Im Innern der Kloake war es düster und nass. Finsternis lag über der Klärgrube. Kurt und ich hatten uns an den Händen gefasst, um uns nicht zu verlieren.
Und da lag sie: die Goldene Klobürste.
Ehrfürchtig trat ich näher. Kurz davor drehte ich mich zu Kurt um. „Möchtest du oder soll ich?“
Er lächelte nachsichtig. „Du. Es ist deine Geschichte. Ich bin nur der unwichtige Nebendepp, der alles regelt und am Ende leer ausgeht.“
Ich sah Kurt an, während ich nach der Bürste griff, und versuchte all die Liebe und Dankbarkeit, die ich für ihn empfand, in diesen Blick zu legen. Er erwiderte meinen Blick und ich sah darin seine Gefühle für mich, die ich nicht erwidern durfte, weil ich Schicksal versprochen war. Ich verdrängte die Trauer, die mich bei diesem Anblick erfüllte, und packte die Klobürste mit beiden Händen.
Ich hielt sie in der Hand. Nichts passierte. Mit einem siegesgewissen Lächeln trat ich zu Kurt und hielt sie ihm hin.
Er machte eine abwehrende Handbewegung, aber ich wehrte seine Bescheidenheit ab. „Kurt, du hast geholfen, sie zu finden. Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen. Ich weiß, du kannst Schicksal nicht leiden und er dich wahrscheinlich auch nicht, aber ich möchte, dass du sie anfasst.“
„Also gut.“ Behutsam streckte er die Hand aus und strich sacht über den goldenen Stiel.
„Moment mal“, sagte er.
„Ja?“
„Das ist doch nur Messing. Ich dachte, sie sei aus Gold?“
„Nun ja, Schicksal sprach von der goldenen Klobürste. Vielleicht ist das nur ein Name. Vielleicht ist sie in Wirklichkeit gar nicht aus Gold.“
Kurt musterte mich skeptisch und nahm mir dann plötzlich mit entschlossenem Griff die Bürste aus der Hand. Er inspizierte sie gründlich und drehte sie dabei nach allen Seiten. „Made in China?“, fragte er, fast schon vorwurfsvoll.
„Äh na ja, wieso nicht?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich hab irgendwie das Gefühl, dass hier was nicht stimmt.“
„Unsinn“, widersprach ich. „Wir haben alles getan, was Schicksal uns aufgetragen hat. Wir haben die Goldene Klobürste gefunden.“
Kurt blickte mich ernst an. „Und was, wenn das alles ein Trick ist? Was ist, wenn jemand die Bürste ausgetauscht hat und mit der echten auf und davon ist?“
Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Unsinn! Wer sollte das denn tun?“
Doch dann fiel mir die Frau auf der Toilette ein. Die Frau, die sich so dafür eingesetzt hatte, dass ich nicht vorgelassen wurde. War sie im Bunde mit den Hosenscheißern? Wollte sie verhindern, dass das Elfenreich gerettet wurde? Hatte sie die echte Bürste?
„Hahaha!“, erklang hinter uns ein düsteres Lachen. Ich fuhr herum – und sah einen dicken Mann, der einem Fleischklops glich. Er kam mir vage bekannt vor, doch ich konnte mich nicht recht erinnern, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte.
Kurt dagegen schien es anders zu gehen. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren. „Verdammt“, flüsterte er. „Das ist der LKW-Fahrer.“
Oh. Scheiße.
„Dachtet ihr etwa, wir wären so dumm? Die echte Klobürste ist längst in Sicherheit! Hahahaha!“ Sein donnerndes Lachen hallte gegen die Wände der Klärgrube und warf ein dreifaches, schauerlich klingendes Echo zurück.
„Na warte“, fauchte Kurt – und stürzte sich auf ihn.
„Kurt!“, rief ich, doch es war zu spät. Er ging mit den Fäusten auf ihn los und ich musste zusehen, wie sich die beiden bekämpften, und konnte nur hilflos „Kurt, Kurt!“ schreien. Dann sah ich, wie Kurt getroffen wurde und zu Boden ging. Das konnte, das durfte nicht sein. Kurt durfte nicht hier sterben, nachdem wir so vieles überstanden hatten. All seine Opfer wären umsonst gewesen. Ich musste etwas tun. Hektisch sah ich mich um. Mein Blick fiel auf das Seil und den Kompass. Mit der Macht der Verzweiflung nahm ich den Kompass und zielte. Er traf den LKW-Fahrer an der Schläfe. Er ging zu Boden.
