Wir fuhren zehn Tag lang. Als wir Erian verließen spürte ich ein Ziehen an meinem ganzen Körper und dass meine Kräfte zurückkehrten.
Es war als ob man zu enge Kleidung abstreifen würde.
Ich fühlte mich frei.
Gerade lief Deimon ohne Hemd herum und schleppte irgendwelche Fässer umher. Er hatte drei Tattoos. Einen großen Drachen auf dem Bauch, dessen Schwanz in Deimon‘s Hose verschwand. Eine Schlange, die sich von seiner linken Hand über seinen ganzen Arm über seine Schulter und um seine linke Brust wand.
Und er hatte ein weiteres Tattoo. Es bestand aus blauschwarzen Wirbeln und Flammen, die über seinen Körper tanzten. Es führte von unten an seinem Rücken an seiner rechten Seite hoch über seine Schulter und seinem Nacken entlang und endete kurz unterhalb seiner Augenbraue.
Seine schwarzen Locken fielen ihm in die Stirn und sein muskulöser Körper glänzte unter dem Schweiß.
Ich schrieb gerade einen Brief an meine Krytans, in dem ich ihnen sagte, dass ich für eine Mission mehrere Monate weg sein würde und dass Walt das Kommando übernehmen würde.
„Bereit machen zum Anlegen“, schrie der Kapitän.
Ich packte meine Sachen zusammen und ging zum Kapitän und überreichte ihm meinen Brief. Er sagte zu, den Brief dem Postboten auszuliefern.
Das Schiff legte an und Deimon und ich verließen das Schiff. Der Hafen war nicht sonderlich groß und es tummelten nur wenige Leute umher. Hinter dem kleinen Hafen sah ich große weite Wiesen voller Blumen. Auf der linken Seite befand sich ein riesiger Wald mit Bäumen so hoch wie der Himmel.
Er drehte sich zu mir um und meinte mit blitzenden Augen: „Komm Prinzessin. Jetzt schauen wir mal wie schnell du bist.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und rannte mit Fee-Geschwindigkeit los.
Ich rannte ebenfalls los und war viel langsamer als er. Meine Kräfte wollten einfach nicht einsetzen.
Klar, ich lief schneller als jeder andere Mensch es gekonnt hätte, aber ich war einfach viel langsamer als Deimon. Er war wie ein Blitz und ich wie eine Schnecke im Vergleich zu ihm. Ich wusste nicht wie lange wir rannten, aber plötzlich blieb Deimon stehen und ich prallte gegen seinen Rücken. Ich keuchte und richtete mich auf und hob den Blick.
Vor mir erhob sich ein gewaltiges Tor aus schwarzem Obsidian, das glänzte im langsam schwindenden Licht der Sonne.
„Willkommen in der Yvalion-Akademie“, sagte Deimon und deutete auf das Tor. Ich hatte schon von dieser Akademie gehört, doch ich hätte nie geglaubt, dass es sie wirklich gab. Ich erkannte dahinter einen gepflasterten Weg der zu einer Art Schloss führte. Deimon ging auf das Tor zu und blieb davorstehen. Er legte eine Hand auf das Schloss und blieb starr stehen.
Plötzlich ertönte eine Stimme: „Willkommen Deimon Blackthorne.“ Deimon nickte und antwortete: „Ich bin in Begleitung von Prinzessin Zearia Cherleton.“
Die Stimme, also eigentlich das Tor, sprach: „Sie soll vortreten.“ Ich machte ein paar Schritte nach vorne, so dass ich an der Stelle stand, an der Deimon zuvor stand, welcher jetzt aber zurückgetreten war und legte meine Hand wie Deimon auf das Schlüsselloch.
„Mhm, also die junge Prinzessin von Erian. Willkommen an der Akademie“, sagte das Tor mit geisterhafter Stimme.
Das schwarze Tor schwang auf und offenbarte uns ein weißes Schloss, so groß, dass nicht einmal mein altes Herrenhaus mithalten konnte. Es besaß unzählig viele Türme und die Anzahl der Fenster schien nicht enden zu wollen.
Deimon gingen auf dem gepflasterten Pfad auf das Schloss zu.
Je näher wir kamen, desto gewaltiger kam es mir vor. Das Schloss war aus weißem Marmor gebaut und die Fenster waren golden umrahmt. Eine beträchtliche Treppe führte hinauf zu den ebenfalls golden umrahmten Türen des Eingangs. Deimon und ich bestiegen die Treppe und kaum kamen wir oben an schwangen die beiden Türflügel auf und gaben eine riesige Eingangshalle preis.
