Ich wusste es!
Wütend starre ich ihn an!
Nun habe ich mich extra bemüht, vorsichtig vorzugehen, und dieser freche Kerl wirft mich so mir nichts dir nichts aus seinem Kopf.
Verdammte Macht der Menschen.
Dann eben doch den ursprünglichen Plan.
„Du willst es nicht anders!“, knurre ich ihn an. Ich werde jetzt alles andere als sanft vorgehen, zu groß ist mein Frust über diesen Misserfolg.
Bevor ich damit anfangen kann, seinen Kopf on eine für mich angenehme Position zu drehen, höre ich auch schon seine Antwort: „Bitte, es tut mir leid. Bitte…“
„Solange du dich mir widersetzt, wird das nichts!“
„Ich werde es nicht mehr tun“, versichert er mir bibbernd. „Nur um alles in der Welt lass mich am Leben“
Wer hätte gedacht, dass Frank ein solcher Waschlappen ist!
„Du bist also jetzt brav?“, frage ich sicherheitshalber nach.
„Ja, ja, nur bitte…“
Gut, dass mit dieser Winselei bald Schluss ist, so oder so.
Zunehmend fällt es mir schwerer, meinen Blutdurst zu zügeln. Hatte sich Erik so dermaßen verschätzt, oder hat er mir gar mit Absicht zu wenig gegeben, um den Vampir in mir umso stärker zu erwecken? Beides halte ich für möglich. Wer kennt sich schon mit solchen Zaubern aus!
Aber die Aussicht auf einen persönlichen Diener ist einfach zu verlockend. Einen zweiten Versuch gebe ich ihm – uns – noch.
„Deine letzte Chance!“, drohe ich ihm deshalb, bevor ich erneut meine Konzentration sammle.
Ich zwinge mich, ähnlich behutsam wie das erste Mal vorzugehen, auch wenn dies nicht mehr ganz so einfach ist wie beim ersten Male. Aber meine Ungeduld muss ich beiseiteschieben – das hier ist zu wichtig, um es durch meine Unbesonnenheit zu verderben.
Also das gleiche Spiel nochmals von vorne. Möglichst sanft dringe ich erneut in seinen Geist an, begleite dies mit beruhigenden Worten, während ich nach Ankerpunkten in seinen Synapsen suche.
Wieder schreit Frank entsetzt auf und will mich aus seinem Kopf bannen.
Der wütende Aufschrei liegt schon auf meinen Lippen, als sein Widerstand langsam nachlässt. Der Mann atmet zwar immer noch schwer und abgehhakt und ich spüre seine Angst und Panik nur zu deutlich. Es ist deutlich in seinem Gesicht geschrieben wie er sich zwingen muss, mich nicht abzuwehren.
Aber es gelingt ihn und er lässt mich weiter gewähren.
Ich kann mein Glück kaum fassen.
Vorsichtig taste ich seine Gehirnwindungen ab um herauszufinden, wo ich ansetzen kann, greife aber noch nicht ein. Gleichzeitig flüstere ich einschmeichelnde Worte, so als ginge es nur darum, ihn zu testen, mich seiner Loyalität zu vergewissern, indem ich in seinen Geist eindringe.
Langsam beruhigt er sich und glaubt mir törichterweise. Ich lulle ihn weiter ein bis ich genau weiß, wo ich überall ansetzen muss.
Dann geht alles ganz schnell.
Ich greife sein Kurzzeitgedächtnis an und verändere es so, dass er meint, völlig freiwillig hier zu sein. Ein kurzer panischer Aufschrei, als er meine Täuschung bemerkt – dann wird er ruhig. Augenblicklich atmet er langsam und alle Anspannung fällt von ihm ab.
Jetzt habe ich alle Zeit der Welt. Und das ist gut so, da seine „Verwandlung“ logisch aufgebaut sein muss, sonst habe ich nachher einen Verrückten an meiner Seite. Ein insektenfressender Diener, wie in der Geschichte über Graf Dracula, darauf habe ich nun weiß Gott keine Lust.
Zunächst einmal nehme ich ihm die Angst vor Vampiren und ersetze sie durch große Bewunderung gepaart mit dem brennenden Wunsch, selbst einer zu sein. Dabei vergesse ich natürlich nicht, eine große Ehrfurcht und auch Respekt einzuimpfen.
