Vollkommen lautlos verharrte ich auf dem Dach und lauschte den Stimmen unter mir im Schlafzimmer. Sie redeten leise miteinander und doch verstand ich jedes Wort.
Ich war darauf trainiert worden meine Sinne besser einsetzen zu können, als alle anderen.
Ich fluchte leise vor mich hin. Warum dauerte das so lange.
Konnten sie nicht endlich schlafen gehen?
Ich brauchte nur den Mann, die Frau konnte weiterleben.
Wenn seine Frau wüsste was ihr Mann alles für Intrigen spannte, welche Handel er betrieb und wessen Gesellschaft er bevorzugte, dann war der Tod eine Gnade für ihn.
Sie würde ihn schlagen, auf ihn losgehen und schlussendlich würde sie ihm in Tränen aufgelöst sagen er solle gefälligst in das Drecksloch zurückkehren aus dem er herausgekrochen war.
Wenn all diese Frauen in der ganzen Stadt wüssten was ihre Männer so trieben, mit wem und wo, würde es nur noch getrennte Männer und Frauen mehr geben. Keine Ehen mehr, die zum Vorteil von Macht genutzt werden konnten.
Die Männer würden ihre Wut in den Hurenhäusern wegvögeln, während die Frauen mit ihren Freundinnen zusammen über die herzlosen Männer klagen würden und am Ende in Tränen ausbrechen würden. Nicht gerade eine verheissungsvolle Zukunft.
Der Tod war eine Gnade für diese beiden.
Sowohl für Sir Clearwater als auch für seine schöne, aber unglaublich dumme und ahnungslose Frau. Seine Frau würde morgen bei Sonnenaufgang aufwachen, ihren toten, ermordeten Mann neben sich erblicken und sich fragen was um aller Welt passiert war.
Ich lauschte wieder auf die Stimmen unter mir, die nun die Kerzen löschten und nun die Decken bis zum Kinn hochzogen. Kurz darauf hörte ich die gleichmässigen Atemzüge, die mir sagten, dass sie eingeschlafen waren.
Langsam liess ich mich an der Regenrinne hinuntergleiten bis zum Fenster. Leise öffnete ich das Fenster und stieg in das Zimmer. Ich tappte bis zum Bett auf die Seite von Sir Clearwater und achtete darauf, dass ich keine Geräusche machte. Vorher hatte ich mich entschieden ihn mit einem Dolch umzubringen.
Ein Stoss in die Brust und es war getan.
Ich zückte meinen Dolch und setzte ihn auf das Herzen des Mannes, das gleich nicht mehr schlagen würde. Dann stieß ich den Dolch tief in seine Brust.
Kurz vor dem letzten Atemzug schlug er die Augen auf und in ihnen leuchtete Erschrecken. Dann wurde sein Blick stumpf und das Licht schwand aus seinen Augen.
Ich zog den Dolch aus seiner Brust und das Blut tropfte auf die Bettdecke. Ich wischte den Dolch an der Decke ab und verliess das Zimmer so lautlos wie ich gekommen war.
Danach machte ich mich auf den Weg zum Hauptsitz der Krytans. Es war nicht weit und ich lief durch die schummrigen Gassen von Maren bis zu der alten Villa. Dort angekommen stapfte ich sofort hinein und durchquerte das Wohnzimmer wo Reion auf mich wartete. Er zog eine Augenbraue hoch.
»Es ist erledigt«, sagte ich.
Reion nickte mir zu, stand dann auf und kam langsam auf mich zu.
»Komm her meine Liebe«, sagte er zu mir. Ich ging auf ihn zu. Ich war froh, dass er es heute wollte. So konnte ich meinen Plan umsetzen.
Kaum kam ich bei ihm an küsste er mich. Es war ein stürmischer Kuss und ich erwiderte ihn um seinetwillen. Er bugsierte mich die Treppe hoch in sein Zimmer. Dort drückte er mich an die Tür und presste seinen Mund auf meinen. Er vergrub seinen Finger in meinen Haaren und drückte sich an mich. Ich zog ihn aufs Bett wo wir übereinander herfielen wie zwei Tiere.