Der Boden war aus glattem Mahagoni. Vom anderen Ende der Eingangshalle führten unzählige Gänge und Treppen weg.
Wie aus dem nichts tauchte ein Mann vor uns auf, der, wenn er ein Mensch wäre, aussah wie hundertfünfzig. . Er war ein Elf, das stellte ich schon im ersten Moment fest, seine Ohren waren zugespitzt. Ich erkannte an der Art wie er ging und seine grauen Augen umherschweiften, dass er schon seit Ewigkeiten auf dieser Welt wanderte.
„Guten Tag Deimon. War die Reise angenehm?“ Der Elf sprach mit einem leichten Akzent, den ich nicht so recht einordnen konnte.
Sein Blick fiel auf mich und er sagte: „Aha, hier ist also die berüchtigte Zearia Cherleton.“
Deimon räusperte sich und antwortete: „Ja, sie war angenehm. Es war ein wenig mühsam die junge Miss Cherleton davon zu überzeugen, dass sie mir vertrauen kann, aber ansonsten war es ganz in Ordnung.“ Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu. Ich nickte wie zur Bestätigung.
„Ach wie unhöflich von mir. Mein Name ist Henry Cromwell, ich bin der Direktor dieser Akademie und war ein guter Freund, deines verstorbenes Großvaters Tiberius.“
„Sehr erfreut Sie kennenzulernen Mister Cromwell“, sagte ich höflich. Mister Cromwell nickte Deimon zu und er verschwand in Richtung der Treppen.
„Also, dann meine Liebe. Ich denke du bist ein wenig verwirrt, deshalb gehen wir zuerst einmal in mein Büro um ein wenig zu reden“, meinte er. Ich nickte und folgte ihm. Wir gingen zu den Treppen, doch statt nach oben zu gehen, bogen wir nach links ab, in einen breiten Gang.
Ich lief hinter dem Direktor her und bestaunte das Gebäude.
Am Ende des Ganges war eine hölzerne Tür. Mister Cromwell stieß sie auf und wir betraten das Zimmer. Ich sog jedes Detail in mir auf, sowie Reion es mir beigebracht hat.
In der Mitte des Raumes stand ein großes Pult auf dem überall verstreute Dokumente lagen. Hinter dem Pult stand ein bequemer Stuhl, auf den sich Mister Cromwell nun setzte. Vor dem Schreibtisch waren zwei weitere Stühle. An der hinteren Wand waren Regale voller Bücher aufgereiht. Auf der linken Seite des Zimmers befand sich ein großes Fenster von dem aus man, den großen weiten Wald sah. Mister Cromwell deutete auf einen der beiden Stühle vor sich und ich setzte mich. Er verschränkte die Hände und blickte mich mit der Weisheit eines alten Mannes an.
„Also dann Zearia. Ich gehe mal davon aus, dass du einige Fragen hast“, sagte er und lächelte mich an.
Ja und nicht nur einige, schoss es mir durch den Kopf. Aber ich nickte nur, es war wahrscheinlich nicht die beste Idee, dem Direktor dieser Schule schon nach ein paar Minuten mit Sarkasmus zu begegnen.
Mister Cromwell lachte leise auf.
„Weshalb lachen Sie“, fragte ich ihn.
„Ich lache über deine Gedanken eben“, antwortete er glucksend. Ach du Scheisse, nein. Er war ein Telepath. Genau wie ich es einmal war, wie Will und Tiberius.
Seine Miene wurde sanft.
„Nicht war, Zearia. Bist. Du bist eine Telepathin“, sagte er weich. Ich stellte mir, wie früher, eine dicke, dichte Mauer aus schwarzem Diamant vor, die ich um meine Gedanken herum errichtete.
„Nein, ich war eine Telepathin. Zearia gibt es nicht mehr, sie ist zusammen mit ihrer Familie in dem Feuer gestorben“, sagte ich grob.
Mister Cromwell schüttelte den Kopf.
„Nein, Zearia. Sie lebt noch ganz tief in dir. Sie ist noch da, genau wie deine Fähigkeiten. Deshalb habe ich dich hierherbringen lassen.“
„Ich habe meine Fähigkeiten seit mehr als fünf Jahren nicht benutzt, wer sagt, dass sie noch da sind“, fragte ich ihn.
