soeben einen provisorischen Zugang gelegt, von dem aus eine Flüssigkeit in ihre Armvene geleitet wurde.
Mit zitternden Knien trat Sophia näher und blickte fassungslos in Carolines blasses Gesicht, das wie Wachs aussah, als die Sanitäter sie an ihr vorbei zum Lift trugen. Man hatte ihre Stirn bandagiert und einige Strähnen ihres blonden Haares waren von ihrem Blut rot gefärbt. Ihre Augen waren geschlossen und sie rührte sich nicht.
„Doktor!“ Panisch krallte Sophia ihre Fingernägel in den Ärmel des Arztes. „Was ist mit meiner Tochter?“
„Sie sind Mrs. Hamilton?“
Sie nickte heftig, und der Arzt sah sie ernst an.
„Mein Name ist John O`Malley, ich komme vom Huntington Memorial. Die junge Frau hat eine Verletzung am Hinterkopf, die vermutlich von einem Sturz herrührt und ziemlich stark blutet. Wie es zu dem Sturz gekommen ist, und ob es sich dabei um einen Unfall handelt, kann ich Ihnen momentan auch nicht sagen. Sie ist bewusstlos, aber nicht in unmittelbarer Lebensgefahr. Wir bringen sie in die Klinik und werden sie dort weiterbehandeln.“
„Und in welche Klinik?“, fragte sie atemlos.
„Ins Huntington. Ich arbeite dort als Assistenzarzt in Vertretung für einen Kollegen.“
Er sah die Zweifel in Sophias Augen und legte ihr beruhigend seine Hand auf den Arm. „Vertrauen Sie mir, Ma`m, Ihre Tochter ist bei uns in den besten Händen. Wir werden alles Notwendige für sie tun.“ Er gab den Sanitätern ein Zeichen. „Wir müssen uns beeilen.“
„Ich komme mit!“, rief Sophia entschlossen, doch Stefano hielt sie zurück.
„Beruhigen Sie sich, Mrs. Hamilton! Ich lasse Sie nachher sofort von meinen Leuten in die Klinik fahren. Aber zuvor sollten Sie mir bitte dringend noch ein paar Fragen beantworten.“
*
Als Stefano die Penthouse- Suite der Familie Hamilton verließ, war es draußen bereits dunkel.
Während er noch darüber nachgrübelte, was wohl an diesem Abend wirklich zwischen Caroline und diesem Brendon Finley geschehen sein mochte, durchquerte er die Lobby und wäre beinahe über zwei große Koffer gestolpert, die vor der Rezeption mitten im Weg standen.
„Meine Güte, soll ich mir hier vielleicht das Genick brechen“, schimpfte er wütend, doch als er hochsah, blieben ihm die Worte fast im Halse stecken.
Am Tresen der Hotellobby stand Claudia und sah ihn erschrocken an.
Ein einziger Blick in ihr Gesicht reichte, und er wusste, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren leicht gerötet und unendlich traurig.
„Tut mir leid, Stefano“, sagte sie leise. „Der Page wird mein Gepäck sicher gleich aus dem Weg räumen.“
Bevor er etwas erwidern konnte, bekam Claudia ihren Zimmerschlüssel ausgehändigt. Sie nickte dem Angestellten kurz zu und wollte gehen, doch Stefano war mit einem Schritt bei ihr und hielt sie zurück.
„Claudia!“ Eindringlich sah er sie an. „Was hat das zu bedeuten? Was tust du hier?“
Sie schluckte.
„Nicht jetzt, Stefano. Bitte...“
Der heraneilende Page nahm die beiden Koffer auf und blickte Claudia erwartungsvoll an.
„Bringen Sie das Gepäck nach oben“, sagte Stefano in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete und reichte dem Angestellten einen Geldschein, den er kurz zuvor aus der Jackentasche gezogen hatte. „Die Dame kommt später nach.“
Der Page deutete eine Verbeugung an und verschwand mit dem Gepäck im Lift, während Stefano Claudias Arm nahm und sie zu einer der Sitzgarnituren führte, die in der Lobby platziert waren.
Widerspruchslos ging sie mit und ließ sich erschöpft in die weichen Polster fallen.
„Manuel und ich, wir trennen uns“, sagte sie leise und zerknüllte nervös das Taschentuch, das sie in der Hand hielt.
Stefano starrte sie verblüfft an.
„Wie bitte? Claudia, was ist denn passiert?“
Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Ihr Blick ging ihm unter die Haut. Er glaubte Wut und Unverständnis darin zu sehen, und... Ablehnung.
