Wenn man über die Weltenbrüder reden will, gibt es ein Problem. Denn niemand weiß, wer sie sind. Das schließt auch die Brüder selbst ein.
Vermutlich stellst du dir jetzt zwei mysteriöse Personen vor, die Geheimnisse wie ein inflationäres Parfüm einsetzen. Und die Brüder tun nicht unbedingt etwas dagegen. Der Weltenwanderer, der Ältere, trägt einen breiten Cowboy-Hut, tief in die Stirn gezogen, und ein dunkles Tuch bis über die Nase - auch in Dimensionen, die noch nie von Corona gehört haben! Der Jüngere, der Weltenreisende, versteckt sich in einer großen Kapuze seines Pullis. Sie beide kleiden sich dunkel und haben keine Namen als diese langen Bezeichnungen, die sich kaum abkürzen lassen, Reisi und Wandi sind auch nur bedingt nutzbar. Niemand hat ihre Gesichter je gesehen, niemand weiß ihre Herkunft, man weiß nicht einmal mit Gewissheit, dass sie Brüder sind - oder Männer.
Aber anders, als du vielleicht glaubst, versteckt sich keine dunkle Geschichte hinter ihren Masken. Denn auch Wandi und Reisi wissen ihre Namen nicht. Sie sind Weltenreisende, Weltenwanderer - sie haben sich in den Weiten von Phantasma verloren.
Alles begann mit dem Weltenwanderer, so viel wissen wir. Er war einmal ein normaler Mensch, das nehmen wir jedenfalls an. Doch dann, eines Tages, stieß er auf ein Portal und ging hindurch. Dahinter lag Phantasma: Eine Welt, in der alles Wahrheit wird, was sich Menschen vorstellen. Dort kann man Mittelerde und Hogwarts besuchen oder im Hintergrund berühmter Filmszenen stehen. All die Abenteuer und Träume werden dort real. Doch auch die Albträume. Es gibt Welten, die der Realität in fast jedem Detail gleichen - entstanden aus "Was wäre, wenn"-Szenarien. Doch mit der Zeit merkt man, dass diese Orte leer und seelenlos sind. Denn sie leben nur für das Detail, das sich unterscheidet ...
Man kann in jedem Albtraum landen. Man kann durch verborgene Portale stolpern, die sich in einer Tür, einem See, in einem Buch oder sogar an einem Schmuckstück befinden können. Und selbst in den bekannten Welten gibt es Risiken. Niemand denkt doch an die Figuren im Hintergrund. An jene, die nicht von der Titanik springen können. An die Statisten, die fallen müssen, bis die große Wende des Krieges kommt.
In dieser Welt voller Wendungen, mit all ihren merkwürdigen Regeln, verirrte sich der Weltenwanderer. Jede Welt folgt anderen Gesetzen. Man muss sich anpassen, um zu überleben, und das tat er. Er vergaß sein echtes Leben und nahm eine Rolle nach der anderen an, um in den Welten nicht aufzufallen. Er irrte durch die Welten, bis er schließlich auf einen anderen Reisenden traf: Auf einen Grauwolf. Mich. Mein Rudel hatte Platz für einen Kämpfer wie ihn und schließlich führte uns unser Weg auf eine größere Welt, von der aus wir die Realität wieder erreichen konnte. Dies ist Belletristica, und so wurden wir gerettet.
Aber der Weltenwanderer? Er wusste längst nicht mehr, woher er einmal gekommen war. Die Zeit vergeht merkwürdig in Phantasma. Er könnte aus jeder Epoche stammen. Aus jedem Land; denn Sprachen werden dort übersetzt. Er könnte auch eine Figur sein und seine Heimat nur nicht als Geschichte erkannt haben. Es ist unmöglich für ihn, heimzukehren.
Nun glaubt er noch, dass er vielleicht einmal Alex hieß. Alexander? Alexandra? Ist es überhaupt eine echte Erinnerung und ihm nicht von einem bösen Zauberer oder einem magischen Artefakt oder einem Gott eingepflanzt worden? Nun - er ist Alex.
Und eine Weile später, da reiste er wieder. Einen Weltenwanderer kann keine Macht der Welt lange an einem Ort halten. Sie sind andere Wesen als wir, sie brauchen die Unsicherheiten, die Gefahr, die Abenteuer. Immerhin hatte Alex jetzt einen Hafen. Von seinen Abenteuern kehrte er immer zu uns zurück, doch wann er erscheinen würde, wussten wir nie. Eine Weile ging es gut, doch schließlich besuchte er eine Welt erneut, in der er schon gewesen war.
Das ist förmlich unmöglich. Denn so, wie man den gleichen Fluss nie zweimal überqueren kann, kann man nie in exakt die Welt zurückkehren, die man verlassen hat.
Doch durch einen merkwürdigen Zufall schaffte Alex es. Und wir erfuhren, was passiert, wenn man sich selbst begegnet: Man kehrt mit einer nahezu exakten Kopie seiner selbst zurück.
Der Weltenreisende. Anfangs gab es kaum einen Unterschied zwischen ihm und Alex. Reisi war jünger. Er hatte nicht ganz so viel Leid erlebt, kannte weniger Freunde.
Natürlich wurde Alex' Bruder Teil des Rudels. Mit der Zeit wurde es leichter, sie zu unterscheiden. Alex, der Weltenwanderer, wählte einen schweren Stil. Großer Hut, Ledermantel, Stiefel. Reisi dagegen nahm weiche Turnschuhe, Joggings, Kapuzenpullover. Alex ist der Extrovertierte. Er lacht viel und scheint sich nie zu sorgen. Reisi ist stiller, er liest viel, beobachtet, bevor er sich ins Getümmel stürzt. Alex würde nicht zögern, einen Drachen zu reiten - aber Reisi würde tatsächlich wissen, wie es geht.
Dennoch darf man sie beide nicht unterschätzen. Die lange Zeit in Phantasma hat sie besser ausgebildet als jedes SWAT-Team. Sie sind Improvisationskünstler, Impro-Schauspieler, sportlich und mutig und unendlich intelligent. Sie können unter dem höchsten Druck - Lebensgefahr! - Rätsel lösen und innerhalb von Sekunden erkennen, in welcher neuen Welt sie ein Portal ausgespuckt hat, um auf jedes Szenario, jede Gefahr, jeden Angriff zu reagieren.
Reisi hat eine hellere Stimme und einen zierlicheren Körperbau. Man sollte meinen, dass sie Kopien voneinander sind, doch Phantasma verändert die Leute. Und so könnte es sogar sein, dass Alex ein Junge, Reisi ein Mädchen ist. Für sie beide spielt es keine Rolle. Identität ist nur ein Hafen, in den sie sich zurückziehen können, um sich von ihren Reisen auszuruhen.
Immerhin hat Reisi sich für einen Namen entschieden - Kevin, warum auch immer. Was hältst du davon? Ich persönlich denke nicht, dass man es ihm - oder ihr - noch ausreden kann. Wenn ich es verbieten würde, würde Kevin mit den Schultern zucken und durch ein Portal springen, um Rotkäppchen zurück auf den Pfad zu führen oder mit einigen Pinguinen ein U-Boot zu stehlen.
Es scheint allerdings, als ob sie sich auf etwas vorbereiten. Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Alex und Kevin wollen aus dem Schatten treten. Ob ihre Masken fallen? Vermutlich nicht. Aber es werden Masken im Licht sein.