Ich erinnere mich.
An das was mir – oder Alessandro – damals alles passiert ist….
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Ich war eher still und schüchtern, bevor ich gewandelt wurde.
Ich und meine Familie – wir waren alles Sterbliche, bis zu dieser schicksalshaften Nacht.
Wer letztlich entschieden hatte, dass wir zu Vampiren werden sollten, weiß ich bis heute nicht. Dass es ein solches Gremium geben soll, welches diese Auserwählten bestimmt, wird unter uns Vampiren immer wieder gemunkelt.
Auf jeden Fall kamen diese untoten Männer, für jedes Familienmitglied eines, mitten in der Nacht. Sie brachen geräuschlos in unsere Villa ein – keiner hörte etwas. Die ganze Unternehmung war jedoch präzise geplant, wie wir im Nachhinein rekonstruieren konnten. Jeder Eindringling wusste, wo sich seine Zielperson aufhielt und machte sich vermutlich sofort auf den Weg dahin.
Mein Peiniger sah recht jung aus, vielleicht um die zwanzig Jahre, und hatte stechend grüne Augen und kurzes blondes Haar. An diese Details kann ich mich paradoxerweise noch erinnern, an mehr jedoch nicht.
Seine spitzen Zähne bohrten sich in meinen Hals, während er schwer auf mir lag und mit beiden Händen meinen Kopf festhielt. Ehe ich reagieren konnte, labte er sich schon an mir. Er trank vermutlich sehr rasch, da mir schon nach kurzer Zeit schwarz vor Augen wurde und ich das Bewusstsein verlor. Das böse Erwachen danach kann man wörtlich nehmen – ich war nicht mehr ein Sterblicher, sondern ein Wesen der Nacht, mit dem Drang nach menschlichem Blut, um zu ‚überleben‘.
Der Anfang ist für jeden Jungvampir schwer, und so war es auch für mich. Zuvor war ich ein lieber und braver Junge gewesen. Sagen wir lieber langweilig und angepasst.
Nun war alles anders. Dunkle und böse Gedanken trieben mich, zeigten mir erregende Bilder von offenen Hälsen und drängten mich dazu, dies in die Tat umzusetzen. Mit meinen Krallen oder spitzen Zähnen Wunden in die Haut von Sterblichen zu reißen und von ihrem Lebenssaft zu trinken.
Mit diesen neuen Empfindungen, dieser Gier nach Blut, kam ich lange Zeit gar nicht zurecht. Vielleicht auch weil meine erste Tat darin bestand, meine damalige menschliche Verlobte zu überrumpeln und komplett leerzutrinken.
Während sich meine Geschwister und Eltern recht schnell mit der neuen Existenz anfreundeten und auch ihren Bluthunger schon bald wenigstens einigermaßen im Griff hatten, tat ich mich schwer. Aller Wahrscheinlichkeit nach spielte auch mein schlechtes Gewissen eine Rolle, die ich die ersten Jahre noch hatte. Meiner Isabell die ewige Liebe versprochen, und wenige Tage danach starb sie durch meine Hand.
Auf jeden Fall brauchte es recht lange, bis ich diesen Selbsthass, der mich jedes Mal einige Zeit nach dem Trinken überkam, ablegen konnte.
Ohne Eric hätte ich vermutlich sogar noch länger dafür gebraucht.
Dabei handelt es sich tatsächlich um die gleiche Person, die Daniel das Kostüm verkauft hat. Und dieser Ladenbesitzer ist auch schuld daran, dass ich, Alessandro, oder besser gesagt mein Geist, an den Stoff der Verkleidung gebunden wurde.
Doch ich greife vor.
Etwa eine Woche nach dem Überfall und Wandlung besuchte er uns zum ersten Mal.
Er sei geschickt worden, um uns bei der Umstellung auf das neue ‚Leben‘ zu helfen, eröffnete er sofort und ohne Umschweife.
Von wem und weshalb – diese Antwort blieb er stets schuldig.
Auch hatten wir den Verdacht, dass es nicht nur darum ging, uns zu unterstützen. Sicher wollte man verhindern, dass wir durch törichtes und unvorsichtiges Verhalten die Existenz unserer Art verrieten. Neue Vampire haben die erste Zeit nämlich einen großen Blutbedarf und handeln in ihrer Gier oft voreilig. Und wie schon erwähnt, hatte ich große Probleme, mich als Vampir anzunehmen.
Eric quartierte sich die ersten Jahre ungefragt bei uns ein und war unser stetiger Ansprechpartner, was unsere neue Lebensform betraf.
Und das, obwohl er selbst kein Blutsauger ist.
Nur was genau sonst, weiß ich nicht. Vermutlich ein Wesen, welches noch nicht entdeckt wurde und dadurch auch in keinen bekannten Erzählungen vorkommt. Dass er kein Mensch ist, sondern nur dessen Gestalt angenommen hat, dafür spricht auch sein Aussehen, da es sich in all den Jahren nicht verändert hat. Stets fit, stets gesund, keine Spuren des Alterns. Nur sein sporadisches Hinken, welches plötzlich auftrat oder auch verschwand, passt da nicht so recht ins Bild.
Wir alle spürten, dass wir ihn gewähren lassen mussten, wollten wir nicht in Gefahr geraten. Es schien, als habe unser Schöpfer ihn uns zugewiesen, um uns zu ordentlichen Vampiren zu machen.
Trotz allem blieb Eric stets zurückhaltend. Er gab uns zwar Ratschläge, aber diese waren eher praktischer Art – wie man Blutkonserven lagern musste und wie man sie am besten verstecken konnte, zum Beispiel. In allen anderen Belangen blieb er zugeknöpft – nicht nur, was seine Herkunft und seinen Auftrag betraf, sondern auch, welchem Beruf er nachging.
Er verschwand immer wieder unregelmäßig, um seinen „Geschäften“ nachzugehen. Einen Hinweis, was er konkret machte, den gab er uns jedoch nie.
Obwohl er mit uns unter einem Dach lebte, wussten wir also recht wenig über ihn.