„Das fragst du mich noch? Ausgerechnet du, Stefano?“ Sie lachte bitter. „Deine Mutter hat mich wie eine Aussätzige behandelt, seitdem wir hier sind, deine Schwester ignoriert mich, und du gehst mir am liebsten aus dem Weg. Und Manuel... Mein eigener Mann wird mir von Tag zu Tag fremder. Er ist tagelang unterwegs, er spricht kaum noch mit mir, und wenn ich ihn frage, was los ist, weicht er mir aus. Seine Arbeit vernachlässigt er auch. Ich bin froh, dass sich Alex tolerant verhält und so weit wie möglich über Manuels Versäumnisse hinwegsieht. Ich weiß nur nicht, wie lange er das noch tolerieren kann, bevor wieder ein Unglück geschieht, wie vor ein paar Wochen bei der Sprengung der Höhle.“
Sie wischte sich ungeduldig eine Träne weg, die ihr über die Wange lief.
Stefano schwieg betreten. Was sollte er auch erwidern, dass, was sie gesagt hatte, stimmte, das wusste er. Er musste ihr zugestehen, dass sie die ganze Situation sogar ziemlich lange ertragen hatte, ohne sich zu beklagen. Aber nun schien das Maß voll zu sein, und er überlegte, ob es nicht besser wäre, ihr endlich die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit über Manuel und darüber, was damals geschehen war.
Aber hatte er überhaupt ein Recht dazu?
Während er noch überlegte, was er tun sollte, erhob sich Claudia.
„Du kannst Manuel bestellen, dass ich bis zu unserer Abreise hier im PACIFIC INN wohnen werde. Wenn er mit mir reden möchte, soll er herkommen. Ich werde in Sunset City bleiben, bis unser Auftrag bei der HSE beendet ist. Bis dahin sollte er sich allerdings darüber klarwerden, wie er sich unsere Zukunft vorstellt“, sagte sie mit fester Stimme. „Gute Nacht, Stefano.“
Sie ging zum Aufzug hinüber, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Stefano starrte ihr nach, bis die Türen sich hinter ihr geschlossen hatten.
Nein, sie durfte nicht aus Sunset City weggehen! Nur das nicht!
Plötzlich war er bereit, sich selbst einzugestehen, was er die ganzen Wochen, seitdem sie hier war, vergeblich zu verdrängen versuchte: Er hatte sich in sie verliebt. Vom ersten Augenblick an.
Ausgerechnet in die Frau seines Bruders!
Claudia war für ihn der Inbegriff dessen, was er sich jemals bei einer Frau gewünscht hatte: Sie war klug, einfühlsam, sensibel und dennoch eine starke Persönlichkeit. Und sie war wunderschön. Aber sie gehörte nicht zu ihm, sie gehörte zu Manuel. Deshalb hatte er ihre Gegenwart gemieden, wo immer es ging. Es tat ihm weh, die beiden zusammen zu sehen. Es schmerzte ihn, Claudia um sich zu haben, so nahe und doch unerreichbar.
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, etwas, das ihm gar nicht gefiel.
War das hier vielleicht Manuels Art, Rache zu nehmen für das, was seine Mutter und er ihm damals angetan hatten? Wenn ja, so war ihm das gelungen.
Es fand, die Zeit war gekommen, mit seiner Mutter zu reden. Und mit Manuel. Die Geheimnisse der Vergangenheit mussten endlich begraben werden.
Stefano stand auf und verließ schnellen Schrittes die Hotelhalle.
*
In seiner Zelle im Sunset City Police Departement saß Brendon auf der harten Pritsche und hatte das Gesicht in beiden Händen vergraben.
Er konnte kaum begreifen, was an diesem Abend passiert war.
Warum zum Teufel ging momentan alles, aber wirklich alles für ihn schief?
Er hätte nicht herkommen sollen, nicht wegen Caroline, auch nicht wegen Danielle... Sie waren es beide nicht wert, dass man ihn jetzt hier einsperrte wie einen Verbrecher.
Was hatte dieser Detektiv gesagt?
„Ich verhafte Sie wegen des dringenden Verdachtes, Miss Caroline Hamilton tätlich angegriffen und lebensgefährlich verletzt zu haben.“
Sein Magen krampfte sich zusammen, wenn er darüber nachdachte, was geschehen war.
Dank seiner eigenen Dussligkeit wusste Caroline nun über alles Bescheid, und wenn sie ihre Informationen an die Polizei weitergab... Er durfte gar nicht daran denken.
Und was, wenn sie nach diesem Sturz und aufgrund der Kopfverletzung vielleicht nicht wieder aufwachte oder sich an nichts mehr erinnern konnte!
Dann würde er beweisen müssen, dass er Caroline nicht im Streit angegriffen und mit Absicht gegen den Kamin gestoßen hatte. Und das konnte er nicht.
Brendon schluckte. Er hatte das Gefühl, er müsse sich jeden Moment übergeben.
„Lieber Gott“, flüsterte er mit zitternder Stimme „lass mich einigermaßen heil aus dieser Sache herauskommen, und ich schwöre, ich werde von diesem verhexten Ort verschwinden. Wenn es sein muss, auch ohne Danielle. Auf nimmer Wiedersehen!“
*
Fasziniert sah sich Danielle in dem hellen geräumigen Schlafzimmer um. Auch hier war farblich alles aufeinander abgestimmt. Der Boden war mit weichem Teppichboden ausgelegt. Auf dem Schränkchen vor dem riesigen ovalen Wandspiegel stand ein Strauß frischer Gartenblumen, deren zarter und zugleich betörend exotischer Duft sich dezent im Zimmer ausbreitete.