„Weil ich es spüren kann. Und alle anderen auch. Alle Personen in diesem Areal spüren, dass sich eine unglaublich mächtige Person hier befindet. Mächtiger als alle anderen hier. Und das bist du“, antwortete er vergnügt.
„Aber warum bin ich hier“, fragte ich.
Er ging nicht auf meine Frage und meinte: „Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen.“ Ich wollte etwas erwidern, doch er hob seine Hand und ich liess es bleiben.
„Es war einmal“, begann er und ich verdrehte die Augen.
„Eine Familie mit dreizehn Kindern. Sie alle waren schön und mächtig und talentiert. Sie waren die Herrscher über Erian. Die Eltern der Kinder waren streng aber gerecht. Sie liebten ihr Volk mit ihrem ganzen Magierherzen. Ihr dreizehntes Kind war ein Sohn namens Brion Cherleton. Er war mächtig, noch mächtiger als seine zwölf älteren Geschwister.
Und so wie es in Arilona Art war, wurde er König, nachdem seine Eltern das Amt abgetreten waren, da sie zu alt waren.
Denn in Arilona herrscht, entweder das dreizehnte Kind, wenn dies aber nicht männlich ist, herrscht der Erstgeborene Sohn. Doch Brion war kurz nach seiner Geburt sehr krank und deshalb freute sich der älteste der Cherleton, Kol, da er dachte, so wie alle anderen, dass Brion sterben würde.
Doch wie durch ein Wunder überlebte Brion und wurde später zum König erhoben. Damit kam sein älterer Bruder Kol nicht klar, er fand es nicht gerecht, dass er nun doch nicht Thron besteigen durfte.
Also verfluchte er Brion und sein Heimatland Erian und verließ zusammen mit seinen elf Geschwistern das Land und segelte mit ihnen nach Syrind, dem Nachbarskontinent von Arilona.
Zwischendrin lagen hunderttausende von Kilometern. Kol und seine Geschwister bauten auf Syrind ihr eigenes Königreich auf und herrschten nun dort. Doch sie bauten eine andere Art von Herrschaft auf, eine Herrschaft voller Gewalt und Schmerz. Durch ihre Eifersucht auf Brion, durch ihre Habgier und ihrer Sucht nach Macht, haben sie die Menschen und Wesen in Syrind unterworfen, sie zu ihren Untertanen und Sklaven gemacht.“
Mister Cromwell unterbrach sich. Das war also mit Vaters Geschwistern passiert. Er hatte uns nie erzählte was mit ihnen geschehen war. Niemand im ganzen Schloss oder in ganz Erian hatte je über sie gesprochen.
„Ivar und Aideen brach es das Herz als ihre Kinder ihr Land und ihren Bruder verfluchten und als sie davon erfuhren, was ihre Kinder in Syrind mit den Menschen dort anstellten, zerbrachen sie ein weiteres Mal.
Brion warf sich sein ganzes Leben lang vor, dass er Schuld an der Versklavung all dieser Leute in Syrind war. Es zerriss ihn. Er dachte, wenn er damals doch bloß nicht überlebt hätte, wäre das alles nicht passiert.
Jahrelang regierte er ohne irgendetwas wirklich mitzukriegen. Dann eines Tages, trat diese wunderschöne, intelligente Fee in sein Leben. Amelia Hathaway. Es war wie Liebe auf den ersten Blick. Bald heirateten die beiden und Brion, er erstrahlte in seinem vollen Licht, er sah die Farben des Lebens wieder.
Denn Amelia, sie holte ihn aus seinem Loch hinaus, sie zeigte ihm, dass er nicht Schuld war an all dem was passiert war.
Doch sie selbst hatte auch ihre Geheimnisse. Sie war ebenfalls das dreizehnte Kind ihrer Eltern. Und auch sie hatte zu kämpfen, denn sie und ihre Familie wurden gejagt, jahrelang. Und so wie das Schicksal gerne mit uns spielte, wurden sie von Kol und Brions übrigen Geschwistern gejagt.
Amelia und ihre Familie lebten in Syrind, doch sie waren so mächtig, dass sie auffielen. Und da Kol und die anderen ihre Macht nicht gerne teilten, jagten sie sie.
Sie jagten und töteten sie.
