Seltsam, was ich mir heute so zusammenreime.
Auf jeden Fall ist dieser Satz, der mir gerade in den Sinn kam, merkwürdig. Fast, als wäre es ein ganz neues Ich, welches da zum Vorscheib kommt und das alte vernichten möchte. Etwas Fremdes, was langsam von mir Besitz ergreift.
Ob das mit dem Kostüm zusammenhängt? Werde ich ein wenig wie Alessandro Martinelli, da ich seine Kleider trage?
Ich lache kurz auf. So etwas gibt es nicht. In Filmen oder Schauergeschichten vielleicht. Aber nicht in der Realität.
Ich zwinge mich ruhig zu bleiben, während ich die letzten Barthaare abrasiere. Ich sollte mir nicht solche unsinnigen Gedanken machen. Nachher schneide ich mich noch, weil ich deshalb unkonzentriert bin.
Keine Stoppeln mehr. Babyface, das wird mein neuer Look.
Die Rasierklinge fährt ein letztes Mal über die Haut. So, jetzt ist der Bart ab.
Ich grinse mich im Spiegel an. Ungewohnt, aber nicht schlecht. Wenn jetzt erst noch die Perücke hinzukommt...
Erneut kommt mir eine verstörende Eingebung. Hat durch die Rasur Daniel Schmidt endgültig verloren und wurde für immer vernichtet?
Wie gesagt, meine Gedanken sind etwas wirr im Moment.
Gut, dass ich sehr neugierig bin und daher diesem Unsinn keine weitere Bedeutung zuschreibe.
Wenn mir schon das Gesicht ohne die gewohnten Haare fremd erscheint, wie wird das erst mit der Perücke wirken?
Vorsichtig greife ich nach dem schwarzen Haar. Dass mein eigenes noch ganz schön feucht ist, kümmert mich nicht. Fasziniert streichle ich über diese dunkle, glänzende Strähnen.
Ich freue mich darauf, sie zu tragen.
Und ich werde diese düsteren Überlegungen vom gerade eben einfach ignorieren und vergessen. Sie sind viel zu verrückt, als dass ich sie erstnehmen kann.
Viel wichtiger ist es doch, dass ich mich endlich hier umziehen kann. Ohne Störung vom irgendwelchen seltsamem Gestalten. Keine Aufforderung, mich wieder auszuziehen.
Ich kann ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen, als ich sie mir überstreife. Und das ist auch weiter kein Problem – wie von Zauberhand rutscht die Perücke in die perfekte Position.
Cool! Ohne das störende blonde Haar sieht das wirklich beeindruckend aus. Ein ganz anderer Mann blickt mir da entgegen.
Ich blicke in meine Augen und auch nicht. Sie wirken anders als üblich, ohne den Grund dafür genau benennen zu können. Ein leicht grausamer Zug liegt in ihnen und ich meine einen seltsamen Glanz wahrzunehmen.
Vermutlich ist es einfach die Vorfreude auf die Party.
Ja, ich muss zugeben, ich werde diesmal gerne da hin gehen. Zum ersten Mal vermutlich.
Möglicherweise liegt das daran, dass ich ziemliche Lust habe, einigen der Gästen einen kleinen Schrecken einzujagen. Ich könnte mich von hinten anschleichen und mit meinen spitzen Zähnen ihren Hals berühren.
Ob die wohl auch fest genug sitzen werden, dass ich jemanden tatsächlich beißen könnte?
Also nur theoretisch natürlich.
Wie es sich wohl anfühlt?
Ja, ich weiß, das es das nicht in Wirklichkeit gibt. Trotzdem schließe ich die Lider, um es mir besser vorstellen zu können.
Und meine Fantasie lässt mich nicht im Stich.
Da bin ich, komplett in besagtem Kostüm. Auch die schwarzen Haare trage ich.
Deutlich sehe ich mich also selbst, wie ich hinter einer Frau stehe. Ihr dünner Hals ist bronzefarben und etwas dünn.
Zärtlich streiche ich ihr langes Haar beiseite, was sie kurz seufzen lässt. Natürlich erwartet sie etwas ganz anderes als das, was nun passieren wird.
Da ich mich bereits erwähnt an ihrem Rücken befinde, kann sie mich nicht sehen. Und daher auch nicht meine spitzen Fangzähne, die sich gerade weit aus dem Mund hervorschieben, so wie die Krallen bei einem Raubtier. Dabei sind die im Oberkiefer etwas länger als unten.
Ich umarme sie von hinten mit meinen Armen. Nicht als zärtliche Geste gedacht, wie sie es meint, sondern um sie festzuhalten.
Einige Minuten verharren wir beide regungslos. Dann setze ich zum Angriff an und beuge meinen Kopf nach vorne, an die linke Seite ihres Halses.
Meine Zähne bohren sich in die Halsschlagader. Routiniert, wie schon viele Male zuvor.
Ich liebe dieses Gefühl, mich mit ihnen in das weiche Fleisch zu versenken. So zart kommt es mir wie eine unausgesprochene Einladung vor.
Sie schreit kurz erschrocken auf, aber ich halte sie weiter fest. Noch ist sie zu verwirrt und perplex, um zu reagieren, und ich nutze diesen Umstand schamlos aus. Rasch ziehe ich meine Zähne zurück und presse meine meinen Mund auf die offene kleine Wunde. Ja nicht zulassen, dass Blut ungenutzt herausspritzt. Das wäre nun wirklich Verschwendung. Sofort beginne ich, hungrig zu saugen. Und es benötigt glücklicherweise keine große Anstrengung, ihren Lebenssaft zu trinken. Herrlich warm und lebendig fließt er meine Kehle hinab. Stärkt mich, während sie schnell schwächer wird.
Ich liebe es, wenn mir ein Mensch seine Lebensenergie schenkt. Und meist reagieren meine Opfer erst spät.
So auch diesmal.
Ich habe mich bereits einige Schlucke von ihr getrunken – das heißt mehr als ein halber Liter - als sie anfängt, sich zu wehren.
„Alessandro“, wimmert sie und versucht, sich aus meiner Umklammerung zu lösen. „Bitte…“
Ein kümmerlicher Versuch. Ich habe sie weiter fest im Griff. Glaubt sie tatsächlich, sie kann sich mit dieser schwachen Gegenwehr befreien?
Pech für sie, dass sie so gut schmeckt. Und ich meine Blutmahlzeiten immer erst beende, wenn nichts mehr da ist. Ihr kümmerlichen Bewegungen, die langsam panisch werden, sind lachhaft und ich würde sie verspotten, wenn ich nicht gerade beschäftigt wäre. Da hilft auch ihr Wimmern und Schreien nichts.
Wir sind allein, keiner kann sie hören.
Es ist eh nur ein letztes Aufbäumen. Sie ist schon zu sehr geschwächt, als dass ihr Widerstand lange dauern kann.
Aber auch ohne mein Tun wäre sie gegen einen Vampir natürlich chancenlos. Daher kann ich mich weiterhin ohne Hindernisse an ihrer roten Flüssigkeit laben, die mich nährt und die ich so dringend brauche, um zu existieren.
Ja, ich weiß, es gibt auch Blutkonserven. Aber warum darauf zurückgreifen, wenn man auch ein Festmahl haben kann?