Beim Anblick des bequemen breiten Doppelbettes huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, denn sie musste unwillkürlich an jene Nacht mit Matt in seinem Strandhaus denken, in der sie sich das erste Mal geliebt hatten.
Bewundernd strich sie mit ihren Fingern über die bestickte Seidendecke. Als sie diese zurückschlug, entdeckte sie ein champagnerfarbenes Negligé aus hauchdünnen Spitzen und einen dazu passenden seidenen Hausmantel. Neugierig hob sie die beiden Stücke hoch und betrachtete sie andächtig, während sie damit vor den Spiegel trat.
„Wunderschön“, urteilte sie und sah zögernd zur Tür.
Matt war vor ein paar Minuten nach unten gegangen, um im Kamin etwas Holz nachzulegen.
Das würde sicher noch einen Moment dauern...
Kurzentschlossen schlüpfte Danielle aus ihren Sachen und streifte das Negligé und den Mantel über. Beides passte perfekt. Sie kramte in ihrer Tasche und brachte eine modische Haarspange zum Vorschein. Dann öffnete sie die Tür zum angrenzenden Badezimmer, das sie vorhin schon besichtigt hatten und trat vor den großen Spiegel.
Sie nahm ihr langes Haar zusammen und steckte es mit der Spange geschickt hoch. Übermütig drehte sie sich vor dem Spiegel und fand die Verwandlung herrlich.
Plötzlich verzog sie den Mund zu einem verwegenen Lächeln.
Sie ging ins Schlafzimmer zurück, nahm ihre Sachen und packte sie in einen der Schränke.
Innerlich mit sich zufrieden warf sie im Hinausgehen noch einen letzten, prüfenden Blick in den Wandspiegel. „Die ganze Zeit hast du mich überrascht, Matt, jetzt bin ich an der Reihe, dir eine Überraschung zu bereiten!“
Matt hatte das Feuer im Kamin geschürt und neues Brennholz aufgelegt. Die Flammen und das Kerzenlicht gaben dem Raum eine durch und durch romantische Atmosphäre. Er war eben dabei, frischen Champagner in die Gläser zu füllen, als plötzlich das Licht vorzeitig erlosch, und er hinter sich ein Geräusch hörte.
Er hielt inne und drehte sich erstaunt um.
Überrascht starrte er auf die Treppe, von wo aus Danielle langsam auf ihn zukam.
Sie sah überwältigend aus. Der zart schimmernde Seidenstoff umschmeichelte ihren Körper mit jedem Schritt, den sie tat, und er vermochte seinen Blick nicht eine Sekunde von ihr abzuwenden. Als sie endlich vor ihm stand, hob er die Hände und berührte vorsichtig ihre Schultern, so als hätte er Angst, sie existiere nur in seiner Fantasie und würde vielleicht unter seiner Berührung sofort wieder verschwinden.
„Du siehst wunderschön aus, Danielle“, sagte er leise.
Sie trat ganz dicht an ihn heran und erwiderte seinen Blick, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang. Sacht strich sie mit ihren Fingerspitzen über seinen Nacken.
Er lächelte und begann zärtlich ihr Gesicht zu küssen.
Danielle stöhnte leise auf und legte den Kopf zurück, worauf er seine Lippen über ihren Hals bis hinunter zu ihrem Dekolleté wandern ließ. Langsam streifte er den Hausmantel über ihre Schultern, von wo aus der hauchdünne Stoff lautlos auf den Boden glitt.
Danielles Hände fuhren über seine Brust und begannen, einen Knopf nach dem anderen zu öffnen, während sich ihre hungrigen Lippen mit den seinen zu einem leidenschaftlichen Kuss fanden.
Wenig später lag auch Matts Hemd achtlos am Boden. Danielle ließ ihre Finger über seinen nackten Rücken wandern und presste sich zitternd vor Leidenschaft an ihn, als sie sich erneut küssten, und er mit seiner Zunge langsam und genüsslich ihren Mund erforschte.
Schweratmend von dem langen innigen Kuss ließen sie schließlich voneinander ab und sahen sich für Sekunden in stummem Einverständnis in die Augen, dann nahm er sie auf seine Arme und trug sie leichtfüßig die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.
Voller Begierde entledigten sie sich gegenseitig ihrer restlichen Sachen.
Nach den letzten Wochen voller Sorgen und Ängste hatten sie einander endlich wiedergefunden und hielten sich in den Armen, während sie sich auf das breite Doppelbett fallen ließen und sich liebten und voller bedingungsloser Leidenschaft in eine glühende Welt eintauchten, in der es nur sie beide gab...