Erschöpft wische ich mir den Schweiß aus der Stirn.
Oh Mann, das war anstrengend.
So leicht das Anziehen des Kostüms war, so schwer war das Ausziehen desselben. Entweder schienen die Kleider wie festgewachsen zu sein – so konnte ich zum Beispiel die Handschuhe nur sehr schwer von den Fingern abziehen – oder meine Hände schienen plötzlich völlig ungeschickt zu sein. Ich hatte ja schon das erste Mal Probleme mit dem Umhang, aber die Kette wieder zu lösen, war eine Katastrophe. Und dabei dachte ich eigentlich, das Prinzip des Verschlusses verstanden zu haben. Oder beim Hemd – die Knöpfe schienen auf einmal zu groß für die dazugehörigen Löcher zu sein. Ja, jedes einzelne Kleidungsstück machte Probleme, einschließlich der Unterwäsche.
Da ich mein Kostüm nur widerwillig ausgezogen hatte, hebt das meine Laune nicht gerade.
Sorgfältig falte ich alles wieder ordentlich zusammen und staple sie zurück in die Truhe. Oben auf liegt der Mantel, den ich sehnsüchtig betrachte. Liebevoll streichle ich über das Schwarz.
Der Stoff kommt mir weniger kühl vor als zuvor. Möglicherweise täusche ich mich aber, da ich selbst eine innere Kälte spüre. Nicht unangenehm, und sie scheint sich auch mehr im Innern des Körpers zu befinden als an der Hautoberfläche. So, als habe das Gewebe die tiefe Temperatur an mich weitergegeben.
Was natürlich Unsinn ist. Dieses Material ist unzweifelhaft kühlend und ich hatte es ja eine ganze Weile an. Daher also reine Einbildung.
Lustlos ziehe ich nun „meine“ Klamotten wieder an. Alles Markenteile mit hoher Qualität und angenehm zum tragen.
Dachte ich.
Bis jetzt.
Schon bei der Unterwäsche geht es los. Wie konnte ich das bisher als angenehm empfinden? Das Zeug kratzt, liegt unangenehm auf der Haut und zwickt einfach.
Eine Zumutung.
Zu warm ist das Material auch noch. Nun schwitze ich nur noch mehr.
Wenigstens ist der Alte geduldig und lässt mich in Ruhe. Ich sollte mich daher sputen. Er rechnet sicher nicht damit, dass ich so lange brauche und ich möchte um alles in der Welt vermeiden, dass er noch hineinkommt und mich so sieht.
Notgedrungen fahre ich also mit dem Anziehen fort.
Leider wird es nicht besser. Ob Hose oder auch Oberteil – nichts fühlt sich in irgendeiner Weise gut an. Es schmeichelt mir nicht, kratzt, ist viel zu steif und steht mir nicht.
Fassungslos starre ich in den Spiegel. Wieso habe ich mir das damals ausgesucht? Das sieht einfach nicht gut aus.
Wenn ich dagegen an die Vampirkleidung denke… diese ist perfekt. Und auch das rote Rüschenhemd ist eigentlich viel besser als das hier.
Was hatte ich bisher nur für einen furchtbaren Geschmack?
Aber es hilft ja nichts.
Da ich nun fertig bin, schließe ich die Kiste wieder und nehme einen der Griffe in die Hand. Zu spät fällt mir ein, dass sie ja viel zu schwer ist, um sie alleine zu tragen.
Oder sollte sie zumindest sein.
Sie hat eigentlich gar kein so großes Gewicht. Weshalb nur habe ich mich vorhin so angestellt? Ohne größere Probleme kann ich sie bis kurz vor die Türe transportieren, die ich nun öffne.
Das Licht ist wieder ausgeschaltet. Trotzdem muss irgendwo Helligkeit herkommen, denn ich kann den Mann deutlich erkennen. Er sitzt auf einem Stuhl hinter dem Verkaufstresen und hat die Augen geschlossen. Ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Lippen.
„Ah, Alessandro“, ruft er nun, ohne sich zu rühren. „Kommen Sie näher.“
Weshalb nennt er mich nur immer so?
Da mir der Name jedoch wesentlich besser gefällt als mein eigener, lasse ich es so stehen. Es ist schön, so genannt zu werden und fühlt sich auch nicht wirklich falsch an.
Langsam gehe ich nun in seine Richtung. Er ist wieder regungslos und stumm, so dass man wirklich meinen könne, er schliefe.
Mein Blick fällt auf den Tresen. Ich erkenne zwei Visitenkarten und einen Zettel. Neugierig nehme ich die Kärtchen in die Hand.
Bei dem einen handelt es sich um die Adresse einer Maria Martinelli, samt Telefonnummer. Bei der anderen ist lediglich eine Handynummer aufgedruckt, sonst nichts. Verwundert drehe ich es um. Die Rückseite ist leer.
„Meine Nummer, falls Sie Hilfe brauchen“, kommt seine Stimme.
„Und weshalb der Name von Signora Martinelli?“, frage ich ihn.
Er kichert – mal wieder – und öffnet nun doch die Augen. „Für später“, erklärt er geheimnisvoll.
Ich zucke mit den Achseln. Ich bezweifle, dass ich sie je brauchen werde, hole jedoch meinen Geldbeutel hervor und stecke beide in ein passendes Fach.
„Alessandro, eine Bitte – Ihr Werwolf- Freund – es würde mich sehr freuen, wenn Sie mich ihm empfehlen würden. Bitte vergessen Sie es nicht.“
Wie es aussieht, macht es ihm wirklich besondere Freude, mich so zu nennen. Ich gehe nicht weiter darauf ein und nicke. „Ich werde mit ihm reden.“
‚Dieses Kostüm, es wird ihm gefallen, und weiße Werwölfe, die haben wir so selten“, sagt er, mit einem schwärmerischen Ausdruck im Gesicht. „Ihr würdet ihn sehr glücklich machen.“
Vermutlich liegt er da richtig. Brunos Schwärmerei für diese Fabeltiere ist schon sehr extrem.
Mein Ding wären sie nicht. Wenn ich allerdings an das Gebiss denke – solch scharfe Zähne, die hätte ich auch gerne.
Nun, jedem das seine. Und wenn ich meinem Freund dadurch einen Gefallen tun und mich gleichzeitig für das gratis Kostüm samt Truhe erkenntlich zeigen kann – warum auch nicht.
Wenn ich mich nur nicht so unwohl in diesen kratzigen und hässlichen Kleidern fühlen würde.
Nun liegt nur noch das Blatt Papier auf dem Tisch. Ich beginne zu lesen. Ein vorgedrucktes Formular, welches handschriftlich ergänz wurde.
Eigentlich nichts Besonderes. Es bestätigt den Empfang der Truhe samt Inhalt. Auch wird betont, dass es in mein Eigentum übergeht und nichts kosten wird.
Ganz unten links wurde das heutige Datum ergänzt. Daneben ein langer Strich.
„Wenn Sie mir das quittieren könnten.“ Die Stimme des Verkäufers hat einen seltsamen Unterton.
Ich greife nach einem Kugelschreiber, der daneben liegt und möchte schon zur Unterschrift ansetzen, als er fortfährt: „Mit Ihrem Namen - Alessandro Martinelli.“