Ein Luftschiff wartet am Himmelshafen. Eines, das meinen Blick schon seit Wochen immer wieder auf sich zieht.
Die MS 'Geisterhaus', das Schwesterschiff meiner MS 'Schattenmann'.
Es ist zwei Jahre her, dass das erste Schiff gestartet ist. Ich erinnere mich flüchtig, dass damals nicht alles glattgelaufen ist, was aber die Schuld meiner Figuren ist. Seitdem segelt das Luftschiff stolz durch die Lüfte hoch über dem grauen Berg. So weit oben, dass es meistens nicht mehr als ein winziger Fleck am Himmel ist, eine Art Stern, den ich Tag und Nacht sehen kann. Als dunklen Punkt vor der Sonne oder als wanderndes, flackerndes Licht in der Nacht.
Allgegenwärtig, aber trotzdem unaufdringlich.
Neben der Gregori-Shade-Werft, der diese beiden Prachtexemplare entstammen, besitze ich noch eine zweite Werft. Diese liegt nicht in der Pseudonymsiedlung von Marvin Grauwolf, sondern beim Urdoggo in Yajalma. Ich weiß noch nicht, ob und wie viele Schiffe die Ánorcuka-Werft bauen wird, aber ich weiß, dass ich Holz und Taue, Nägel und Segelstoff liefern werde.
Es spielt keine Rolle, wo die Werft errichtet ist. Die großen Luftschiffe werden über ein Portal zum Grauen Berg geschafft, um von hier aus zu starten. Ihre Ankerplätze verbleiben aber bei Marvin Grauwolf in Merkandt. Ihre Heimat ist das Reich der Veröffentlichungen, auf meinem Berg möchte ich die kommerzielle Arbeit auf ein Minimum beschränken.
Bis auf diesen Moment. Den nächtlichen Start des Luftschiffs. Wenn sich die Segel vor den Nachthimmel schieben, sich mit Luft füllen, straffen, das große Schiff vorwärts ziehen ...
Moment, wieso schwebt das Schiff wirklich vorwärts? Der Anker ist noch ausgeworfen! Und ... und auch der Landesteg! Da sind noch Figuren, die fleißig letzte Waren an Bord tragen!
Ich lege die Ohren an und renne los. Zuerst muss ich allerdings zurück, die Burgmauer hinunter, dann durch den immerhin freigeräumten Innenhof. Sobald ich durch das Burgtor bin, beginnen die Schneefelder. Hier draußen wurde weder geräumt noch gestreut. Zum Glück bin ich ein Grauwolf, und damit an Schnee gewöhnt.
So schnell ich kann hetze ich durch die meterhohen Massen. Flocken wirbeln um mich herum.
"Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht ...", flüstere ich im Rennen.
Der Mast schiebt sich vor den Vollmond. Daran weht eine Flagge. Eine Flagge, auf der ein durchgestrichener Elchskopf prangt.
Die Anti-Elch-Fraktion! Die habe ich ganz vergessen. Sie muss das Schiff gekapert haben ...
Als ich mich dem kenternden Luftschiff nähere, höre ich Schreie vom Deck herunterhallen. Allerdings ist es kein Kampflärm.
"Macht, dass es aufhören! Ich halte das nicht mehr aus!"
"Tröt! Quäk! Tröt!"
"Hat jemand Ohrenstöpsel?"
Schlimmer als die Anti-Elch-Fraktion - ich hab den Quäkgeist vergessen!
"Kaugummi!", brülle ich hinauf. "Ihr braucht Kaugummi!"
Einen Moment bin ich unsicher, ob mich jemand gehört hat. Ich sehe eine Gestalt in Polizeiuniform umkippen. Bewusstlos liegt der Mann auf den Planken. Figuren rennen panisch durcheinander.
Stimmt - Merkury ist nicht an Bord. Sie und alle Figuren, die schon in Teil 1 vorkamen, sind auf der MS 'Schattenmann'.
Ist dann überhaupt jemand da, der das Chaos beseitigen kann?
"Marvin! Was brauchen wir?", ruft jemand von oben. Eine Stimme, so laut, dass es mich fast von den Füßen reißt.
"Kaugummi!", schreie ich mit aller Macht. Dann weiche ich dem Anker aus, der an seiner straff gespannten Kette hinter dem Schiff hergleitet und dabei eine tiefe Furche in den Stein reißt.
"Wir brauchen Kaugummi! Hat jemand Kaugummi?", donnert die Stimme der Frau über das Chaos an Deck. Im ersten Moment grinse ich stolz. Dann reißt die Kette des Ankers mit einem Knall und das schwere Ding fällt wenige Meter vor mir auf den Boden. Steinsplitter regnen in alle Richtungen.
Von oben höre ich: "Wir haben kein Kaugummi! Hiiilfe!"
Ich sehe mich suchend um. Ich muss schnell handeln. Das Schiff entfliegt in den Himmel. Zappelnde Gestalten hängen an der Seite. An Bord herrscht immer noch Chaos.
Meine Gedanken rasen. Dann fällt es mir ein - natürlich!
"Das Cover!", brülle ich, so laut ich kann, nach oben. Ich hoffe nur, sie können mich noch hören. "Der rosa Klumpen auf dem Cover - das ist Kaugummi!"
Ich erhalte keine Antwort. Das Schiff schwebt höher. Suchend und mit gespitzten Ohren sehe ich der MS 'Geisterhaus' hinterher. "Bitte", flehe ich leise. "Bitte."
Dann ... verstummen die Schreie.
Ich könnte vor Erleichterung schluchzen! Die Panik hat sich gelegt, was nur bedeuten kann, dass der nervtötende Quäkgeist zum Schweigen gebracht wurde.
Etwas trudelnd entschwebt das nun stille Schiff in den Himmel. Die gerissene Ankerkette baumelt in die Tiefe.
Ob das noch mal Probleme gibt ...? Neeeiiin, bestimmt nicht.
Ich gestatte mir ein kleines, stolzes Grinsen. "Guten Flug, mein Geisterhaus."
Und jetzt ... auf zum nächsten Projekt!