So stelle ich sicher, dass er uns nicht hintergeht.
Weiter hat Frank, bisher jemand, der sich nichts gefallen ließ und sich durchaus durchzusetzen wusste, ab sofort eine gewisse Unterwürfigkeit an sich. Rebellion muss ich von ihm nicht erwarten. Und angesichts seines Gewinsels, das er bis vor kurzem ganz untypischerweise gezeigt hat, auch passend für ihn.
Nun verändere ich seine Vorlieben bezüglich des anderen Geschlechts.
Dies wäre nicht unbedingt notwendig, aber Frank war bisher ein ganz schöner Schwerenöter, dem die Frauen zufliegen wie die Motten das Licht. Schon oft hat er das eine oder andere Mädel verführt, auf das ich eigentlich ein Auge geworden hatte. Ich hatte es ihm nie gesagt, da ich nicht als Schwächling dastehen wollte. Aber ein leichter Groll ist geblieben.
Nein, Frank wird keiner Frau mehr den Kopf verdrehen, sondern steht ab sofort nur auf Männer. Punkt.
Dieser Punkt gefällt mir besonders. Rache ist ja bekanntlich süß.
Und nun kommen wir zu mir. Mein alter Freund wird ab sofort wirklich „mein Freund“ sein, mit dem inneren Bestreben, mir zu dienen; mir meine Wünsche von den Augen abzulesen, damit es mir gutgeht. Das ist nun der Sinn seines Lebens. Nicht nur, dass der Sterbliche mich ab sofort innig liebt. Nein, er ist mir hörig – er hat keine eigene Meinung mehr, denn ich sage was er zu denken, zu tun und zu lassen hat.
Nicht ganz. Rasch entscheide ich mich um. Ein gut gemeinter Ratschlag dann und wann könnte nicht schaden. Um seine Loyalität muss ich mir keine Gedanken machen, also hilft es, nicht nur eine Marionette an meiner Seite zu haben. Sonst wäre unsere Beziehung bald langweilig. Diskutieren oder Streiten gehört bekanntlich zu einer Partnerschaft dazu.
Das Geniale an der Sache ist, dass ich ihm die Erinnerung an seine Unterwerfung nicht nehme. Er wird sich erinnern – und wissen, dass er durch mich so geworden ist, aber das wird ihm eben nichts helfen – unser Band ist zu stark, als dass er sich jemals wieder davon wird lösen können.
Habe ich noch etwas vergessen?
Damit mir mein kleines Menschlein möglichst lange erhalten bleibt, achtet es sehr auf seine Gesundheit, treibt maßvoll Sport und ernährt sich gesund.
Wichtig ist auch seine geänderte Moralvorstellung. Er glaubt nicht mehr an Gott oder das Gute – sofern er es denn zuvor geglaubt hat, keine Ahnung – sondern, dass der Zweck die Mittel heiligt. Dass Vampire Sterbliche umbringen, warum auch immer, hat für ihn nichts Verwerfliches mehr. Er ist wie ich nun der Überzeugung, dass die Blutsauger höhere Wesen sind und es eine Gnade von ihnen ist, die Menschen leben zu lassen und nicht völlig auszurotten. Insbesondere angesichts dessen, was der Homo sapiens alles mit der Schöpfung anstellt. Diese Einstellung gilt nicht nur gegenüber Untoten, sondern für alle Kreaturen der Nacht. Er hat keine Skrupel mehr, was solche Dinge angeht.
Vielleicht werde ich ihn auch mal jemand töten lassen. Nur so zum Spaß. Meine Seele ist schwarz, weshalb nicht auch die seine? Sofern ich denn überhaupt noch eine habe.
Sonst noch etwas?
Ich glaube nicht.
Fasziniert blicke ich auf seine Augen, die durch meinen mentalen Angriff nur leblos vor sich hinstarren. Auch sonst liegt er bewegungslos unter mir.
Würde er nicht weiter atmen, könnte man ihn glatt für tot halten.
Langsam und vorsichtig ziehe ich mich aus seinem Kopf zurück. Nicht noch ihn zu guter Letzt durch ein unüberlegtes hastiges Manöver schaden.
Frank fängt sich plötzlich an zu regen und blinzelt verwirrt, ehe das Leben in seinen Blick zurückkehrt.