Er platzierte eine Reihe von Küssen von meinem Schlüsselbein bis zu meinem Mund, wobei er mich sanft in den Hals biss, worauf mir ein Stöhnen entwich. Reion zog mir den Reissverschluss meines Anzugs auf und ich schälte mich daraus. Er blickte mich an und küsste mich wieder. Seine Zunge drängte sich in meinen Mund.
Schliesslich zog ich ihm das Hemd über den Kopf und fuhr begierig mit meinen Fingern über seine Brust und seine Bauchmuskeln. Bald verschwanden auch seine Hose und Unterhose und meine Unterwäsche.
»Du weißt wie es abläuft«, keuchte er mir ins Ohr. Er wollte immer den gleichen Ablauf.
Als wir fertig waren mit dem Ablauf sanken wir keuchend zurück in die Kissen. Wir lagen da, während sich unser Atem beruhigte.
Während ich darauf wartete, dass er einschlief, dachte ich darüber nach was meine Geschwister wohl von mir denken würden, wenn sie mich so sähen.
Wenn sie sehen würden, was für ein Leben ich jetzt führte.
Was aus mir geworden war.
Ich würde immer noch ein bisschen jünger aussehen als sie, doch wir waren alle unsterblich. Denn wir waren Elfen.
Zumindest teilweise, aber was diesen Teil unseres Erbes betraf war es so, als ob wir vollblütige Elfen waren.
Wir konnten nicht krank werden.
Wir konnten nicht durch eine Krankheit sterben.
Wir waren unsterblich und würden immer wie etwa achtzehn, neunzehn oder zwanzig aussehen.
Doch es war nur noch ich übrig.
Sie waren nicht mehr unter uns.
Und ich war in dieser Nacht davongelaufen wie ein Feigling.
Ich hatte sie im Stich gelassen.
Ich hörte Reions gleichmässige Atemzüge. Um zu überprüfen, ob er wirklich schlief, hielt ich eine Hand über seinen Mund.
Er schlief tief und fest. Ich schob meine Hand unter mein Kopfkissen und zog den Dolch darunter hervor. Ein letztes Mal betrachtete ich Reion.
Er war ein hübscher Mann mit seinen schwarzen Haaren und den goldenen Augen. Den hohen Wangenknochen und dem muskulösen Körper.
Aber er war ein Monster.
Durch und durch.
Ich hasste ihn mit jeder Faser meines Körpers.
Ich setzte den Dolch an seinen Hals und dann schnitt ich ihm flach die Kehle durch.
Er würde an seinem eigenen Blut ersticken.
Er würde um Atem ringen und immer wieder nur sein Blut schlucken, es wieder hochwürgen und wieder schlucken.
Aber er konnte niemanden um Hilfe rufen, denn bis er überhaupt mitbekam was ich ihm angetan hatte, würde er schon zu viel Blut verloren haben.
Ausserdem wird er auch nicht um Hilfe schreien können, da ich seine Stimmbänder auch mitangeschnitten hatte.
Ich dachte an alles.
Denn mein Plan musste perfekt sein. Ich nahm meine Kleider und den Dolch und verliess das Zimmer.
In meinem Zimmer schlief ich innerhalb weniger Sekunden ein.
Meine Tür krachte laut gegen die Wand.
»Wie wär’s mit anklopfen«, grummelte ich mürrisch in mein Kissen.
»Reion ist tot«, sagte Walt.
Ich sprang auf und schaute ihn prüfend an.
»Was? Wann? Wie?«, fragte ich. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich nackt war. Walt schaute mich anzüglich an.
»Hör auf zu glotzen«, knurrte ich ihn an.
»Schaus dir selber an. Er liegt im Bett. Überall ist Blut. Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn dann an seinem eigenen Blut ersticken lassen.«
Ich zog mich schnell an und ging dann mit Walt zusammen in Reions Zimmer. Er lag im Bett. Umgeben von einer Blutlache.
»Wisst ihr schon wer das war«, fragte ich ihn forschend.
»Nein wissen wir nicht«, antwortete er. Wir musterten uns gegenseitig. Ich durchbrach das Gemustere und das Schweigen.
»Komm wir gehen nach unten. Der Minister wird sicher bald hier sein mit dem Testament«, meinte ich zu ihm.
Wir gingen nach unten und ich setzte mich in den Sessel in dem Reion gestern auf mich gewartet hatte. Ich dachte darüber nach wie es jetzt weitergehen würde. Jetzt da Reion nicht mehr da war.
