Ein hysterisch gackernder Marv flitzt einmal quer über den Burghof der Grafschaft, rast über die Hügel, pingpongt zwischen den vereinzelten Hütten und flummiet über die Burgmauer zurück ins Innere.
Verdutzt sehen wir dem Wolf bei seiner etwas unüblichen Fortbewegung hinterher.
„Was hat er denn?“, wundert sich Xenon.
Ich räuspere mich und streiche bedächtig Mobus Gewand zurecht, in dessen Körper ich mich geflüchtet hab. „Das ist ein Anfall von pfeifendem Lysenfieber.“
Der kleine Otter macht große Augen. „Pfeifendes Lysenfieber?“
Ich nicke auf Mobus gewichtige Art. „Eine Krankheit, die vor allem Symbiwirte des Kreaichs Lyssa befällt.“
„Es gibt doch nur einen Symbiwirt von Lyssa“, mischt sich der Knochenknurpsler ein.
„Nicht zu verwechseln mit dem realen Pfeifferschen Drüsenfieber, zu dem sich die Ähnlichkeit auf den Wortspielnamen beschränkt“, fahre ich unbeirrt fort, „ist das Lysenfieber eine kreative Krankheit, in der sich Phasen von Motivation und Hyperaktivität, ausgelöst von einer Überdosis kreativer Energie, abwechseln mit den durch Übersäuerung und Überreizung bedingten Phasen von – ah, da seht ihr es auch schon.“
Mit perfektem Timing, um meinen Tell-Vortrag in eine Show-Beschreibung umzuwandeln, rollt Marv aus einer Tür und bleibt platt auf dem Burghof liegen. Er blinzelt müde und man sieht schon fast die kleinen, weißen Comic-Wölkchen, die von ihm aufsteigen, während Lyssa in immer schnelleren Kreisen um seinen Kopf schwirrt und dabei Geräusche wie eine Mücke verursacht.
„Lebt der noch?“, fragt Xenon besorgt.
„Klar“, grummelt der Knochenknurpsler. Als unser Horrorwolf ist er Spezialist in Sachen Tote von Lebenden von Untoten zu unterscheiden. Da spitzt Marvin auch schon die Ohren, dreht den Kopf und saust im nächsten Moment wie von der Lyssa gestochen los.
„Aber wirklich gut geht’s ihm nicht“, urteilt der Knochenknurpsler, denn bei Marvs irrem Gelächter läuft selbst unserem Horrorwolf ein Schauer durch das zottige Fell.
„Das ist sozusagen das Fallbeispiel, was passiert, wenn man seinem Kreaich einen Monat lang freie Hand verspricht“, sage ich und vergewissere mich, dass Lyssa noch Marvin hinterherjagt und nicht zu uns kommt.
„Wie meinst du das?“, fragt Xenon. „Ist das wie ein Drogentrip?“
„Nei- … Ja. Es ist November und damit ist NaNoMaMo – National November Madness Month. Ziel ist es, innerhalb von einem Monat 50.000 Wörter zu schreiben.“
„National November Writing Month“, verbessert mich Marvin der Schlaue. Wer lässt diesen Besserwisser von einem Schlauwolf eigentlich immer wieder auf den grauen Berg?
„Ich weiß doch, aber hier ist eben nicht NaNoWriMo sondern NaNoMaMo.“ Ich seufze. „Marv und Lyssa haben so eine Art Deal gemacht. Marv hat ein Buch vorbereitet und will das in diesem Monat schaffen – oder jedenfalls 50.000 Wörter davon. Lyssa darf ihn also zum Schreiben treiben, so viel sie will. Dafür muss sie sich auf das eine Buch beschränken. Das klappt nur nicht.“
„Hätte man sich denken können“, murmelt Xenon. Wir sehen zu, wie ein lebloser Grauwolf von Lyssa durch den Schnee geschleift wird. Nicht eine Pfote regt sich.
„Lyssa wird wahnsinnig, weil sie sich auf ein einziges Projekt konzentrieren muss, und sie hat Marv so sehr mit Inspiration vollgepumpt, dass er jetzt entweder der Joker oder Baumbart ist – eine Zwischenstufe hat er nicht mehr.“
Der scheintote Wolf springt auf, umkreist Lyssa zweimal und rennt dann die senkrechte Wand der Grauen Feste hinauf.
„Wow“, murmelt Xenon.
„Na, und Lyssa trickst ihn immer wieder aus und bringt ihn dazu, andere Sachen als sein Projekt zu schreiben“, erkläre ich. „Das hier zum Beispiel. Sie sagte, ich soll nur mal kurz die Wortspiele aufschreiben, die in diesem Kapitel auftauchen werden, und schon haben wir hier 597 Worte zusammen!“
„Typischer Lyssa-Trick“, sagt Lyssa. Sie schwebt neben meinem Ohr.
„Oh nein!“, hauche ich und Mobus sonst so dunkle Haut wird blass.
„Oh doch!“, ruft Lyssa triumphierend. „Hab ich dich, Autormarv!“
Ehe ich mich versehe, bin ich aus Mobus Hülle raus und stecke im manisch-depressiven Grauwolf. Ich höre Lyssa mit ihrer besten Impression eines 80er-Jahre-Schulhofschlägers singen: „Hey, Maa-aarv! Lass uns Geschichte schreiben! Komm, komm, komm, kleiner Autor, kooomm!“
„Nein!“, wimmere ich leise, als eine unsichtbare (aber blaue) Macht mich packt und auf das sprühende Kreaich zuzieht. „Neeeiiin! Meine Hände tun weh! Ich will schlaaafen!“
„Genug geschlafen!“ Lyssa lacht und Blitze zucken um sie. „Jetzt ist NaNo-Zeit!“