Ich rannte zu ihnen und sah nach Kurt. „Oh Kurt!“, flüsterte ich.
„Ich bin in Ordnung“, schimpfe er ungehalten. „Sieh lieber zu, dass der nicht abhaut.“ Er nahm mir das Seil aus der Hand, humpelte zum LKW-Fahrer und fesselte ihn. Dabei schien er plötzlich etwas an dessen Kleidern zu bemerken. „Moment mal, was ist das?“ Er öffnete das Hemd und zog etwas Strahlendes, Goldenes hervor.
„Die Klobürste!“, flüsterte ich.
„Ja. Sieh dir das an. Hochkarätiges Gold.“
„Du hast sie gefunden. Du bist mein Held!“, hauchte ich und küsste Kurt auf die Wange.
„Und trotzdem heiratest du deinen Schicksal“, antwortete er verbittert.
„Ja. Aber ich liebe dich auch, weißt du? Nur eben nicht so sehr wie ihn.“
Er schnaubte.
„Kurt, bitte, lass uns nicht streiten. Wir haben endlich unsere Aufgabe erfüllt.“
„Ja“, motzte er.
„Jetzt müssen wir nur noch ins Land der Elfen.“
„Und wo zum Teufel ist das?“
„Oh, äh … vielleicht fragen wir die Stinkstiefel.“
„Und was machen wir mit dem LKW-Fahrer?“, fragte Kurt.
„Hm. Er ist unser Feind, aber er kann uns ja jetzt nichts mehr tun. Doch die Klobürste und den Kompass nehmen wir lieber mit, bevor er andere damit hintergeht.“
Und so ließen wir ihn liegen.
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Die Stinkstiefel warteten noch an der Stelle, an der wir sie verlassen hatten. Ich lächelte sie alle glücklich an und hielt die Klobürste hoch. „Sehet, die Goldene Klobürste!“, rief ich. „Sie wird die Elfenwelt vor den bösen Hosenscheißern retten. Durch eure Hilfe habe ich, äh wir, sie gefunden!“
„Und wozu soll das Ding gut sein?“, fragte einer der Stiefel.
„Äh, nun gut, das werden die Elfen sicher wissen. Wisst ihr, wie wir in ihr Reich gelangen?“
„Das Elfenreich? Geht dort den Berg hinunter, dort ist ein See, der so sauber ist, dass wir ihn alle meiden. Wenn ihr hineinspringt, kommt ihr in das Land der Elfen. Wollt ihr wirklich dort hin?“ Der Stiefel runzelte sich, als könne er das nicht glauben.
„Oh vielen Dank, liebe Stiefel!“, rief ich. „Als Zeichen unserer Dankbarkeit schenke ich euch dies.“ Ich gab ihnen die zur Hälfte geleerte Parfümflasche.
Sie schwebten drum herum und rochen misstrauisch daran. „Wozu soll das gut sein?“, hörte ich sie miteinander tuscheln.
Kurt blickte mich mit hochgezogener Braue an. „Meinst du wirklich, sie freuen sich darüber?“
„Was soll ich ihnen denn sonst geben? Das Seil gehört ihnen ja sowieso, und den Kompass können wir vielleicht noch brauchen.“
„Also gut.“
„Lebt wohl, oh ihr holden Stinkstiefel!“, rief ich ihnen zu und dann gingen wir den Berg hinunter zum Sauberen See.
Der Weg war nicht weit. Nach ungefähr zweihundert Meter tauchte er vor uns auf, so strahlend sauber, dass wir geblendet waren.
„Das ist er“, sagte ich voller Gewissheit. Ich wusste das plötzlich mit absoluter Sicherheit, es war, als wäre ich bereits einmal hier gewesen, in einem früheren Leben.
„Bist du bereit?“, fragte ich Kurt und gemeinsam sprangen wir in das glasklare Wasser des Sees.
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