Würde alles anders werden oder alles gleich bleiben?
Doch eines wusste ich, es würde keinen Missbrauch mehr geben. Nicht wenn ich Königin der Krytan wurde.
Ich hasste Sklaverei. Die würde ich sofort abschaffen.
Die anderen Mitglieder, mit denen ich vor ein paar Jahren, um diese Plätze hier gekämpft hatte, sassen auf den Stühlen im Salon verteilt.
Trisha, die auf das Schmuggeln von Waren spezialisiert war.
Cordian, der auf das Klauen von Medikamente angelegt war.
Walt, der das Geld klaute.
Mintha, die als Auftragskillerin arbeitete.
Banie, die als Spionin agierte.
Brikh, der dafür sorgte, dass alles da hinkam wo es hingehörte.
Und dann war da noch ich.
Ich, die auf all diese Dinge spezialisiert worden war.
Natürlich waren es weitaus mehr Krytans, aber diese hier, waren die Oberhaupte ihrer jeweiligen Gruppe.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir uns bis hier her vorgekämpft hatten, wie wir diese Prüfung bestehen mussten.
Wie uns Reion immer eingeflüstert hatte, dass wir für uns kämpfen sollten, dass die anderen das auch taten.
Dass wir keine Freundschaften schliessen durften, denn Liebe war nur eine Schwäche.
Ich schaute in ihre Gesichter in denen Schock stand über die Nachricht, dass Reion tot war.
Aber dahinter, dahinter sah ich die Vorfreude, die Vorfreude, darauf, dass ihnen etwas vererbt wurde. Ich sah die Habgier in ihren Augen schimmern, die sie alle so vergeblich zu verstecken versuchten.
Ich versuchte ein selbstgefälliges Grinsen zu unterdrücken, denn keiner von ihnen würde auch nur ein Silberstück bekommen.
Keiner.
Denn Reions Mantra, welches er uns immer eingeflösst hatte, war in meinem Gedächtnis eingebrannt. Für immer und ewig.
»Wer mit Köpfchen tötete, der wird immer der Beste sein.«
Reions Worte.
Während wir hier sassen und auf den Staatsminister warteten, überlegte ich mir all das.
Und ich wusste, heute, war ich die Beste.
Denn ich tötete mit Köpfchen, hatte ich immer, würde ich immer.
Es klopfte an der Tür und Walt öffnete. Ein kleiner, pummeliger Mann mit verschwitzter Glatze trat ein und grüsste uns. Ich sah wie er nur noch mehr anfing zu schwitzen, als er sah mit welcher Habgier wir ihn betrachteten, wie Raubtiere, die ihr Opfer umkreisten.
Er trat an den Schreibtisch und legte ein Stapel Papiere auf den Tisch.
Meine Papiere.
»Also, Guten Tag noch einmal. Ich bin hier um das Testament von Reion Brooks zu verlesen, welcher in der gestrigen Nacht verstorben ist.«
Er hüstelte und fuhr fort: »Mein Beileid an Sie alle. Ich werde nun sein Testament verlesen.«
Er räusperte sich und lies vor: »Ich, Reion Brooks, vermache all meine Habseligkeiten, alle meine Häuser, mein Geld, meine Wertgegenstände, einfach alles der zauberhaften und talentierten Jasmine Redstone.« Ich grinste von einem Ohr zum anderen.
»Wer mit Köpfchen tötet, ist immer die Beste.«
Die anderen Krytan; Walt, Trisha, Cordian, Mintha, Banie und Brikh schauten mich voller Wut an. Ich sah die Eifersucht in ihren Augen glimmen und die unbändige Wut.
Mein Plan war aufgegangen.
Nun war ich Königin der Krytan.
Der Staatsminister überreichte mir die Papiere und ich bedankte mich bei ihm. Er verabschiedete sich und hastete aus dem Haus.
Die Erleichterung darüber, dass er dieses Haus endlich wieder verlassen durfte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Ich blätterte die Papiere durch und überprüfte ihre Vollständigkeit.
Die Blicke der Anderen spürend, drehte mich um und warf ihnen einen tödlichen Blick zu.
»Na, habt ihr nichts zu tun.« Sie verliessen den Raum so schnell wie möglich, aber nicht ohne mir noch einen bitterbösen Blick zuzuwerfen.