Sie machten Jagd auf sie mit Klingen aus Blutahorn. Sie töteten eine nach dem anderen. Am Ende waren nur noch Amelia, Elea und Tiberius übrig. Sie nahmen ein Schiff und flohen nach Arilona. Und Amelia hatte all ihre Geschwister verloren und im Gegensatz zu Brion hatte sie ein gutes Verhältnis zu ihren Geschwistern. Sie liebte sie von ganzem Herzen. Ihr Verlust traf sie hart.
Doch noch härter traf sie, dass sie nichts zu ihrer Rettung beitragen konnte, trotz ihrer Heilkräfte. Und dann als sie Erian ankamen, lernte sie Brion kennen und sie verliebte sich in ihn, so wie er sich in sie verliebte.
Sie heilten ihre Wunden gegenseitig, doch ihnen war anfangs nicht bewusst, dass sie wegen den gleichen Menschen gelitten hatten. Erst später merkten sie es und zuerst waren sie auf Rache aus, doch sie besannen sich eines Besseren, denn Rache wäre genau das, was Kol und seine Anhänger tun würden.
Also gründeten sie eine Familie und schworen sich ihre Familie zu beschützen mit allem was sie hatten. Sie schworen sich, dass sie nicht so enden würden wie Kol und Brions Geschwister. Folglich regierten sie zusammen ihr Land und sie waren die gutmütigsten Herrscher die Erian je gesehen hatte.
Sie bekamen dreizehn Kinder namens; Saphira, Willore, Memphis, Zediak, Isahia, Delio, Thea, Tamio, Nys, Enio, Aurelio, Ophelia und Zearia. Sie erzogen ihre Kinder mit Strenge, aber voller Liebe. Anfangs war ihre kleinste Zearia ein wenig der Außenseiter, sie wurde genau wie Brion, um ihre Macht beneidet. Doch das beruhigte sich schnell wieder und sie wurden die berühmte Cherleton Familie. Das Einzige was für Amelia und Brion zählte, war, dass es ihrer Familie gut ging und sie glücklich waren.“
Mister Cromwell hörte auf zu erzählen, als wüsste er, dass ich es nicht mehr länger aushalten würde, dass er von meiner Familie erzählte.
„So ich denke das genügt für heute. Morgen früh treffen wir uns wieder hier und ich werde dir deinen Stundenplan geben. Samstags und Sonntagsmorgen, kannst du in mein Büro kommen und ich werde dir die Geschichte weitererzählen.“
Ich nickte und er begleitete mich hinaus in die Eingangshalle, wo Deimon stand. Er schien sich genauso sehr zu freuen mich zu sehen wie ich ihn.
Also rein gar nicht.
„Begleite sie bitte auf ihr Zimmer, Deimon. Du weißt ja welches“, sagte Cromwell zu ihm. Deimon nickte und ein Muskel an seiner Wange zuckte, ein Zeichen, dass er sich über irgendetwas aufregte.
„Komm“, sagte er zu mir. Er ging auf die große Treppe zu und stieg sie hinauf. Bisher hatte ich noch keine anderen Leute hier gesehen. Was vielleicht auch daran lag, dass es bereits dunkel war. Die anderen waren wahrscheinlich schon im Bett und schliefen. Ich bestaunte ein weiteres Mal die Komplexität und Schönheit dieses Hauses. Es war erstaunlich.
„Wo liegt dieses Gebäude hier“, fragte ich Deimon.
„Ein paar Kilometer von Yvalion, der Hauptstadt von Elindor, entfernt“, antwortete er knapp. Weshalb hatten wir die Stadt, dann nicht gesehen als wir hier hergerannt waren? Die Treppe war nun zu Ende. Wir gingen einen Gang entlang und ich hörte Stimmen hinter den Zimmertüren. Sie tuschelten leise miteinander und mein sehr gute Menschen-Gehör schaltete sich ein.
„Wer ist sie?“
„Ich habe gehört sie ist eine Prinzessin.“
„Weshalb ist sie so mächtig?“
Doch Deimon und ich gingen noch weitere Treppen hinauf und ich prägte mir jedes Detail ein. Links, rechts, rechts, geradeaus, immer weiter. Plötzlich blieb Deimon stehen und ich lief wieder einmal gegen seinen Rücken. Er deutete auf ein Zimmer ganz hinten im Gang, welches ein Turmzimmer sein musste.
„Das da ist dein Zimmer. Deine Sachen habe ich schon herbringen lassen“, mit diesen Worten liess er mich allein.