Der Verschluss des Umhangs ist seltsam. Eine Kette, die vorne an zwei kleinen runden Scheiben befestigt wird.
Ich brauche ein wenig, bis ich herausgefunden habe, wie das Ganze funktioniert und ich die silbernen Enden einhaken kann.
Sieht ja schon großartig aus, aber weshalb so umständlich?
Durch den Umhang erhöht sich die Kälte ein wenig.
Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte. Die Kühle variiert durch die Bewegung des Stoffes ein wenig. Aber es stört mich nicht.
Ich habe mich mittlerweile schon daran gewöhnt. Denn gleichzeitig fühlt sich alles so angenehm auf der Haut an, dass die Kühle gar nicht mehr so sehr ins Gewicht fällt.
Offensichtlich bedingt dieser hohe Tragekomfort ein kaltes Material.
Vielleicht etwas ganz Neues?
Andererseits liegt die Vampirverkleidung sicher schon Jahre im Keller. Kann daher eigentlich nicht sein.
Ich sollte mir darüber nicht so viel Gedanken machen und den Rest des Kostüms anziehen.
Mein Blick fällt erneut zum Tisch, worauf ich alle Teile gelegt hatte, genauer gesagt darunter.
Ach ja, die Schuhe. Ich stehe hier ja noch immer in Socken rum.
Zeitlose, elegante schwarze Schuhe. Hatte der alte Mann nicht etwas von Italienern gesagt? Martinelli oder so ähnlich? Aber bezog sich das nur auf die Truhe oder auch auf den Inhalt?
Die Schuhe könnten auf jeden Fall aus Italien kommen. Sie sehen hochwertig aus und optisch auch sehr ansprechend. Irgendwie zeitlos modern.
Martinelli …
Ich sage den Namen laut vor mich hin. Es ist ein schöner Name und er gefällt mir. Eigentlich klingt er auch viel besser als Daniel Schmidt.
Und kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Wo habe ich ihn schon mal gehört?
Da ich mit meinen Überlegungen nicht weiterkomme, wende ich mich wieder den Schuhen zu.
Auch sie sind kalt – also kein normales Leder. Obwohl es sich eigentlich schon so ähnlich anfühlt, wenn ich von außen darüberstreiche. Ein wenig weicher vielleicht, aber sonst doch recht ähnlich.
Ob sie auch so gut passen werden? Ist bei Schuhen ja auch so eine Sache.
Ich zucke mit den Achseln. Ich werde es dann ja gleich merken.
Rasch ziehe ich sie an.
Wie erwartet, habe ich auch hier kein Problem. Weder ein Drücken, noch sind sie zu groß.
So, als hätte jemand meinen Fuß vermessen und danach diese Schuhe angefertigt.
Ein wenig unheimlich wird mir die ganze Geschichte langsam schon. Das kann doch langsam kein Zufall sein, oder?
Zögerlich betrachte ich mich im Spiegel.
Zweifellos sehe ich nicht schlecht aus. Mit dem Mantel macht das Kostüm echt was her. Fast erkenne ich mich selbst nicht wieder. Ich wirke darin selbst ein wenig düsterer als sonst.
Meine blauen Augen scheinen ein wenig dunkler als sonst. Wird aber am ungewohnten Licht liegen.
Ich versuche mich mit einer grimmigen Grimasse vor meinem Spiegelbild.
‚Gestatten, Daniel Schmidt. Seines Zeichens Vampir und heute auf der Suche nach frischem Blut.‘
Nun ja, ich glaube, das muss ich noch ein wenig üben. Ich sehe lange nicht so gefährlich aus, wie ich es gerne hätte.
So plötzlich umschalten und mich als Vampir zu fühlen, das kann ich leider nicht. Was wirklich schade ist, dass das nicht hinbekomme. Mich in eine andere Rolle hineinzuversetzen und diese glaubhaft zu spielen. Als Schauspieler wäre ich wohl eine ziemliche Niete.
Nein, ich werde dann wohl eben doch Daniel Schmidt sein, der in einem Vampirkostüm die Party besucht.
Und mehr wollte ich ursprünglich auch nicht. Woher kommt auf einmal der Wunsch, etwas mehr das zu sein, was ich darstelle?
Ich schüttle den Kopf und wundere mich über mich selbst.
Also lieber noch die restlichen Dinge betrachten, die übrig sind. Perücke und Handschuhe.
Bei ersterer habe ich gewisse Hemmungen.
Zunächst einmal – ich mag dieses Kunsthaar nicht besonders. Ich trage so etwas auch nicht, außer gelegentlich früher an Fasching. Und auch damals hatte ich sie meist rasch wieder abgezogen – man schwitzt einfach sehr schnell in diesen Teilen.
Und sie machen auch einen anderen Menschen aus einem. Finde ich jedenfalls. Mehr als eine ungewöhnliche Hose oder Hemd.
Fast ein wenig wie eine Maske, die man trägt.
Und nun ‚darf‘ ich so ein Teil zu dem Kostüm tragen?
Dazu kommt, dass diese Haare das genau Gegenteil von den meinen sind. Ich selbst bin blond und trage gerne Bart. Oberlippenbart und auch einen kürzeren am Kinn. Ich finde einfach, das steht mir.
Und dieses Haar ist tiefschwarz, passt daher allein optisch nicht zu meinen blonden.
Und lang, zu einem kunstvollen Zopf geflochten.
Ich selbst hatte seit meiner Jungend immer einen Kurzhaarschnitt. Bis heute.
Ja, wenn ich das auf meinen Kopf setze, dann verwandelt es mich nicht unwesentlich. Daher sperrt sich etwas in mir, das aufzuziehen.
Auf der anderen Seite weiß ich, dass der Alte darauf bestehen wird.
Seufzend nehme ich die Perücke in die Hand. Ich muss sie ja auf der Feier nicht tragen, sage ich mir. Nur hier, bis alles in trockenen Tüchern ist.
Trotzdem bemühe ich mich, es richtig zu machen. Von meinem Haar sollte man ja nichts zu sehen bekommen.
Was auch glücklicherweise kein Problem ist.
Habe ich eigentlich erwähnt, dass auch die Perücke etwas kalt ist?
Aber diese Haare glänzen wunderschön. Was meine nicht tun. Wie es scheint, lag ich mit meiner Vermutung falsch und es handelt sich hier um Echthaar.
‚Hallo Italiener‘, spreche ich mein Spiegelbild an in der Hoffnung, mich an diesen Anblick zu gewöhnen.
Ja, man muss jetzt wirklich zwei Mal hinsehen, um mich noch zu erkennen. Aber natürlich kann man das. Mein Gesicht ist ja noch das gleiche. Aber diese dunklen Haare würden mich ohne meine blonden Barthaare doch tatsächlich etwas Italienisch aussehen lassen.
Naja, zu blass bin ich dafür wohl auch. Die übliche deutsche Blässe, keine südliche Bräune.
Nun fehlen nur noch die Handschuhe. Wetten, dass auch diese kalt sein werden?